Min ist eine junge Britin, die um die Erotik blassgelber Baumwollpyjamas weiß, nach Ananas in der Oper verlangt und eine männliche Putzkraft beschäftigt. Ihre Welt entwirft sie um eine Handvoll wenig begehrenswerter, aber umso anziehenderer Männer. Da sind ein übergewichtiger Tenor, ein alternder Katzenliebhaber und ein manikürter Musikwissenschaftler. Zur Teatime im Ritz, durch Londoner Parks spazierend oder beim Käsesandwich zum Lunch – Min zeigt sich als skeptische, aber doch ergebene Jüngerin heterosexueller Zweisamkeit. Die eigene Person, die Charakterstudien ihrer Freundinnen – alles ist mit Blick auf die Beziehung zum Mann entworfen: Sie arbeitet bei der BBC als Tontechnikerin und ist zwar verheiratet, doch ihr Mann George ist so unsichtbar, dass sie versehentlich das Licht ausschaltet, während er noch im selben Raum ist. Zum Glück hat sie ihre Freundinnen und Liebhaber, die sie ablenken. Jüngst wird sie etwa von einem international bekannten Opernsänger umworben. Gleichermaßen von ihm angewidert und angezogen, kreisen ihre Gedanken fortan darum, ob sie mit ihm schlafen soll oder nicht. Mit ihrem ungeheurem Witz und ihrem feinen Gespür für menschliche Sehnsüchte hat Rosemary Tonks einst die britische Literatur geprägt. Nach Jahren im Rampenlicht zog sie aufs Land, änderte ihren Namen und vernichtete verbliebene Exemplare ihrer Bücher. Erst nach ihrem Tod neu aufgelegt, begeistert ›Der Köder‹ nun zum zweiten Mal eine ganze Generation von Leserinnen.
»Es geht um Flirten als Methode der Selbstorganisation und um Verliebtheit als Methode der Selbstquälerei. Und doch ist der gesamte Text von 'Der Köder' - und damit meine ich jeden einzelnen Satz - lustig.« Audrey Wollen, The New Yorker
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Vor dem Erscheinen der Neuausgabe von Rosemary Tonks' Roman, wurden die letzten verbliebenen englischen Bücher für sehr viel Geld online gehandelt, weiß Nadine A. Brügger. Zum Einen ist das ein Zeichen für die unbestreitbare Qualität des Buches, zum anderen erhofften sich die Leser wohl auch Hinweise auf den mysteriösen Lebenswandel der Autorin, die sich in den Achtzigern völlig zurückzog und zu einer fundamentalistischen Form des Christentums konvertierte. Ihr Roman lässt nicht auf diesen Lebenswandel schließen, so Brügger, vielmehr fängt er die Atmosphäre im London der "Swinging Sixties" hervorragend ein. "Der Köder" ist, so Brügger, ein "Kaleidoskop" der Erfahrungen der dreißigjährigen Protagonistin Min, ihren Beziehungen, Partys, Freundschaften, ihren Selbstzweifeln. Für die Rezensentin transportiert Tonks in diesem rasanten Roman das Lebensgefühl jener Zeit und vieles ist, trotz all der Jahre die vergangen sind, auch für das Heute noch gültig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2024Ein Ehemann als Einrichtungsgegenstand
Rosemary Tonks war eine Schriftstellerin, die irgendwann im Schreiben nur noch Satanisches fand und verstummte: Nun erscheint auf Deutsch ihr Roman "Der Köder"
Man muss es schon als eine Seltsamkeit der englischen Literatur bezeichnen, dass immer wieder etablierte Schriftstellerinnen buchstäblich verschwinden. Im Jahr 1926 gab es eine landesweite Polizeiaktion, um nach der aufstrebenden Krimiautorin Agatha Christie zu suchen, die nach einem Ehestreit nicht mehr aufzufinden war. Zehn Tage lang galt sie als Mordopfer des abtrünnigen Ehemanns, bevor sie unter anderem Namen und in verwirrtem Geisteszustand in einem nordenglischen Hotel identifiziert werden konnte. Ob es sich hier um einen Nervenzusammenbruch oder einen Publicity Stunt handeln mochte, ist bis heute unklar; jedenfalls ist die Autorin seither weltberühmt.
