Nein, reiner Zufall ist es nicht, dass Irene in der New Yorker Unterführung plötzlich wieder vor ihm steht. Aber das kann Herman nicht wissen. Ihre Liebesgeschichte beginnt 1925 mit einer kleinen Schwindelei. Größere werden folgen. Auch veritabler, wechselseitiger Verrat. Und doch lieben sie sich und teilen den unerschütterlichen Glauben, dass die Welt zu retten sei: Gewaltige Dämme sollen das Mittelmeer absenken, Europa und Afrika so zu einem reichen, friedlichen Superkontinent verschmelzen – Atlantropa. Denn die Zeiten sind unruhig. Europa ist gezeichnet von Krieg und Wirtschaftskrise. Verseucht von Rassismus, Antisemitismus und Hass. In dieser Lage erdenkt der Architekt Herman einen wahnwitzigen Plan. Unterstützt von seiner jüdischen Frau Irene und namhaften Ingenieuren und Architekten, trägt sein Glaube an Technik und Fortschritt weit. Natürlich gibt es Zweifler, Anfeindungen, Häme. Dann entdecken Nazi-Funktionäre das "Friedenswerk" für sich – als Instrument zur Beherrschung Afrikas. Schließlich stellen sie Herman vor die ultimative Wahl: Will er mit ihrer Hilfe endlich seinen Lebenstraum wahr machen – oder Irenes Leben retten? Spannend und lebendig erzählt Matthias Lohre die vergessene Geschichte von Herman und Irene Sörgel. Ein sagenhafter Roman!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2021Frieden in Atlantropa
Was wurde aus dem Gibraltardamm? Matthias Lohres Roman "Der kühnste Plan seit Menschengedenken"
Wer noch nie von Atlantropa gehört hat, würde es für Fiktion halten. Doch der Stoff, auf den sich Matthias Lohre in seinem historischem Roman bezieht, ist nicht weniger als das, was der Titel schon vorwegnimmt: "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" - und alles andere als Fiktion. Ausgedacht hat sich diesen Plan Herman Sörgel, ein Münchner Architekt, zusammen mit seiner Frau Irene, die aus einem jüdischen Elternhaus stammte und als Kunsthändlerin tätig war. Beide wollten riesige Staudämme bauen: Der größte von ihnen sollte bei Gibraltar entstehen, dreißig Kilometer lang und bis zu fünfhundert Meter hoch. Er sollte verhindern, dass Wasser aus dem Atlantik ins Mittelmeer nachströmt. Dann würden sich dort nämlich der Meeresspiegel um bis zu zweihundert Meter senken und Europa und Afrika zu einem Großkontinent werden.
Der Roman erzählt von der Geburt dieser Idee, mit der die Sörgels 1928 an die Öffentlichkeit gingen, bis zu Herman Sörgels Tod. Zunächst wurde das Projekt belächelt, als Utopie abgetan, später international aber ernsthaft diskutiert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wandten sich viele wieder von dem Vorhaben ab, das nicht umsetzbar schien. Am 15. Juli 1950 schrieb Kurt Hiehle in der F.A.Z. einen Artikel unter dem Titel "Atlantropa ist keine Utopie, aber der Gibraltardamm ist ein Irrweg". Auch andere Medien wie die Neuen Zürcher Nachrichten zeigten auf, was viele Unterstützer Jahre lang offenbar nicht sehen wollten oder nicht ernst genommen hatten: einen sinkenden Grundwasserspiegel, drohende Erdbeben und Vulkanausbrüche, klimatische Veränderungen und die Möglichkeit einer Katastrophe, wenn der Damm brechen würde.
Vor dem Krieg hatten sich Architekten wie Hans Poelzig, Fritz Höher oder Peter Behrens an der Umsetzung und den Planungen beteiligt. Vielleicht, weil die Vorzüge des Projekts so überwältigend viel versprachen und die Antwort auf fast alle Probleme der damaligen Zeit lieferten: Man erhoffte sich den Gewinn von fruchtbarem Land (auch durch die Bewässerung der Sahara), eine saubere Energieerzeugung für ganz Europa durch Wasserkraftwerke an den Staudämmen und Arbeitsplätze für die nächsten Jahrzehnte. Sörgel glaubte als überzeugter Pazifist zudem, dass ein gemeinsames europäisches Projekt einen weiteren Weltkrieg verhindern und die Aufrüstung stoppen würde.
