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Wie viele Platonow-Helden hat auch Firs, der makedonische Offizier, nicht aufgehört, über das Leben zu staunen. Er ist ein Suchender, der die Schrecken der Existenz am eigenen Leibe erfährt und seine untergründige Traurigkeit nicht los wird. Im geheimen Auftrag Alexanders des Großen lebt er seit einigen Jahren in einem fernen asiatischen Reich. Es erstreckt sich in einem gewaltigen blauen Tal, eingeschlossen von einem »Himmelsgebirge«, dessen Wände »undurchdringlich sind für den Wind und für die Freiheit«. Statt das Bewässerungsprojekt für den dortigen Despoten durchzuführen, bereitet er einen…mehr

Produktbeschreibung
Wie viele Platonow-Helden hat auch Firs, der makedonische Offizier, nicht aufgehört, über das Leben zu staunen. Er ist ein Suchender, der die Schrecken der Existenz am eigenen Leibe erfährt und seine untergründige Traurigkeit nicht los wird. Im geheimen Auftrag Alexanders des Großen lebt er seit einigen Jahren in einem fernen asiatischen Reich. Es erstreckt sich in einem gewaltigen blauen Tal, eingeschlossen von einem »Himmelsgebirge«, dessen Wände »undurchdringlich sind für den Wind und für die Freiheit«. Statt das Bewässerungsprojekt für den dortigen Despoten durchzuführen, bereitet er einen Aufstand gegen ihn vor.

»Nicht zur Veröffentlichung bestimmt«, heißt es in einer Akte des sowjetischen Geheimdiensts über Andrej Platonow und sein Romanprojekt »Der makedonische Offizier«. Zwischen 1932 und 1936 entstanden, blieb es Fragment und wurde erst Mitte der neunziger Jahre in Russland veröffentlicht. Der dichte Text enthält nicht nur die schärfste Kritik an Stalin, die Platonow jemals formulierte, sondern auch seine Vorahnung einer von Menschen verursachten globalen Katastrophe.


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Autorenporträt
Andrej Platonow, 1899 in Woronesch geboren, begann mit 14 Jahren zu arbeiten, absolvierte später das Eisenbahnertechnikum und war in den 20er Jahren als Ingenieur für Bewässerungstechnik und Elektrifizierung tätig. Seit 1918 publizierte er Lyrik, Erzählungen und journalistische Arbeiten. Seine Hauptwerke, Tschewengur (1926) und Die Baugrube (1930), konnten nicht erscheinen. Platonow starb 1951. Erst in den 80er Jahren setzte seine Wiederentdeckung ein.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Franz Haas erkennt die Tragik und das Genie des überzeugten Kommunisten Andrei Platonow in dessen 1932 entstandenem Romanfragment. Dass der nun erstmals auf Deutsch erscheinende Text zu Sowjetzeiten nicht publiziert wurde, wundert Haas kaum. Zu drastisch Platonows Abrechnung mit dem Stalinismus im Gewand einer antiken Spionagegeschichte, findet er. Aktueller könnte der von Michael Leetz übertragene, "erhellend" kommentierte und mit Materialien zu Platonow versehene Text kaum sein, meint Haas mit Blick auf den Kreml-Despoten von heute.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2022

Das vertrocknete Paradies
Fortlaufende Wiederentdeckung eines Großen der russischen Literatur: Suhrkamp ediert das Romanfragment "Der makedonische Offizier" von Andrej Platonow

In den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gab es unter sowjetischen Schriftstellern eine Debatte darüber, ob die Ironie noch ein legitimes Darstellungsmittel in einer befreiten sozialistischen Gesellschaft sei, an der es offiziell nichts mehr zu kritisieren gebe. Am 1. Februar 1932 wird der anarchistischer Umtriebe und eines ironischen Stils verdächtigte Schriftsteller Andrej Platonow einer Befragung durch den Gesamtrussischen Verband der sowjetischen Schriftsteller unterzogen. Um wieder einen Fuß in die Tür des Literaturbetriebs zu bekommen, aus dem er nach einem Ukas Stalins und der sowjetischen Literaturkritik verbannt worden war, hatte Platonow die obligate Selbstbezichtigung geleistet und in das Verhör eingewilligt. Befragt, ob er es sich noch erlauben könne, den Kontakt zu ideologisch korrupten Schriftstellerfreunden zu pflegen, oder ob er nicht alle Kraft darauf verwenden müsse, seine eigene Charakterschwäche zu überwinden, antwortet er selbstbewusst, er könne sich mit seiner eigenen Temperatur wärmen und sogar noch anderen Wärme geben. Platonow maß den Sozialismus am Ruf des Herzens. Die düpierten Schriftstellerkollegen einigen sich darauf, seine ideologischen Fortschritte an seinen künftigen Texten zu prüfen.

Man bekommt ein Gefühl für den ungeheuren Druck, der auf Platonow lastete, wenn man sein jetzt erstmals ins Deutsche übersetztes und bei Suhrkamp erschienenes Romanfragment "Der makedonische Offizier" liest. Wäre das zwischen 1932 und 1936 entstandene Manuskript in die Hände des Apparats gefallen, wäre es um den Autor geschehen gewesen. Die in eine mythische Vorzeit verlegte Erzählung ist eine Satire auf die Stalin-Zeit. Der sowjetische Diktator hat seinen Wiedergänger in der Figur des Despoten Osni, der ganz nach seinen Launen über das fiktive Reich Kutemalia herrscht. Gedanken kriechen ihm wie Würmer aus dem Magen heraus, sind aber auch entbehrlich geworden, weil er die Vollkommenheit schon zu Lebzeiten erreicht zu haben meint. Das Reich ist erfüllt von den Jubelschreien seiner Untergebenen, die sich "in der freudigen Erkenntnis ihrer Nichtigkeit" bei den absurdesten Formen des Herrscherlobs überbieten. Einer gedemütigten Philosophenkaste ist es überlassen, Osnis Launen "mit weinendem Herzen" zum höchsten Gesetz der Vernunft zu verklären.

