In «Der Lärm des Lebens» erzählt Jörg Hartmann auf hinreißende Weise seine Geschichte und die seiner Eltern und Großeltern. Es ist eine Liebeserklärung an die Kraft der Familie - und an den Ruhrpott. Ob es um die Situation seiner gehörlosen Großeltern im Nationalsozialismus geht, die Lebensklugheit seiner Mutter, die für kurze Zeit eine Pommesbude betrieb, die Demenzerkrankung seines Vaters, der Dreher und leidenschaftlicher Handballer war, die vielen skurrilen Erlebnisse in der Großfamilie oder um Schlüsselbegegnungen, die er als Schauspieler hatte - immer hält Hartmann die Balance zwischen Tragik und Komik. Er hat dabei einen kraftvollen Erzählton - persönlich, berührend, humorvoll. Und fragt: Warum kehren wir immer wieder zu unseren Wurzeln zurück? Es geht Hartmann darum, den Kreislauf des Lebens zu fassen: Eltern und Kinder, Anfang und Ende, Aufbruch und Ankunft, Werden und Vergehen - eben alles, was zum geliebten Lärm des Lebens gehört. Ein weises, geschichtenpralles Buch über Herkunft und Heimat - und den Wunsch, sich davon zu lösen und in die Welt zu ziehen. Eine Éducation sentimentale und, wie nebenbei, eine Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Jörg Hartmann, bekannt geworden als Faber im Dortmunder Tatort, hat mit "Der Lärm des Lebens" ein Memoir geschrieben, dass vom Leben im Revier erzählt, von den Großeltern, beide gehörlos, die ums Haar von den Nazis ermordet worden wären, und vom Vater, der an Demenz erkrankt und stirbt, resümiert Rezensent Elmar Krekeler. Dass Hartmann das eher leise erzählt, gefällt dem Kritiker, der anerkennend sein Pilsken hebt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2024„Es geht
nicht ohne
das Spiel“
Der „Tatort“-Kommissar
und Theaterschauspieler
Jörg Hartmann
über die Freiheit der
Bühne, die Freiheit
des Schreibens –
und warum sein
erstes Buch
„Der Lärm des Lebens“
eine Liebeserklärung ist.
Das Stöbern in einem Buchladen um die Ecke hat den Schauspieler Jörg Hartmann hungrig gemacht, in einem Restaurant in Berlin-Charlottenburg bestellt er also Spaghetti aglio e olio und einen Caprese-Salat. Doch weil er Profi ist, kann er das, was den meisten Menschen nicht gelingt: essen und reden gleichzeitig, kein Schmatzer wird später auf dem Tonband zu hören sein.
SZ: Herr Hartmann, Sie spielen seit zwölf Jahren den Dortmunder „Tatort“-Kommissar Peter Faber, sind regelmäßig in Film und Fernsehen zu sehen, wurden für Ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet, spielen als Gast an der Berliner Schaubühne. Jetzt haben Sie auch noch ein Buch geschrieben. Sind Sie nicht ausgelastet in Ihrem Job?
Jörg Hartmann: Auch wenn das von außen betrachtet anders wirken mag: Ich bin als Schauspieler momentan wirklich nicht voll beschäftigt. Aber das Schreiben hat mich schon immer interessiert.
Matthias Brandt, Joachim Meyerhoff, Edgar Selge, Ulrich Tukur, Axel Milberg, Christian Berkel und viele andere haben bereits Romane veröffentlicht. Warum scheint es, als reiche die Schauspielerei oft nicht aus?
Vielleicht geht es uns gar nicht anders als Ärzten oder Anwälten, da veröffentlichen ja auch viele ein Buch. Bei Schauspielern guckt man immer ein bisschen hämisch darauf, ach, muss der jetzt auch noch schreiben? Aber 80 Prozent unserer Arbeit hat mit Sprache zu tun, das ist unser Elixier. Vielleicht ist es also naheliegend. Vielleicht reicht es aber vielen auch nicht, immer nur Interpret zu sein. Für mich kann ich sagen: Ich bin voll mit Geschichten und Ideen.
Haben Sie aus diesem Fundus schon mal etwas veröffentlicht?
