Eine Woche lang führte Claude Lanzmann 1975 in Rom auf Deutsch ein Interview mit Benjamin Murmelstein, einem der umstrittensten Überlebenden der Shoah. Der Rabbiner war nach seiner Deportation ins Ghetto Theresienstadt ab September 1944 der letzte sogenannte Judenälteste. Nach dem Krieg warf man ihm vor, Handlanger der Nazis gewesen zu sein. Claude Lanzmann hingegen beharrt darauf, dass jemand wie Murmelstein nicht die Freiheit hatte, moralisch zu handeln, weil er selbst den Nazis ausgeliefert war. Lanzmann verwendete das Material nicht, wie ursprünglich geplant, für sein epochales Filmwerk «Shoah», sondern machte erst 2013 einen eigenen Film daraus. Dieses Buch dokumentiert das Interview und Szenen des Films. «Ein einzigartiges Dokument.» Tagesspiegel «Claude Lanzmanns Postskriptum zu .» New York Times
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2017Ein Tiger in Theresienstadt
Während der Dreharbeiten zu "Shoah" hatte Claude Lanzmann 1985 in Rom Benjamin Murmelstein interviewt, den letzten Vorsitzenden des "Judenrates" in Theresienstadt. Doch für diese Aufnahmen fand Lanzmann in seinem monumentalen Werk keine Verwendung. Erst viel später, nach Murmelsteins Tod im Jahr 1989, machte er aus ihnen den Film "Der Letzte der Ungerechten", der 2013 in Cannes uraufgeführt wurde. Jetzt ist der ungeschnittene Text als Buch erschienen. Es ist noch viel dramatischer und brutaler als der Film, bei dem Mimik und Gesten und die Selbstinszenierung des Regisseurs von den Worten ablenken. Es geht um Auschwitz, um die Moral der Judenräte und die Spielräume, die ihnen verblieben. Bei seinem Prozess nach dem Krieg drohte Murmlstein die Todesstrafe, die Gershom Scholem damals befürwortete. Als Eichmann verurteilt wurde, merkt Murmelstein an, sei Scholem dagegen unter denen gewesen, die gegen die Exekution protestierten, "ein bisschen kapriziös" nennt er ihn. Auch Hannah Arendt kommt nicht gut weg in diesem Interview, das Murmelstein als "letzte öffentliche Gefahr" in seinem Leben empfindet: "Ich habe vor Ihnen auch keine Angst." Lanzmann ist von der Gegenwehr und der Intelligenz dieses Mannes fasziniert, berauscht sich auch an seiner eigenen Deutungshoheit und beansprucht wie üblich das letzte Wort: "Ja, Sie sind ein Tiger." Es ist der von ihm erteilte posthume und überzeugende Freispruch für Benjamin Murmelstein.
J. A.
Claude Lanzmann: "Der Letzte der Ungerechten".
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 126 S., br., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Während der Dreharbeiten zu "Shoah" hatte Claude Lanzmann 1985 in Rom Benjamin Murmelstein interviewt, den letzten Vorsitzenden des "Judenrates" in Theresienstadt. Doch für diese Aufnahmen fand Lanzmann in seinem monumentalen Werk keine Verwendung. Erst viel später, nach Murmelsteins Tod im Jahr 1989, machte er aus ihnen den Film "Der Letzte der Ungerechten", der 2013 in Cannes uraufgeführt wurde. Jetzt ist der ungeschnittene Text als Buch erschienen. Es ist noch viel dramatischer und brutaler als der Film, bei dem Mimik und Gesten und die Selbstinszenierung des Regisseurs von den Worten ablenken. Es geht um Auschwitz, um die Moral der Judenräte und die Spielräume, die ihnen verblieben. Bei seinem Prozess nach dem Krieg drohte Murmlstein die Todesstrafe, die Gershom Scholem damals befürwortete. Als Eichmann verurteilt wurde, merkt Murmelstein an, sei Scholem dagegen unter denen gewesen, die gegen die Exekution protestierten, "ein bisschen kapriziös" nennt er ihn. Auch Hannah Arendt kommt nicht gut weg in diesem Interview, das Murmelstein als "letzte öffentliche Gefahr" in seinem Leben empfindet: "Ich habe vor Ihnen auch keine Angst." Lanzmann ist von der Gegenwehr und der Intelligenz dieses Mannes fasziniert, berauscht sich auch an seiner eigenen Deutungshoheit und beansprucht wie üblich das letzte Wort: "Ja, Sie sind ein Tiger." Es ist der von ihm erteilte posthume und überzeugende Freispruch für Benjamin Murmelstein.
J. A.
Claude Lanzmann: "Der Letzte der Ungerechten".
Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 126 S., br., 12,90 [Euro].
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Claude Lanzmanns Postskriptum zu Shoah. The New York Times