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"Erotische Energie, soziale Präzision, Humor und prägnanter Stil paaren sich zu einer Mischung, in der auch die härtesten Erzählungen eine Magie entfalten, der man nicht entkommt. Sie schafft es immer, den Leser zum Komplizen zu machen." Meike Fessmann, Der Tagesspiegel, 10.05.15
"Was sie schreibt, glaube ich sofort. Ihren Figuren nehme ich jedes Gefühl, jede Absurdität ab." Judith Kuckart, Neue Zürcher Zeitung, 26.04.15
"Kennedy schreibt mit bösem schottischem Humor und, wunderschön eloquent, über das Schweigen der Liebenden." Stern, 16.04.15
"A. L. Kennedy ist eine Meisterin darin, romantische Sehnsüchte am schnöden Alltag abprallen zu lassen. ... Die Kollision emotionaler Zustände kann kaum jemand so entlarvend, sarkastisch undmitunter komisch inszenieren wie Kennedy, die inzwischen zu einer literarischen Marke geworden ist. ... Bei aller Grausamkeit, bei aller Wut, aller Bitterkeit - Kennedys unbedingt lesenswerte, klärende Erzählungen helfen auch dem Leser. Auf jeden Fall." Ulrich Rüdenauer, Süddeutsche Zeitung, 24.03.15
"Ihr großes Thema ist die Liebe. Besonders in ihren Erzählungen schreibt sie darüber so zauberhaft und treffend, dass es fast schon weh tut." Laura Freisberg, Deutschlandradio Kultur, 09.03.15
"Ihren Figuren nehme ich jedes Gefühl ab, jede Absurdität, denn sie stellen nichts dar, sondern sie sind. ... A. L. Kennedy zieht mit rüder Zärtlichkeit hinein - in die Mitte der Situation, in die Mitte einer Person. ... Am Ende habe ich fast vergessen, dass ich lese." Judith Kuckart, SWR2 Forum Buch, 08.03.15
"Es gibt kein neues Buch von A.L. Kennedy, das nicht unbedingt lesenswert wäre." Sigrid Löffler, Deutschlandradio, 16.03.15
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
A. L. Kennedy verdichtet auf engstem Raum Düsternis, Schwäche und Zärtlichkeit: In ihrem Erzählungsband "Der letzte Schrei" ergründet sie die Liebe jenseits des romantischen Versprechens.
Es stimmt nicht, dass in den Werbesprüchen auf Buchdeckeln - "Blurbs" im Branchenjargon - nur Blödsinn steht. Manchmal wird man mit Aperçus von lessingscher Tiefe beschenkt. Als vor Jahrzehnten ein englischer Kritiker bemerkte, Patricia Highsmith schreibe über ihre Figuren so, wie eine Spinne über Fliegen schreiben würde, hatte sich eine Lesart durchgesetzt, die man sicherlich auch auf andere Art, jedoch kaum eleganter ausdrücken kann. (Die Frage wäre, ob sie wirklich stimmt.) Die neue Geschichtensammlung der schottischen Schriftstellerin A. L. Kennedy hat unter britischen Rezensenten ebenfalls einen unvergesslichen Satz hervorgebracht. (Und abermals weiß ich nicht, ob er stimmt.) Er lautet: "Dieses Buch feiert die Liebe wie ein hungriger Hund den Kadaver eines Kaninchens."
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Beide Bilder benutzen die Täterperspektive (Spinne, Hund), um auf das Opfer (Fliege, Kaninchen) zu blicken. In beiden geht es ums Fressen, also Vernichten, und um das Mechanische tierischer Nahrungsaufnahme. Und das soll der Blick sein, den A. L. Kennedy auf die Liebe wirft? In gewissem Sinn: ja. Insofern nämlich, als die Autorin vor allem an den Verdrehungen, Verwirrungen und Paradoxien der Liebe interessiert ist, an brutalen seelischen Wahrheitsmomenten jenseits des romantischen Versprechens. An dem Chaos, das die Liebe stiftet, der Einsamkeit, die sie in der Zweisamkeit schafft, an der Leere, die sie hinterlässt, und den völlig schiefen, schmerzenden Bildern, die sie in unserer Phantasie produziert. Kennedy zeigt uns das Innere ihrer Figuren bei der Verfertigung liebes- oder sexinduzierter Empfindungen, und wie es sich für diese Autorin gehört, wirken ihre Bewohner der Britischen Inseln zunächst wie eine Galerie Gestörter - und erst beim zweiten Hinsehen ziemlich normal. Gut. Das also sind wir. Manchmal komplexe, manchmal jämmerliche Wesen - und meistens eine komplexe Mischung aus beidem.
