Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
© BÜCHERmagazin, Jeanne Wellnitz (jw)
Unter Akrobaten: Lasha Bugadze schickt einen georgischen Autor mit hundert anderen aus ganz Europa einmal quer durch den Kontinent. Eine Erfahrung, die nicht jeder unbeschadet übersteht.
Es reicht jetzt mit der Politik", sagt Heinz, "lasst uns im Zug nur über Literatur reden." Das ist ein verständlicher Wunsch, schließlich hat Heinz die Zugreise organisiert, und weil die Mitfahrer sämtlich Autoren aus verschiedenen europäischen und vorderasiatischen Ländern sind, die da von Lissabon bis Moskau und zurück nach Berlin miteinander reisen werden, könnten Gespräche über Literatur sogar interessant werden. Vor allem aber liegt Heinz daran, dass die Zugfahrt friedlich wird. Und weil, man schreibt den Herbst 2008, die Spannungen etwa zwischen den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in der Luft liegen, ist das Gespräch über Politik Gift für die angestrebte Harmonie unter den Autoren.
Es ist aber auch ein frommer Wunsch, und natürlich hat Heinz keinen Erfolg. Einer der Mitreisenden, der junge Georgier Zaza, musste kurz vor seiner Abreise nach Lissabon erleben, wie russische Bomben auf sein Land fielen, und die Erinnerung daran nimmt er mit, auch wenn er alles tut, um während der Fahrt nicht daran zu denken. Woran aber dann? Was für eine Rolle ist ihm zugedacht in diesem Konzept, das, in Deutschland erdacht, die Literaten auch der armen Länder beglücken will und dabei zwischen All-Inklusive-Großzügigkeit und Knickerigkeit im Detail laviert? Soll er den überzeugten Botschafter seines Landes geben, den georgischen Dichter (auch wenn er ständig mit der heimischen Literaturszene hadert)? Soll er die eigene Weltläufigkeit ausstellen und auf das setzen, was ihn mit den anderen Literaten verbindet?
Das ist, wie sich herausstellt, eine Menge. Denn ob sie nun aus Kroatien, Litauen oder Armenien stammen, sind die Dichter und Dichterinnen gerade der kleinen Länder permanent unter Druck, in einem Umfeld, das sie nicht versteht und auch nicht verstehen kann, ihre Texte vorzutragen - was bringt eine lange gemeinschaftliche Lesung im Prado, wenn doch das allermeiste an den allermeisten Zuhörern unverstanden vorüber rauscht? Wie weit ist es her mit der Verständigung untereinander, wenn längst nicht alle Teilnehmer Englisch können und von denen, die dafür das Russische beherrschen, nur ein kleiner Teil bereit ist, diese Sprache anzuwenden?
Lasha Bugadze, in seiner georgischen Heimat bekannt als Dramatiker, Romancier und Rundfunkessayist, nahm im Sommer 2000 tatsächlich an einer Reise teil, die der in seinem Roman "Der Literaturexpress" beschriebenen gleicht - unter den Mitreisenden waren etwa Felicitas Hoppe, Christina Viragh, Tomasz Rózycki und Richard Wagner. Für sein Buch, das in Georgien bereits 2009 und nun in Nino Haratischwilis Übersetzung auch auf Deutsch erschienen ist, änderte Bugadze die Route geringfügig, so dass die Literaten nun die Frankfurter Buchmesse besuchen können. Vor allem aber verlegte er das Jahr der Reise um acht Jahre, so dass sie im Schatten der Ereignisse des bislang letzten russisch-georgischen Krieges stattfindet.
Das hat nicht nur Folgen für das Betriebsklima unter den Schriftstellern, sondern auch für die innere Konstitution des jungen Georgiers - seine grundsätzliche Nervosität, die er als Erzähler des Romans nach Kräften vertuscht, scheint dennoch durch und erklärt sich auch aus den Erfahrungen, die er vor Antritt der Reise machte. Als besonders bedrückend erweist sich dann aber das Unternehmen, weil ihm die schiere Menge der Reisenden vor Augen führt, wie wenig es auf nun gerade ihn ankommt, wie sehr die literarische Welt auf ihn verzichten kann.
