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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
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Erdöl, Licht und Energie: Alexander Ilitschewski schildert in seinem Georoman "Der Perser" den kulturellen und ethnischen Melting Pot Baku, dessen Flamme vom schwarzen Gold befeuert wird.
Maxim Gorki nannte Baku ein "handgemaltes Höllenbild". "Baku, das ist Erdöl, Licht und Energie", beschwor Lenin seine Genossen. Dem sogenannten Erdölkomitee befahl er für den Fall, dass die 11. Rote Armee zum Rückzug gezwungen würde, die Stadt vollständig niederzubrennen, was glücklicherweise nicht geschah. Hier, "im Hinterhof des Imperiums und der Geschichte", schreibt Alexander Ilitschewski, "strandeten viele, die es nicht außer Landes geschafft hatten. Im Dienst für den Krieg, die Revolution und die Ölgewinnung wurde die Frage zweitrangig, wo man herkam; akademische und technische Beschlagenheit, Kopf und Hände waren gefragt."
Die Halbinsel Abseron, durch den Ölboom Ende des neunzehnten Jahrhunderts reich geworden, ist der Boden, den Ilitschewski für sein ausuferndes Romanwerk anbohrt. "Vom Standpunkt der Zivilisation gehört der kaspische Raum zu Sibirien. Da lässt sich nichts erwarten. Wer in den Westen geht, flieht weniger vor Repression und Ungerechtigkeit als vielmehr an den Busen der Zivilisation." Auch Ilitschewski ist in den wilden neunziger Jahren in den Westen gegangen. Als Absolvent der physikalischen Fakultät der Lomonossow-Universität in Moskau fand er in Kalifornien Arbeit. Ende des Jahrzehnts kehrte er schließlich in seine Heimatstadt Baku zurück. In einem auf drei Bände angelegten Romanprojekt (der erste, von der Kritik weitgehend übersehene Roman "Matisse" erschien letztes Jahr bei Matthes und Seitz) verkoppelt er seine Biographie mit dem geophysikalischen und historischen Wissen über die Kaukasusregion.
Nach einer gescheiterten Ehe kehrt sein Erzähler Ilja Dubnow Ende der neunziger Jahre für eine Erdölfirma nach Baku zurück. Dort trifft er auf seinen alten Schulfreund Hasem, dessen Familie einst vor Chomeinis Revolution nach Aserbaidschan geflohen war. Nun, zwanzig Jahre später, ist Hasem, "der Perser", hauptamtlicher Nationalparkpfleger in der Sirvan-Steppe. Er hat einen Spleen für Federtier, genauer für die Aufzucht von Kragentrappen. Diese zählen zur Leibspeise des gemeinen Wüstenfalken und müssen vor den Beizjagden machthungriger Scheichs in Sicherheit gebracht werden, was sich am Ende, wenn es zum Showdown kommt, noch rächen wird.
Unter all den im Reservat vertretenen Vögeln ist Hasem übrigens selbst der schrägste. Je länger Ilitschewski von ihm erzählt, desto dubioser wird dieser Derwisch der Steppen. Von Geburt an mit einem Buckel versehen, eignet sich der Perser geradezu ideal für die Rolle des Messias. In einem nicht enden wollenden Rederausch, in dem sich Naturwissen mit Landschaftsmythen, Rastafari-Weisheit mit höherem Dichtertum sowie biblische Auslegungsfragen mit philosophischen Reflexionen ("Kann das Paradies seinen Ort im Bewusstsein haben, oder geht es nur um den Körper?") verbinden, entfernen sich Erzähler und Leser mit jeder Seite ein Stückchen mehr vom titelgebenden Charakter. Wenn Hasem in Nationalpark Szenen aus dem Alten Testament nachstellt (etwa Tierpaarungen auf der Arche Noah) hält man ihn für einen Eiferer. Wenn er, alle paar Wochen die "metaphysische Steckdose" wechselnd, versucht, das Sakrale der Weltreligionen von ihrem repressiven Beiwerk zu trennen, findet man diesen Versuch eher bedenkenswert aktuell. Dass Naturwissenschaft und Dichtung in ihrer fruchtbarsten Verkopplung selbst zur Religion werden können, zeigt sich an Hasems Identifikation mit dem futuristischen Dichter Welimir Chlebnikow. Jeden Samstag deklamiert er vor seinen Parkwärtern dessen elaborierte Schriften. Die Nationalhymne bei den Hegern im Park ist indes Bob Marleys "I shot the Sheriff". Man denke sich eine Art Rastafari-George-Kreis mit E-Gitarre und Verstärker.
