Der Faschismus im 20.Jahrhundert hat seinen Ursprung in Italien. So gut wie alle faschistischen Bewegungen in Europa, einschließlich des Nationalsozialismus, orientierten sich an ihm und seinem 'Duce' Benito Mussolini. Aufstieg, Herrschaft und Ende des Faschismus werden in diesem Band von dem wohl besten deutschen Kenner eindringlich und auf dem neuesten Forschungsstand beschrieben. Wolfgang Schieder schildert das politische Regime und den Polizeistaat des Faschismus, die 'charismatische' Herrschaft Mussolinis und ihre Grenzen, und er fragt auch nach dem Ort des Faschismus in der kollektiven Erinnerung der Italiener.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2010Rassistischer Expansionswille
Wolfgang Schieder entzaubert Mussolinis Herrschaft
Stellte der Faschismus in Italien einen historischen Sonderweg dar - oder war er ein gemeineuropäisches Phänomen des 20. Jahrhunderts? Beides trifft zu, erklärt Wolfgang Schieder in seiner konzisen, gut lesbaren Überblicksdarstellung. Er betont darin stärker als früher die Notwendigkeit, den Faschismus aus dem spezifischen Kontext der Geschichte Italiens heraus zu verstehen. Demnach verdankte sich diese epochemachende politische Erfindung zunächst der fatalen Zusammenballung älterer, ungelöster Konflikte der italienischen Gesellschaft und einer Krisenakkumulation, die Benito Mussolinis Aufstieg nach dem Ersten Weltkrieg und die Etablierung seiner charismatischen Diktatur in den zwanziger Jahren ermöglichten. Europäisch wurde das Modell dann in den Dreißigern durch die Übernahme der erfolgreichen Strategie des "Duce", terroristische Gewalt und Rücksicht auf traditionelle Eliten und Institutionen miteinander zu kombinieren.
Schieder wendet sich kritisch gegen ältere Deutungen, die vor allem durch den Mussolini-Biographen Renzo De Felice populär geworden sind. Der hatte seit den siebziger Jahren in Opposition zu den dominierenden Faschismus- und Totalitarismustheorien die Lehre vom autochthonen Charakter des italienischen Faschismus stark gemacht: als einer rein nationalen Entwicklungsphase, ohne echte Analogien außerhalb Italiens und ohne Ehrgeiz zu missionieren, wohl aber von der breiten Zustimmung der Bevölkerung getragen. Schieder dagegen nimmt im Sinne der neuesten internationalen Forschung den Anspruch des Faschismus beim Wort, sich in Italien, aber eben auch in Europa und sogar darüber hinaus durchzusetzen. Er arbeitet den ideologisch wie machtpolitisch aggressiven "universalistischen" Expansionswillen als eigentliches Wesensmerkmal der Mussolini-Diktatur heraus. Dieser Perspektive entsprechend, liegt ein Schwerpunkt bei ihm auf der Nähe von faschistischem Italien und nationalsozialistischem Deutschland, die mit der "Achse Rom-Berlin" 1936 programmatisch verkündet wurde und im "Stahlpakt" von 1939 kulminierte. Hatte die ältere wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Publizistik - zum Teil gestützt auf Tagebücher von Mussolinis Schwiegersohn und langjährigem Außenminister Graf Galeazzo Ciano - eher den Widerwillen der faschistischen Eliten gegen ein enges Bündnis mit Hitler-Deutschland betont, plädiert Schieder dafür, diese Beziehung als eine folgerichtige, aus der Logik des Regimes notwendige und bei allen gegenseitigen Irritationen doch beständige Allianz zu interpretieren.
Der Faschismus, den Schieder zeichnet, ist brutaler, aggressiver, rassistischer und damit dem Nationalsozialismus ähnlicher, als es ältere Rekonstruktionen mit bisweilen apologetischer oder revisionistischer Tendenz wahrhaben wollten. Zur Abkehr von derlei Beschönigungen gehört auch, die gesamte faschistische Ära in den Blick zu nehmen, wie Schieder es tut: von der Gründung der Partei 1919 bis 1945, das heißt einschließlich der Republik von Salò, jenem Staatsgebilde von Hitlers Gnaden in Norditalien, das eine unheilvolle Eigendynamik als Terrorregime, gerade bei der Judenverfolgung, entwickelte und den eigenen Landsleuten einen Bürgerkrieg aufzwang.
Die Häutungen und Metamorphosen des Faschismus in Italien nach 1945 werden im Schlusskapitel angesprochen. Hier macht der Autor noch einmal deutlich, dass "Bewältigung" der Diktatur-Vergangenheit für die italienische Gesellschaft lange Zeit hieß, nicht so sehr den Faschismus kritisch zu erforschen, als vielmehr die zivilbürgerlichen Werte des Antifaschismus und die große parteiübergreifende Erzählung vom Widerstand zu pflegen. Man wird weiter darüber streiten können, ob es sich dabei um ein schuldhaftes Versagen oder um eine kluge Integrationsofferte gehandelt hat.
