Pedro Almodóvar betritt die literarische Bühne: »Der letzte Traum« Befreiung und Liebe sind die Lebensthemen von Pedro Almodóvar, einem der wichtigsten Filmemacher der Gegenwart, der auch ein leidenschaftlicher Schriftsteller ist. Mit zwölf Erzählungen betritt Pedro Almodóvar nun die literarische Bühne: Sie handeln von Paradiesvögeln und inbrünstigen Sängerinnen, von Schicksalsschlägen und radikalen Zäsuren, sie verhandeln die Abgründe und die Schönheit des Lebens. Wie kein anderer mischt dieser große Geschichtenerzähler tiefe Melancholie und grellen Humor - nicht zuletzt im Blick auf sich selbst. Schonungslos und poetisch entsteht eine Autobiographie im Spiegel der Literatur, eine Feier des Lebens und der Kunst.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2024Warum die Wirklichkeit der Fiktion bedarf
Ein Schriftsteller von Jugend an: Pedro Almodóvar versammelt in "Der letzte Traum" zwölf eigene Erzählungen aus fünf Jahrzehnten
Pedro Almodóvar hat noch keine Autobiographie geschrieben. Am mangelnden Lebensstoff kann es nicht gelegen haben: Was hätte es da nicht alles zu erzählen gegeben, von der Kindheit in der Provinz von Ciudad Real in La Mancha, zur Erfahrung der Klosterschule in Cáceres, seinem Umzug nach Madrid im Jahr 1967 und dem dortigen Kontakt mit der experimentellen Film- und Theaterszene, der Movida der Siebzigerjahre, bis zum spektakulären Erfolg von "Alles über meine Mutter" (1999) oder etwa seiner spannungsvollen Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Antonio Banderas? Auch an der mangelnden Befähigung zum Schreiben lag es ganz sicher nicht. Es ist also sympathisch und souverän, dass Almodóvar statt Memoiren nun eine Sammlung von zwölf Erzählungen vorgelegt hat, die, wie der Autor im Vorwort schreibt, "einer fragmentierten, unvollständigen und etwas kryptischen Autobiographie denkbar nahe" kommen.
Der mittlerweile vierundsiebzigjährige, international gefeierte Filmregisseur hat sich nicht erst auf seine alten Tage als Literat versucht, sondern die "Der letzte Traum" versammelten Texte sind in dem langen Zeitrahmen von 1967 bis 2022 entstanden. Für ihre jetzige Veröffentlichung macht Almodóvar vor allem das Betreiben seiner langjährigen Assistentin Lola García verantwortlich, die seine Texte über die Jahre hinweg archiviert hatte und der er nun das resultierende Buch gewidmet hat. Es handelt sich also um ein intensives privates Schreibbedürfnis ("Von klein auf sah ich mich als Schriftsteller"), das gleichzeitig erstaunlich formbewusst ist und uns einen Almodóvar vor Augen führt, für den Kino, Leben und Literatur untrennbar verbunden sind. Dessen "literarische Berufung" hier selbst immer wieder zum Thema wird.
Der erste Text des Bandes, "Der Besuch", offenbar 1967, also noch vor dem Beginn der Filmkarriere entstanden, erzählt vom Besuch einer extravagant gekleideten Dame in einer Schule des Salesianerordens, mit dessen Direktor sie eine alte Rechnung zu begleichen hat. Die Erzählung ist atmosphärisch dicht, zeichnet sich durch einen präzise entwickelten Dialog aus, von der Dramaturgie her ist es eine geradezu klassisch komponierte Kurzgeschichte. Für Kenner von Almodóvar ist ersichtlich, dass sie auf seinen späteren Film "Schlechte Erziehung" (2004) vorausdeutet, in dem just eine Erzählung namens "Der Besuch" eine zentrale Rolle spielt.
