Der New Yorker Neurologe Oliver Sacks ist durch seine Fallgeschichten weltberühmt geworden. Voller Empathie und mit großer Fachkenntnis hat er immer wieder Menschen porträtiert, deren Leben durch eine schwere Krankheit oder Behinderung geprägt wurde - und hat seinen Lesern gezeigt, welche Chancen die Abweichungen vom sogenannten Normalen bieten und welche positiven Besonderheiten die betroffenen Menschen auszeichnen. Greg F. war ein begabter, musikbegeisterter junger Mann, der die amerikanische Studentenrebellion der sechziger Jahre miterlebte - mitsamt ihren Drogenexperimenten und Hare-Krishna-Eskapaden. Dann warf ihn ein Hirntumor aus der Bahn. Greg erblindete und galt fortan als neurologisch und psychisch schwer behindert - ein sogenannter hoffnungsloser Fall, an den Rollstuhl gefesselt. Oliver Sacks nahm sich des Patienten an und näherte sich ihm in einem langwierigen Prozess, den er in dieser Fallgeschichte einfühlsam beschreibt. Schließlich bringt er Greg zu einem Konzert von dessen einstiger Lieblingsband «Grateful Dead» in den Madison Square Garden - und die Sinne des Schwerkranken werden auf verblüffende Weise neu aktiviert. Eine Geschichte, die unter die Haut geht - und die überraschende Einsichten in die oft rätselhafte Funktionsweise unseres Gehirns bietet.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.1995Der Tag des farbenblinden Malers ist die Nacht
Unerhörte Begebenheiten im Seelenleben: Oliver Sacks und seine neurologische Novellistik
Was geht zwischen Menschen vor, wenn sie miteinander scherzen oder gegeneinander Intrigen spinnen? Was steckt hinter ihren unscheinbaren Gesten und Anspielungen? Die Amerikanerin Temple Grandin hat eine systematisch geordnete Videothek von menschlichen Verhaltensweisen angelegt - in ihrem Kopf. Die Videothek besteht aus all den Beobachtungen, die sie im Lauf des Lebens über ihren Gegenstand gesammelt hat. Sie läßt sie immer wieder vor ihrem geistigen Auge abspulen, vergleicht sie, setzt sie mit ihren Lektüren, vor allem dem "Wall Street Journal", in Beziehung und zieht ihre Schlüsse. "Es ist ein streng logischer Prozeß", sagt sie.
Temple Grandin ist freilich eine Ethnologin besonderer Art. Sie ist Autistin, und die wissenschaftliche Erschließung der eigenen Umgebung ist für sie keine akademische Übung, sondern eine Überlebensfrage. Denn die gesamte Gefühlswelt der Menschen um sie herum ist ihr fremd. Shakespeares "Romeo und Julia" sagt ihr nichts, sie kann dem Hin und Her der verwirrenden Emotionen kaum folgen. Sie muß all das implizite Wissen, das noch in die unverbindlichste Alltagsbeziehung eingeht, nachträglich rekonstruieren. Sie fühlt sich wie eine "Anthropologin auf dem Mars", wie sie Oliver Sacks sagt, der daraus den Titel für sein jüngstes Buch macht. Der Neurologe aus New York ist irritiert. Das Arbeitszimmer der Autistin, das vor Büchern überquillt, erinnert ihn an sein eigenes Haus. Wer beobachtet da wen?
Offenbar entkommt dem Autismus niemand. Was geht im Menschen vor, wenn er "Ich" sagt? Was steckt hinter seinem Bewußtsein von sich selbst, das offenbar nicht einmal durch schwerste neurologische Störungen zu verwüsten ist? Vor solchen Fragen kapituliert der Verstand. Das ihm Nächste bleibt ihm fremd, er hat keinen unmittelbaren Zugang zu jener Welt, die sich in seinem Inneren auftut: Er kann sich selbst nur mühsam und planvoll rekonstruieren. Der Neurologe Sacks sammelt Erfahrungen von Patienten, bei denen wichtige Gehirnfunktionen ausgefallen sind und die nun von einer neuen Ausgangslage her mit ihrem Leben fortfahren. Seine Frage lautet: Was bleibt übrig, wenn alles wissenschaftlich Objektivierbare nicht mehr da ist?