CHRISTIANE LIERMANN
Wolfgang Schieder: Der italienische Faschismus 1919-1945. C. H. Beck Verlag, München 2010. 127 S., 8,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wolfgang Schieder entzaubert Mussolinis Herrschaft
Stellte der Faschismus in Italien einen historischen Sonderweg dar - oder war er ein gemeineuropäisches Phänomen des 20. Jahrhunderts? Beides trifft zu, erklärt Wolfgang Schieder in seiner konzisen, gut lesbaren Überblicksdarstellung. Er betont darin stärker als früher die Notwendigkeit, den Faschismus aus dem spezifischen Kontext der Geschichte Italiens heraus zu verstehen. Demnach verdankte sich diese epochemachende politische Erfindung zunächst der fatalen Zusammenballung älterer, ungelöster Konflikte der italienischen Gesellschaft und einer Krisenakkumulation, die Benito Mussolinis Aufstieg nach dem Ersten Weltkrieg und die Etablierung seiner charismatischen Diktatur in den zwanziger Jahren ermöglichten. Europäisch wurde das Modell dann in den Dreißigern durch die Übernahme der erfolgreichen Strategie des "Duce", terroristische Gewalt und Rücksicht auf traditionelle Eliten und Institutionen miteinander zu kombinieren.
Schieder wendet sich kritisch gegen ältere Deutungen, die vor allem durch den Mussolini-Biographen Renzo De Felice populär geworden sind. Der hatte seit den siebziger Jahren in Opposition zu den dominierenden Faschismus- und Totalitarismustheorien die Lehre vom autochthonen Charakter des italienischen Faschismus stark gemacht: als einer rein nationalen Entwicklungsphase, ohne echte Analogien außerhalb Italiens und ohne Ehrgeiz zu missionieren, wohl aber von der breiten Zustimmung der Bevölkerung getragen. Schieder dagegen nimmt im Sinne der neuesten internationalen Forschung den Anspruch des Faschismus beim Wort, sich in Italien, aber eben auch in Europa und sogar darüber hinaus durchzusetzen. Er arbeitet den ideologisch wie machtpolitisch aggressiven "universalistischen" Expansionswillen als eigentliches Wesensmerkmal der Mussolini-Diktatur heraus. Dieser Perspektive entsprechend, liegt ein Schwerpunkt bei ihm auf der Nähe von faschistischem Italien und nationalsozialistischem Deutschland, die mit der "Achse Rom-Berlin" 1936 programmatisch verkündet wurde und im "Stahlpakt" von 1939 kulminierte. Hatte die ältere wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Publizistik - zum Teil gestützt auf Tagebücher von Mussolinis Schwiegersohn und langjährigem Außenminister Graf Galeazzo Ciano - eher den Widerwillen der faschistischen Eliten gegen ein enges Bündnis mit Hitler-Deutschland betont, plädiert Schieder dafür, diese Beziehung als eine folgerichtige, aus der Logik des Regimes notwendige und bei allen gegenseitigen Irritationen doch beständige Allianz zu interpretieren.
Der Faschismus, den Schieder zeichnet, ist brutaler, aggressiver, rassistischer und damit dem Nationalsozialismus ähnlicher, als es ältere Rekonstruktionen mit bisweilen apologetischer oder revisionistischer Tendenz wahrhaben wollten. Zur Abkehr von derlei Beschönigungen gehört auch, die gesamte faschistische Ära in den Blick zu nehmen, wie Schieder es tut: von der Gründung der Partei 1919 bis 1945, das heißt einschließlich der Republik von Salò, jenem Staatsgebilde von Hitlers Gnaden in Norditalien, das eine unheilvolle Eigendynamik als Terrorregime, gerade bei der Judenverfolgung, entwickelte und den eigenen Landsleuten einen Bürgerkrieg aufzwang.
Die Häutungen und Metamorphosen des Faschismus in Italien nach 1945 werden im Schlusskapitel angesprochen. Hier macht der Autor noch einmal deutlich, dass "Bewältigung" der Diktatur-Vergangenheit für die italienische Gesellschaft lange Zeit hieß, nicht so sehr den Faschismus kritisch zu erforschen, als vielmehr die zivilbürgerlichen Werte des Antifaschismus und die große parteiübergreifende Erzählung vom Widerstand zu pflegen. Man wird weiter darüber streiten können, ob es sich dabei um ein schuldhaftes Versagen oder um eine kluge Integrationsofferte gehandelt hat.
CHRISTIANE LIERMANN
Wolfgang Schieder: Der italienische Faschismus 1919-1945. C. H. Beck Verlag, München 2010. 127 S., 8,95 [Euro].
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