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Klaus Bittermann erklärt Wolfgang Pohrt
Dass der furchterregende Einzelkämpfer nicht nur höhnisch, sondern auch ausgelassen lachen konnte, hätte man aus seinen Schriften nie geschlossen. Aber in Klaus Bittermanns Buch "Der Intellektuelle als Unruhestifter: Wolfgang Pohrt" sieht man den Gegenstand des Werkes auf zwei Fotos tatsächlich mit leuchtenden Augen der Liebe seines Lebens zeigen, dass er sich freuen kann wie ein junger Hund. Man reibt sich die Augen, wenn man das Datum der Aufnahmen liest: 1977. In diesem Jahr scheiterte in Stammheim und Mogadischu ein radikaler, gegen die Westbindung der Bundesrepublik gerichteter Antiimperialismus, der die äußerste, terroristische Konsequenz aus den Ansichten des politischen Milieus gezogen hatte, dem Wolfgang Pohrt entstammte.
Lautstark waren zehn Jahre zuvor Parolen gerufen worden, deren Auslegung als Handlungsanweisungen die 1977 an ihrem Tiefpunkt angelangte Militanz der RAF vom Verhalten Gleichaltriger schied, die sich, als aus der Revolution nichts wurde, von der eigenen Vergangenheit (und den Bewaffneten, die an sie erinnerten) distanzierten und damit für Pohrt den Wunsch artikulierten, "unter den wohlwollenden Blicken der Macht und unter dem Beifall der Menge auch mal auf den Bösewicht spucken zu dürfen".
Vor solchen Widerrufen dessen, was man zuvor krakeelt hatte, ekelte sich Pohrt so sehr, dass er lieber selbst den Bösewicht gab, der es sich nicht nur mit den Staatsfrommen, sondern bald auch mit den Militanten verdarb, die er verspottete, weil sie noch im Gefängnis martialische Deklarationen aufsetzten. Methodisch nahm der Publizist fortan öffentlich die Lebenslügen anderer, aber auch die selbst zusammengeschweißte eigene Rechtschaffenheitsrüstung auseinander, zur Demonstration der Schonungslosigkeit seiner Kritik "in trüben Zeiten der Rückzugsgefechte", die er schon in seinen frühen Dreißigern durchmachte.
Mehrfach erklärte Pohrt danach die "Geschäftsaufgabe" seines polemischen Einmannbetriebs. Über das Ausbleiben inhaltlicher Antworten auf seine Strafpredigten führte er penibel Buch. Was ihn dagegen nicht interessierte, waren beleidigte oder anderweitig emotionale Reaktionen, die sich ihm entgegenwarfen, wenn er etwa im Pazifismus der frühen Grünen schon den beißenden Sprengmittelgeruch tatendurstiger Selbstgerechtigkeit witterte, der explosionsartig freigesetzt wird, wo realitätsfernes Friedfertigkeitsgehabe in generalstabsmäßigen Pragmatismus umschlägt.
Mit einem letzten Seufzer gab Pohrt schließlich seinen Befund erwiesener Überflüssigkeit sozialtheoretischen Denkens bekannt. Gerade in solchen Augenblicken der Selbstverneinung aber war er, wie Klaus Bittermann herausschmeckt, dem Grundimpuls seines Treibens am nächsten, weil er nicht Meinungen produzieren oder bestätigen wollte, sondern auf koordiniertes Handeln zur Beendigung blind weiter ratternder historischer Mechanismen abzielte. Pohrt habe sich, schreibt Bittermann treffend, mit seinen Selbstbeschädigungen mutwillig der Chance "beraubt, einfach so weiterzumachen wie bisher und ein Auskommen als professioneller Kommentator zu finden".
Lange vor den sozialen Medien nämlich war das öffentliche Meinen rings um Pohrt geprägt von heute alltäglichen, nahezu willkürlichen Parteinahmen mit dem einzig erkennbaren Zweck der Bildung und Bestätigung von Gemein- und Gefolgschaften oder, wie Pohrt voll Verachtung schrieb, "Banden".
Das Lebens- und Denkbild eines Menschen, der eigensinnig genug war, selbst bestimmen zu wollen, wann er argumentierte, wann er schimpfte und wann er schwieg, hat sein Biograph nun einer von allen beim Meinungsrummel störenden Begründungsanforderungen befreiten Zwitscher- und Plapperpublizistik zu ihrer wohl ausbleibenden Beschämung vorgelegt. Das ist unter den vielen unzeitgemäßen Streichen des Verlegers und Autors Bittermann, die er sich im Geist seines verstorbenen Freundes Pohrt erlaubt, gewiss der gelungenste. DIETMAR DATH
Klaus Bittermann: "Der Intellektuelle als Unruhestifter". Wolfgang Pohrt. Eine Biographie.
Edition Tiamat, Berlin 2022. 696 S., geb., 36,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
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