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Diese Tücke dürfte die Onkels teuer zu stehen kommen: "Der Kaplan" war Klaus Manns letzte literarische Arbeit. Gedacht war sie für Roberto Rossellinis Episodenkriegsfilm "Paisà".
Weihnachten 1944, Oberitalien: Der auf Sizilien begonnene Vormarsch der Alliierten steht kurz vor Bologna. Die "Gustav-Linie" der Deutschen zwischen Neapel und Rom - mit der tragischen Zerstörung des Klosters Monte Cassino, in dem sich statt feindlicher Truppen nur Mönche und Zivilisten befinden - und die "Gotenlinie" nach erbitterten Kämpfen am Futa-Pass sind bereits überschritten. In den Verbänden der 5. US-Armee unter General Clark ist auch ein intellektueller Feldwebel, zuständig für die "Psychological Warfare Branch": der achtunddreißigjährige Exilschriftsteller Klaus Mann. Im Apennin, im halbzerstörten Bergdorf Traversa, dient er nicht nur als Dolmetscher beim Verhör deutscher Kriegsgefangener und in der Propagandaabteilung - etwa durch Verfassen von Flugblättern, die Wehrmachtssoldaten zur Desertion auffordern -, sondern er schreibt auch an einem Drehbuch. Es soll als Skript für die vorletzte Szene in Roberto Rossellinis Kriegsfilm "Paisà" (1946) dienen.
Diese Szene unter dem Titel "The Chaplain", die 1970 im Zürcher Nachlass entdeckt wurde, erscheint jetzt in deutscher Übersetzung. Beigefügt sind kommentierende Aufsätze und Beigaben, darunter auch Klaus Manns nur etwa zwanzigseitiger Roman "The Last Day", hier ebenfalls übersetzt. Das Skript wurde von Rossellini nicht verfilmt; es passte nicht in sein vereinfachend polarisierendes Bild von Gut und Böse, von den tadellosen alliierten Befreiern und der geopferten italienischen Zivilbevölkerung auf der einen und den faschistischen deutschen Invasoren auf der anderen Seite. Doch Klaus Mann hatte an dem Film einen viel größeren Anteil, gegen sein vertraglich gesichertes Recht auf "screen credit", also namentliche Erwähnung im Vorspann, wurde in den ersten Monaten nach dem Kinostart verstoßen. "Diese freche Tücke dürfte die Onkels teuer zu stehen kommen", schrieb er an seine Schwester Erika. Seine Klage kam zwar nicht zur Verhandlung, führte aber zu einem Vergleich, mit dem Klaus Mann - so Fredric Kroll, der Entdecker des Textes - "makabrerweise seinen lebenslang ersehnten Tod" 1949 in Cannes nebst Bestattung selbst finanzieren konnte.
Die Überlieferungsgeschichte des Drehbuchs wird in der Ausgabe nicht sehr übersichtlich verzeichnet. Das englische Typoskript, von dem ein paar Seiten faksimiliert sind, befindet sich heute in der Stadtbibliothek Monacensia München. Ins Deutsche übersetzt wurde es zuerst 2015: von Joachim Bartholomae in einer kleinen Festgabe für Fredric Kroll. 2018 erschien es auch auf Italienisch. Titelblatt und Impressum der vorliegenden Fast-Erstausgabe, die als englisch-deutsche Synopse entschieden gewonnen hätte, verraten nichts von diesen Textverhältnissen. Umso mehr erfährt man aber über die inhaltlichen Zusammenhänge aus der Lektüre des Skripts und den angefügten Aufsätzen, zumal wenn man sich den auf DVD verfügbaren Film nochmals ansieht.
Rossellinis neorealistischer "Paisà", benannt nach der Bezeichnung der amerikanischen Soldaten für die italienische Landbevölkerung (paesano), erzählt in sechs durch Wochenschau-Einspielungen unterbrochenen Episoden vom Vormarsch der Amerikaner, jeweils im Fokus einer individuellen Begegnung: Von der Landung auf Sizilien führt der Weg über Neapel, Rom, Florenz bis in die Romagna und die Po-Ebene. Die vorletzte Szene, für die Klaus Mann schrieb, zeigt im fertigen Film ein Bergkloster, in dem drei amerikanische Militärgeistliche für Befremden sorgen, weil nur der Katholik an den Gebeten des Ordens teilnimmt, während der Jude und der Protestant, zwei verlorene Seelen, sich verweigern. Im "Kaplan" hingegen steht der protestantische Feldpastor Martin im Zentrum, der mit seiner Weihnachtspredigt für Integration in der recht nervösen Truppe sorgt und zugleich als Wohltäter und Menschenfreund bei der italienischen Dorfbevölkerung zu großer Anerkennung gelangt. Doch das Vertrauen, das er bei Ernesto, dem Sohn des verschollenen Bürgermeisters findet, schafft zugleich eine Gegenperspektive. Denn Ernesto steht insgeheim in Funkkontakt mit seinem Vater, der sich hinter der Front auf deutscher Seite an dem grausamen Kampf gegen Partisanen und Zivilbevölkerung beteiligt.
Dem Katholiken Rossellini war das ebenso wenig sympathisch wie Klaus Manns Einwände gegen allzu pauschale Greuelszenen, etwa eine Massenvergewaltigung der Deutschen. In Manns Drehbuch fällt eben mancher Schatten auch auf amerikanische Soldaten, weil sie sich - wie Ernesto einmal meint - "als Befreier aufspielen. Weil sie unsere Kirchen bombardieren - und dann predigen sie brüderliche Liebe von der zerstörten Kanzel. Weil sie unsere Kinder töten - und dann füttern sie sie mit Caramelli. Weil sie ständig über Toleranz reden", zugleich aber ihn, Ernesto, als bucklig verlachen. Klaus Mann, der den ungeheuer verlustreichen Italien-Feldzug aus nächster Nähe beobachtete, sich dabei aber um eine unabhängige Perspektive bemühte, spart italienische Kollaborateure als Mitschuldige an dem Elend ebenso wenig aus wie Verfehlungen auf Seiten der Alliierten. Dieser Drang nach Differenzierung führte letztlich zum Ausschluss aus dem Filmprojekt. Die vorliegende Ausgabe rehabilitiert Klaus Mann als unabhängigen, kritischen Kopf.
ALEXANDER KOSENINA
Klaus Mann: "Der Kaplan". Ein Drehbuch für Roberto Rossellinis Filmklassiker "Paisà".
Hrsg. und mit einem Vorwort von Susanne Fritz. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 292 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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