Ein wohlhabender Junggeselle, der sich von der Liebe nichts mehr verspricht. Eine schöne junge Frau mit schillernder Vergangenheit. Ein Bild und sein Preis. Eine Auktion, die die Kunstszene in Aufruhr versetzt und einige Zukurzgekommene, die teilhaben wollen am großen Geld.
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»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.02.2008Ein unzeitgemäßer Zeitgenosse
Samtige Ironie und angstfreier Umgang mit den Dingen des Lebens: Wer Spaß an den Feinheiten von Erfindung und Wirklichkeit hat, kommt hier ganz auf seine Kosten. "Der letzte Weynfeldt" von Martin Suter, der heute sechzig Jahre alt wird, feiert den reifen Charme der Bourgeoisie.
Wenn Martin Suter schreibt, dann läuft in den Köpfen seiner Leser von der ersten bis zur letzten Seite des Buchs ein Film ab, der keinesfalls längere Unterbrechungen der Lektüre duldet. Ehe Suter sich in den neunziger Jahren ganz aufs literarische Fach verlegte, war er ein Werbeprofi erster Güte, so viel zum Handwerkszeug. Den Löwenanteil seiner Geschichten aber machen Beobachtungsgabe und eine samtige Mokanz aus, menschenfreundliche Ironie und der angstfreie Umgang mit den Dingen des Lebens, die manchmal tatsächlich dem Klischee näher kommen als der Einzigartigkeit.
Adrian Weynfeldt ist ein Mann, der "bereits die Regelmäßigkeit an sich als lebensverlängernde Maßnahme betrachtete". Er ist ein unzeitgemäßer Zeitgenosse, der sein Haar ein wenig wie John F. Kennedy seitenscheitelt; der Rest des Mannes ist alteuropäisch, von den Maßschuhen bis zu den durchwegs maßgeschneiderten Kleidungsstücken. Er wird aus dem Konzept seiner Regelmäßigkeit gebracht von einer Frau mit dem eher wenig edlen Namen Lorena, die zunächst die Barschwalben-Variante seiner schon vor Jahrzehnten tragisch verlorenen englischen Geliebten Daphne ist. Mit der fremden, nicht mehr ganz jungen, nicht mehr ganz frischen Frau bricht das wilde Leben in die geordnete Welt des Mittfünfzigers ein. Er und seine Abläufe geraten nachhaltig in Verwirrung - so hat es jedenfalls den Anschein. Wie überhaupt eine ganze Menge im Roman mit dem Anschein spielt.
Weynfeldt mutet an wie eine Figur aus einem Buch von W. Somerset Maugham oder F. Scott Fitzgerald, indessen: Ein letzter Weynfeldt ist eben nicht ein großer Gatsby. Seine Adern durchströmt das alte echte Geld und das noch gar nicht zu dünn gewordene Blut einer schweizerischen Industriellenfamilie. So dezent ist die ganze Geschichte, dass man noch nicht einmal erfährt, womit Weynfeldts Vater sein Vermögen gemacht hat, das dem Sohn sein Leben in beneidenswert agreablen Verhältnissen gestattet. Der (beinah) verlorene Charme der Bourgeoisie wird in Adrian noch einmal Gestalt, den man auch sonst besser nicht unterschätzen sollte. Und durch Martin Suters virtuosen Umgang mit dem Möglichkeitssinn wird "Der letzte Weynfeldt" aus der Schusslinie der Kolportage gebracht.
Wer Spaß an den Feinheiten der Durchmischung von Fiktion und Wirklichkeit hat, kommt ganz auf seine Kosten: Adrian Weynfeldt - der das freilich nicht müsste, aber er braucht ja seine Rituale - arbeitet als Experte für Schweizer Kunst beim Auktionshaus Murphy's (welch hübscher Name!) in Zürich. Suters Schilderungen aus dieser sehr speziellen Sphäre sind ziemlich wohlinformiert und prägnant. Am Ende dankt der Autor Hans-Peter Keller, dem Experten für Schweizer Kunst des Auktionshauses Christie's in Zürich, für allfällige Einblicke. Und Hans-Peter Keller ist genauso real wie "Femme nue devant une salamandre", eben jenes Gemälde von Félix Vallotton, um das herum sich die gesamte Handlung arrangiert, nicht immer offensichtlich. Tatsächlich ist das Bild aus dem Jahr 1900 im Vallotton-Werkverzeichnis aufgeführt als "La salamandre"; es war seit 1926 in der Sammlung des Solothurner Fabrikanten Josef Müller und befindet sich derzeit in ungenanntem schweizerischem Privatbesitz - ganz wie im Roman, wo es während einer Auktion zum Rekordpreis von 4,1 Millionen Franken zugeschlagen wird. Auch diese Summe hat die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite; denn der aktuelle Höchstpreis für ein Gemälde Vallottons liegt bei 2,5 Millionen Franken - und keine Frage: "La salamandre", käme es auf den Markt, hätte von nun an die Chance auf einen höheren Zuschlag.
