Der Autor untersucht die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf seine Familie, indem er dem Weg seines Großvaters nach Weißrussland folgt und dabei Verbindungen zu seiner eigenen Vergangenheit und den Kriegsträumen entdeckt, die ihn seit seiner Kindheit verfolgen. Das Buch zum gleichnamigen Kinofilm zeigt, wie sich Knoten in der eigenen Familiengeschichte lösen lassen, um Versöhnung und Heilung zwischen den Generationen zu ermöglichen und es gibt Impulse und Anregungen für eine andere Betrachtung der eigenen Biografie.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2020War doch alles ganz normal - damals?
Mein Trauma? Dein Trauma! Der Dokumentarfilmer Sebastian Heinzel unternimmt einen Selbstversuch, um den Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs zu entkommen. / Von Hannes Hintermeier
Inmitten eines nebligen, feucht riechenden Waldes fährt er als Maschinengewehr-Schütze in einem Panzer und feuert auf einen Feind, den er nicht sieht. Er spürt, dass er auf Menschen schießt. Er glaubt, die Anwesenheit seiner Eltern zu spüren. Er steigt vom Panzer, umarmt einen Baum, der sich in seinen Vater verwandelt. Er weiß, dass die Szene am Beginn eines großen Krieges steht, dass es wieder passiert - der Westen überfällt Russland.
Sebastian Heinzel, Jahrgang 1979, ist Dokumentarfilmer. Er ist um die dreißig, als er anfängt, vom Krieg zu träumen. Es ist die Zeit seiner Hochzeit, das erste Kind ist unterwegs, als ihn die Träume zu jagen beginnen, das Glück seiner Gegenwart unterminieren. Beide Großväter waren im Zweiten Weltkrieg, Opa Fritz als MG-Schütze in Weißrussland, das hat er dem Enkel erzählt. Opa Fritz hat ihn aufgezogen, große Liebe. Vater, Mutter und Großmutter sind arbeiten gegangen, um Kredite abzahlen zu können. Der Opa stirbt, als der Enkel zehn Jahre jung ist. Später wird der Enkel ihn als Opfer verstehen, weil man ihn im Alter von siebzehn Jahren in den Krieg geschickt hat.
Opa Hans aus der väterlichen Linie hingegen, der war nicht auskunftsbereit. Auf Fotografien in Uniform zeigt er stets ein schiefes Lächeln, posiert als Schütze mit Gewehr. Feldwebel bei der Luftwaffe war er, erst in Frankreich, dann in Russland. Wo sein Regiment stationiert war, ist im Militärarchiv des Bundes gut dokumentiert, aber der Grad der persönlichen Verstrickung wird wohl nicht mehr aufzuklären sein. Bei beiden Großvätern stellen sich den folgenden Generationen ähnliche Fragen nach Schuld und Sühne, abschließende Antworten wird es nicht mehr geben.
Opa Fritz hat sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg in Nordhessen kaputtgearbeitet, um als Vertriebener nur ja nicht aufzufallen. Ähnlich die Haltung von Opa Hans, der Schreinermeister war. Hat er diese Haltung der unbedingten Leistungsbereitschaft, der Arbeitswut seinem Sohn Klaus und der wiederum seinem Enkel Sebastian vererbt? Wie ging Klaus Heinzel damit um, dass ihn ein traumatisierter Vater emotional nicht annehmen konnte? Was hat es für seinen Vater bedeutet, wenn sein heranwachsender Sohn Nähe, Liebe von ihm forderte?
Verlust von Verbindung, das ist eine ganz einfache Definition von Trauma. Und so macht sich Sebastian Heinzel auf, Verbindungen zu sich selbst wieder herzustellen. Eine Suche, die ihn sechs Jahre beschäftigen wird und an deren Ende ein Film und sein erstes, bei Kamphausen Media erschienenes Buch stehen werden - "Der Krieg in mir", beides Anfang März erschienen. Der Film konnte nur noch in wenigen Kinos gezeigt werden, bevor Corona kam. Zum Jahrestag des Kriegsendes gibt es den Film dieser Tage als DVD (www.heinzelfilmshop.de), und das lohnt schon deshalb, weil hier an die neunzig Minuten Bonusmaterial zu sehen sind, die Hintergründe liefern, wo sich der Film auf die lebensgeschichtliche Recherche Heinzels konzentriert.
