Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Und für eine globale Solidarität: Slavoj Zizek zieht in den Klassenkampf
Was macht man mit einem Buch in phosphorpinkem Einband, das sich Streitschrift nennt, auf dem Cover eine geballte Faust zeigt und im Untertitel in neongelben Versalien die "wahren Gründe" für Flucht und Terror verspricht? Klar, erst einmal lesen. Aber ganz vorbehaltlos geht man nicht mehr an die Sache heran. Schon vor der ersten Zeile schreit hier alles nach Aufmerksamkeit. Slavoj Zizek hat eine politische Kampfschrift verfasst. Doch gemessen an den lautstarken Ankündigungen, fällt seine Analyse dann überraschend sachlich und ausgewogen, ja geradezu zahnlos aus. Als politische Streitschrift taugt sie gar nicht.
Immerhin kann man dem slowenischen Philosophen bescheinigen, dass er ein durchaus aktuelles Buch geschrieben hat. Die Pariser Terroranschläge dienen ihm als Bezugsgröße, außerdem natürlich die Flüchtlingsströme des letzten Jahres, die deutsche Krisenpolitik, der syrische Bürgerkrieg, der Aufstieg des "Islamischen Staates" und der amerikanische Vorwahlkampf. Das alles, meint Zizek, sei nur zu verstehen, wenn man die Globalisierung als einen Kapitalismus unter verschärften Bedingungen begreife, zu dessen Kollateralschäden ein neues Heer verzweifelter Menschen gehöre. Deren Chancenlosigkeit entfessele eine Mobilität, wie es sie seit den Zeiten der Völkerwanderung nicht gab, und setze eine Aggressivität frei, die sich in Hass, Gewalt und Terror niederschlägt.
Wer den islamistischen Terror allein als religiösen Fundamentalismus, also letztlich als Teil eines Kultur- und nicht Klassenkampfes begreife, der verkenne, dass im militanten Islamismus auch die Verschärfung der globalen Produktionsverhältnisse als Triebfeder wirkt. Keine noch so beherzte Willkommenspolitik, sondern nur eine Auseinandersetzung mit den tieferen Ursachen könne deshalb etwas an den Flüchtlingsströmen und am islamistischen Terror ändern. Deshalb gilt für Zizek: "Wir müssen den Klassenkampf wieder nach vorn bringen - und das ist nur mit Hilfe einer globalen Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten möglich."
Aber was heißt das konkret: "globale Solidarität"? Reicht der Kauf von Waren mit dem Label "fair trade"? Oder soll es um neue Formen der Umverteilung geben? Doch der Marxist Zizek, der vom Kommunismus nur noch als "Jugenderinnerung" spricht, schreibt bloß vage und sehr allgemein von der notwendigen "Entmachtung einer sich selbst regulierenden Wirtschaft". So bleibt seine Kapitalismuskritik letztlich eine wolkige Sonntagspredigt; da haben Bernie Sanders und Sahra Wagenknecht Handfesteres zu bieten.
Der psychoanalytisch versierte Autor, der sich als Kommentator auf vielen Feldern einen Namen gemacht hat, übt sich im Hinterfragen der deutschen Flüchtlingspolitik, warnt vor einer "Sentimentalisierung" der Krise und meint im Willkommensgestus die Verdrängungsdynamik einer alternden Wohlstandsgesellschaft erkennen zu können. Von der "Zurschaustellung altruistischer Tugenden" und "arrogantem Moralismus" ist die Rede. Und Zizek diagnostiziert weiter: "Die schlichte Tatsache, dass eine solche Ausstellung von Großzügigkeit uns ein gutes Gefühl gibt, sollte uns misstrauisch machen: Tun wir es letztlich, um zu verdrängen, was erforderlich ist?"
Doch auch hier bricht Zizek seine Sondierung gleich wieder ab. Er ist sehr darauf bedacht, nach rechts genauso kräftig auszuteilen wie nach links und nach kleinen Polemiken rasch wieder den Platz in der politischen Mitte oder, noch besser, in den Höhen der philosophischen Betrachtung zu finden. Da oben ist man ziemlich unangreifbar.
Er will alles gleichzeitig sein, der kluge Kopf, der die Lage nüchtern analysiert, aber auch der Revoluzzer, gleichzeitig der distinguierte Gelehrte alter Schule, der Hegel und Benjamin geläufig zitiert, aber auch der digitale Eingeborene des einundzwanzigsten Jahrhunderts, der die sozialen Netzwerke immer fest im Blick hat. Da will einer zu viel auf einmal und bleibt die Antwort schuldig, wie in etwa die Alternative zum angeprangerten entfesselten Kapitalismus, der für ihn die Wurzel aller Übel ist, aussehen soll. Ohne diese Frage zu beantworten, bleibt aber alles Gerede vom neuen Klassenkampf bloße Koketterie.
MARKUS GÜNTHER
Slavoj Zizek: "Der neue Klassenkampf". Die wahren Gründe für Flucht und Terror.
Aus dem Englischen von Regina Schneider. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 96 S., br., 8,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main