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Ludolf Pelizaeus verirrt sich in der Kolonialpolitik
Das Thema Kolonialismus hat Konjunktur. Die koloniale Vergangenheit scheint nicht nur in den ehemaligen Kolonien, sondern auch in den Metropolen allgegenwärtig. In vielen europäischen Ländern, die einst Kolonialmächte waren, rückt diese Thematik in den Fokus öffentlicher und wissenschaftlicher Debatten. Auch hierzulande gehört Kolonialismus mittlerweile zum gängigen Programm vieler Universitätscurricula, im Fach Geschichte ebenso wie in Disziplinen der Kultur- und Sozialwissenschaften. Dieser Trend schlägt sich sichtbar auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nieder, wo neben einer wachsenden Zahl von Spezialpublikationen - vornehmlich zum global gesehen eher marginalen deutschen Fall - vermehrt Einführungen und Überblickswerke zu finden sind.
In das letztere Genre reiht sich nun die Darstellung des Mainzer Historikers Ludolf Pelizaeus ein. Er betont die große Schwierigkeit, "Kolonialismus" definitorisch zu bändigen, trägt aber auch nicht zur Klärung, sondern eher zu weiteren Verwirrung bei. Die neueren Ansätze und Debatten im weiten Feld der Kolonialismus- und Postkolonialismusforschungen werden von ihm nur sehr unzureichend erfasst. Hinzu kommen Ungenauigkeiten, etwa die Aussage, dass die Spätphase des Kolonialismus in Anlehnung an Lenin meist als Imperialismus bezeichnet werde.
Pelizaeus legt den zeitlichen Schwerpunkt seiner Darlegungen auf die Phase zwischen der kolonialen Eroberung Amerikas seit dem späten fünfzehnten Jahrhundert und der Periode der lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen in den Dekaden nach achtzehnhundert, der "ersten Dekolonisation." Denn in diesen Jahrhunderten, so argumentiert er zu Recht, nahm der Kolonialismus seine weltpolitische Dimension an, und "viele Erscheinungen des interkontinentalen Beziehungsgeflechts entstanden, die bis heute prägend sind".
Der Autor liefert durchaus interessante Fakten und lässt an einigen Stellen aufschlussreiche Quellen sprechen, aber seiner Darstellung fehlt es insgesamt an Stringenz. Viele wichtige Themen werden nicht vertieft, und es bleibt oft kein Platz für Erklärungen, etwa in den Abschnitten zu Sklavenhandel, Sklaverei und Abolition oder zu den europäischen Interessen in China.
Wie viele neuere Studien betont auch Pelizaeus die Bedeutung der Rückwirkungen kolonialer Erfahrungen auf die europäischen Gesellschaften. Die Kolonisierten sind bei Pelizaeus bis auf die üblichen Verdächtigen wie Gandhi nur selten aktiv Handelnde. Selbst in einer Darstellung, die wie die vorliegende vor allem die europäische Kolonialpolitik in den Blick nehmen will, kann man mehr Einblicke in die Handlungsspielräume der Kolonisierten erwarten.
ANDREAS ECKERT
Ludolf Pelizaeus: "Der Kolonialismus". Geschichte der europäischen Expansion. Marix Verlag, Wiesbaden 2008. 256 S., geb., 5,- [Euro].
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