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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Von der Arbeitsteilung einer archaisch strukturierten Parallelgesellschaft: Zwei lesenswerte Bücher rekapitulieren die Ereignisse rund um den Dresdner Juwelendiebstahl von 2019.
Am 25. November 2019, auf den Tag genau vor vier Jahren, geschah in Dresden der wohl folgenschwerste Kunstdiebstahl nach dem Zweiten Weltkrieg. Binnen weniger Minuten rafften die Täter 21 mit insgesamt 4316 Diamanten und Brillanten besetzte Schmuckstücke aus drei barocken Juwelengarnituren zusammen. Der materielle Verlust, gemessen am Versicherungswert, beträgt fast 114 Millionen Euro. Der kunsthistorische Wert dagegen ist unermesslich: Mit Prunkstücken wie diesen traten absolutistische Herrscher vor 300 Jahren miteinander in Wettbewerb. Ludwig XIV besaß drei Garnituren, von denen jedoch wegen Erbaufteilungen keine mehr erhalten ist. August der Starke, sächsischer Kurfürst und König von Polen, brachte es auf zehn Garnituren, von denen die im Brillant- und Diamantrosenstil die prächtigsten und zugleich einzigen waren, die bis zu jener Novembernacht alle Zeitläufte unversehrt überstanden hatten: die Abdankung der Wettiner, Weltkriege und Sozialismus.
Dem Remmo-Clan jedoch waren sie nahezu schutzlos ausgeliefert. Wie es dazu kommen konnte, haben die Spiegel-TV-Journalisten Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer in "Der Jahrhundertcoup" sowie der Autor und Rechtsanwalt Butz Peters in "Der Clan und die Juwelen" nun umfassend aufgearbeitet. Beide gehen auf die Historie der Juwelen sowie in verschiedenem Umfang auf die Ermittlungen, den Prozess und die Täter ein. Dabei werden sowohl das ganze Ausmaß des Versagens der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und des Freistaats Sachsen beim Schutz der Kunstschätze deutlich als auch die beinahe grenzenlose Naivität und, man muss das so deutlich sagen, Fahrlässigkeit der Berliner Justiz, die Intensivtäter wie die Remmos immer wieder nahezu unbehelligt davonkommen lässt.
So bescheinigte das Landgericht Berlin 2020 im Prozess um die gestohlene 100-Kilo-Goldmünze aus dem Bodemuseum dem damals 23 Jahre alten Wissam Remmo allen Ernstes "Nachreife" und einen "Entwicklungsschub" als Folge der von ihm "als Einschnitt erlebten, viermonatigen Untersuchungshaft". Dabei hatte der sechzehnfach (!) vorbestrafte Angeklagte 41 Prozesstage lang geschwiegen. "Man fragt sich, woher die Richter - 'erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren' - ihre positive Einschätzung schöpften", schreibt lesbar fassungslos der prozesserfahrene Jurist Peters, der das Verfahren ums Grüne Gewölbe an allen fast 50T agen als Beobachter verfolgte. Schon damals sei offensichtlich gewesen, dass erzieherische Maßnahmen hier keine Wirkung zeigten, sondern im Gegenteil, dass Wissam Remmo "brandgefährlich war und immer gefährlicher wurde".
Zu diesem Zeitpunkt wusste das Gericht freilich noch nicht, dass Wissam Remmo drei Monate zuvor, noch während der Goldmünzenprozess gegen ihn lief, maßgeblich am Einbruch ins Grüne Gewölbe beteiligt war. Die Reporter Heise und Meyer-Heuer, die aus zwei Jahrzehnten Berichterstattungserfahrung im Clan-Milieu schöpfen, sprachen Wissam Remmo wenige Tage nach dem Einbruch bei einem weiteren Gerichtsverfahren in Erlangen vor laufender Kamera darauf an, ob er auch in Dresden dabei gewesen sei. Eine Antwort bekamen sie nicht, aber ziemlich genau ein Jahr später klickten in der Hauptstadt die Handschellen, als sächsische Ermittler bei einer der größten Razzien, die es je in Berlin gab, drei der später verurteilten Einbrecher von Dresden verhafteten - unter ihnen auch Wissam Remmo.
Heise und Meyer-Heuer bauen in ihrem Buch auf profunden Polizeikontakten in Berlin und Dresden auf. Sie hatten direkten Zugang zu den Ermittlungsakten, und ihre Rekonstruktion der Fahndung und Festnahme der Täter liest sich spektakulär und im Spiegel-TV eigenen, lockeren, jedoch dem Ernst des Themas jederzeit angemessenen Ton. Ergänzt wird sie durch exklusive Bilder aus Helmkameras der Spezialeinsatzkommandos beim Zugriff in Berlin, die zum Teil im Buch und auch im gleichnamigen Film der Autoren zu sehen sind. Viel Raum nimmt zudem die bisher vergebliche Suche nach Insidern ein, den oder die es, da sind sich so gut wie alle Beteiligten einig, gegeben haben muss: Von allein konnte auch ein Remmo nicht darauf kommen, am einzigen ungesicherten Fenster des Dresdner Schlosses einzusteigen.