Leistungswille und Arbeitswut
Im Gespräch mit dieser Zeitung schildert Heinzel seine Verfahrensweise so: "Der Film ist eine Gratwanderung zwischen persönlichem Erleben und der Meinung von Fachleuten, die sich mit dem Thema Traumaforschung beschäftigen. Die Suche nach einem wissenschaftlichen Beweis stand für mich nicht im Vordergrund." Zunächst habe er versucht, seine Träume nachzuspielen, "aber das bekam schnell den Beigeschmack von Doku-Drama, wie es im Fernsehen schon so oft erzählt wurde". Deswegen der Wechsel auf die Ebene der Animation, auf der Igor Shin Moromisato Traumbilder gezeichnet nachempfindet.
Heinzels Ehe zerbricht, davon erzählt er in Ansätzen im Buch, mitten in der Arbeit für den Film, Tochter und Sohn werden Patchwork-Kinder. Heinzels Seele ist wund. Er führt ein Videotagebuch, das ist ihm "wie eine Freundin, der ich zu jeder Tages- und Nachtzeit von mir und meinen Gefühlen erzählen kann". Er habe schon vor dem Film therapeutische Erfahrungen gemacht, nach der Erfahrung mit "Der Krieg in mir" könne er sich "durchaus vorstellen, mich in dieser Richtung noch fortzubilden, um anderen Menschen zu helfen".
Die Beziehung zum Vater, der sich mit Beharrlichkeit und gewinnendem Wesen in den Vorstand eines Unternehmens hochgearbeitet hat, wird jedenfalls enger, auch wenn Klaus Heinzel nicht alle Fragen seines Sohns behagen. Die beiden reisen mit einem Filmteam nach Weißrussland, um herauszufinden, wo Opa Hans verwundet wurde. Sie treffen auf Zeitzeugen, die sich an die Massenmorde der Wehrmacht erinnern, die mehr als sechshundert Dörfer dem Erdboden gleichmachte. Jede Familie in Belarus hat aus dieser Zeit Tote zu beklagen. Und dann kommt dieser junge Deutsche und will wissen, wie sich der Krieg anfühlte. Das gefällt nicht allen. Aber er kommt nicht zum ersten Mal, wie sich zeigt, denn Heinzel hatte sich schon in früheren Filmen, ohne zu wissen, warum, mit der Region beschäftigt, die seit Timothy Snyders begriffsprägendem Buch "Bloodlands" genannt wird.
Nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk gibt es das Stalin-Linie-Museum, einen militärischen Freiluftpark, in dem Schlachten des Ersten und Zweiten Weltkriegs nachgespielt werden, mit echten Panzern, Platzpatronen und Kunstblut. Besucher können MG schießen und im Panzer mitfahren. Heinzel, der den Wehrdienst verweigerte mit Verweis auf seine kriegerischen Großväter, hat sich bei einem Kostümverleih in Berlin eine Luftwaffen-Uniform nebst Eisernem Kreuz besorgt. Er will in die Haut seiner Großväter schlüpfen. "Ich habe das als Chance genutzt, mich auf eine Welt einzulassen, die mir sonst verschlossen geblieben wäre. Ich wollte eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, im Krieg zu sein. Ein Weg war, diese Unform anzuziehen, eine aufgeladene Uniform, weil man sie aus allen Filmen über das ,Dritte Reich' kennt."
Überall nur Heimatlosigkeit
Es sind gespenstische Szenen, in denen der heute Einundvierzigjährige einen Verwundeten spielt. Beide Großväter haben, das vermutet der Regisseur, den Krieg nur wegen ihrer Verwundung überlebt. Und dann steht er im Bug eines sowjetischen Kampfpanzers, und der Besitzer des Militärparks dreht donnernde Runden: "Natürlich ist das nicht mit einem echten Krieg zu vergleichen. Aber diese Panzerfahrt mit Vollgas hat mir gezeigt, wie einem das unter die Haut geht, auch ohne beschossen zu werden." Er habe Todesangst ausgestanden. Und sich doch in diesem Moment seinen Großvätern nahe gefühlt. "Mir war wichtig, an die eigenen Grenzen zu gehen, um zu wachsen. Aber so ein Erlebnis brauche ich nicht noch einmal."