Und nicht nur auf ihn. Zaza beobachtet an den Mitreisenden das geradezu verzweifelte Bemühen, während der Reise das zu tun, was ein Schriftsteller - zumal einer, der unterwegs ist, um sein Land zu vertreten - eben tut: Er schreibt, er macht sich im Zug Notizen, er klappt seinen Laptop auf oder sein Moleskineheft und demonstriert damit, dass es kein Irrtum war, unter allen Schriftstellern des Landes gerade ihn hierhergeschickt zu haben. Und auch wenn Zaza sich diesen Demonstrationen souverän entzieht, sieht er sich doch in einem Topf mit denjenigen, die sich da vor seinen Augen abhaspeln und mit jedem gefahrenen Schienenkilometer mehr und mehr vom Gefühl der eigenen Beliebigkeit durchdrungen sind, ob sie es nun zeigen oder nicht.
Als besonders komisch ist das Buch gelegentlich charakterisiert worden, als eine Art Schelmenroman, und dem wird man angesichts der zahlreichen bitteren Passagen, die sich sehr viel stärker einprägen als die humoristisch gemeinten, nicht ohne weiteres zustimmen. Von "Akrobatenautoren" ist einmal die Rede, von Schriftstellern, die eher in den Äußerlichkeiten dieser Rolle aufgingen, als dass sie schrieben, und einmal zitiert Zaza einen Zuhörer, der die Reisenden fragt, "was wir denn für Autoren seien. Ernst zu nehmende Autoren würden ja bei solch einem Schwachsinn nicht mitmachen, hieß es." Die Teilnahme am "Literaturexpress" ist je nach Betrachtungsweise Auszeichnung oder Stigma.
Ist diese Lehre, die man zwischen Demütigung und Selbsterkenntnis verorten könnte, vielleicht der geheime Zweck dieser Reise, fragt sich Zaza in einem besonders schwarzen Moment: "Ja, es war der Zug der Glücklosen. Die Deutschen hatten hundert glücklose Schriftsteller in einem Zug versammelt und ließen uns auf diese eine wichtige Erkenntnis zurollen: Ich bin kein Schriftsteller! Das war das Ziel, das sollten alle am Ende der Reise begriffen haben, denn es war unmöglich, gegen all die Artgenossen, gegen all die literarischen Zwillinge weiterhin das eigene Schreiben zu behaupten!"
In lichteren Momenten fragt Zaza danach, wie aus der Randständigkeit heraus ein literarischer Erfolg im Ausland erwachsen kann, wie also die georgischen Verhältnisse jenseits der winzigen Leserschaft im eigenen Land kommerziell nutzbar gemacht und der Exotenbonus zum Tragen kommen könnte. Auch dieser Punkt ist in den Gesprächen der Autoren unterschwellig präsent, und der Kollege, der eine Kurzgeschichte in einem amerikanischen Magazin publizieren konnte, weiß sehr genau, wie neidisch dies die anderen Fahrgäste macht.
Diese Sehnsucht, durch Übersetzungen in eine Weltsprache die Malaise der jeweiligen Heimat zu überwinden, ist das einigende Band der Autoren gleich welcher Nation, und zu sehen, dass dieser Ausbruch möglich ist, wenn auch nur für ganz wenige, ist ein Ertrag der Reise - Zaza jedenfalls beginnt, über den Krieg in seiner Heimat zu schreiben, denn das, weiß er, interessiert auch die Westeuropäer. Über den ersten Satz allerdings kommt er dabei nicht heraus.
Und so handelt dieser Literatenroman nicht zuletzt davon, welcher sprachlichen Strategien man sich bedienen muss, um verstanden und akzeptiert zu werden - in der Liebe so gut wie bei den Lesern. Dass Bugadze dabei einen traumatisierten Erzähler vorschickt, der umgekehrt kaum einmal ein Gegenüber richtig einschätzt, ist die bittere Pointe dieses in solchen Passagen geradezu abgründigen Romans.
TILMAN SPRECKELSEN
Lasha Bugadze: "Der Literaturexpress"
Aus dem Georgischen von Nino Haratischwili.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2016. 320 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH