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Das Private ist politisch, erst recht in der Diktatur. Der italienische Faschismus, auf vollkommen neue Weise erzählt als umfassende Kulturrevolution - abenteuerlich, verblüffend grotesk und erschreckend gegenwartsnah.

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Produktbeschreibung
Das Private ist politisch, erst recht in der Diktatur. Der italienische Faschismus, auf vollkommen neue Weise erzählt als umfassende Kulturrevolution - abenteuerlich, verblüffend grotesk und erschreckend gegenwartsnah.

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Autorenporträt
Victoria de Grazia ist Professorin Emerita für Geschichte an der Columbia University in New York und eine der international profiliertesten Forscherinnen zur Analyse von Soft Power in autoritären Systemen sowie zur Gender- und Arbeitergeschichte. Die Themen ihrer Bücher reichen von den Überzeugungsmechanismen des Faschismus bis hin zur Anziehungskraft der US-amerikanischen Konsumgesellschaft.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Carsten Hueck warnt mit der US-Historikerin Victoria de Grazia vor einem gefühligen Typus, der dem Faschismus dient, sobald die Zeit reif ist. Am Beispiel des gänzlich uncharismatischen Antihelden und Mussolini-Freund Attilio Teruzzi erzählt die Autorin laut Hueck in Geschichten detail- wie kenntnisreich die Geschichte des italienischen Faschismus. Ihr Buch hat für Hueck den besonderen Reiz großer Plastizität, in der viel Fachwissen steckt und eine untrügliche moralische Haltung. Ein fulminantes Sachbuch, beteuert er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2024

Ein ganz normaler Faschist

Liebe, Macht, Moral: Die amerikanische Historikerin Victoria de Grazia erzählt die Geschichte des italienischen Faschismus aus der Perspektive einer gescheiterten Ehe.

Von Karen Krüger

Zu ihrer Hochzeit bekamen Lilliana Weinman, jüdisch-amerikanische Operndiva, und Attilio Teruzzi, Faschist und wichtiges Mitglied in Mussolinis Kabinett, einen Haufen Geschenke. Das bemerkenswerteste, wenn auch nicht geschmackvollste, kam von Benito Mussolini und war eine antike silberne Schmuckschatulle, die in den Farben der Trikolore mit Rubinen, Smaragden und Bergkristallen besetzt war. Das Paar hatte die Crème de la Crème aus Politik und Kultur als Trauzeugen für seine Heirat gewonnen. Teruzzi, schwarzes Hemd, Medaillen, faschistisches Käppi auf dem Kopf, wurde von keinem Geringeren als dem Duce und einem bedeutenden General begleitet und seine Braut, die in ihrem Kleid aus pinkfarbenem Crêpe Georgette majestätisch wirkte, vom amerikanischen Botschafter und von Tullio Serafin, früher Chefdirigent der Scala, der zur Met in New York gewechselt war.

Im Juni 1926 wurde in Rom nichts dem Zufall überlassen. Morgens fand die standesamtliche Trauung statt und nachmittags die kirchliche in der Basilica Santa Maria degli Angeli, der Hauskirche der königlichen Familie. Man wollte vorführen, dass die "neuen Männer" des Regimes sich der alten bürgerlichen Elite anpassen, indem sie Ehen nach katholischem Ritus und dem neuen Zivilgesetzbuch des faschistischen Staates schließen, dass sie, kurz gesagt, nach dem Willen Mussolinis totalitäre Politik und ihre moralischen Gefühle miteinander verbinden.

Die Choreographie, das legt die Historikerin Victoria de Grazia in ihrem Buch nahe, inszenierte Teruzzi als Mann, der mit der Eroberung der Amerikanerin einen großartigen Sieg für sich selbst und für sein Vaterland errungen hatte, und Lilliana Weinman als Primadonna, deren Platz von nun an nicht mehr auf der Bühne eines Opernhauses, sondern an der Seite eines mächtigen Mannes auf der Weltbühne der Politik sein würde. Geld war kein Problem. Lillianas Vater, ein Fabrikant aus Manhattan, hatte alles bezahlt, und keiner nahm Anstoß am jüdischen Glauben der Familie. Es kümmerte ja auch niemanden, dass Margherita Sarfatti, Mussolinis brillante Denkhilfe und Geliebte, Jüdin war - jedenfalls damals noch nicht. Die Hochzeitseinladung hatte statt der üblichen Monogramme Putten als Aufdruck und ein Spruchband, das die amerikanischen Stars and Stripes mit dem römischen Liktorenbündel samt Beil verband. Die Hochzeit war das Ereignis des Sommers, sogar die "New York Times" berichtete darüber. Keine vier Jahre später machte Teruzzi mit Lilliana Schluss - per Telegramm, heute hätte er wahrscheinlich eine Whatsapp getippt. Er versuchte die Ehe von der katholischen Kirche annullieren zu lassen - Scheidung gab es in Italien noch nicht. Aber da hatte er seine Rechnung ohne Lilliana Weinman gemacht. Sie wehrte sich, und so dauerte die Ehe noch 17 weitere Jahre an.