Jede seiner Geschichten endet mit einer unbestimmten Geste. Der Autistin, die seit ihrer Kindheit einen Widerwillen gegen alle menschlichen Berührungen entwickelt hat, sagt er zum Abschied, er werde sie jetzt umarmen und er hoffe, sie habe nichts dagegen. "Ich umarmte sie", schreibt er, "und (ich glaube) sie umarmte mich ebenfalls." In der Klammer ist sein Nichtwissen und seine Hoffnung enthalten. Wenn sie ihn tatsächlich umarmte, dann hieße das, daß sie nicht nur einstudierte Verhaltensweisen reproduziert: Das wäre ein deutliches Zeichen dafür, daß der Autismus nicht ihre Persönlichkeit zerstört, sondern nur eine Anpassungsleistung herausgefordert hat.
Der phänomenale Erfolg von Sacks' Fallgeschichten läßt sich mit dem Interesse an medizinischen Themen und insbesondere dem Gehirn allein nicht erklären. Etwas ungemein Tröstliches geht von diesen Geschichten aus. Sie erzählen, wie es Menschen gelingt, sich mit ihren Begrenzungen zu arrangieren, ihr Leben neu einzurichten. Gemeint fühlen kann sich jeder: Das Leben, so lautet die Botschaft, ist nicht vorbei, wenn es seine jetzigen Bahnen, das kalkulierbare Normalmaß, verläßt.
Die Autistin, die Sacks umarmt, hat sich mit solcher Energie die Gefühlswelt ihrer Umgebung erschlossen, daß sie schließlich sogar in der Lage ist, eine Autobiographie zu schreiben. Sie arbeitet als Assistenzprofessorin an einem Institut für Viehwirtschaft. Hier kann sie ihr phänomenales Gedächtnis und ihre Einsicht in das Innenleben von Rindern zu vielbeachteten Arbeiten über Ranch- und Weideanlagen nutzen. Für sich selbst hat sie, die gegen menschliche Berührungen allergisch ist, eine Schmusemaschine gebaut, die einen angenehmen Druck auf den Körper ausübt und sie so entspannt.
Ein Maler, der durch einen Unfall farbenblind wird, macht die Nacht zu seinem Tag. Er malt Städte und Landschaften nur noch nachts, wenn sein Blick schärfer ist als jener der Normalsehenden. Nachdem ihn der Verlust der Farbe zunächst in tiefe Depressionen gestürzt hat, empfindet er sein neues Sehen inzwischen als Privileg, das es ihm gestattet, "die Welt der reinen Form, frei von allen Farbstörungen, wahrzunehmen".
Im Unterschied zu seinem russischen Vorbild Alexander Lurija kommt bei Sacks die Frage, wie auch die Gesellschaft, wie eine bestimmte Zeit und Kultur ein Bewußtsein miterzeugt und damit auch eine Krankheit mitprägt, nur am Rande vor - etwa in der Geschichte vom "letzten Hippie", eines jungen Mannes, der Ende der sechziger Jahre von einem Stirnlappensyndrom befallen wird, das ihm alle Erinnerungsfähigkeit raubt und ihn zudem in einem ständigen Trance-Zustand verharren läßt. Die Accessoires der späten Sechziger - Grateful Dead, LSD und Hare Krishna - leben in ihm fort, ja sie sind im Tagtraum seiner Krankheit sogar in einzigartiger Weise repräsentiert.
Metaphysische Fragen spart das Buch weitgehend aus. Es legt sie aber nahe, insofern es ständig um eine Mitte kreist, die es nicht mehr beschreiben kann - nicht weil diese Mitte leer wäre, sondern weil sie im Gegenteil offenbar das Substanz-Reservoir ist, von dem her die erstaunlichen Anpassungsleistungen möglich sind. Früher sprach man von der "Seele", ein Ausdruck, den Sacks nur selten verwendet.