Das alles aber interessiert die Verantwortlichen in Dresden bis heute auffallend wenig. Bereits bei der Aufarbeitung vor Gericht legten die meisten eine atemberaubende Hilf- und Verantwortungslosigkeit an den Tag, allen voran der einstige Sicherheitschef, der fast alle Fragen mit 'Ich weiß es nicht' beantwortete. Detailliert nachzulesen ist in beiden Büchern auch, wie die zur Tatzeit diensthabenden Wachleute eines privaten Sicherheitsdienstes grob ihre Pflichten verletzten und weder den Direktalarm zur Polizei auslösten noch persönlich eingriffen oder wenigstens das Licht einschalteten. Letzteres rechtfertigte die SKD-Führung sogar damit, dass die Täter auf diese Weise nicht noch mehr Beute hätten machen können. So hielten sie die bestohlene Öffentlichkeit auch noch zum Narren.
Nicht mehr in beide Bücher geschafft hat es die neueste, ins Bild passende Volte: Eben jener Sicherheitsdienst, dessen Mitarbeiter in der Tatnacht nicht aktiv handelten, "weil sie Angst hatten", wie Peters die Einschätzung der Polizei wiedergibt, bekam jüngst vom Freistaat Sachsen einen neuen, 15 Millionen Euro schweren Folgeauftrag für die Bewachung der Kunstschätze. Für die Öffentlichkeit stellt sich das so dar: Wer drei Euro Umsatzsteuer hinterzieht, muss mit dem Gerichtsvollzieher rechnen, wer in Museen den schwersten Schaden seit dem Zweiten Weltkrieg mitverantwortet, wird mit einem Neuvertrag belohnt.
Im negativen Sinne übertroffen wird das alles noch vom Umgang der Behörden mit Clans, von denen die Remmos zweifellos einer der übelsten sind. Heise und Meyer-Heuer zufolge zählen gerade bei dieser Familie übliche Beschwichtigungen nicht, wonach nur ein Teil davon kriminell sei. Vielmehr handele es sich um eine "archaisch strukturierte Parallelgesellschaft", die arbeitsteilig vorgehe: Ein Kreis um das Clanoberhaupt plane Coups, die meist junge Mitglieder mit großer Brutalität umsetzten, während Frauen die Beute versteckten und weitere Angehörige sich um die Verwertung kümmerten. "Das Schweigen der Remmos ist eisern", resümiert auch Peters. Der Clan sei die Zukunft eines jeden Mitglieds, "die es sofort bei einem 'Verrat' an die verhasste bürgerliche Justiz" verliere.
Immerhin: Die akribische Arbeit der Ermittler im Fall des Grünen Gewölbes drängte die Remmos schließlich so in die Ecke, dass sie sich auf einen Deal einließen und einen Teil der Beute im Gegenzug für Strafrabatt herausrückten. Die drei wertvollsten Stücke fehlen jedoch noch - genauso wie mindestens ein Täter. Vier der zu mehrjährigen Haftstrafen Verurteilten haben zudem Revision eingelegt, drei von ihnen befinden sich bis zur Rechtskraft auf freiem Fuß. "Der Rechtsstaat hat nicht gewonnen. Verloren hat er aber auch nicht", resümieren Heise und Meyer-Heuer. Um die Clankriminalität wirksam einzudämmen, müsse die Politik das Phänomen jedoch endlich "als das erkennen, was es ist: soziale Ungerechtigkeit", schreiben sie. "Die kriminellen Teile der Großfamilien binden enorme Ressourcen. Bei der Polizei, in der Justiz, in den Jobcentern, aber auch in den Schulen oder ganz banal im Freibad. Ressourcen, die allen zustehen, aber nur einmal vergeben werden können." Dem ist nichts hinzuzufügen. STEFAN LOCKE
Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer: "Der Jahrhundertcoup".
Ein Clan auf Beutezug und die Jagd nach den Juwelen aus dem Grünen Gewölbe.
DVA Verlag, München 2023. 352 S., Abb., geb., 24,- Euro.
Butz Peters: "Der Clan und die Juwelen". Der Dresdner
Juwelenraub und die neue Macht der Clans in Deutschland.
Riva Verlag, München 2023. 320 S., Abb., geb., 22,- Euro.
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