Vor etwa dreißig Jahren habe ich zwei Theaterstücke geschrieben. Eins davon ist sogar verlegt, aber leider nie gespielt worden. Dann habe ich mal ein Drehbuch für eine Komödie geschrieben, und schließlich eins für den Dortmunder „Tatort“. Doch ich hatte lange nicht mehr Raum und Zeit fürs Schreiben, dabei fühlt es sich extrem befreiend an. Als Schauspieler musst du dich in einem gewissen Rahmen bewegen, etwas erfüllen. Hier hat mir niemand reingeredet. Dass es jetzt Prosa werden würde, hätte ich allerdings nicht gedacht.
Warum nicht?
Ich dachte immer an Theaterstücke oder Drehbücher, das war so verankert in meinem Beruf. Ein Roman ist es aber auch nicht geworden, eher eine romanhafte Erzählung, weil das Buch zu sehr an meinem Leben dranhängt. Es zu schreiben, war mir ein inneres Bedürfnis. Das hatte vor allem mit dem Tod meines Vaters zu tun.
Ihr Vater starb 2018 an seiner Demenzerkrankung.
Ja, ich wollte nicht, dass er in Vergessenheit gerät. Er war einfach untypisch für seine Generation, so verspielt, mit einer unglaublichen Menschenkenntnis. Er wusste immer sofort, wem zu trauen ist und wem nicht. Das hatte etwas mit seinen gehörlosen Eltern zu tun: Er hat von klein auf gelernt, seine Antennen auszufahren und zu erspüren, wie jemand tickt. Ich habe mich oft gefragt: War ich genug bei meinem Vater, als er krank wurde? Schließlich verplempert man manchmal die Zeit mit Dingen, die unwichtig sind, oder von denen man glaubt, sie seien unabdingbar. Das Buch ist ein Liebesbeweis, den ich ihm noch mal geben konnte. Der gilt natürlich auch meiner Mutter.
Denkt man anders über seine Eltern nach, wenn man sie zu Grabe tragen muss?
Ich denke schon. Bei der Beerdigung lagen Trauer und Witz dicht beieinander, das war kein bedröppeltes Trauerfest, da ging irgendwann richtig die Luzie ab. In meiner Familie haben eben alle einen kleinen Dachschaden.
In „Der Lärm des Lebens“ gehen Sie weit zurück: von Ihrer Kindheit Anfang der 70er-Jahre in Herdecke zu Ihren gehörlosen Großeltern während des Zweiten Weltkriegs.
Mich hat interessiert, woher ich komme, was mich geprägt hat, was mich noch heute prägt. Es war der Versuch der Selbstverortung. Allerdings fand ich es spannender, über meine Großeltern und Eltern zu schreiben als über mich. Meinen eigenen Strang konnte ich nur ertragen, weil ich mich da selbst nicht so ernst nehme.
Ihr Buch ist auch eine Liebeserklärung an Ihre Heimat, den Ruhrpott.
Absolut. Ich lebe seit zwanzig Jahren in Potsdam, doch als ich mit dem „Tatort“ angefangen habe und wieder regelmäßiger vor Ort war, habe ich gemerkt, was ich an meiner Herkunft eigentlich habe. Ich bin damals ja nicht mit wehenden Fahnen weg, trotzdem glaubte ich, die Weltformel irgendwo anders finden zu müssen. Heute merke ich, wie sehr mir diese Welt fehlt. Es gibt im Pott so einen Ton, auf den man sich automatisch einigt; trotz aller individuellen Unterschiede hat man schnell das Gefühl, man steht auf demselben Fundament.
„Ich konnte nicht verstehen, wie ich damals einfach so davongaloppiert war und selbst die Erinnerungen zurückgelassen habe“, so steht es in Ihrem Buch. Können Sie sich vorstellen zurückzugehen?
Das ist schwierig. Ich weiß ja, dass ich nichts mehr von dem vorfinden werde, was ich da früher hatte und was mich geprägt hat. Auch wenn es immer wieder schön ist zurückzukommen: Dort zu leben wäre etwas anderes. Das kann schnell sehr enttäuschend sein. Man würde es immer abgleichen mit dem, was war.
Der Tod Ihres Vaters habe Sie vieles hinterfragen lassen, „die Wichtigtuerei und Eitelkeit am Theater, das im Inneren kaum anders strukturiert war als die Volkskammer der DDR“ schreiben Sie. Und dass sich „jede Filmproduktion als Nabel der Welt betrachtete“. Das klingt verdammt nach Lebenskrise …
Das Theater ist hierarchisch strukturiert, anders funktioniert es auch gar nicht, da muss man sich nichts vormachen. Basisdemokratie gibt es da nicht. Aber damals kam vieles zusammen: Trauer, Krise, sich infrage stellen, im Privaten und im Großen da draußen. Man leidet ja nur bei Themen, die einem wirklich wichtig sind.