Da die Seele offenbar kein fixierbares Organ ist, in ihr vielmehr die allen gemeinsamen Gehirnstrukturen mit der individuellen menschlichen Erfahrung zusammenwirken, sind die Experimente dieses Buchs keine im strengen Sinn wissenschaftlichen Versuche, sondern literarische. Sacks vermag Patientengeschichten wie Novellen zu erzählen: mit der Krankheit als der unerhörten Begebenheit, die dem Leben eine neue Richtung gibt. Die Geschichten beginnen erst, nachdem die Wissenschaft mit ihrer Weisheit am Ende ist. Sacks streut mit leichter Hand ihre Ergebnisse in die Erzählung, so daß sich auch der medizinisch gleichgültige Leser plötzlich für die verschiedenen Krankheiten und ihre Untersuchungsgeschichte zu interessieren beginnt, so daß er die Fußnoten und den Anhang begierig verschlingt. Die wissenschaftlichen Analysen, die großen Neurologen der letzten Jahrhunderte, sie werden so selbst zu handelnden Personen. Aber sie sind nicht das Thema des Dramas.
Das Thema ist die Rätselfrage, was die Persönlichkeit, das Leben eines Menschen eigentlich ausmacht. Hinter der Frage steckt auch eine Angst, die mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung des Seelenlebens größer geworden ist: die Angst vor der völligen Zerfaserung des Ichs, das ohnehin schon als nicht mehr sehr konsistent erscheint. Deshalb ist keine Krankheit unheimlicher als jene, bei der sich im Inneren des Gehirns etwas auflöst - dort also, woher allein doch die Kraft kommen könnte, Krisen und Krankheiten zu bewältigen. Und nun zeigt der von allen Fragen und Ideen der Zeit frappierend unberührte Sacks, der aber über die jüngste medizinische Forschung genau im Bilde zu sein scheint: Das Ich ist nicht einfach nur das Gehirn. So heilt paradoxerweise ein Neurologe die Wunde, die die Psychoanalyse dem menschlichen Selbstbewußtsein geschlagen hat. Ausgerechnet in den Momenten der größten Auflösung im Gehirn scheint sich die in lauter frühkindliche Traumata, Komplexe und Triebe zersplitterte Persönlichkeit wieder wundersam zusammenzusetzen. MARK SIEMONS
Oliver Sacks: "Eine Anthropologin auf dem Mars". Sieben paradoxe Geschichten. Deutsch von Hainer Kober, Alexandre Métraux und Jutta Schust. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 448 S., geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unerhörte Begebenheiten im Seelenleben: Oliver Sacks und seine neurologische Novellistik
Was geht zwischen Menschen vor, wenn sie miteinander scherzen oder gegeneinander Intrigen spinnen? Was steckt hinter ihren unscheinbaren Gesten und Anspielungen? Die Amerikanerin Temple Grandin hat eine systematisch geordnete Videothek von menschlichen Verhaltensweisen angelegt - in ihrem Kopf. Die Videothek besteht aus all den Beobachtungen, die sie im Lauf des Lebens über ihren Gegenstand gesammelt hat. Sie läßt sie immer wieder vor ihrem geistigen Auge abspulen, vergleicht sie, setzt sie mit ihren Lektüren, vor allem dem "Wall Street Journal", in Beziehung und zieht ihre Schlüsse. "Es ist ein streng logischer Prozeß", sagt sie.
Temple Grandin ist freilich eine Ethnologin besonderer Art. Sie ist Autistin, und die wissenschaftliche Erschließung der eigenen Umgebung ist für sie keine akademische Übung, sondern eine Überlebensfrage. Denn die gesamte Gefühlswelt der Menschen um sie herum ist ihr fremd. Shakespeares "Romeo und Julia" sagt ihr nichts, sie kann dem Hin und Her der verwirrenden Emotionen kaum folgen. Sie muß all das implizite Wissen, das noch in die unverbindlichste Alltagsbeziehung eingeht, nachträglich rekonstruieren. Sie fühlt sich wie eine "Anthropologin auf dem Mars", wie sie Oliver Sacks sagt, der daraus den Titel für sein jüngstes Buch macht. Der Neurologe aus New York ist irritiert. Das Arbeitszimmer der Autistin, das vor Büchern überquillt, erinnert ihn an sein eigenes Haus. Wer beobachtet da wen?