Die modernistische Erzählerin Jean Rhys, die aus der Karibik stammte und in den späten Zwanziger- bis Dreißigerjahren einige subtile Romane über das bewegte Liebesleben der Vorkriegsboheme veröffentlicht hatte, verschwand spurlos in den Kriegswirren und war schon für tot erklärt worden, als ein BBC-Reporter sie 1949 in einem Cottage in Cornwall aufspürte. Eine Verlagsagentin schaffte es sogar, sie dort vom Alkohol loszubekommen und zur weiteren literarischen Arbeit zu bewegen; 1966 erschien "Wide Sargasso Sea", ihr Meisterwerk.
Am seltsamsten und traurigsten aber war das Verschwinden der Lyrikerin und Romanautorin Rosemary Tonks (1928 bis 2014). In den Swinging Sixties zählte sie zur Avantgarde. Zwei stilprägende, bis heute hochgeschätzte Gedichtbände, sechs satirische Gesellschaftsromane und etliche Erzählungen hat Tonks damals mit Erfolg veröffentlicht, dazu zahlreiche Essays und Kritiken in führenden Journalen wie "The New York Review of Books". Sie arbeitete bei der BBC, widmete sich Klangkunstwerken ebenso wie dem Londoner Society-Leben und galt als Ikone jener aufregenden Zeit. Anfang der Siebzigerjahre jedoch brach sie mit alldem, nahm einen anderen Namen an, verweigerte jeden Kontakt zur literarischen Welt und lebte fortan vier Jahrzehnte unerkannt in der englischen Provinz. Ihre Manuskripte verbrannte sie, in öffentlichen Bibliotheken soll sie ihre eigenen Bücher entliehen haben, um sie zu zerstören. Es heißt, dass eine Serie von Schicksalsschlägen und Erkrankungen sie erst zur Esoterik, dann zum christlichen Fundamentalismus geführt habe. Jedenfalls glaubte Tonks anscheinend, in Literatur und Kunst, besonders der eigenen, eine Manifestation des Satanischen zu erkennen, die es auszumerzen galt.
Nach ihrem Tod hat sich der Lyrikverleger Neil Astley mit einer Neuausgabe sämtlicher Gedichte von Tonks, die auch einige Kleinprosa präsentiert, um die Neubewertung ihres Werks verdient gemacht. Das ausführliche Nachwort seiner Ausgabe, das auch die biographischen Nachforschungen dokumentiert, ist jetzt der deutschen Erstausgabe ihres Kurzromans "The Bloater" angefügt. Im Original 1968 erschienen und vor zwei Jahren in England wiederaufgelegt, lockt er uns in Eva Bonnés Übersetzung, wenngleich unter einem frei erfundenen Titel (der englische Titel, eigentlich Bezeichnung für einen Räucherhering, ist der Spitzname der männlichen Hauptfigur) zur Entdeckung dieser rätselhaften Autorin.
Doch die Lektüre enttäuscht. Erzählt wird fast nur szenisch-dialogisch, ziemlich hochtourig und schrill und so penetrant um ständige Pointen und Bonmots bemüht, dass man ermüdet. Ein beliebiges Beispiel: "Puh! Mir wird warm, mein Herz hämmert, doch kaum, dass ich abgeschlossen und mich ausgezogen habe, klingelt es an der Haustür. Fritz hat sich der Musik geschlagen gegeben, der Staubsauger ist verstummt, aber jetzt schaltet er ihn sofort wieder ein. Ist er nicht wirklich unerträglich? (Nie wieder werde ich in diesem Hause Marx erwähnen.) Ich ziehe mir etwas über: ein dauerhaft zerknittertes Aertex-Shirt und eine Denimhose, die aussieht, als wäre sie für die chinesische Handelsmarine geschneidert worden. Modisch gekleidet, zumindest von der Taille abwärts, öffne ich die Tür."
