Ausgezeichnet mit dem Silberschweinpreis 2016 Was tun, wenn man siebzehn ist und die Eltern über Nacht spurlos verschwinden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen? Man übernimmt selbst den Abschluss seiner Erziehung – mithilfe der miesen Horrorfilme, die man vom »schönen Hans« im Dorfladen geschenkt bekommt. Bruno Hidalgo hat jedoch noch ganz andere Probleme. Denn er lebt nicht nur in einem Provinznest, sondern auf einem riesenhaften Eiland, das infolge von Atomtests aus dem Ozean aufgestiegen ist. Die glanzvollen Gründerjahre sind vorbei, nun liegt die Inselgesellschaft am Boden. Rebellen marodieren, ausländische NGOs versuchen, die Bewohner mit dem Nötigsten zu versorgen, Antilopen weiden in der Savanne zwischen den Müllbergen einer zerbrochenen Utopie. Sascha Macht schickt seinen jungen Helden auf eine Reise durch diese schillernde, kühn erträumte Welt, die doch bedrohlich nah an unserer Realität gebaut ist. Er erzählt eine Geschichte über das Erwachsenwerden, die langen Schatten der großen Ideologien und die heilsame Kraft des Horrorfilms: sprachmächtig, klug und irre witzig. »Wie hier einer mit der Eleganz des Motorsägenspezialisten aus dem Weltgeäst wilde, wilde, anarchische Literatur entastet, wie frei hier einer in das Realistische reinsägt, in das Symbolische, in das Absurde und Fantastische, ohne dass die Kette geölt werden müsste, ohne Rückschlag und auch ohne selbst die Bodenhaftung zu verlieren – das ist grandios, das ist doch grandios!« Saša Staniši?
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nicolas Freund seufzt: Die Gleichgültigkeit, die Sascha Machts Protagonist Bruno Hidalgo kennzeichnet, überträgt sich während der Lektüre leider auch auf den Leser, meint er. Zwar fühlt sich der Kritiker gelegentlich gar nicht schlecht unterhalten, wenn er Zusammenfassungen von fiktiven Horrorfilmen, etwa über transsexuelle "Vampir-Barkeeper", oder listenweise, aber unzusammenhängend angeordneten Skurrilitäten liest. Das "nihilistische" Spiel mit der Dekonstruktion von Wissensstrukturen ächzt aber leider auf Dauer unter der zu berechenbaren Konstruktion des Romans, wirft der Rezensent dem am Leipziger Literaturinstitut lehrenden Autor vor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2016Easy Listicle
Sascha Macht stellt in seinem Debütroman Wissens-Hierarchien
auf den Kopf – ein netter, aber etwas lang geratener akademischer Scherz
VON NICOLAS FREUND
Bücher sind wie Schränke. Nicht weil die alten an manchen Stellen etwas knarzen oder weil die neuen alle nur aus Pressspan bestehen. In einem Schrank hat vielmehr alles seine Ordnung. Dinge können darin auf die eine oder die andere Weise sortiert, abgelegt, verstaut oder versteckt werden. Bei Bedarf hat man im eigenen Schrank alles Wichtige griffbereit, und in fremden Schränken finden sich manchmal schöne, seit Langem vergessene Dinge wieder.
Wenn „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“, der Debütroman von Sascha Macht, ein Schrank wäre, dann einer zum Selberbauen von Ikea, der viele Jahre in einer Studenten-WG überstanden hat. Mit den Hinterlassenschaften eines traurigen Sommerurlaubs sowie eines Politikstudiums bestückt, wäre er aus einer Laune seines Besitzers heraus zur Verschrottung mit zu Rock im Park geschleift und dort nach einer biergetriebenen, apokalyptischen Nacht auf dem Zeltplatz von seinem Besitzer schwarz angesprüht und mit Stacheldraht verziert als Botschaft an die Nachwelt zurückgelassen worden. Fächer hätte er keine mehr, sein ursprünglicher Inhalt hätte sich untrennbar mit einer Horrorfilmvideothek, einer großen Menge bewusstseinserweiternder Substanzen und einer Pazifikinsel vermischt.