Beide Großväter, der eine aus Schlesien, der andere aus Pommern, landeten nach dem Krieg in Westdeutschland, sahen ihre Heimat nicht wieder. Die Verlorenheit der Großväter läuft für Heinzel im Begriff der "Heimatlosigkeit" zusammen, die sich bis in sein Leben hinein fortgesetzt habe. Die Weißrussen dagegen haben ihre Heimat nicht wiedererkannt, ihre Toten liegen in Massengräbern. Und auch das Dorf, in dem Opa Hans verwundet wurde, existiert nicht mehr. Vor einer windschiefen Hütte stehen Vater und Sohn Heinzel und blinzeln in die Sonne, in einem Land, das mit ihrem Leben mehr zu tun hat, als ihnen lieb sein kann. Aber sie begreifen, die Traumata, die man ihnen aufbürdete, werden hier greifbarer - und damit bearbeitbar.
Eine Leerstelle bleibt: Sebastian Heinzels Mutter taucht im Film nicht auf, im Buch an zwei Stellen. Auf die Frage, ob sich dahinter das Thema für den nächsten Film verberge, winkt der Dokumentarfilmer ab: "Nach sechs Jahren Erkundung meiner persönlichen Geschichte soll es damit erst einmal genug sein." Er habe viele Gespräche mit seiner Mutter geführt, "sich auf die väterliche Linie zu konzentrieren schien mir der klarere Weg, auch dramaturgisch".
Die Entscheidung bedeutete auch, dass weite Teile der Hintergrundgespräche über die Themen Traumaforschung, Epigenetik und transgenerationale Übertragung im Film keinen Platz fanden. Die DVD-Ausgabe liefert sie nach und bereichert den Film. Heinzel hat unter anderem mit der Neuro-Epigenetikerin Isabelle Mansuy (ETH Zürich) gesprochen, mit den amerikanischen Traumaforschern Peter A. Levine und Anngwyn St. Just, der Journalistin Sabine Bode und der Tiefenpsychologin Verena Kast. Der Schweizer Traumatherapeut Andre Jacomet, ein Schüler Levines, bringt die Schwierigkeit der Aufgabe auf den Punkt - "eine Auseinandersetzung, die persönlich ist und gleichzeitig für die Öffentlichkeit bestimmt".
Zwei Generationen, zwei Planeten
Diese Doppelrolle sei eine "extreme Herausforderung" gewesen, sagt Heinzel, "mich zugleich als Regisseur und Protagonist vor der Kamera einem intensiven, persönlichen Prozess auszusetzen. Mir war aber auch klar, dass ich das stellvertretend für Millionen von Menschen mache." Seine Großväter seien gewöhnliche Wehrmachtssoldaten wie Millionen andere auch gewesen, "die dennoch beide eine dramatische Geschichte hatten, die als Normalität zu bezeichnen im Grunde verrückt ist".
Die in den Nachkriegsjahrzehnten gängige Denkart, man habe es doch mit ganz normalen Familien zu tun, steht mittlerweile auf einem löchrigen Fundament. Die Folterkeller sind sichtbar geworden. Sabine Bode hat in diesem Prozess mit ihren Büchern über Kriegskinder und -enkel in den vergangenen fünfzehn Jahren einen maßgeblichen Beitrag geleistet. In einem längeren Gespräch mit Heinzel erklärt sie, wie die Generation der Kriegskinder, die Jahrgänge 1928 bis 1945, es nicht geschafft habe, den Weg der Heilung einzuschlagen, weil sie selbst keinen Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen fand. Stattdessen stellte sie das Fürsorge-Prinzip auf den Kopf, was dazu führte, dass die Kriegsenkel, Millionen von Babyboomern, ihre Erzeuger "beelterten".
Kalte Elternhäuser: Sie habe selbst lange unterschätzt, auf wie unterschiedlichen Planeten diese beiden Generationen gelebt hätten. Die ältere hätte viel Verheerendes erlebt, das sie zur Normalität erklärte, und wenn die jüngere Gefühle einforderte, verstanden die Kriegskinder das nicht und fühlten sich angeklagt. Mütter, die ihr schreiendes Baby in Panik versetzte, weil sie unfähig waren, das Kind zu beruhigen. Daraus resultierend bei den Kindern unerklärliche Blockaden, Albträume - "Ängste, die ins Leben ihrer Eltern gehören". Wie haben Peter A. Levine und Anngwyn St. Just bei ihrem Gespräch mit Sebastian das Ziel ihrer Arbeit beschrieben? "Wir arbeiten an einer Gesellschaft, die nicht auf Angst basiert."