So plaudert die Erzählerin, eine junge Frau namens Min, die avantgardistische Tonkunst macht und sich gern in die Oper ausführen lässt, deren eigentliche Hauptbeschäftigung im Leben aber darin liegt, diverse Liebhaber an langen oder kurzen Leinen zu halten, woran sie der Ehemann, den sie für einen Einrichtungsgegenstand hält, kaum ungebührlich hindert. In einem lockeren Reigen skizzenhafter flüchtiger Kapitel folgen wir ihr durch die hedonistische Künstler- und Gesellschaftsszene Londons, ohne dass von dieser Stadt jemals irgendetwas kenntlich würde. Stattdessen erhalten wir Spruchweisheiten wie "Man kann auch neben einem Mann Albträume haben. Selbst, wenn er der eigene Gatte ist. Oft macht es die Sache sogar noch schlimmer" oder "Ein Kuss ohne Schnurrbart ist wie ein gekochtes Ei ohne Salz", dazu schiefe Sprachbilder wie dieses: "In jubelnder Ekstase beugt er sich über mich, so hoch und schräg wie ein dampfender Schlafwagen in der winterlichen Gare de Lyon."
Es ist ein schmaler Grat, der eine Erzählung des Banalen von einer banalen Erzählung trennt. "Der Köder", angeblich in drei Wochen, wie die Autorin selbst erklärt, runtergeschrieben, kippt klar auf die zweite Seite. In ihren Gedichten lässt sich, wie dank Astleys Sammlung "Bedouin of the London Evening" vor zehn Jahren eindrucksvoll erwiesen, viel sprachlich Starkes finden, Morbides wie Modernes, Perlendes und Tristes, Abgründiges und Verführerisches, ein London-Sound, den man sonst nur aus Monumenten wie T. S. Eliots "The Waste Land" kennt. Ihrem Roman aber fehlt, um es mit Mins Worten zu sagen, das Salz. TOBIAS DÖRING
Rosemary Tonks: "Der Köder". Roman.
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Nachwort von Neil Astley. März Verlag, Berlin 2024.
240 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Rosemary Tonks war eine Schriftstellerin, die irgendwann im Schreiben nur noch Satanisches fand und verstummte: Nun erscheint auf Deutsch ihr Roman "Der Köder"
Man muss es schon als eine Seltsamkeit der englischen Literatur bezeichnen, dass immer wieder etablierte Schriftstellerinnen buchstäblich verschwinden. Im Jahr 1926 gab es eine landesweite Polizeiaktion, um nach der aufstrebenden Krimiautorin Agatha Christie zu suchen, die nach einem Ehestreit nicht mehr aufzufinden war. Zehn Tage lang galt sie als Mordopfer des abtrünnigen Ehemanns, bevor sie unter anderem Namen und in verwirrtem Geisteszustand in einem nordenglischen Hotel identifiziert werden konnte. Ob es sich hier um einen Nervenzusammenbruch oder einen Publicity Stunt handeln mochte, ist bis heute unklar; jedenfalls ist die Autorin seither weltberühmt.
Die modernistische Erzählerin Jean Rhys, die aus der Karibik stammte und in den späten Zwanziger- bis Dreißigerjahren einige subtile Romane über das bewegte Liebesleben der Vorkriegsboheme veröffentlicht hatte, verschwand spurlos in den Kriegswirren und war schon für tot erklärt worden, als ein BBC-Reporter sie 1949 in einem Cottage in Cornwall aufspürte. Eine Verlagsagentin schaffte es sogar, sie dort vom Alkohol loszubekommen und zur weiteren literarischen Arbeit zu bewegen; 1966 erschien "Wide Sargasso Sea", ihr Meisterwerk.
Am seltsamsten und traurigsten aber war das Verschwinden der Lyrikerin und Romanautorin Rosemary Tonks (1928 bis 2014). In den Swinging Sixties zählte sie zur Avantgarde. Zwei stilprägende, bis heute hochgeschätzte Gedichtbände, sechs satirische Gesellschaftsromane und etliche Erzählungen hat Tonks damals mit Erfolg veröffentlicht, dazu zahlreiche Essays und Kritiken in führenden Journalen wie "The New York Review of Books". Sie arbeitete bei der BBC, widmete sich Klangkunstwerken ebenso wie dem Londoner Society-Leben und galt als Ikone jener aufregenden Zeit. Anfang der Siebzigerjahre jedoch brach sie mit alldem, nahm einen anderen Namen an, verweigerte jeden Kontakt zur literarischen Welt und lebte fortan vier Jahrzehnte unerkannt in der englischen Provinz. Ihre Manuskripte verbrannte sie, in öffentlichen Bibliotheken soll sie ihre eigenen Bücher entliehen haben, um sie zu zerstören. Es heißt, dass eine Serie von Schicksalsschlägen und Erkrankungen sie erst zur Esoterik, dann zum christlichen Fundamentalismus geführt habe. Jedenfalls glaubte Tonks anscheinend, in Literatur und Kunst, besonders der eigenen, eine Manifestation des Satanischen zu erkennen, die es auszumerzen galt.
