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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Drei Generationen suchen eine Erklärung: Roberto Camurris Roman über das ländliche Italien
Roberto Camurri, 1982 geboren, wuchs in Fabricco auf, einem kleinen Ort in der Emilia-Romagna, der fruchtbaren, vom Apennin begrenzten Provinz in der Poebene. Fabricco ist auch der Schauplatz seines zweiten Romans, "Der Name seiner Mutter", in dem er vermutlich viel Autobiographisches verarbeitet hat. Der Inhalt des Buches in einem Satz: Drei Generationen einer traditionellen Handwerker- und Bauernfamilie leiden unter einem Trauma, verursacht durch das Verschwinden der Tochter, Ehefrau und Mutter, deren Namen niemals genannt wird.
Am meisten von dem Verlust betroffen ist Pietro, den seine Mutter als Baby in der Obhut seines Vaters Ettore und der liebevollen Großeltern zurückgelassen hat. Die Gründe für die mütterliche Flucht erfährt das Kind nicht. Dieses Nichtwissen verunsichert, aber vor allem sind es die Sprachlosigkeit der zurückgebliebenen Familie und das Fehlen aller Zeichen der Erinnerung an die geliebte Tochter und Ehefrau, die Pietro verstören. Einmal fällt in der Dorfkneipe das Wort Hure, und dass sie sehr schön gewesen sei, erzählt man sich hier. Aber Pietro wagt nicht, seinen Vater Ettore zu fragen: Warum ist er seiner schönen Frau nicht hinterhergelaufen, warum hat er sie nicht zurückgeholt?
Ettore ist die Hauptfigur von Camurris Roman. Hat er seine Frau umgebracht? Dessen verdächtigt ihn der Sohn insgeheim. Dass der seiner Mutter so ähnlich sieht, bringt den sonst so sanften Vaters manchmal auf bis zu Wutanfällen. Wenn er sich jedoch wieder beruhigt hat, überschüttet er sein Kind mit Zärtlichkeit.
Ettore bleibt wie sein Sohn ein Außenseiter in der Dorfgemeinschaft, empfindsam, wortkarg und jederzeit bereit zum Rückzug. Konfrontation oder Klärung meidet er. Diese Empfindsamkeit geht oft in Trauer über. Camurri beschreibt sie ebenso zartfühlend wie die Begegnung mit einer Bärin, die mit ihrem Jungen spielt. Sie wird im Roman zum Symbol inniger Zusammengehörigkeit von Mutter und Kind. Pietro sehnt sich danach, er hat so etwas nie kennengelernt.
Schließlich gelingt ihm der Ausbruch in die nächste Universitätsstadt. Und vielleicht wird es ihm auch gelingen, die Unsicherheit zu überwinden und seine Liebe festzuhalten. Der Schluss des Romans kommt unvermittelt, als hätte er hastig angehängt werden müssen. Immerhin erklärt er in Stichworten das Verschwinden. Und dann weiß Pietro auch endlich den Namen seiner Mutter: Anna.
Es gibt nicht viele Schriftsteller, die die archaische dörfliche Welt und den Zerfall einer Familie so genau beobachten und wiedergeben wie Camurri. Die meisterliche Übersetzung von Maja Pflug ist eine zusätzliche Garantie, dass dieses Buch etwas Besonderes ist.
MARIA FRISÉ
Roberto Camurri: "Der Name seiner Mutter". Roman.
Aus dem Italienischen von Maja Pflug. Verlag Antje Kunstmann, München 2021, 207 S., geb., 20,- [Euro].
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