Und was ist aus den Träumen von Sebastian Heinzel geworden? Hin und wieder träume er noch vom Krieg, so einfach lasse sich dieser Teil von ihm wohl nicht abstellen: "Kürzlich hatte ich einen Traum, in dem es um das Ende des Zweiten Weltkriegs ging. Das habe ich als gutes Zeichen gewertet."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mein Trauma? Dein Trauma! Der Dokumentarfilmer Sebastian Heinzel unternimmt einen Selbstversuch, um den Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs zu entkommen. / Von Hannes Hintermeier
Inmitten eines nebligen, feucht riechenden Waldes fährt er als Maschinengewehr-Schütze in einem Panzer und feuert auf einen Feind, den er nicht sieht. Er spürt, dass er auf Menschen schießt. Er glaubt, die Anwesenheit seiner Eltern zu spüren. Er steigt vom Panzer, umarmt einen Baum, der sich in seinen Vater verwandelt. Er weiß, dass die Szene am Beginn eines großen Krieges steht, dass es wieder passiert - der Westen überfällt Russland.
Sebastian Heinzel, Jahrgang 1979, ist Dokumentarfilmer. Er ist um die dreißig, als er anfängt, vom Krieg zu träumen. Es ist die Zeit seiner Hochzeit, das erste Kind ist unterwegs, als ihn die Träume zu jagen beginnen, das Glück seiner Gegenwart unterminieren. Beide Großväter waren im Zweiten Weltkrieg, Opa Fritz als MG-Schütze in Weißrussland, das hat er dem Enkel erzählt. Opa Fritz hat ihn aufgezogen, große Liebe. Vater, Mutter und Großmutter sind arbeiten gegangen, um Kredite abzahlen zu können. Der Opa stirbt, als der Enkel zehn Jahre jung ist. Später wird der Enkel ihn als Opfer verstehen, weil man ihn im Alter von siebzehn Jahren in den Krieg geschickt hat.
Opa Hans aus der väterlichen Linie hingegen, der war nicht auskunftsbereit. Auf Fotografien in Uniform zeigt er stets ein schiefes Lächeln, posiert als Schütze mit Gewehr. Feldwebel bei der Luftwaffe war er, erst in Frankreich, dann in Russland. Wo sein Regiment stationiert war, ist im Militärarchiv des Bundes gut dokumentiert, aber der Grad der persönlichen Verstrickung wird wohl nicht mehr aufzuklären sein. Bei beiden Großvätern stellen sich den folgenden Generationen ähnliche Fragen nach Schuld und Sühne, abschließende Antworten wird es nicht mehr geben.
Opa Fritz hat sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg in Nordhessen kaputtgearbeitet, um als Vertriebener nur ja nicht aufzufallen. Ähnlich die Haltung von Opa Hans, der Schreinermeister war. Hat er diese Haltung der unbedingten Leistungsbereitschaft, der Arbeitswut seinem Sohn Klaus und der wiederum seinem Enkel Sebastian vererbt? Wie ging Klaus Heinzel damit um, dass ihn ein traumatisierter Vater emotional nicht annehmen konnte? Was hat es für seinen Vater bedeutet, wenn sein heranwachsender Sohn Nähe, Liebe von ihm forderte?
Verlust von Verbindung, das ist eine ganz einfache Definition von Trauma. Und so macht sich Sebastian Heinzel auf, Verbindungen zu sich selbst wieder herzustellen. Eine Suche, die ihn sechs Jahre beschäftigen wird und an deren Ende ein Film und sein erstes, bei Kamphausen Media erschienenes Buch stehen werden - "Der Krieg in mir", beides Anfang März erschienen. Der Film konnte nur noch in wenigen Kinos gezeigt werden, bevor Corona kam. Zum Jahrestag des Kriegsendes gibt es den Film dieser Tage als DVD (www.heinzelfilmshop.de), und das lohnt schon deshalb, weil hier an die neunzig Minuten Bonusmaterial zu sehen sind, die Hintergründe liefern, wo sich der Film auf die lebensgeschichtliche Recherche Heinzels konzentriert.
Leistungswille und Arbeitswut
Im Gespräch mit dieser Zeitung schildert Heinzel seine Verfahrensweise so: "Der Film ist eine Gratwanderung zwischen persönlichem Erleben und der Meinung von Fachleuten, die sich mit dem Thema Traumaforschung beschäftigen. Die Suche nach einem wissenschaftlichen Beweis stand für mich nicht im Vordergrund." Zunächst habe er versucht, seine Träume nachzuspielen, "aber das bekam schnell den Beigeschmack von Doku-Drama, wie es im Fernsehen schon so oft erzählt wurde". Deswegen der Wechsel auf die Ebene der Animation, auf der Igor Shin Moromisato Traumbilder gezeichnet nachempfindet.