Offenbar entkommt dem Autismus niemand. Was geht im Menschen vor, wenn er "Ich" sagt? Was steckt hinter seinem Bewußtsein von sich selbst, das offenbar nicht einmal durch schwerste neurologische Störungen zu verwüsten ist? Vor solchen Fragen kapituliert der Verstand. Das ihm Nächste bleibt ihm fremd, er hat keinen unmittelbaren Zugang zu jener Welt, die sich in seinem Inneren auftut: Er kann sich selbst nur mühsam und planvoll rekonstruieren. Der Neurologe Sacks sammelt Erfahrungen von Patienten, bei denen wichtige Gehirnfunktionen ausgefallen sind und die nun von einer neuen Ausgangslage her mit ihrem Leben fortfahren. Seine Frage lautet: Was bleibt übrig, wenn alles wissenschaftlich Objektivierbare nicht mehr da ist?
Jede seiner Geschichten endet mit einer unbestimmten Geste. Der Autistin, die seit ihrer Kindheit einen Widerwillen gegen alle menschlichen Berührungen entwickelt hat, sagt er zum Abschied, er werde sie jetzt umarmen und er hoffe, sie habe nichts dagegen. "Ich umarmte sie", schreibt er, "und (ich glaube) sie umarmte mich ebenfalls." In der Klammer ist sein Nichtwissen und seine Hoffnung enthalten. Wenn sie ihn tatsächlich umarmte, dann hieße das, daß sie nicht nur einstudierte Verhaltensweisen reproduziert: Das wäre ein deutliches Zeichen dafür, daß der Autismus nicht ihre Persönlichkeit zerstört, sondern nur eine Anpassungsleistung herausgefordert hat.
Der phänomenale Erfolg von Sacks' Fallgeschichten läßt sich mit dem Interesse an medizinischen Themen und insbesondere dem Gehirn allein nicht erklären. Etwas ungemein Tröstliches geht von diesen Geschichten aus. Sie erzählen, wie es Menschen gelingt, sich mit ihren Begrenzungen zu arrangieren, ihr Leben neu einzurichten. Gemeint fühlen kann sich jeder: Das Leben, so lautet die Botschaft, ist nicht vorbei, wenn es seine jetzigen Bahnen, das kalkulierbare Normalmaß, verläßt.
Die Autistin, die Sacks umarmt, hat sich mit solcher Energie die Gefühlswelt ihrer Umgebung erschlossen, daß sie schließlich sogar in der Lage ist, eine Autobiographie zu schreiben. Sie arbeitet als Assistenzprofessorin an einem Institut für Viehwirtschaft. Hier kann sie ihr phänomenales Gedächtnis und ihre Einsicht in das Innenleben von Rindern zu vielbeachteten Arbeiten über Ranch- und Weideanlagen nutzen. Für sich selbst hat sie, die gegen menschliche Berührungen allergisch ist, eine Schmusemaschine gebaut, die einen angenehmen Druck auf den Körper ausübt und sie so entspannt.
Ein Maler, der durch einen Unfall farbenblind wird, macht die Nacht zu seinem Tag. Er malt Städte und Landschaften nur noch nachts, wenn sein Blick schärfer ist als jener der Normalsehenden. Nachdem ihn der Verlust der Farbe zunächst in tiefe Depressionen gestürzt hat, empfindet er sein neues Sehen inzwischen als Privileg, das es ihm gestattet, "die Welt der reinen Form, frei von allen Farbstörungen, wahrzunehmen".