Diese Pazifikinsel, auf der der Roman spielt, ist eine Mischung aus sozialistischer Bananenrepublik und deutscher Aussteigerkolonie. Sie erhob sich in den Vierzigerjahren wie Godzilla als Nebenwirkung amerikanischer Atombombentests aus dem Ozean. Heute ist sie eine als Republik getarnte Diktatur, die sich anscheinend mehr aus Prinzip als aus politischer Überzeugung halbherzige Scharmützel mit Rebellen aus der Region des „Freien Gebirges“ liefert. Der junge Bruno Hidalgo, Eingeborener der Insel, gerät zwischen die Fronten, die ihm aber so egal sind wie die ganze Insel. Ein wenig interessiert er sich für Drogen, zum Beispiel solche, die man aus dem Unkraut in seinem Garten herstellen kann und die er der Dorfältesten vorbeibringt. „Sie bedankte sich bei mir und sagte, aus den Blättern könne man einen hervorragenden Tee brühen, der einem die Rübe wegblasen würde, man könne das Kraut aber auch auf den Müll werfen, ganz wie man wolle.“
Egal ist ihm auch, dass seine Eltern verschwunden sind, seitdem sie den Fehler gemacht haben, mit dem nationalen Busunternehmen in die Hauptstadt zu fahren. Einzig Horrorfilme, von denen er eine stattliche VHS-Sammlung besitzt, interessieren ihn wirklich, da sie die Insel um ihn herum erträglich erscheinen lassen. Diesen Effekt haben aber nur Filme der allerübelsten Sorte, gnadenlose Trash-Werke mit Titeln wie „Ledermenschen“, „SS-Standarte Zombie II“ oder „Bulbin mäht sie alle nieder!“ von Regisseuren mit den Namen Eddie from Outer Space, Geschwister Bulli oder X Wohlff.
Diese Filme sind allesamt erfunden, und mit großer Lust entwirft der Roman immer wieder in groben Zügen die Handlungen von Filmen über transsexuelle Vampir-Barkeeper und sich verselbständigende Gliedmaßen. „Schuld daran ist ein auf dem Grund des Sees wuchernder Kristall, der den Körperteilen seinen eigenen, mörderischen Willen aufzwingt, was natürlich zu einem kolossalen Blutbad führt, in dem sich die Familienmitglieder mit Brotmessern, Laubsägen, elektrischen Rührgeräten und einer Querflöte gegenseitig verstümmeln.“
Weil Bruno wie gesagt alles egal ist, ist auch die Handlung des Romans eigentlich egal. Als Bruno mit seiner Horror-VHS-Sammlung zu einem Filmfestival in der Hauptstadt aufbricht, gerät er in die Hände der Rebellen und muss sich mit seinen Freunden, dem von Diktatoren aller Art besessen „Preußen“ und dem Mexikaner EL Corazón, durch den Urwald schlagen. Zuvor hatte er einer irisch-südafrikanischen Touristenfamilie mit rassistischen Tendenzen Unterschlupf gewährt und ein Picknick für die Nachbarn veranstaltet. „In der Küche fanden sich noch einige Lebensmittel, die Sylvie und Johnny versehentlich zurückgelassen hatten, Gemüsekonserven, Reisbeutel, Kokosmilch, zwei Flaschen Weißwein, Trockenobst, Trockenfleisch, Zartbitterschokolade und Pfefferminzbonbons. Alles rührte ich draußen in einem Kessel zusammen.“
Der Roman besteht vor allem aus absurden Listen und Anhäufungen skurriler Gegenstände, Menschen und Orten, die einander bedrängen, bedrohen, penetrieren oder ignorieren. Die Liste, oder eher der Haufen, ist Form und Inhalt von „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“, der die Unordnung schon im doppelten Genitiv seines Titels vorwegnimmt. Diese surrealen Haufen erinnern an Lautréamonts Formulierung vom „zufälligen Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“, sind aber vor allem nihilistische Antworten auf Formen der Anordnung von Wissen und Dingen. „Manche Leute sind ja so blöd, daran zu glauben, dass alles mit allem zusammenhängt“, erklärt der rassistische Südafrikaner. Nichts ist jedoch von Bedeutung, und die einzig gültige Ordnung in diesem Text entspringt einer Sammlung drittklassiger Horrorfilme.