Jetzt kommt der Serviceteil. Von den dreizehn Erzählungen dieses Bandes fand ich drei oder vier flach, fremd, unnötig verrätselt. Die anderen spannend bis verstörend, aber ganz ohne Rätsel geht es auch dort nicht ab. Das liegt an Kennedys Erzählweise. Sie springt gern mit einer verwackelten Nahaufnahme in den Text und erzählt gleichsam aus dem Maschinenraum, ohne sich um Zeit, Ort und Umstände zu scheren. Kursiv gesetzter innerer Monolog - nennen wir es Gedankenrede - unterbricht und kommentiert die Erzählstimme. Oft erschließt sich die Situation nur langsam, weil die Vergangenheit erst aus dem Nebel des gegenwärtigen Plapperns hervortreten muss, und im Allgemeinen gewinnen die Storys beim zweiten Lesen. Hin und wieder ist das mühsam, aber öfter von großer Originalität. Dieses Erzählen schafft es, in wenige Sätze Düsternis, Schwäche und Zärtlichkeit zugleich zu packen, und nimmt man gleich nach der Kennedy-Lektüre wieder den handelsüblichen Realismus zur Hand, wie ihn die abendländischen Gesellschaften seit zweihundert Jahren pflegen, ist man geneigt, ihn etwas simpel zu finden.
"Die Auswirkung der guten Regierung auf die Stadt" handelt von einem entfremdeten Paar in Blackpool und der Langzeitwirkung von Kriegserfahrung. Starke Geschichte. "Dieser Mann" erzählt von der Begegnung einer Frau und eines Mannes in einem Café im Freien. "Mit Überzeugung sagte er: ,Der erste schöne Tag des Jahres. Wie wundervoll.' Und hinter wundervoll ließ er eine Pause, in der er dich nicht anschaute." Trotzdem kommt es am Ende zu einem Kuss. Der Kuss ist wider Erwarten ein schöner Kuss. Diese Evidenz des Küssens - ohne Vor- und Nachgeschichte - gehört zu den wärmsten Augenblicken des Buches. Viele sind es nicht. Aber es gibt sie, und wenn diese Autorin sie schafft, bedeuten sie etwas.
Die lange Titelerzählung "Der letzte Schrei" beginnt auf einem walisischen Provinzbahnhof, auf dem ein Paar auf den verspäteten Zug wartet. Pauline ist dominant, gereizt, kontrolliert, Mark ein kuschender Ehemann, der aus dem Augenwinkel eine fremde Reisende beobachtet und lustvolle Phantasien entwickelt. Von dort aus (er schlendert immer noch über den Bahnsteig) entrollt er die Geschichte seiner Affäre, die das Paar dahin gebracht hat, wo es jetzt steht. Liebe und Lust, wie Kennedy sie schildert, sind vor allem unendlich sonderbar. Aber auch banal wie in der Erzählung "Weil Mittwoch ist", die da anhebt mit dem Satz: "Weil Mittwoch ist, vögelt er Carmen." Darauf kursiv: "Grotesk unpassender Name für eine Putzfrau, Carmen. Passt nicht mal zu ihr als Mensch - wirklich vollkommen unangemessen. Wie natürlich auch das Vögeln. Ich bin ihr Arbeitgeber - berufliche Beziehung, Vertrauensverhältnis und so weiter -, ich sollte mich besser im Zaum haben. Wobei Sex natürlich auch ein Beweis gegenseitigen Vertrauens sein kann. Ich könnte argumentieren, dass ich gewissermaßen eine Ebene zwischenmenschlicher Entspannung etabliere."
Das ist eine Probe der Kennedy-Komik, von Ingo Herzke wunderbar tonsicher übersetzt, irgendwo zwischen hysterischem Kichern und Glucksen in der Basslage. A. L. Kennedy kann beides. Fehlt noch die Stelle in der Erzählung "Baby Blue". Die Stelle mit den Kondomen mit Schokoladengeschmack, die eine etwas verwirrte Frau in einem Erotikladen entdeckt. Mandy, die Verkäuferin, berät sie fachkundig ("Für Sie selbst?"), und was dann kommt, das irritierte Grübeln, die tiefe Traurigkeit, die Sehnsucht - nicht nach anderen Geschmacksrichtungen, sondern nach authentischem Gefühl -, ist hinreißend. Genug. Werden einem diese Geschichten gefallen? Das, o Leserin, o Leser, ist eine sehr persönliche Frage.
PAUL INGENDAAY
A. L. Kennedy: "Der letzte Schrei". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Hanser Verlag, München 2015. 205 S., geb., 19,90 [Euro].
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