In der folgenden Geschichte berichtet ein Theaterregisseur in eher persönlich-anekdotischem Stil von seiner Liebesbeziehung zu einem Schauspieler namens León, dessen "unbändiger postmoderner Geist" und "grenzüberschreitender Charakter" ihn dazu ermutigen, sich mit ihm gemeinsam die Werke von Tennessee Williams ("Endstation Sehnsucht"), Jean Cocteau ("Die menschliche Stimme") und John Cassavetes ("Opening Night") neu, und das heißt natürlich aus queerer Perspektive, anzueignen. Dass die ansonsten hervorragende Übersetzung von Angelica Ammar diese Erzählung mit dem Titel "Zu viele Geschlechtsumwandlungen" (im Original: "Demasiados cambios de género") versieht, ist unglücklich, da die darin geschilderte Ersetzung der Rolle der Blanche du Bois aus Williams' Stück durch einen männlichen Part ("Blanco del Bosque") einen Geschlechtswechsel, aber eben keine Geschlechtsumwandlung darstellt. Außerdem bezeichnet das spanische Wort für Geschlecht, "género", auch "Genre" - und diese osmotische Beziehung zwischen Film und Theater ist hier mitgemeint.
Weitere Erzählungen versuchen sich an von Camp infizierten Pastiches literarischer Genres: In "Die Spiegelzeremonie" ist das der Vampir- und Schauerroman, mit einer expliziten Reverenz an Matthew Lewis' "Der Mönch" (1796), in "Johanna, das Wahnröschen" ist es die Form des historischen Märchens, in "Die Erlösung" eine blasphemische Umdeutung der Figur des Barrabas aus den Evangelien - hier erzählt aus der Perspektive des Kerkermeisters.
Das titelgebende kurze Stück "Der letzte Traum" ist eine bewegende Hommage an Almodóvars Mutter, geschrieben anlässlich ihres Todes. Die Mutter hatte einst auf dem Land den analphabetischen Nachbarn aus Briefen vorgelesen und diese dabei freimütig "ergänzt" - eine Lektion für Almodóvar, der auf diese Weise lernte, "dass die Wirklichkeit der Fiktion bedarf, um vollständiger, angenehmer, lebenswerter zu sein". Eine weitere Hommage ("Adieu, Vulkan") gilt der 2012 verstorbenen mexikanischen Sängerin Chavela Vargas, mit der Almodóvar befreundet war und deren Lieder sich auf den Soundtracks mehrerer seiner Filme finden.
Die Erzählung "Leben und Tod des Miguel" (laut Almodóvar der einzige Text, den er nachträglich einer "leichten Überarbeitung" unterzogen hat) schildert das Leben eines Schriftstellers in umgekehrter Chronologie, vom Tod bis zur Geburt. Das wirkt manchmal etwas forciert, aber hier zeigt sich eine erstaunliche literarische Experimentierfreudigkeit, und in der paradoxen Verschränkung von Zeit, Leben und Tod gelingen pointierte Sätze, etwa wenn am Schluss der "Tod" von Miguel dem Moment seines Heranwachsens im Mutterleib entspricht: "Während der nächsten neun Monate wird Miguel nach und nach in ihr erlöschen. Danach wird niemand mehr an ihn denken." Der letzte und jüngste Text des Bandes ("Ein schlechter Roman") ist eine essayistische Reflexion über das Schreiben, über das Verhältnis von Drehbuch und Roman, die Wahlverwandtschaft des Autors mit den Verfassern "literarischer" Drehbücher (Rohmer, Bergman). Bei Emmanuel Carrère findet er ein Zitat von Ludwig Börne, über die "Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden": "Schreibt [...] alles nieder, was Euch durch den Kopf geht." Auf die Kunst, zu schreiben, "was ihn das Herz gelehrt" (Börne), mal durchkomponiert, mal improvisiert, hat Almodóvar ein ganzes Künstlerleben verwandt. JOBST WELGE
Pedro Almodóvar: "Der letzte Traum". Zwölf Erzählungen.
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2024.