Sörgels Idee wurde zu einem bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Plan zur Rettung der Welt - was für ein Projekt, was für ein Stoff für einen Roman. Doch wie lässt sich diese Geschichte spannend erzählen, wenn jeder das Ende schon kennt? Lohre, einem Journalisten und Autor mehrerer Sachbücher, ist das eindrucksvoll gelungen, indem er nicht nur vom Großvorhaben erzählt, sondern den persönlichen Dramen der Protagonisten Raum gewährt, die ebenso fesseln wie die Idee einer gänzlich veränderten Welt.
Geschickt leitet der Autor mit einer Szene nach dem Krieg ein: Sörgel fährt auf dem Fahrrad zu einem Vortrag, den er halten will. Plötzlich taucht ein Auto auf, das ihn verfolgt. Wer drinnen sitzt, weiß man nicht. Nur dass er Sörgel offenbar schaden will. Der stürzt. Dann ein Zeitsprung ins Jahr 1925 - die Eingangsszene wird zum Cliffhanger. Im Anschluss wird chronologisch erzählt, wie sich Herman und Irene kennenlernten, wie sie für ihr Großprojekt gegen Widerstände, Spott und Häme kämpften und wie sie sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten plötzlich vor ganz andere Fragen gestellt sahen.
Lohre hat ein Buch geschrieben, das immer dann wieder an Fahrt aufnimmt, wenn es sich gerade in vermeintlichen Nebengeschichten zu verlieren droht, die sich hinterher - und das ist das Schöne für die Leser - doch noch als wichtig für den Verlauf der Geschichte entpuppen. Dem Autor ist es gelungen, die Dialoge lebhaft zu inszenieren und die Passagen, in denen es buchstäblich um Leben und Tod für Irene, Herman und das Projekt geht, so zu schildern, dass die Geschichte mitreißt - in die damalige Zeit, ins nächste Kapitel und oft noch viel weiter.
Auf die Schicksale der beiden Protagonisten deutet früh vieles hin: Der eine wird es nicht schaffen, seinen Plan umzusetzen. Aber bekommt er das noch zu Lebzeiten mit, oder stirbt er im Glauben, seine Idee habe eine Zukunft? Die andere wird als Jüdin bald verfolgt werden. Überlebt sie das? Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ändert sich alles. Sörgels Vision will das Gegenteil von dem, was das Regime will: Frieden in Europa. Erst einige Jahre später entdecken auch die neuen Machthaber, dass ihnen das Projekt, das mit der Zeit immer weiter gewachsen ist, nützlich sein könnte. Gleichzeitig gerät Irene in immer größere Gefahr. Und Herman steht vor der Wahl, ob er endlich sein großes Ziel verwirklichen und dafür seine pazifistischen Ideale verraten oder seine Frau retten will. Oder geht möglicherweise sogar beides? Die Geschichte von Sörgel und Atlantropa ist auch eine von Intrigen und Verrat. Überraschend ist das nicht. Schließlich geht es um eine Idee, die der Bochumer Anzeiger im März 1931 als das bezeichnete, was Lohres Roman den Titel gab. DAVID LINDENFELD
Matthias Lohre:
"Der kühnste Plan seit
Menschengedenken". Roman.
Wagenbach Verlag,
Berlin 2021. 480 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was wurde aus dem Gibraltardamm? Matthias Lohres Roman "Der kühnste Plan seit Menschengedenken"
Wer noch nie von Atlantropa gehört hat, würde es für Fiktion halten. Doch der Stoff, auf den sich Matthias Lohre in seinem historischem Roman bezieht, ist nicht weniger als das, was der Titel schon vorwegnimmt: "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" - und alles andere als Fiktion. Ausgedacht hat sich diesen Plan Herman Sörgel, ein Münchner Architekt, zusammen mit seiner Frau Irene, die aus einem jüdischen Elternhaus stammte und als Kunsthändlerin tätig war. Beide wollten riesige Staudämme bauen: Der größte von ihnen sollte bei Gibraltar entstehen, dreißig Kilometer lang und bis zu fünfhundert Meter hoch. Er sollte verhindern, dass Wasser aus dem Atlantik ins Mittelmeer nachströmt. Dann würden sich dort nämlich der Meeresspiegel um bis zu zweihundert Meter senken und Europa und Afrika zu einem Großkontinent werden.