Im Gefängnis seiner Allmacht und Langeweile kommt dem Diktator die Idee, die schillernde Natur des Reiches in ein Denkmal seiner Vollkommenheit zu verwandeln. Der makedonische Bewässerungstechniker Firs, in dem unschwer der hauptberuflich als Ingenieur und Bewässerungstechniker arbeitende Platonow selbst wiederzuerkennen ist, erhält den Auftrag, dem Reich neue Wasserquellen zu erschließen. Er ist ein Agent Alexanders des Großen, der Kutemalia zerschmettern und dem griechischen Geist die Pforte öffnen will. Platonow stellt die Erzählung in eine kosmische Ordnung, in der die Völker zwischen der Erhebung zu einem Kristallstern und der Verwandlung in ein stinkendes Gas stehen, das nicht einmal einen Schatten am Himmel zurücklässt. Die im kutemalischen Reich gespiegelte reale Entwicklung des Sozialismus treibt auf den gasförmigen Zustand zu. Die kommunistische Utopie vom irdischen Paradies wird zur narzisstischen Farce: Die Geschichte der Zeit, meint der Berater Osnis, muss enden in Wollust auf der Asche unzähliger Gräber - der seiner Untertanen.

Die nach vierzig Seiten unmittelbar abbrechende Erzählung ist in ein Ewigkeitslicht getaucht. Sonne und Mond, Himmel und Wüste stehen für das Versprechen des Fortschritts wie für die Wehmut über dessen gescheiterte Realisierung. Platonow, der in den letzten Jahren als Vordenker des Ökosozialismus entdeckt wurde, greift sein zentrales Thema auf: Der befreite Mensch setzt eine freie Natur voraus. Die sozialistische Tragödie besteht für ihn in einem ausbeuterischen Naturverhältnis, durch das sich der Mensch von seinen inneren Wurzeln und seinen äußeren Lebensgrundlagen abschneidet. Die kolossalen Umbauprojekte der Stalin-Zeit, die Millionen Menschen das Leben kosteten und an denen der Ingenieur und Bewässerungstechniker Platonow selbst mitwirkte, sind für ihn Denkmäler einer verirrten Menschheitsidee. Platonow, der über alle realen Enttäuschungen hinweg am Sozialismus festhielt, warb für eine humanisierte Technik, für die er sich auch praktisch einsetzte. Er entdeckte die Sonne als Energiequelle und baute einen Vorläufer der Solarzelle.

Der "Makedonische Offizier" fällt in seinen asiatischen Werkzyklus, der das kommunistische Paradies auf Erden auf seine Realität hin untersucht. 1931 hatte er mit seiner Novelle "Zum Nutzen", einer Satire auf die Kollektivierung der Landwirtschaft, den Zorn Stalins erregt, war vom Literaturbetrieb ausgeschlossen worden und kam wie durch ein Wunder mit dem Leben davon. Er war nun ein Outlaw der sowjetischen Literatur, der sich unter schwierigsten Umständen durchs Leben kämpfte. Eine Reise mit einer Schriftstellerdelegation nach Turkmenistan brachte ihm in den Jahren 1932/33 die Möglichkeit, dem Publikationsverbot zu entkommen und die technische Kultivierung der asiatischen Wüstenregionen aus der Nähe zu betrachten. Die daraus hervorgehenden Schriften brachten ihm dann neuen Ärger mit dem Regime und kosteten seinen der Konterrevolution verdächtigten Sohn Totik das Leben.

Platonows Schriften konnten meist erst nach seinem Tod und dem Zerfall des Sowjetreichs erscheinen. Der Suhrkamp-Verlag hat sich seit 2016 um die Entdeckung dieses Schriftstellers von Rang verdient gemacht und wieder eine editorische Glanztat vollbracht. Dem Romanfragment ist neben dem Protokoll der Schriftstellersitzung und einer kundigen Einordnung des Übersetzers Michael Leetz ein Bericht von Platonow über einen Besuch bei Maxim Gorki beigefügt, der in dem Romanfragment ebenfalls in verfremdeter Form auftaucht. Man staunt über den Optimismus des fühlenden Menschen, an dem Gorki, selbst ein Gefangener des Systems, in dem Bericht über alle Leiden hinweg festhält. Was musste ein Schriftstellerherz in diesem System aushalten! Beide Texte sind kaum weniger interessant (und kafkaesk) als das Romanfragment selbst. Der Band ist deshalb mehr als nur ein Bruchstück von Platonows Werk. THOMAS THIEL

Andrej Platonow: "Der makedonische Offizier". Prosa.

Aus dem Russischen mit Kommentaren und Nachwort von Michael Leetz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 140 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die Tragik und das Genie von Andrej Platonow sind eng miteinander verknüpft ... [er] schrieb rabiat erhellend gegen den Strich ...« Franz Haas Neue Zürcher Zeitung 20220523