Nach ihrem Tod hat sich der Lyrikverleger Neil Astley mit einer Neuausgabe sämtlicher Gedichte von Tonks, die auch einige Kleinprosa präsentiert, um die Neubewertung ihres Werks verdient gemacht. Das ausführliche Nachwort seiner Ausgabe, das auch die biographischen Nachforschungen dokumentiert, ist jetzt der deutschen Erstausgabe ihres Kurzromans "The Bloater" angefügt. Im Original 1968 erschienen und vor zwei Jahren in England wiederaufgelegt, lockt er uns in Eva Bonnés Übersetzung, wenngleich unter einem frei erfundenen Titel (der englische Titel, eigentlich Bezeichnung für einen Räucherhering, ist der Spitzname der männlichen Hauptfigur) zur Entdeckung dieser rätselhaften Autorin.
Doch die Lektüre enttäuscht. Erzählt wird fast nur szenisch-dialogisch, ziemlich hochtourig und schrill und so penetrant um ständige Pointen und Bonmots bemüht, dass man ermüdet. Ein beliebiges Beispiel: "Puh! Mir wird warm, mein Herz hämmert, doch kaum, dass ich abgeschlossen und mich ausgezogen habe, klingelt es an der Haustür. Fritz hat sich der Musik geschlagen gegeben, der Staubsauger ist verstummt, aber jetzt schaltet er ihn sofort wieder ein. Ist er nicht wirklich unerträglich? (Nie wieder werde ich in diesem Hause Marx erwähnen.) Ich ziehe mir etwas über: ein dauerhaft zerknittertes Aertex-Shirt und eine Denimhose, die aussieht, als wäre sie für die chinesische Handelsmarine geschneidert worden. Modisch gekleidet, zumindest von der Taille abwärts, öffne ich die Tür."
So plaudert die Erzählerin, eine junge Frau namens Min, die avantgardistische Tonkunst macht und sich gern in die Oper ausführen lässt, deren eigentliche Hauptbeschäftigung im Leben aber darin liegt, diverse Liebhaber an langen oder kurzen Leinen zu halten, woran sie der Ehemann, den sie für einen Einrichtungsgegenstand hält, kaum ungebührlich hindert. In einem lockeren Reigen skizzenhafter flüchtiger Kapitel folgen wir ihr durch die hedonistische Künstler- und Gesellschaftsszene Londons, ohne dass von dieser Stadt jemals irgendetwas kenntlich würde. Stattdessen erhalten wir Spruchweisheiten wie "Man kann auch neben einem Mann Albträume haben. Selbst, wenn er der eigene Gatte ist. Oft macht es die Sache sogar noch schlimmer" oder "Ein Kuss ohne Schnurrbart ist wie ein gekochtes Ei ohne Salz", dazu schiefe Sprachbilder wie dieses: "In jubelnder Ekstase beugt er sich über mich, so hoch und schräg wie ein dampfender Schlafwagen in der winterlichen Gare de Lyon."
Es ist ein schmaler Grat, der eine Erzählung des Banalen von einer banalen Erzählung trennt. "Der Köder", angeblich in drei Wochen, wie die Autorin selbst erklärt, runtergeschrieben, kippt klar auf die zweite Seite. In ihren Gedichten lässt sich, wie dank Astleys Sammlung "Bedouin of the London Evening" vor zehn Jahren eindrucksvoll erwiesen, viel sprachlich Starkes finden, Morbides wie Modernes, Perlendes und Tristes, Abgründiges und Verführerisches, ein London-Sound, den man sonst nur aus Monumenten wie T. S. Eliots "The Waste Land" kennt. Ihrem Roman aber fehlt, um es mit Mins Worten zu sagen, das Salz. TOBIAS DÖRING
Rosemary Tonks: "Der Köder". Roman.
Aus dem Englischen von Eva Bonné. Nachwort von Neil Astley. März Verlag, Berlin 2024.
240 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.