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Das dritte Buch über Joel: Henning Mankells sympathischer Held will endlich erwachsen werden
Mitten in der Geschichte, als schon eine ganze Menge passiert ist, sitzen die Hauptfigur Joel (noch dreizehn, bald vierzehn) und der Windhund, seine Klassenkameradin, im Kino. Sie haben sich hineingeschlichen. Am Ende der fünfziger Jahre waren Filme "nicht jugendfrei", wie das merkwürdige Wort dafür lautete, wenn sich auf der Leinwand heftige Kußszenen abspielten. Heftiges Küssen aber ist gar nicht so einfach. Und bei Joel Gustafsson geht einiges schief.
Er hat es auch nicht leicht. Joels Mutter zum Beispiel ist schon lange verschwunden. Joels Vater war früher Seemann gewesen, aber dann wurde ein stiller Waldarbeiter aus ihm, der langsam einen krummen Rücken kriegt und häufig betrunken ist. Dann muß Joel für ihn sorgen, was wiederum auf seine Schulleistungen drückt. Ein apartes Kerlchen ist dieser Joel schon. Uneben, wie man so ist als Dreizehnjähriger, wenn man erwachsen sein möchte. Manchmal benimmt er sich kindisch wie Calvin, dem ein Hobbes fehlt, und verfolgt das Ziel, Schwedens jüngster Rock-König zu werden, ein Schnee-Elvis sozusagen. Manchmal ist er so erfinderisch wie ein ausgebuffter Sechzehnjähriger. Und einmal, als es auf Leben und Tod geht, handelt er überlegt und selbstlos.
Henning Mankell hat für sein erstes Buch über Joels Kindheit in Norrland den Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten. Wer Joel schon kennt, wird sich über seine Gelübde am fiktiven Silvesterabend nicht besonders wundern. Joel nimmt sich dreierlei vor: Erstens will er sich abhärten gegen Kälte und Wärme, um hundert Jahre alt zu werden. Zweitens will er endlich einmal ans Meer, von dem ihm sein Vater so viel erzählt hat. Und drittens will er irgendwann im folgenden Jahr eine nackte Frau sehen.
Fürs Abhärten gegen die Kälte finden sich viele Gelegenheiten, auch manche, die Joel lieber auslassen würde. Die Sache mit dem Meer läßt sich zunächst nur brieflich angehen. Und ob die neue Verkäuferin im Tante-Emma-Laden, die mit dem Stockholmer Akzent, nicht nur in Joels Träumen von der Südsee ihren Auftritt in durchsichtigen Schleiern hat? Diese Sonja Mattson ist jedenfalls eine selbstbewußte und auf zarte Weise souveräne junge Frau.
Küsse reimen sich natürlich nicht auf Püffe, oder nur, wenn man mit der Zahnspange reimt. Aber sie fühlen sich manchmal so an. Auf den gespitzten Lippen und auf der gespitzten Seele. Der Windhund ist da schon etwas weiter als Joel. Sie wird, nachdem sie Joel einmal ziemlich brutal verraten hat, seine Freundin. Dabei spielen Küsse zwar auch eine Rolle, aber wichtiger ist, daß man sich versteht.
Wie die Geographielehrerin schüttelt man oft den Kopf über diesen Joel und seine Kindereien. Aber wie sie versteht man auch, wie schwer es Joel hat und daß er zuweilen nur deshalb so kindisch ist, weil er häufig auch sehr erwachsen sein muß. Diese innere Spannung trägt das Buch. Henning Mankell, der seinen Romanhelden ebenfalls sehr mag, kann recht witzige Dialoge schreiben. Zwar haftet seinem Text zwischendurch ein wenig jener Ingmar-Bergman-Schwere an, von der man nicht so recht weiß, ob sie inzwischen ein Klischee geworden ist oder schon immer eines war. Joels Phantasie überwindet diese Bedrücktheit, sei es kußweise oder mit Püffen. WILFRIED VON BREDOW
Henning Mankell: "Der Junge, der im Schnee schlief". Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch. Oetinger Verlag, Hamburg 1998. 200 S., geb., 19,80 DM. Ab 12 J.
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