Suter beherrscht eine umwerfende Ökonomie des Erzählens, das dabei phänomenal polyperspektivisch ist, so dass selbst sein Protagonist unterderhand geheimnisvoll wird. Seine Figuren changieren zwischen Typen und Charakteren; sie werden für ihre Auftritte nachgerade vollplastisch: nur zum Beispiel dieser Claudio Hausmann aus dem halbseidenen, jüngeren Freundeskreis um Weynfeldt, seines Zeichens Drehbuchautor und, perspektivisch, Regisseur von "Arbeitstitel Hemingways Koffer". Mit Hausmann gelingt Suter eine boshafte Persiflage auf die Unausgegorenheit des Schreibens, das sich keiner Disziplin unterwirft, auf die Unfähigkeit zur Strategie des Unterhaltens. Auch kleine Nebenrollen haben markante Auftritte, wie der Taxifahrer im parkenden Wagen mit laufendem Motor, weil er "die Klimakatastrophe" des Frühjahrs 2007 ohnehin für generell nicht mehr abwendbar erachtet. Und Suters Blicke streifen schier jedes Detail: Später wird man seinen Roman wie ein Zeitbild lesen können, das selbst die Wiederkehr der Plateausohle im Jahr 2007 vermerkt.
Martin Suter gehört inzwischen in die erste Garde der europäischen Unterhaltungsliteratur, die das Genre des Kriminalromans absolut salonfähig macht, vergleichbar in dieser Hinsicht, von der erfindungsreichen Brillanz und Eleganz her, der französischen Historikerin, Archäologin und Kriminalautorin Fred Vargas. Stilistisch freilich ist Martin Suter eher ein Nachkomme von Georges Simenon und Erbe von dessen sorgfältig gewebten Mustern. Wo sich Plausibilität und überraschende Auflösung vermischen, ohne dass es knirscht im Getriebe, da hat Suter die Hand im Spiel. Darin ist sein jüngstes Buch womöglich noch überzeugender als die Psychopathologien früherer Erfolgsromane. Heute feiert er, der in Zürich, die meiste Zeit aber auf Ibiza und in Guatemala lebt, seinen sechzigsten Geburtstag.
ROSE-MARIA GROPP
Martin Suter: "Der letzte Weynfeldt". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 313 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Samtige Ironie und angstfreier Umgang mit den Dingen des Lebens: Wer Spaß an den Feinheiten von Erfindung und Wirklichkeit hat, kommt hier ganz auf seine Kosten. "Der letzte Weynfeldt" von Martin Suter, der heute sechzig Jahre alt wird, feiert den reifen Charme der Bourgeoisie.
Wenn Martin Suter schreibt, dann läuft in den Köpfen seiner Leser von der ersten bis zur letzten Seite des Buchs ein Film ab, der keinesfalls längere Unterbrechungen der Lektüre duldet. Ehe Suter sich in den neunziger Jahren ganz aufs literarische Fach verlegte, war er ein Werbeprofi erster Güte, so viel zum Handwerkszeug. Den Löwenanteil seiner Geschichten aber machen Beobachtungsgabe und eine samtige Mokanz aus, menschenfreundliche Ironie und der angstfreie Umgang mit den Dingen des Lebens, die manchmal tatsächlich dem Klischee näher kommen als der Einzigartigkeit.
Adrian Weynfeldt ist ein Mann, der "bereits die Regelmäßigkeit an sich als lebensverlängernde Maßnahme betrachtete". Er ist ein unzeitgemäßer Zeitgenosse, der sein Haar ein wenig wie John F. Kennedy seitenscheitelt; der Rest des Mannes ist alteuropäisch, von den Maßschuhen bis zu den durchwegs maßgeschneiderten Kleidungsstücken. Er wird aus dem Konzept seiner Regelmäßigkeit gebracht von einer Frau mit dem eher wenig edlen Namen Lorena, die zunächst die Barschwalben-Variante seiner schon vor Jahrzehnten tragisch verlorenen englischen Geliebten Daphne ist. Mit der fremden, nicht mehr ganz jungen, nicht mehr ganz frischen Frau bricht das wilde Leben in die geordnete Welt des Mittfünfzigers ein. Er und seine Abläufe geraten nachhaltig in Verwirrung - so hat es jedenfalls den Anschein. Wie überhaupt eine ganze Menge im Roman mit dem Anschein spielt.
