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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Verschwörungstheorien - ein wichtiges Thema wird naiv abgehandelt
Veränderungen können Ängste auslösen: Je schwerwiegender das Ereignis, desto größer potentiell die Furcht. So forderte die Corona-Pandemie bislang nicht nur mehr als 5,2 Millionen Menschenleben, sondern bietet auch Verschwörungsideologien einen Nährboden. Menschen aus dem persönlichen Umfeld geben sich ihnen hin, ebenso wie Prominente und einstige Jugendidole. Eine geheime, verborgene Wirklichkeit wird dabei gesucht, Zusammenhänge, Muster und Verbindungen, die vermeintlich von Politik, Behörden und Medien verschwiegen werden. Mehrere Autoren in Deutschland thematisierten den Glauben an konspirative Handlungen angesichts dieser Entwicklungen in ihren Publikationen - so auch Andreas Anton und Alan Schink in "Der Kampf um die Wahrheit". Noch ein Buch über die Thematik, muss das sein? Angesichts der andauernden Aggressivität der selbst ernannten "Querdenker" könnte die Antwort darauf heißen: Ja, es muss. Allerdings betonen die Autoren, dass ihr Buch anders sei als möglicherweise erwartet - denn es erkläre Verschwörungserzählungen nicht per se für falsch und gefährlich. Die Sache mit der Wahrheit sei in vielen Fällen nicht ganz so einfach, wie von Politikern, Wissenschaftlern und Medienschaffenden oftmals suggeriert werde. Nur wer sich differenziert mit dem Thema auseinandersetze, könne Ängste und Vorurteile eindämmen, die durch die Theorien selbst, aber zum Teil auch durch den Kampf gegen sie verbreitet würden.
Der Begriff "Verschwörungstheorie" als solcher werde bereits als Synonym für irrationale, unwahre, abwegige oder gar gefährliche Haltungen gebraucht, heißt es weiter, dabei gehe doch auch etwa ein Investigativjournalist einem solch kritisch hinterfragenden Ansatz nach. Zudem habe es auch schon Fälle gegeben, in denen eine anfangs als Verschwörungstheorie bezeichnete Idee sich im Nachhinein zumindest teilweise als wahr herausstellte. Anders als einige Publikationen zum Thema, die es zum Teil auch auf die Bestsellerlisten schafften, bestehen die Autoren des Buches zudem auf den Gebrauch des Begriffs "Verschwörungstheorie". Kritik an der Verwendung im Allgemeinen hatte es seitens Experten zuvor vielfach gegeben, da die Endung "-theorie" impliziere, dass das Gesagte wissenschaftlichen Kriterien entspricht, diese aber in der Realität selten Anwendung finden. Empfohlen werden daher oftmals Alternativbegriffe wie "Verschwörungsideologie", "Verschwörungsmythen" und "Verschwörungserzählungen". Andreas Anton und Alan Schink zufolge ergeben diese Begriffe aber keinen Sinn, da für eine Theorie keine wissenschaftlich begründete Aussage vorliegen müsse, sondern auch schlichtweg eine unbewiesene Behauptung oder These. Nun lässt sich darüber streiten, wie viel Macht solchen sprachlichen Feinheiten innewohnt, jedoch sind es ebensolche Details im Buch, die Leser aufhorchen lassen sollten.
Denn bisweilen ist die Herangehensweise der beiden Autoren nicht wie angekündigt und bei diesem Thema fürwahr erforderlich "differenziert", sondern nichts anderes als naiv. Vielmehr suggeriert der im Buch vorliegende Ansatz, dass es sich bei Verschwörungsmythen lediglich um alternatives Wissen handele, das sich nur durch fehlende gesellschaftliche Anerkennung unterscheidet. Was als "wahr" oder "wirklich" anerkannt wird, sei vor allem durch Politik, Medien und Wissenschaft beeinflusst; was von diesen Seiten nicht kommuniziert werde, besitze keine Chance, in der breiten Gesellschaft anzukommen. Doch die Wahrheit ist nicht nur sozial konstruiert: Selbst wenn der Großteil einer Gesellschaft an eine Verschwörungserzählung glauben würde, wird diese noch lange nicht zur Wahrheit.