Heinzels Ehe zerbricht, davon erzählt er in Ansätzen im Buch, mitten in der Arbeit für den Film, Tochter und Sohn werden Patchwork-Kinder. Heinzels Seele ist wund. Er führt ein Videotagebuch, das ist ihm "wie eine Freundin, der ich zu jeder Tages- und Nachtzeit von mir und meinen Gefühlen erzählen kann". Er habe schon vor dem Film therapeutische Erfahrungen gemacht, nach der Erfahrung mit "Der Krieg in mir" könne er sich "durchaus vorstellen, mich in dieser Richtung noch fortzubilden, um anderen Menschen zu helfen".
Die Beziehung zum Vater, der sich mit Beharrlichkeit und gewinnendem Wesen in den Vorstand eines Unternehmens hochgearbeitet hat, wird jedenfalls enger, auch wenn Klaus Heinzel nicht alle Fragen seines Sohns behagen. Die beiden reisen mit einem Filmteam nach Weißrussland, um herauszufinden, wo Opa Hans verwundet wurde. Sie treffen auf Zeitzeugen, die sich an die Massenmorde der Wehrmacht erinnern, die mehr als sechshundert Dörfer dem Erdboden gleichmachte. Jede Familie in Belarus hat aus dieser Zeit Tote zu beklagen. Und dann kommt dieser junge Deutsche und will wissen, wie sich der Krieg anfühlte. Das gefällt nicht allen. Aber er kommt nicht zum ersten Mal, wie sich zeigt, denn Heinzel hatte sich schon in früheren Filmen, ohne zu wissen, warum, mit der Region beschäftigt, die seit Timothy Snyders begriffsprägendem Buch "Bloodlands" genannt wird.
Nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk gibt es das Stalin-Linie-Museum, einen militärischen Freiluftpark, in dem Schlachten des Ersten und Zweiten Weltkriegs nachgespielt werden, mit echten Panzern, Platzpatronen und Kunstblut. Besucher können MG schießen und im Panzer mitfahren. Heinzel, der den Wehrdienst verweigerte mit Verweis auf seine kriegerischen Großväter, hat sich bei einem Kostümverleih in Berlin eine Luftwaffen-Uniform nebst Eisernem Kreuz besorgt. Er will in die Haut seiner Großväter schlüpfen. "Ich habe das als Chance genutzt, mich auf eine Welt einzulassen, die mir sonst verschlossen geblieben wäre. Ich wollte eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, im Krieg zu sein. Ein Weg war, diese Unform anzuziehen, eine aufgeladene Uniform, weil man sie aus allen Filmen über das ,Dritte Reich' kennt."
Überall nur Heimatlosigkeit
Es sind gespenstische Szenen, in denen der heute Einundvierzigjährige einen Verwundeten spielt. Beide Großväter haben, das vermutet der Regisseur, den Krieg nur wegen ihrer Verwundung überlebt. Und dann steht er im Bug eines sowjetischen Kampfpanzers, und der Besitzer des Militärparks dreht donnernde Runden: "Natürlich ist das nicht mit einem echten Krieg zu vergleichen. Aber diese Panzerfahrt mit Vollgas hat mir gezeigt, wie einem das unter die Haut geht, auch ohne beschossen zu werden." Er habe Todesangst ausgestanden. Und sich doch in diesem Moment seinen Großvätern nahe gefühlt. "Mir war wichtig, an die eigenen Grenzen zu gehen, um zu wachsen. Aber so ein Erlebnis brauche ich nicht noch einmal."
Beide Großväter, der eine aus Schlesien, der andere aus Pommern, landeten nach dem Krieg in Westdeutschland, sahen ihre Heimat nicht wieder. Die Verlorenheit der Großväter läuft für Heinzel im Begriff der "Heimatlosigkeit" zusammen, die sich bis in sein Leben hinein fortgesetzt habe. Die Weißrussen dagegen haben ihre Heimat nicht wiedererkannt, ihre Toten liegen in Massengräbern. Und auch das Dorf, in dem Opa Hans verwundet wurde, existiert nicht mehr. Vor einer windschiefen Hütte stehen Vater und Sohn Heinzel und blinzeln in die Sonne, in einem Land, das mit ihrem Leben mehr zu tun hat, als ihnen lieb sein kann. Aber sie begreifen, die Traumata, die man ihnen aufbürdete, werden hier greifbarer - und damit bearbeitbar.