Der Roman erzählt von der Geburt dieser Idee, mit der die Sörgels 1928 an die Öffentlichkeit gingen, bis zu Herman Sörgels Tod. Zunächst wurde das Projekt belächelt, als Utopie abgetan, später international aber ernsthaft diskutiert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wandten sich viele wieder von dem Vorhaben ab, das nicht umsetzbar schien. Am 15. Juli 1950 schrieb Kurt Hiehle in der F.A.Z. einen Artikel unter dem Titel "Atlantropa ist keine Utopie, aber der Gibraltardamm ist ein Irrweg". Auch andere Medien wie die Neuen Zürcher Nachrichten zeigten auf, was viele Unterstützer Jahre lang offenbar nicht sehen wollten oder nicht ernst genommen hatten: einen sinkenden Grundwasserspiegel, drohende Erdbeben und Vulkanausbrüche, klimatische Veränderungen und die Möglichkeit einer Katastrophe, wenn der Damm brechen würde.
Vor dem Krieg hatten sich Architekten wie Hans Poelzig, Fritz Höher oder Peter Behrens an der Umsetzung und den Planungen beteiligt. Vielleicht, weil die Vorzüge des Projekts so überwältigend viel versprachen und die Antwort auf fast alle Probleme der damaligen Zeit lieferten: Man erhoffte sich den Gewinn von fruchtbarem Land (auch durch die Bewässerung der Sahara), eine saubere Energieerzeugung für ganz Europa durch Wasserkraftwerke an den Staudämmen und Arbeitsplätze für die nächsten Jahrzehnte. Sörgel glaubte als überzeugter Pazifist zudem, dass ein gemeinsames europäisches Projekt einen weiteren Weltkrieg verhindern und die Aufrüstung stoppen würde.
Sörgels Idee wurde zu einem bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Plan zur Rettung der Welt - was für ein Projekt, was für ein Stoff für einen Roman. Doch wie lässt sich diese Geschichte spannend erzählen, wenn jeder das Ende schon kennt? Lohre, einem Journalisten und Autor mehrerer Sachbücher, ist das eindrucksvoll gelungen, indem er nicht nur vom Großvorhaben erzählt, sondern den persönlichen Dramen der Protagonisten Raum gewährt, die ebenso fesseln wie die Idee einer gänzlich veränderten Welt.
Geschickt leitet der Autor mit einer Szene nach dem Krieg ein: Sörgel fährt auf dem Fahrrad zu einem Vortrag, den er halten will. Plötzlich taucht ein Auto auf, das ihn verfolgt. Wer drinnen sitzt, weiß man nicht. Nur dass er Sörgel offenbar schaden will. Der stürzt. Dann ein Zeitsprung ins Jahr 1925 - die Eingangsszene wird zum Cliffhanger. Im Anschluss wird chronologisch erzählt, wie sich Herman und Irene kennenlernten, wie sie für ihr Großprojekt gegen Widerstände, Spott und Häme kämpften und wie sie sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten plötzlich vor ganz andere Fragen gestellt sahen.
Lohre hat ein Buch geschrieben, das immer dann wieder an Fahrt aufnimmt, wenn es sich gerade in vermeintlichen Nebengeschichten zu verlieren droht, die sich hinterher - und das ist das Schöne für die Leser - doch noch als wichtig für den Verlauf der Geschichte entpuppen. Dem Autor ist es gelungen, die Dialoge lebhaft zu inszenieren und die Passagen, in denen es buchstäblich um Leben und Tod für Irene, Herman und das Projekt geht, so zu schildern, dass die Geschichte mitreißt - in die damalige Zeit, ins nächste Kapitel und oft noch viel weiter.
Auf die Schicksale der beiden Protagonisten deutet früh vieles hin: Der eine wird es nicht schaffen, seinen Plan umzusetzen. Aber bekommt er das noch zu Lebzeiten mit, oder stirbt er im Glauben, seine Idee habe eine Zukunft? Die andere wird als Jüdin bald verfolgt werden. Überlebt sie das? Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ändert sich alles. Sörgels Vision will das Gegenteil von dem, was das Regime will: Frieden in Europa. Erst einige Jahre später entdecken auch die neuen Machthaber, dass ihnen das Projekt, das mit der Zeit immer weiter gewachsen ist, nützlich sein könnte. Gleichzeitig gerät Irene in immer größere Gefahr. Und Herman steht vor der Wahl, ob er endlich sein großes Ziel verwirklichen und dafür seine pazifistischen Ideale verraten oder seine Frau retten will. Oder geht möglicherweise sogar beides? Die Geschichte von Sörgel und Atlantropa ist auch eine von Intrigen und Verrat. Überraschend ist das nicht. Schließlich geht es um eine Idee, die der Bochumer Anzeiger im März 1931 als das bezeichnete, was Lohres Roman den Titel gab. DAVID LINDENFELD
Matthias Lohre:
"Der kühnste Plan seit
Menschengedenken". Roman.