Darüber hinaus geht es in dem Buch auch um während der Corona-Pandemie verübte "Zensurpraktiken" sozialer Medien wie Youtube, Twitter und Facebook, welche von den Autoren als "höchst problematisch" eingestuft werden. Der russische Propagandasender RT Deutschland, Ken Jebsen und weitere Verbreiter von Falschnachrichten und Halbwahrheiten - aus Sicht der Autoren nicht so wild. Es handele sich lediglich um "abweichende politische und wissenschaftliche Deutungen und Sichtweisen", sagte Andreas Anton Ende Oktober, es entwickelten sich zunehmend Strukturen, "die entscheiden, welche Informationen den Bürgern zugänglich gemacht werden und welche nicht". Hinter den Löschungsmaßnahmen sozialer Netzwerke stecke das Menschenbild "eines verführbaren und unmündigen Menschen". Es verwundert angesichts all dessen wenig, dass eine dubiose Plattform mit dem Namen "Grenzwissenschaft-Aktuell" die Publikation als Buch des Jahres lobte. Bei aller Nüchternheit: Den jüngsten Entwicklungen in der "Querdenker"-Szene ist nicht mit solch faszinierter Neugier zu begegnen, sondern mindestens mit heftig schüttelndem Kopf.
Denn wo Ängste geschürt werden, ist auch Wut, die in Gewalt münden kann. Am 18. September 2021 wurde der 20 Jahre alte Student Alexander W. hinter der Kasse einer Tankstelle in der rheinland-pfälzischen Stadt Idar-Oberstein mit einem Schuss in den Kopf getötet - von einem Kunden, den er auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. "Tankstellenboy" hatte der Täter ihn später in der polizeilichen Vernehmung abfällig genannt. Er habe sich von ihm respektlos behandelt gefühlt, aber auch ein Zeichen gegen die vermeintlich überzogenen Corona-Maßnahmen setzen wollen, an "Frau Merkel" und Gesundheitsminister Jens Spahn sei er nun mal nicht herangekommen. Obgleich ein junger Mann nicht die Verantwortung für die Regeln zur Bekämpfung der Pandemie trägt, hatte der Täter entgegnet: "Jeder trägt Mitverantwortung, der diesen Kram mitmacht." Auch er glaubt laut Polizeiprotokoll etwa, dass die Impfung gegen das Coronavirus die Blutplättchen verklebe, und auch er ist demnach stolz darauf, nicht gegen das Virus geimpft zu sein. Was, wenn der junge Student Alexander W. nicht der Letzte war, der nicht dem Virus, sondern dem Hass zum Opfer fällt? Besorgnis erregen nicht nur solch traurige Höhepunkte der Gewalt. Anfang Dezember kam es in der Stuttgarter Innenstadt zu einer Versammlung von Menschen aus dem "Querdenker"-Milieu, im Fokus stand Kritik an den Corona-Maßnahmen und vermeintlicher Freiheitsberaubung. Ärzte, die gegen das Coronavirus impfen, wurden als Mörder bezeichnet. Videos auf Twitter zeigen zudem Männer, die das Grundgesetz anzünden, einer von ihnen ruft: "Deutschland brennt". Eine sanfte Behandlung mit Samthandschuhen oder gar Lob für kritischen Geist kommen da wohl nicht mehr infrage. JOHANNA CHRISTNER
Andreas Anton und Alan Schink: Der Kampf um die Wahrheit. Verschwörungstheorien zwischen Fake, Fiktion und Fakten.
Verlag Komplett Media, München 2021. 336 S., 22,- Euro.
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