Eine Leerstelle bleibt: Sebastian Heinzels Mutter taucht im Film nicht auf, im Buch an zwei Stellen. Auf die Frage, ob sich dahinter das Thema für den nächsten Film verberge, winkt der Dokumentarfilmer ab: "Nach sechs Jahren Erkundung meiner persönlichen Geschichte soll es damit erst einmal genug sein." Er habe viele Gespräche mit seiner Mutter geführt, "sich auf die väterliche Linie zu konzentrieren schien mir der klarere Weg, auch dramaturgisch".
Die Entscheidung bedeutete auch, dass weite Teile der Hintergrundgespräche über die Themen Traumaforschung, Epigenetik und transgenerationale Übertragung im Film keinen Platz fanden. Die DVD-Ausgabe liefert sie nach und bereichert den Film. Heinzel hat unter anderem mit der Neuro-Epigenetikerin Isabelle Mansuy (ETH Zürich) gesprochen, mit den amerikanischen Traumaforschern Peter A. Levine und Anngwyn St. Just, der Journalistin Sabine Bode und der Tiefenpsychologin Verena Kast. Der Schweizer Traumatherapeut Andre Jacomet, ein Schüler Levines, bringt die Schwierigkeit der Aufgabe auf den Punkt - "eine Auseinandersetzung, die persönlich ist und gleichzeitig für die Öffentlichkeit bestimmt".
Zwei Generationen, zwei Planeten
Diese Doppelrolle sei eine "extreme Herausforderung" gewesen, sagt Heinzel, "mich zugleich als Regisseur und Protagonist vor der Kamera einem intensiven, persönlichen Prozess auszusetzen. Mir war aber auch klar, dass ich das stellvertretend für Millionen von Menschen mache." Seine Großväter seien gewöhnliche Wehrmachtssoldaten wie Millionen andere auch gewesen, "die dennoch beide eine dramatische Geschichte hatten, die als Normalität zu bezeichnen im Grunde verrückt ist".
Die in den Nachkriegsjahrzehnten gängige Denkart, man habe es doch mit ganz normalen Familien zu tun, steht mittlerweile auf einem löchrigen Fundament. Die Folterkeller sind sichtbar geworden. Sabine Bode hat in diesem Prozess mit ihren Büchern über Kriegskinder und -enkel in den vergangenen fünfzehn Jahren einen maßgeblichen Beitrag geleistet. In einem längeren Gespräch mit Heinzel erklärt sie, wie die Generation der Kriegskinder, die Jahrgänge 1928 bis 1945, es nicht geschafft habe, den Weg der Heilung einzuschlagen, weil sie selbst keinen Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen fand. Stattdessen stellte sie das Fürsorge-Prinzip auf den Kopf, was dazu führte, dass die Kriegsenkel, Millionen von Babyboomern, ihre Erzeuger "beelterten".
Kalte Elternhäuser: Sie habe selbst lange unterschätzt, auf wie unterschiedlichen Planeten diese beiden Generationen gelebt hätten. Die ältere hätte viel Verheerendes erlebt, das sie zur Normalität erklärte, und wenn die jüngere Gefühle einforderte, verstanden die Kriegskinder das nicht und fühlten sich angeklagt. Mütter, die ihr schreiendes Baby in Panik versetzte, weil sie unfähig waren, das Kind zu beruhigen. Daraus resultierend bei den Kindern unerklärliche Blockaden, Albträume - "Ängste, die ins Leben ihrer Eltern gehören". Wie haben Peter A. Levine und Anngwyn St. Just bei ihrem Gespräch mit Sebastian das Ziel ihrer Arbeit beschrieben? "Wir arbeiten an einer Gesellschaft, die nicht auf Angst basiert."
Und was ist aus den Träumen von Sebastian Heinzel geworden? Hin und wieder träume er noch vom Krieg, so einfach lasse sich dieser Teil von ihm wohl nicht abstellen: "Kürzlich hatte ich einen Traum, in dem es um das Ende des Zweiten Weltkriegs ging. Das habe ich als gutes Zeichen gewertet."
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main