Gleichzeitig möchte man meinen, es könnte ja besser für Sie nicht laufen.
Klar habe ich gedacht, Hartmann, du kannst jetzt echt nicht jammern! Doch nehmen wir das Theater, das hat so einen langen Arm. Es ist jetzt zwanzig Jahre her, da musste meine älteste Tochter einen Tag nach ihrer Geburt operiert werden. Weil wenige Tage später Premiere war, ausverkauft, glaubte ich, unbedingt auf der Probe erscheinen zu müssen, anstatt im Krankenhaus zu sitzen. Das macht einen fertig. Doch anders kann man Kunst nicht machen, denn es geht nicht ohne das Spiel. Auf der Bühne gibt es kein Gestern und kein Morgen, das ist komplette Freiheit. Dann weiß man, warum man das macht. Tatsächlich werde ich deswegen jetzt auch wieder an die Schaubühne zurückkehren als festes Ensemblemitglied.
Was hat Sie eigentlich davon abgebracht, Biologie zu studieren und Naturschützer zu werden, so wie Sie sich das als Kind vorgenommen hatten?
Ich bin nach der Realschule extra aufs Gymnasium, um Bio studieren zu können. Doch in meiner Heimatstadt gibt es ein kleines Laientheater, nach dem Abi hatte ich dort meinen ersten Schauspieljob, „Unsere kleine Stadt“ von Thornton Wilder. Das hat mir einfach wahnsinnig Spaß gemacht. Nach der Premiere wusste ich, mach dir nichts vor, genau das willst du doch wirklich.
Wollen Sie jetzt weiterschreiben?
Der tatsächliche Lärm des Lebens zwingt mich gerade dazu, mich mit anderen Themen zu beschäftigen. Aber ich habe schon angefangen, diesmal mit einem Roman, so viel steht fest. Das Schreiben hat mich gepackt, jetzt will ich weitermachen. Ich lese ja auch wahnsinnig viel. Bücher zu kaufen, ist wie ein Zwang.
Was lesen Sie?
Toll finde ich Ian McEwan, da habe ich fast alles gelesen, aber auch Julia Schoch, Jonathan Franzen, Nino Haratischwili. Wenn ich mir einen Autor endlich mal vorknöpfe, versuche ich, so viel wie möglich von ihm zu lesen. Wirklich baff war ich von Jane Austen. Diese Frau ist genial.
INTERVIEW: JULIA ROTHHAAS
Der Schauspieler, jetzt auch Autor Jörg Hartmann wurde 1969 in Hagen geboren.
Foto: Eberhard Thonfeld/imago
Jörg Hartmann:
Der Lärm des Lebens. Rowohlt Berlin,
Berlin 2024.
304 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
nicht ohne
das Spiel“
Der „Tatort“-Kommissar
und Theaterschauspieler
Jörg Hartmann
über die Freiheit der
Bühne, die Freiheit
des Schreibens –
und warum sein
erstes Buch
„Der Lärm des Lebens“
eine Liebeserklärung ist.
Das Stöbern in einem Buchladen um die Ecke hat den Schauspieler Jörg Hartmann hungrig gemacht, in einem Restaurant in Berlin-Charlottenburg bestellt er also Spaghetti aglio e olio und einen Caprese-Salat. Doch weil er Profi ist, kann er das, was den meisten Menschen nicht gelingt: essen und reden gleichzeitig, kein Schmatzer wird später auf dem Tonband zu hören sein.
SZ: Herr Hartmann, Sie spielen seit zwölf Jahren den Dortmunder „Tatort“-Kommissar Peter Faber, sind regelmäßig in Film und Fernsehen zu sehen, wurden für Ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet, spielen als Gast an der Berliner Schaubühne. Jetzt haben Sie auch noch ein Buch geschrieben. Sind Sie nicht ausgelastet in Ihrem Job?
Jörg Hartmann: Auch wenn das von außen betrachtet anders wirken mag: Ich bin als Schauspieler momentan wirklich nicht voll beschäftigt. Aber das Schreiben hat mich schon immer interessiert.