400 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Schriftsteller von Jugend an: Pedro Almodóvar versammelt in "Der letzte Traum" zwölf eigene Erzählungen aus fünf Jahrzehnten
Pedro Almodóvar hat noch keine Autobiographie geschrieben. Am mangelnden Lebensstoff kann es nicht gelegen haben: Was hätte es da nicht alles zu erzählen gegeben, von der Kindheit in der Provinz von Ciudad Real in La Mancha, zur Erfahrung der Klosterschule in Cáceres, seinem Umzug nach Madrid im Jahr 1967 und dem dortigen Kontakt mit der experimentellen Film- und Theaterszene, der Movida der Siebzigerjahre, bis zum spektakulären Erfolg von "Alles über meine Mutter" (1999) oder etwa seiner spannungsvollen Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Antonio Banderas? Auch an der mangelnden Befähigung zum Schreiben lag es ganz sicher nicht. Es ist also sympathisch und souverän, dass Almodóvar statt Memoiren nun eine Sammlung von zwölf Erzählungen vorgelegt hat, die, wie der Autor im Vorwort schreibt, "einer fragmentierten, unvollständigen und etwas kryptischen Autobiographie denkbar nahe" kommen.
Der mittlerweile vierundsiebzigjährige, international gefeierte Filmregisseur hat sich nicht erst auf seine alten Tage als Literat versucht, sondern die "Der letzte Traum" versammelten Texte sind in dem langen Zeitrahmen von 1967 bis 2022 entstanden. Für ihre jetzige Veröffentlichung macht Almodóvar vor allem das Betreiben seiner langjährigen Assistentin Lola García verantwortlich, die seine Texte über die Jahre hinweg archiviert hatte und der er nun das resultierende Buch gewidmet hat. Es handelt sich also um ein intensives privates Schreibbedürfnis ("Von klein auf sah ich mich als Schriftsteller"), das gleichzeitig erstaunlich formbewusst ist und uns einen Almodóvar vor Augen führt, für den Kino, Leben und Literatur untrennbar verbunden sind. Dessen "literarische Berufung" hier selbst immer wieder zum Thema wird.
Der erste Text des Bandes, "Der Besuch", offenbar 1967, also noch vor dem Beginn der Filmkarriere entstanden, erzählt vom Besuch einer extravagant gekleideten Dame in einer Schule des Salesianerordens, mit dessen Direktor sie eine alte Rechnung zu begleichen hat. Die Erzählung ist atmosphärisch dicht, zeichnet sich durch einen präzise entwickelten Dialog aus, von der Dramaturgie her ist es eine geradezu klassisch komponierte Kurzgeschichte. Für Kenner von Almodóvar ist ersichtlich, dass sie auf seinen späteren Film "Schlechte Erziehung" (2004) vorausdeutet, in dem just eine Erzählung namens "Der Besuch" eine zentrale Rolle spielt.
In der folgenden Geschichte berichtet ein Theaterregisseur in eher persönlich-anekdotischem Stil von seiner Liebesbeziehung zu einem Schauspieler namens León, dessen "unbändiger postmoderner Geist" und "grenzüberschreitender Charakter" ihn dazu ermutigen, sich mit ihm gemeinsam die Werke von Tennessee Williams ("Endstation Sehnsucht"), Jean Cocteau ("Die menschliche Stimme") und John Cassavetes ("Opening Night") neu, und das heißt natürlich aus queerer Perspektive, anzueignen. Dass die ansonsten hervorragende Übersetzung von Angelica Ammar diese Erzählung mit dem Titel "Zu viele Geschlechtsumwandlungen" (im Original: "Demasiados cambios de género") versieht, ist unglücklich, da die darin geschilderte Ersetzung der Rolle der Blanche du Bois aus Williams' Stück durch einen männlichen Part ("Blanco del Bosque") einen Geschlechtswechsel, aber eben keine Geschlechtsumwandlung darstellt. Außerdem bezeichnet das spanische Wort für Geschlecht, "género", auch "Genre" - und diese osmotische Beziehung zwischen Film und Theater ist hier mitgemeint.
