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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Giuliano da Empoli spürt in seinem Putin-Roman "Der Magier im Kreml" den Körperzeichen der Macht nach
Der Prix Goncourt 2022 ist ihm knapp entgangen: Erst nach vierzehn Runden schied Giuliano da Empolis Roman "Der Magier im Kreml" aus, es stand weiter fünf zu fünf - erst das Votum von Präsident Didier Decoin kürte Brigitte Girauds "Vivre vite". Da Empoli erhielt den Grand Prix du roman der Académie française - sowie die Werbung des Wahlvorgangs. Die subtile Vergeltung bestand darin, dass sich sein Roman mit gut 300.000 Exemplaren bis Ende 2022 einen Hauch besser verkaufte als "Vivre vite" - kein Wunder, denn "Der Magier im Kreml" ist anregend geschrieben und behandelt politische Aktualität.
Der Roman erzählt die fünfzehn Jahre, die Wadim Baranow als Berater Wladimir Putins gewirkt hat, ein kühler, detachierter Romantiker, der sich von nichts affektieren lässt. Baranow ist dem realen Berater Wladislaw Surkow nachempfunden: Viele der im Roman erzählten Ereignisse haben historische Pendants, etwa der Zweite Tschetschenienkrieg, der Untergang der Kursk oder die Ukraine-Krise; zentrale Figuren sind nicht erfunden und treten unter Klarnamen auf. Auf das faktuelle Gerüst legt da Empoli einen fiktionalen Mantel, der vor allem in vertraulichen Gesprächen sowie in den Reflexionen Baranows besteht.
Der Autor fasst das Leben seiner Hauptfigur in eine schmale Rahmenerzählung: Ein französischer Literaturwissenschaftler kommt nach Moskau und forscht zu Jewgeni Samjatin, dem Autor der Dystopie "Wir" (1920). Über einen Tweet kommt er in Kontakt mit Baranow, der sich seit einigen Jahren aus der aktiven Politik zurückgezogen hat; Baranow lässt den jungen Mann auf seinen luxuriösen Landsitz bringen. Dort vertraut er sich ihm in einem Lebensbeichte-Monolog an, der mehr als neunzig Prozent des Romans ausmacht.
Schon seine Familiengeschichte ist ein Symbol: Der Enkel eines Adeligen - dessen "typische Frechheit" und französische Bibliothek er erbt - und Sohn eines hohen Sowjetfunktionärs findet sich in der anarchischen Freiheit der Neunzigerjahre wieder. Baranow studiert an der Moskauer Schauspielakademie, lässt sich von der "schwarzen Elektrizität" der Aufbruchsjahre stimulieren, muss aber zusehen, wie ihm sein steinreich gewordener Freund Michail Chodorkowskij Xenja - die Liebe seines Lebens - ausspannt. Er wechselt das Lebensmodell, wird Fernsehproduzent, steigt unter dem Oligarchen Boris Beresowskij auf. Schließlich schlägt man ihm vor, statt Fiktionen Realität zu erschaffen: Es geht darum, Putin als Nachfolger des kranken Jelzin auf den Thron zu heben. Rasch wird Baranow klar, dass der FSB-Chef Ratgeber, sicher jedoch keine Anleitung braucht - Beresowskij ist weniger klug und wird es teuer bezahlen.
Der auf Französisch schreibende Schweizer und Italiener da Empoli ist Journalist, unterrichtet derzeit Politikwissenschaft und leitet einen Mailänder Thinktank; er war als Lokalpolitiker in Italien tätig und wie seine Hauptfigur selbst Berater (des damaligen Kulturministers Francesco Rutelli sowie Matteo Renzis). Die Spiele der Macht kennt er aus der Nähe: Manche Passagen, die auf Erfahrung aufbauen, gehören zu den stärksten des Buches. So, als nach den Moskauer Bomben-Attentaten 1999 der Befehl zum Angriff in Tschetschenien gegeben wird: "Putin schwieg eine Weile. Und als er wieder sprach, hatte sich sein Gesichtsausdruck nicht verändert, aber seine Präsenz war von einer anderen Konsistenz, als wäre sein Körper in einen Tank mit flüssigem Stickstoff getaucht worden. Der asketische Funktionär hatte sich unvermittelt in einen Erzengel des Todes verwandelt."
Detektivisch spürt Da Empoli den Körperzeichen der Macht nach, dem ironischen Blitzen im Auge, der verräterischen Körperhaltung, dem kaum erkennbaren Wink. Auch die Strategieanalysen - etwa jene zur Schwächung des Westens oder zur ideologischen Zementierung des Regimes - sind aufschlussreich. Baranow erklärt stolz: "Unser Meisterstück war der Aufbau einer neuen Elite, die maximale Macht und maximalen Reichtum auf sich vereint. Starke Männer, die sich an jeden Tisch setzen können, nicht so komplexbeladen wie eure zerlumpten Politiker und machtlosen Geschäftsleute." Diese Idee entspricht dem Selbstverständnis des Putinschen Apparats und hilft, sich mit den Mitteln der Fiktion ein eindrückliches Bild von ihm zu machen.
Literarisch ist "Der Magier im Kreml" dennoch kein großer Text: Er endet mau mit Rückzug. Der fehlende Handlungsbogen, etwa Aufstieg und Fall eines Höflings, wird nicht recht ersetzt, stattdessen reiht Da Empoli Episoden: zu Ereignissen, wie den Olympischen Spielen in Sotchi, oder zu Personen, wie Jewgenij Prigoschin. Nachdem Baranow erst Russland und dann Xenja (wieder-)erobert hat, scheint der Autor ratlos, wie er schließen soll. Er stellt zwei Bilder gegeneinander, eine apokalyptische Schau technologischer Kontrolle und die bezaubernde Präsenz eines kleinen Mädchens: Verzweiflung und Hoffnung.
Literarisch und ideologisch riskant sind zwei Punkte: Der Autor folgt seinem Spindoktor mit Sympathie - am Ende weiß man kaum noch, ob er dessen Ansichten teilt oder kritisiert. Insofern überrascht nicht, dass dem Roman vorgeworfen wurde, Stereotype des französischen Publikums zu bedienen; ein flagrantes Beispiel wäre Xenja, eine schöne Tyrannin, die sich in der eisigen Ostsee badet. Zudem sind die Klischeevorstellungen der Regierenden über ihre Untertanen insofern gefährlich, als sie keinerlei Realitätstest unterzogen werden. Schließlich finden sich neben gelungenen Passagen zu den Machtspielen solche, die den Eindruck vermitteln, da Empoli stelle sich Kreml-Intrigen wie Versailles unter Ludwig XIV. vor. Gerade in seiner "Russizität" tritt uns hier ein französischer Putin entgegen - das immerhin auf unterhaltsame und intelligente Weise. NIKLAS BENDER
Giuliano da Empoli, "Der Magier im Kreml". Roman.
Aus dem Französischen von Michaela Meßner. Verlag C. H. Beck, München 2023. 266 S., geb., 25,- Euro.
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