Der Autor Sascha Macht studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo er inzwischen unterrichtet. Den Studiengängen für kreatives Schreiben haftet in Deutschland noch immer der Makel an, etwas lehren zu wollen, das sich nicht lehren lässt. Dem Autor wohnt dieser Vorstellung zufolge etwas Geniales inne oder eben nicht. Dieses romantische Vorurteil ist natürlich wenig belastbar. Sascha Machts Roman hat in seiner Antihaltung und seinem vordergründigen Widerstand gegenüber Strukturen des Wissens etwas sehr Akademisches. Diese subversive Geste ist zwar witzig, wird aber schnell vorhersehbar und läuft damit ins Leere. Ein Ikea-Schrank ist eben noch immer aus Pressspan und nach Anleitung gebaut, auch wenn man ihn bis zum Bersten mit Horrorfilmkassetten vollpackt.
Weil seinem Protagonisten
alles egal ist, ist auch der Plot
des Buches ziemlich egal
Klagenfurt 2016, vor dem Auftritt (II): Sascha Macht.
Foto: Johannes Puch / ORF
Sascha Macht: Der Krieg im Garten des Königs der
Toten. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2016.
272 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 6,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Sascha Macht stellt in seinem Debütroman Wissens-Hierarchien
auf den Kopf – ein netter, aber etwas lang geratener akademischer Scherz
VON NICOLAS FREUND
Bücher sind wie Schränke. Nicht weil die alten an manchen Stellen etwas knarzen oder weil die neuen alle nur aus Pressspan bestehen. In einem Schrank hat vielmehr alles seine Ordnung. Dinge können darin auf die eine oder die andere Weise sortiert, abgelegt, verstaut oder versteckt werden. Bei Bedarf hat man im eigenen Schrank alles Wichtige griffbereit, und in fremden Schränken finden sich manchmal schöne, seit Langem vergessene Dinge wieder.
Wenn „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“, der Debütroman von Sascha Macht, ein Schrank wäre, dann einer zum Selberbauen von Ikea, der viele Jahre in einer Studenten-WG überstanden hat. Mit den Hinterlassenschaften eines traurigen Sommerurlaubs sowie eines Politikstudiums bestückt, wäre er aus einer Laune seines Besitzers heraus zur Verschrottung mit zu Rock im Park geschleift und dort nach einer biergetriebenen, apokalyptischen Nacht auf dem Zeltplatz von seinem Besitzer schwarz angesprüht und mit Stacheldraht verziert als Botschaft an die Nachwelt zurückgelassen worden. Fächer hätte er keine mehr, sein ursprünglicher Inhalt hätte sich untrennbar mit einer Horrorfilmvideothek, einer großen Menge bewusstseinserweiternder Substanzen und einer Pazifikinsel vermischt.
Diese Pazifikinsel, auf der der Roman spielt, ist eine Mischung aus sozialistischer Bananenrepublik und deutscher Aussteigerkolonie. Sie erhob sich in den Vierzigerjahren wie Godzilla als Nebenwirkung amerikanischer Atombombentests aus dem Ozean. Heute ist sie eine als Republik getarnte Diktatur, die sich anscheinend mehr aus Prinzip als aus politischer Überzeugung halbherzige Scharmützel mit Rebellen aus der Region des „Freien Gebirges“ liefert. Der junge Bruno Hidalgo, Eingeborener der Insel, gerät zwischen die Fronten, die ihm aber so egal sind wie die ganze Insel. Ein wenig interessiert er sich für Drogen, zum Beispiel solche, die man aus dem Unkraut in seinem Garten herstellen kann und die er der Dorfältesten vorbeibringt. „Sie bedankte sich bei mir und sagte, aus den Blättern könne man einen hervorragenden Tee brühen, der einem die Rübe wegblasen würde, man könne das Kraut aber auch auf den Müll werfen, ganz wie man wolle.“
Egal ist ihm auch, dass seine Eltern verschwunden sind, seitdem sie den Fehler gemacht haben, mit dem nationalen Busunternehmen in die Hauptstadt zu fahren. Einzig Horrorfilme, von denen er eine stattliche VHS-Sammlung besitzt, interessieren ihn wirklich, da sie die Insel um ihn herum erträglich erscheinen lassen. Diesen Effekt haben aber nur Filme der allerübelsten Sorte, gnadenlose Trash-Werke mit Titeln wie „Ledermenschen“, „SS-Standarte Zombie II“ oder „Bulbin mäht sie alle nieder!“ von Regisseuren mit den Namen Eddie from Outer Space, Geschwister Bulli oder X Wohlff.
Diese Filme sind allesamt erfunden, und mit großer Lust entwirft der Roman immer wieder in groben Zügen die Handlungen von Filmen über transsexuelle Vampir-Barkeeper und sich verselbständigende Gliedmaßen. „Schuld daran ist ein auf dem Grund des Sees wuchernder Kristall, der den Körperteilen seinen eigenen, mörderischen Willen aufzwingt, was natürlich zu einem kolossalen Blutbad führt, in dem sich die Familienmitglieder mit Brotmessern, Laubsägen, elektrischen Rührgeräten und einer Querflöte gegenseitig verstümmeln.“
Weil Bruno wie gesagt alles egal ist, ist auch die Handlung des Romans eigentlich egal. Als Bruno mit seiner Horror-VHS-Sammlung zu einem Filmfestival in der Hauptstadt aufbricht, gerät er in die Hände der Rebellen und muss sich mit seinen Freunden, dem von Diktatoren aller Art besessen „Preußen“ und dem Mexikaner EL Corazón, durch den Urwald schlagen. Zuvor hatte er einer irisch-südafrikanischen Touristenfamilie mit rassistischen Tendenzen Unterschlupf gewährt und ein Picknick für die Nachbarn veranstaltet. „In der Küche fanden sich noch einige Lebensmittel, die Sylvie und Johnny versehentlich zurückgelassen hatten, Gemüsekonserven, Reisbeutel, Kokosmilch, zwei Flaschen Weißwein, Trockenobst, Trockenfleisch, Zartbitterschokolade und Pfefferminzbonbons. Alles rührte ich draußen in einem Kessel zusammen.“
Der Roman besteht vor allem aus absurden Listen und Anhäufungen skurriler Gegenstände, Menschen und Orten, die einander bedrängen, bedrohen, penetrieren oder ignorieren. Die Liste, oder eher der Haufen, ist Form und Inhalt von „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“, der die Unordnung schon im doppelten Genitiv seines Titels vorwegnimmt. Diese surrealen Haufen erinnern an Lautréamonts Formulierung vom „zufälligen Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“, sind aber vor allem nihilistische Antworten auf Formen der Anordnung von Wissen und Dingen. „Manche Leute sind ja so blöd, daran zu glauben, dass alles mit allem zusammenhängt“, erklärt der rassistische Südafrikaner. Nichts ist jedoch von Bedeutung, und die einzig gültige Ordnung in diesem Text entspringt einer Sammlung drittklassiger Horrorfilme.
Der Autor Sascha Macht studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig, wo er inzwischen unterrichtet. Den Studiengängen für kreatives Schreiben haftet in Deutschland noch immer der Makel an, etwas lehren zu wollen, das sich nicht lehren lässt. Dem Autor wohnt dieser Vorstellung zufolge etwas Geniales inne oder eben nicht. Dieses romantische Vorurteil ist natürlich wenig belastbar. Sascha Machts Roman hat in seiner Antihaltung und seinem vordergründigen Widerstand gegenüber Strukturen des Wissens etwas sehr Akademisches. Diese subversive Geste ist zwar witzig, wird aber schnell vorhersehbar und läuft damit ins Leere. Ein Ikea-Schrank ist eben noch immer aus Pressspan und nach Anleitung gebaut, auch wenn man ihn bis zum Bersten mit Horrorfilmkassetten vollpackt.
Weil seinem Protagonisten
alles egal ist, ist auch der Plot
des Buches ziemlich egal
Klagenfurt 2016, vor dem Auftritt (II): Sascha Macht.
Foto: Johannes Puch / ORF
Sascha Macht: Der Krieg im Garten des Königs der
Toten. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2016.
272 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 6,99 Euro.
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