Wagenbach Verlag,
Berlin 2021. 480 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Andreas Rüttenauer nennt Matthias Lohres Roman über den Visionär Herman Sörgel und sein Projekt einer Trockenlegung des Mittelmeers ein gutes Stück Literatur. Wie der Autor Sörgels kühnen Plan bis zum manischen Höhepunkt und Schulterschluss des Ingenieurs mit den Nazis verfolgt, nah an Sörgel und seinem Hadern zwischen der Idee und der Treue zu seiner jüdischen Frau, das findet Rüttenauer überzeugend ausgeführt. Auch wenn der Rezensent die zunehmende Erkaltung des Menschen Sörgel nicht nachvollziehen kann oder will, folgt er seiner Geschichte doch mit großer Ergriffenheit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.08.2022ARCHITEKT HERMAN SÖRGEL
Roman über einen
großen Fantasten
Herman Sörgel, ein Architekt, der bis zu seinem rätselhaften Unfalltod 1952 in München lebte, gehört zu den großen Fantasten. Unter dem Namen „Atlantropa“ plante er gigantische Staudämme und Wasserkraftwerke im Mittelmeer, das er um bis zu 200 Meter abgesenkt hätte, um Afrika und Europa zu verbinden. Von Berlin hätte man mit dem Zug bis Kapstadt fahren können. Sörgel wollte mal eben alles: die Welt befrieden, die noch auf die Trümmer des Ersten Weltkriegs starrte; den Hunger besiegen; und fossile Energieträger ersetzen. Wie schade, denkt man heute, die neue Gasrechnung in der Hand, dass Sörgel nie ernst genommen wurde. Was nicht stimmt. Denn der Autor Matthias Lohre hat Herman Sörgel und dessen jüdische Ehefrau, es ist die Kunsthändlerin Irene Villanyi, mit einen teilfiktiven, teilbiografischen, zur Gänze aber fulminanten Roman bedacht: „Der kühnste Plan seit Menschengedenken“ ist im Verlag Wagenbach erschienen (480 Seiten, 26 Euro). Es ist fast beängstigend, wie sich eine Liebes- und Technikgeschichte von einst zur puren Gegenwart verdichten: Letztlich geht es um die Energie-, Klima- und Geopolitikkrisen unserer Zeit. Sörgel war ein Seher. GERHARD
MATZIG
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Roman über einen
großen Fantasten
Herman Sörgel, ein Architekt, der bis zu seinem rätselhaften Unfalltod 1952 in München lebte, gehört zu den großen Fantasten. Unter dem Namen „Atlantropa“ plante er gigantische Staudämme und Wasserkraftwerke im Mittelmeer, das er um bis zu 200 Meter abgesenkt hätte, um Afrika und Europa zu verbinden. Von Berlin hätte man mit dem Zug bis Kapstadt fahren können. Sörgel wollte mal eben alles: die Welt befrieden, die noch auf die Trümmer des Ersten Weltkriegs starrte; den Hunger besiegen; und fossile Energieträger ersetzen. Wie schade, denkt man heute, die neue Gasrechnung in der Hand, dass Sörgel nie ernst genommen wurde. Was nicht stimmt. Denn der Autor Matthias Lohre hat Herman Sörgel und dessen jüdische Ehefrau, es ist die Kunsthändlerin Irene Villanyi, mit einen teilfiktiven, teilbiografischen, zur Gänze aber fulminanten Roman bedacht: „Der kühnste Plan seit Menschengedenken“ ist im Verlag Wagenbach erschienen (480 Seiten, 26 Euro). Es ist fast beängstigend, wie sich eine Liebes- und Technikgeschichte von einst zur puren Gegenwart verdichten: Letztlich geht es um die Energie-, Klima- und Geopolitikkrisen unserer Zeit. Sörgel war ein Seher. GERHARD
MATZIG
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