Im Unterschied zu seinem russischen Vorbild Alexander Lurija kommt bei Sacks die Frage, wie auch die Gesellschaft, wie eine bestimmte Zeit und Kultur ein Bewußtsein miterzeugt und damit auch eine Krankheit mitprägt, nur am Rande vor - etwa in der Geschichte vom "letzten Hippie", eines jungen Mannes, der Ende der sechziger Jahre von einem Stirnlappensyndrom befallen wird, das ihm alle Erinnerungsfähigkeit raubt und ihn zudem in einem ständigen Trance-Zustand verharren läßt. Die Accessoires der späten Sechziger - Grateful Dead, LSD und Hare Krishna - leben in ihm fort, ja sie sind im Tagtraum seiner Krankheit sogar in einzigartiger Weise repräsentiert.
Metaphysische Fragen spart das Buch weitgehend aus. Es legt sie aber nahe, insofern es ständig um eine Mitte kreist, die es nicht mehr beschreiben kann - nicht weil diese Mitte leer wäre, sondern weil sie im Gegenteil offenbar das Substanz-Reservoir ist, von dem her die erstaunlichen Anpassungsleistungen möglich sind. Früher sprach man von der "Seele", ein Ausdruck, den Sacks nur selten verwendet.
Da die Seele offenbar kein fixierbares Organ ist, in ihr vielmehr die allen gemeinsamen Gehirnstrukturen mit der individuellen menschlichen Erfahrung zusammenwirken, sind die Experimente dieses Buchs keine im strengen Sinn wissenschaftlichen Versuche, sondern literarische. Sacks vermag Patientengeschichten wie Novellen zu erzählen: mit der Krankheit als der unerhörten Begebenheit, die dem Leben eine neue Richtung gibt. Die Geschichten beginnen erst, nachdem die Wissenschaft mit ihrer Weisheit am Ende ist. Sacks streut mit leichter Hand ihre Ergebnisse in die Erzählung, so daß sich auch der medizinisch gleichgültige Leser plötzlich für die verschiedenen Krankheiten und ihre Untersuchungsgeschichte zu interessieren beginnt, so daß er die Fußnoten und den Anhang begierig verschlingt. Die wissenschaftlichen Analysen, die großen Neurologen der letzten Jahrhunderte, sie werden so selbst zu handelnden Personen. Aber sie sind nicht das Thema des Dramas.
Das Thema ist die Rätselfrage, was die Persönlichkeit, das Leben eines Menschen eigentlich ausmacht. Hinter der Frage steckt auch eine Angst, die mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung des Seelenlebens größer geworden ist: die Angst vor der völligen Zerfaserung des Ichs, das ohnehin schon als nicht mehr sehr konsistent erscheint. Deshalb ist keine Krankheit unheimlicher als jene, bei der sich im Inneren des Gehirns etwas auflöst - dort also, woher allein doch die Kraft kommen könnte, Krisen und Krankheiten zu bewältigen. Und nun zeigt der von allen Fragen und Ideen der Zeit frappierend unberührte Sacks, der aber über die jüngste medizinische Forschung genau im Bilde zu sein scheint: Das Ich ist nicht einfach nur das Gehirn. So heilt paradoxerweise ein Neurologe die Wunde, die die Psychoanalyse dem menschlichen Selbstbewußtsein geschlagen hat. Ausgerechnet in den Momenten der größten Auflösung im Gehirn scheint sich die in lauter frühkindliche Traumata, Komplexe und Triebe zersplitterte Persönlichkeit wieder wundersam zusammenzusetzen. MARK SIEMONS
Oliver Sacks: "Eine Anthropologin auf dem Mars". Sieben paradoxe Geschichten. Deutsch von Hainer Kober, Alexandre Métraux und Jutta Schust. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 448 S., geb., 42,- DM.
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In sieben spannenden Fallgeschichten führt der Mann mit dem Röntgenblick für die Abgründe der Seele seine Leser in das paradoxe, surreale Universum von Individuen, die durch einen Defekt unter der Schädeldecke einen integralen Aspekt des In-der-Welt-Seins verloren haben, das Farbgefühl oder den Bezug zur Gegenwart zum Beispiel. Bild der Wissenschaft