Matthias Brandt, Joachim Meyerhoff, Edgar Selge, Ulrich Tukur, Axel Milberg, Christian Berkel und viele andere haben bereits Romane veröffentlicht. Warum scheint es, als reiche die Schauspielerei oft nicht aus?
Vielleicht geht es uns gar nicht anders als Ärzten oder Anwälten, da veröffentlichen ja auch viele ein Buch. Bei Schauspielern guckt man immer ein bisschen hämisch darauf, ach, muss der jetzt auch noch schreiben? Aber 80 Prozent unserer Arbeit hat mit Sprache zu tun, das ist unser Elixier. Vielleicht ist es also naheliegend. Vielleicht reicht es aber vielen auch nicht, immer nur Interpret zu sein. Für mich kann ich sagen: Ich bin voll mit Geschichten und Ideen.
Haben Sie aus diesem Fundus schon mal etwas veröffentlicht?
Vor etwa dreißig Jahren habe ich zwei Theaterstücke geschrieben. Eins davon ist sogar verlegt, aber leider nie gespielt worden. Dann habe ich mal ein Drehbuch für eine Komödie geschrieben, und schließlich eins für den Dortmunder „Tatort“. Doch ich hatte lange nicht mehr Raum und Zeit fürs Schreiben, dabei fühlt es sich extrem befreiend an. Als Schauspieler musst du dich in einem gewissen Rahmen bewegen, etwas erfüllen. Hier hat mir niemand reingeredet. Dass es jetzt Prosa werden würde, hätte ich allerdings nicht gedacht.
Warum nicht?
Ich dachte immer an Theaterstücke oder Drehbücher, das war so verankert in meinem Beruf. Ein Roman ist es aber auch nicht geworden, eher eine romanhafte Erzählung, weil das Buch zu sehr an meinem Leben dranhängt. Es zu schreiben, war mir ein inneres Bedürfnis. Das hatte vor allem mit dem Tod meines Vaters zu tun.
Ihr Vater starb 2018 an seiner Demenzerkrankung.
Ja, ich wollte nicht, dass er in Vergessenheit gerät. Er war einfach untypisch für seine Generation, so verspielt, mit einer unglaublichen Menschenkenntnis. Er wusste immer sofort, wem zu trauen ist und wem nicht. Das hatte etwas mit seinen gehörlosen Eltern zu tun: Er hat von klein auf gelernt, seine Antennen auszufahren und zu erspüren, wie jemand tickt. Ich habe mich oft gefragt: War ich genug bei meinem Vater, als er krank wurde? Schließlich verplempert man manchmal die Zeit mit Dingen, die unwichtig sind, oder von denen man glaubt, sie seien unabdingbar. Das Buch ist ein Liebesbeweis, den ich ihm noch mal geben konnte. Der gilt natürlich auch meiner Mutter.
Denkt man anders über seine Eltern nach, wenn man sie zu Grabe tragen muss?
Ich denke schon. Bei der Beerdigung lagen Trauer und Witz dicht beieinander, das war kein bedröppeltes Trauerfest, da ging irgendwann richtig die Luzie ab. In meiner Familie haben eben alle einen kleinen Dachschaden.
In „Der Lärm des Lebens“ gehen Sie weit zurück: von Ihrer Kindheit Anfang der 70er-Jahre in Herdecke zu Ihren gehörlosen Großeltern während des Zweiten Weltkriegs.
Mich hat interessiert, woher ich komme, was mich geprägt hat, was mich noch heute prägt. Es war der Versuch der Selbstverortung. Allerdings fand ich es spannender, über meine Großeltern und Eltern zu schreiben als über mich. Meinen eigenen Strang konnte ich nur ertragen, weil ich mich da selbst nicht so ernst nehme.
Ihr Buch ist auch eine Liebeserklärung an Ihre Heimat, den Ruhrpott.
Absolut. Ich lebe seit zwanzig Jahren in Potsdam, doch als ich mit dem „Tatort“ angefangen habe und wieder regelmäßiger vor Ort war, habe ich gemerkt, was ich an meiner Herkunft eigentlich habe. Ich bin damals ja nicht mit wehenden Fahnen weg, trotzdem glaubte ich, die Weltformel irgendwo anders finden zu müssen. Heute merke ich, wie sehr mir diese Welt fehlt. Es gibt im Pott so einen Ton, auf den man sich automatisch einigt; trotz aller individuellen Unterschiede hat man schnell das Gefühl, man steht auf demselben Fundament.