Aber Alexander Ilitschewskis Erzählkunst beschränkt sich nicht auf die Schilderung schräger Typen. Geradezu berauschend sind seine Landschaftsschilderungen. Es ist der schichtende Blick des Geologen: "Der Kleine Kaukasus rückt mit einer Schneefront heran, lilarot". Und immer wieder liegt Gott "wie ausgegossen über der Steppe", dieser von Mythen und Legenden überlagerten Landschaft am Kaspischen Meer. Baku, "eine Stadt, raffiniert an die Hänge gebaut, wie hingeschrieben in flüssige Ligatur. Von Luftströmen zerschnitten, als Windfang aufgestellt", schillert an der Peripherie. Wortplastiken eines Landschaftsgräbers, nicht minder getrieben vom Wissensdrang als sein Freund: Als Geophysiker treibt Ilja die Suche nach einem Ort namens Luca um, ein Akronym für Last Universal Common Ancestor. Dort soll das Leben seinen Ursprung haben. Da dieser schwer zu finden ist, beschließt Ilja vorerst, Luca vor der eigenen Tür zu suchen.
So nimmt er seine Leser mit nach Aserbaidschan, in den Sirvan, überquert Steppen und Schlammvulkane, dringt in die zeitlichen Schichten und Sedimente der Region ein, begibt sich in epische Schlachten und schildert aus dem Leben ihrer Protagonisten - etwa aus dem des Plünderers Stenka Rasin, der sich im siebzehnten Jahrhundert mit einer eigenen Armee gegen den Zaren auflehnte. Vor allem aber schildert Ilitschewski die Gegend um Baku als kulturellen und ethnischen Melting Pot, dessen Flamme vom schwarzen Gold in Gang gehalten wird. 1849, im selben Jahr, als im American River der erste Goldfund gemacht wurde, hatte man auf der aserbaidschanischen Halbinsel die erste Bohrung gesetzt. Ölmagnaten, allen voran der ältere Bruder von Alfred Nobel als Gründer der Nobel Brothers Petroleum Producing Company, ließen sich prachtvolle Villen in Baku errichten: maurischer Stil, vermischt mit europäischem Klassizismus, Empire, Jugendstil, Neogotik und Neobarock. Übertragen aufs poetologische Prinzip dieses waghalsig mäandernden Georomans, ließe sich Folgendes sagen: "Der Perser" ist selbst ein eklektizistisches Werk. Er steckt voller Abweichungen, Wendungen und loser Enden und ist damit strukturiert wie das Gedächtnis selbst: sprunghaft und unzuverlässig, manchmal ziellos, nicht immer gleich spannungsreich. Der Leser erfährt darin stets mehr, als er verarbeiten kann. "Was bringt die Menschheit voran?", fragt Hasem seinen Freund: "Ausuferndes Denken."
Erstaunlicherweise fällt es einem ganz leicht, Ilitschewski auf seinen ausufernden Gebietsvermessungen zu begleiten, was auch an der schwungvollen Übersetzung Andreas Tretners liegt. Ein todbringender Falke - und das wäre einmal eine schöne Anwendung der Falkentheorie - spielt dabei eine zentrale Rolle. Man stelle sich nun den Autor selbst als Jäger vor. Hie und da erspäht er eine feine Beute. Mit ihm stürzt der Leser hinab ins kaukasische Gestrüpp, das er am Ende genauso gut zu kennen glaubt wie der Erzähler selbst.
KATHARINA TEUTSCH
Alexander Ilitschewski: "Der Perser". Roman.
Aus dem Russischen übersetzt von Alexander Tretner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 750 S., geb., 36,- [Euro].
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