Das klingt wie der Plot eines historischen Romans. "Der perfekte Faschist", Victoria de Grazias gerade erschienenes Buch, ist aber keine Fiktion, sondern erzählt von einer wahren Begebenheit. Es ist die Geschichte von Attilio Teruzzi, geboren 1883, im selben Jahr wie Mussolini, der vom einfachen Soldaten zum Kolonialgouverneur, zum Abgeordneten, zum Anführer der Schwarzhemden und zum Minister für das italienische Afrika wurde, der in Berlin Gespräche mit Hitler führte, und in den Kolonien die Rassengesetze mit aller Schärfe durchsetzte. Gleichzeitig war Teruzzi der Ehemann von Lilliana Weinman, die er verließ, von der er sich aber nicht scheiden lassen konnte. Er war auch der Partner der Jüdin Yvette Blank, mit der eine Heirat unmöglich war, weil es ja noch die Ehe mit Lilliana gab. 1938 bekamen Teruzzi und Yvette Blank ein Kind, das er liebte, aber nicht rechtlich anerkennen konnte und dessen Mutter er auf die Insel Lipari in ein Internierungslager stecken ließ, um bei seinem großen Idol, dem Duce, nicht unangenehm aufzufallen. Teruzzi, dieser egozentrische, nach sexuellen Begegnungen gierige und auf eine barocke Art sentimentale Mann, hatte als Offizier eine der Legionen bei ihrem Marsch auf Rom angeführt.

Im Herbst 2022, kurz nach dem Amtsantritt von Italiens rechter Regierung, jährte sich das Ereignis zum hundertsten Mal, und es erschienen einige lesenswerte Bücher über den Faschismus. Mit de Grazias Werk hält man nun aber etwas wirklich Außergewöhnliches in den Händen. Sie hat keine klassische Biographie geschrieben, sondern eine Art sozialgeschichtliches Gruppenporträt, das Attilio Teruzzi umgeben von seinen politischen Gefährten und inmitten seiner vielen Frauen zeigt. Das Buch führt beispielhaft vor, wie in gewissen Kreisen des faschistischen Italiens, das für de Grazia "schrecklich und doch voller Herz" gewesen ist, um Macht, Moral und Liebe gerungen wurde. Hinter seinem totalitären Anspruch, so die These der Autorin, habe es sehr wohl weiterhin emotionale Bedürfnisse und die Möglichkeit zu unterschiedlichen moralischen Entscheidungen gegeben. Sie erzählt die Geschichte des Faschismus aus der Perspektive einer gescheiterten Ehe - und man will schon nach den ersten Seiten wissen, wie das Drama von Attilio und Lilliana weitergeht.

Victoria de Grazia hat einen leichten, stellenweise süffisanten Ton. Ihr Buch ist aufgebaut wie eines der Melodramen, in denen Lilliana Weinman vor Publikum brillierte, bevor sie Signora Teruzzi wurde. Es beginnt mit einem Prolog, dann folgt mit der Verlobung und Hochzeit des Soldaten und der Primadonna eine Liebesgeschichte zwischen Arm und Reich, die von Eifersucht, Hinterlist und Verrat zerstört wird. Rache und das Ringen um lebenslange Treue stehen fortan im Vordergrund - allerdings jene gegenüber dem faschistischen Regime. Am Ende stirbt jemand in den Armen seiner geliebten Frau - und der Krieg ist vorbei.

Das Buch hat also einen hohen Unterhaltungswert. Gleichzeitig weist jede einzelne seiner 512 Seiten eine enorme wissenschaftliche Dichte auf. Das gesamte Wissen aus de Grazias jahrzehntelanger Erforschung des Faschismus sowie ihre Auseinandersetzung mit der Geschichte von Emotionen, Macht und Gender sind eingeflossen. Bis zu ihrer Emeritierung war sie Professorin an der Columbia-Universität in New York. Sie hat beim italienischen Verlag Einaudi das "Dizionario del fascismo", das Wörterbuch des Faschismus, herausgebracht, und ihr Werk "How Fascism Ruled Women: Italy, 1922-1945" über faschistische Vorstellungen von Weiblichkeit wurde mehrfach ausgezeichnet. Auch in diesem Buch wird deutlich, dass der Faschismus ebenso als Widerstandsbewegung gegen bedrohte Männlichkeit gelesen werden kann.

Aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrende Soldaten wie Teruzzi sahen ihre militarisierte Männlichkeit in Italien diskreditiert. Zurück in seiner Heimatstadt Mailand, hatte er Ehre und Respekt erwartet. Doch der politische Wind wehte nun anders, und der Krieg hatte einen neuen Typ von Frau hervorgebracht. Frustriert wendete Teruzzi sich der faschistischen Bewegung zu, die ihm wenigstens erlaubte, wieder seiner Lust am Marschieren zu frönen. Für einen anderen Weg fehlte es ihm an Initiative und Vorstellungskraft; er war kein Anführer, sondern ein Mitläufer. Teruzzi sei "ein treues, mittelmäßiges Werkzeug", urteilte Mussolinis Schwiegersohn Galeazzo Ciano 1930 im "Corriere della Sera" und nannte ihn weiter "wohl mehr treu als mittelmäßig". Dafür aber habe Teruzzi "ein wunderschönes, faschistisches Gesicht". Ein paar Jahre später wurde er wegen seiner Affären "der brünftige Ochse des Reiches" genannt und später, nachdem er fast 25 Jahre lang seinen Marsch durch den Faschismus unternommen hatte, "Vampir des Imperiums", denn sein Lebensstil war ausschweifend.

Eine der Fragen, die das Buch subtil antreiben, ist auch jene, wie Teruzzi überhaupt zu einer der wichtigsten Figuren des faschistischen Italiens werden konnte. "Teruzzis persönliche Lebensentscheidungen wurden in perfekter Synchronizität mit dem historischen Moment getroffen", schreibt de Grazia an einer Stelle. Er war nicht nur daran beteiligt, Geschichte zu machen, sondern die Geschichte machte ihn auch zu dem Mann, der er war: ein perfekter Faschist, aber in gewisser Weise auch ein sehr unvollkommener - und wahrscheinlich, so legt die Autorin nahe, ein innerlich sehr aufgewühlter Mensch.

Sie nutzt den Gerichtsprozess über die Annullierung seiner Ehe, um die Grenzen der faschistischen Macht aufzuzeigen. Die Sacra Rota, das zweithöchste Gericht der römisch-katholischen Kirche, zeigte sich keinesfalls gewillt, das kanonische Recht auszuhöhlen, um Teruzzi entgegenzukommen. Dabei war auch die Persönlichkeit Lilliana Weinmans von Bedeutung. Sie hatte sich hervorragende Anwälte genommen, die gegen die Faschisten und für die Kirche waren. Als reiche, selbstbewusste und hervorragend vernetzte Amerikanerin spielte sie in vielerlei Hinsicht außerhalb von Teruzzis Liga. Sie einfach in ein Internierungslager abzuschieben, so wie er es mit der Mutter seines Kindes machte, hätte mit ihr nicht funktioniert. Nach dem Scheitern ihrer Ehe wollte sie nicht mehr mit Teruzzi zusammenleben, der gegen sie das antisemitische Stereotyp mobilisiert hatte, als Jüdin sei sie eine notorische Lügnerin. Sie stimmte der Annullierung der Ehe nicht zu, weil sie ihren Namen reinwaschen und Teruzzi bestrafen wollte: Er sollte nicht mehr heiraten und eheliche Kinder bekommen können, wie Mussolini es sich von ihm wünschte.

Ohne Lilliana Weinmans große Entschlossenheit, Teruzzi die Stirn zu bieten, hätte ihre Geschichte keine nennenswerten Spuren in den Akten hinterlassen. So aber standen de Grazia neben vielen Fotos, von denen zahlreiche Eingang in das Buch gefunden haben, und den Briefen, in denen Lilliana ihrem Vater in New York das Erlebte haarklein erzählte, auch noch kistenweise Gerichtsdokumente als Quelle zur Verfügung. Und so wurde es möglich, Teruzzis Charakter nachzuzeichnen und zu verstehen, warum er auf dem faschistischen Nährboden so gut gedeihen konnte. Es sagt viel über Italiens Umgang mit der Vergangenheit aus, dass sich die Forschung dort bisher nur wenig für ihn interessiert hat.

De Grazias Buch zeigt, wie der Faschismus mit seiner widersprüchlichen Moral auch einen Eingriff in die private Gefühlswelt bedeutete, der über das persönliche Schicksal von Lilliana Weinman hinausweist. Vor diesem Hintergrund liest sich de Grazias Werk wie eine Hommage an die Frau, die für Attilio Teruzzi erst ihre Karriere als Opernsängerin aufgab und dann von ihm ins Abseits gestellt werden sollte. De Grazia hat ihr mit ihrem Buch noch einmal die ganz große Bühne gegeben. Gleichzeitig zeigt sie, was geschehen kann, wenn Despotismus und Populismus sich frei entfalten dürfen und Figuren wie Attilio Teruzzi nach oben kommen.

Victoria de Grazia: "Der perfekte Faschist. Eine Geschichte von Liebe, Macht und Gewalt". Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Verlag Wagenbach, 512 Seiten, 38 Euro.

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