Weynfeldt mutet an wie eine Figur aus einem Buch von W. Somerset Maugham oder F. Scott Fitzgerald, indessen: Ein letzter Weynfeldt ist eben nicht ein großer Gatsby. Seine Adern durchströmt das alte echte Geld und das noch gar nicht zu dünn gewordene Blut einer schweizerischen Industriellenfamilie. So dezent ist die ganze Geschichte, dass man noch nicht einmal erfährt, womit Weynfeldts Vater sein Vermögen gemacht hat, das dem Sohn sein Leben in beneidenswert agreablen Verhältnissen gestattet. Der (beinah) verlorene Charme der Bourgeoisie wird in Adrian noch einmal Gestalt, den man auch sonst besser nicht unterschätzen sollte. Und durch Martin Suters virtuosen Umgang mit dem Möglichkeitssinn wird "Der letzte Weynfeldt" aus der Schusslinie der Kolportage gebracht.
Wer Spaß an den Feinheiten der Durchmischung von Fiktion und Wirklichkeit hat, kommt ganz auf seine Kosten: Adrian Weynfeldt - der das freilich nicht müsste, aber er braucht ja seine Rituale - arbeitet als Experte für Schweizer Kunst beim Auktionshaus Murphy's (welch hübscher Name!) in Zürich. Suters Schilderungen aus dieser sehr speziellen Sphäre sind ziemlich wohlinformiert und prägnant. Am Ende dankt der Autor Hans-Peter Keller, dem Experten für Schweizer Kunst des Auktionshauses Christie's in Zürich, für allfällige Einblicke. Und Hans-Peter Keller ist genauso real wie "Femme nue devant une salamandre", eben jenes Gemälde von Félix Vallotton, um das herum sich die gesamte Handlung arrangiert, nicht immer offensichtlich. Tatsächlich ist das Bild aus dem Jahr 1900 im Vallotton-Werkverzeichnis aufgeführt als "La salamandre"; es war seit 1926 in der Sammlung des Solothurner Fabrikanten Josef Müller und befindet sich derzeit in ungenanntem schweizerischem Privatbesitz - ganz wie im Roman, wo es während einer Auktion zum Rekordpreis von 4,1 Millionen Franken zugeschlagen wird. Auch diese Summe hat die Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite; denn der aktuelle Höchstpreis für ein Gemälde Vallottons liegt bei 2,5 Millionen Franken - und keine Frage: "La salamandre", käme es auf den Markt, hätte von nun an die Chance auf einen höheren Zuschlag.
Suter beherrscht eine umwerfende Ökonomie des Erzählens, das dabei phänomenal polyperspektivisch ist, so dass selbst sein Protagonist unterderhand geheimnisvoll wird. Seine Figuren changieren zwischen Typen und Charakteren; sie werden für ihre Auftritte nachgerade vollplastisch: nur zum Beispiel dieser Claudio Hausmann aus dem halbseidenen, jüngeren Freundeskreis um Weynfeldt, seines Zeichens Drehbuchautor und, perspektivisch, Regisseur von "Arbeitstitel Hemingways Koffer". Mit Hausmann gelingt Suter eine boshafte Persiflage auf die Unausgegorenheit des Schreibens, das sich keiner Disziplin unterwirft, auf die Unfähigkeit zur Strategie des Unterhaltens. Auch kleine Nebenrollen haben markante Auftritte, wie der Taxifahrer im parkenden Wagen mit laufendem Motor, weil er "die Klimakatastrophe" des Frühjahrs 2007 ohnehin für generell nicht mehr abwendbar erachtet. Und Suters Blicke streifen schier jedes Detail: Später wird man seinen Roman wie ein Zeitbild lesen können, das selbst die Wiederkehr der Plateausohle im Jahr 2007 vermerkt.
Martin Suter gehört inzwischen in die erste Garde der europäischen Unterhaltungsliteratur, die das Genre des Kriminalromans absolut salonfähig macht, vergleichbar in dieser Hinsicht, von der erfindungsreichen Brillanz und Eleganz her, der französischen Historikerin, Archäologin und Kriminalautorin Fred Vargas. Stilistisch freilich ist Martin Suter eher ein Nachkomme von Georges Simenon und Erbe von dessen sorgfältig gewebten Mustern. Wo sich Plausibilität und überraschende Auflösung vermischen, ohne dass es knirscht im Getriebe, da hat Suter die Hand im Spiel. Darin ist sein jüngstes Buch womöglich noch überzeugender als die Psychopathologien früherer Erfolgsromane. Heute feiert er, der in Zürich, die meiste Zeit aber auf Ibiza und in Guatemala lebt, seinen sechzigsten Geburtstag.
ROSE-MARIA GROPP
Martin Suter: "Der letzte Weynfeldt". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2008. 313 S., geb., 19,90 [Euro].
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