Weitere Erzählungen versuchen sich an von Camp infizierten Pastiches literarischer Genres: In "Die Spiegelzeremonie" ist das der Vampir- und Schauerroman, mit einer expliziten Reverenz an Matthew Lewis' "Der Mönch" (1796), in "Johanna, das Wahnröschen" ist es die Form des historischen Märchens, in "Die Erlösung" eine blasphemische Umdeutung der Figur des Barrabas aus den Evangelien - hier erzählt aus der Perspektive des Kerkermeisters.
Das titelgebende kurze Stück "Der letzte Traum" ist eine bewegende Hommage an Almodóvars Mutter, geschrieben anlässlich ihres Todes. Die Mutter hatte einst auf dem Land den analphabetischen Nachbarn aus Briefen vorgelesen und diese dabei freimütig "ergänzt" - eine Lektion für Almodóvar, der auf diese Weise lernte, "dass die Wirklichkeit der Fiktion bedarf, um vollständiger, angenehmer, lebenswerter zu sein". Eine weitere Hommage ("Adieu, Vulkan") gilt der 2012 verstorbenen mexikanischen Sängerin Chavela Vargas, mit der Almodóvar befreundet war und deren Lieder sich auf den Soundtracks mehrerer seiner Filme finden.
Die Erzählung "Leben und Tod des Miguel" (laut Almodóvar der einzige Text, den er nachträglich einer "leichten Überarbeitung" unterzogen hat) schildert das Leben eines Schriftstellers in umgekehrter Chronologie, vom Tod bis zur Geburt. Das wirkt manchmal etwas forciert, aber hier zeigt sich eine erstaunliche literarische Experimentierfreudigkeit, und in der paradoxen Verschränkung von Zeit, Leben und Tod gelingen pointierte Sätze, etwa wenn am Schluss der "Tod" von Miguel dem Moment seines Heranwachsens im Mutterleib entspricht: "Während der nächsten neun Monate wird Miguel nach und nach in ihr erlöschen. Danach wird niemand mehr an ihn denken." Der letzte und jüngste Text des Bandes ("Ein schlechter Roman") ist eine essayistische Reflexion über das Schreiben, über das Verhältnis von Drehbuch und Roman, die Wahlverwandtschaft des Autors mit den Verfassern "literarischer" Drehbücher (Rohmer, Bergman). Bei Emmanuel Carrère findet er ein Zitat von Ludwig Börne, über die "Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden": "Schreibt [...] alles nieder, was Euch durch den Kopf geht." Auf die Kunst, zu schreiben, "was ihn das Herz gelehrt" (Börne), mal durchkomponiert, mal improvisiert, hat Almodóvar ein ganzes Künstlerleben verwandt. JOBST WELGE
Pedro Almodóvar: "Der letzte Traum". Zwölf Erzählungen.
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar. Verlag S. Fischer,
Frankfurt am Main 2024.
400 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Man lernt viel über den Menschen Pedro Almodóvar in diesem Buch, findet Rezensent Dirk Fuhrig. Der Regisseur, der ursprünglich Schriftsteller werden wollte, legt nun einen Erzählband vor, der teils deutlich auf sein filmisches Werk verweist, in erster Linie aber, wie Fuhrig darlegt, auf Almodóvars biographische Prägungen Bezug nimmt. Eine Hommage an seine Mutter bringt der Autor ebenso in dem Buch unter wie eine Thematisierung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, führt der Rezensent aus. Zentral geht es außerdem immer wieder um den Wunsch danach, zu schreiben, schließt Fuhrig, der sich in der Zukunft auch über einen Almodóvar-Roman freuen würde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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[...] eine eindrucksvolle Lektion über den Mut gegen Konventionen zu verstoßen. Christel Wester WDR3 Gutenbergs Welt 20240824