„Ich konnte nicht verstehen, wie ich damals einfach so davongaloppiert war und selbst die Erinnerungen zurückgelassen habe“, so steht es in Ihrem Buch. Können Sie sich vorstellen zurückzugehen?
Das ist schwierig. Ich weiß ja, dass ich nichts mehr von dem vorfinden werde, was ich da früher hatte und was mich geprägt hat. Auch wenn es immer wieder schön ist zurückzukommen: Dort zu leben wäre etwas anderes. Das kann schnell sehr enttäuschend sein. Man würde es immer abgleichen mit dem, was war.
Der Tod Ihres Vaters habe Sie vieles hinterfragen lassen, „die Wichtigtuerei und Eitelkeit am Theater, das im Inneren kaum anders strukturiert war als die Volkskammer der DDR“ schreiben Sie. Und dass sich „jede Filmproduktion als Nabel der Welt betrachtete“. Das klingt verdammt nach Lebenskrise …
Das Theater ist hierarchisch strukturiert, anders funktioniert es auch gar nicht, da muss man sich nichts vormachen. Basisdemokratie gibt es da nicht. Aber damals kam vieles zusammen: Trauer, Krise, sich infrage stellen, im Privaten und im Großen da draußen. Man leidet ja nur bei Themen, die einem wirklich wichtig sind.
Gleichzeitig möchte man meinen, es könnte ja besser für Sie nicht laufen.
Klar habe ich gedacht, Hartmann, du kannst jetzt echt nicht jammern! Doch nehmen wir das Theater, das hat so einen langen Arm. Es ist jetzt zwanzig Jahre her, da musste meine älteste Tochter einen Tag nach ihrer Geburt operiert werden. Weil wenige Tage später Premiere war, ausverkauft, glaubte ich, unbedingt auf der Probe erscheinen zu müssen, anstatt im Krankenhaus zu sitzen. Das macht einen fertig. Doch anders kann man Kunst nicht machen, denn es geht nicht ohne das Spiel. Auf der Bühne gibt es kein Gestern und kein Morgen, das ist komplette Freiheit. Dann weiß man, warum man das macht. Tatsächlich werde ich deswegen jetzt auch wieder an die Schaubühne zurückkehren als festes Ensemblemitglied.
Was hat Sie eigentlich davon abgebracht, Biologie zu studieren und Naturschützer zu werden, so wie Sie sich das als Kind vorgenommen hatten?
Ich bin nach der Realschule extra aufs Gymnasium, um Bio studieren zu können. Doch in meiner Heimatstadt gibt es ein kleines Laientheater, nach dem Abi hatte ich dort meinen ersten Schauspieljob, „Unsere kleine Stadt“ von Thornton Wilder. Das hat mir einfach wahnsinnig Spaß gemacht. Nach der Premiere wusste ich, mach dir nichts vor, genau das willst du doch wirklich.
Wollen Sie jetzt weiterschreiben?
Der tatsächliche Lärm des Lebens zwingt mich gerade dazu, mich mit anderen Themen zu beschäftigen. Aber ich habe schon angefangen, diesmal mit einem Roman, so viel steht fest. Das Schreiben hat mich gepackt, jetzt will ich weitermachen. Ich lese ja auch wahnsinnig viel. Bücher zu kaufen, ist wie ein Zwang.
Was lesen Sie?
Toll finde ich Ian McEwan, da habe ich fast alles gelesen, aber auch Julia Schoch, Jonathan Franzen, Nino Haratischwili. Wenn ich mir einen Autor endlich mal vorknöpfe, versuche ich, so viel wie möglich von ihm zu lesen. Wirklich baff war ich von Jane Austen. Diese Frau ist genial.
INTERVIEW: JULIA ROTHHAAS
Der Schauspieler, jetzt auch Autor Jörg Hartmann wurde 1969 in Hagen geboren.
Foto: Eberhard Thonfeld/imago
Jörg Hartmann:
Der Lärm des Lebens. Rowohlt Berlin,
Berlin 2024.
304 Seiten, 24 Euro.
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Ungemein witzig und hinreißend komisch ... Da hat einer ein Buch geschrieben, der mit dem Herzen durchs Leben geht. Christine Westermann Stern