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Profanitäten: Hendrik Rosts neuer Gedichtband
"Leben ist Bruch mit Fiktion" heißt es am Ende eines der Gedichte. Wie eine Quintessenz scheint dieser Satz, deren Ausformulierung es indes gar nicht bedurft hätte, liegt er doch fast allen Gedichten aus Hendrik Rosts viertem Lyrikband mehr oder minder offensichtlich zugrunde. Leben, das ist bei Rost, der unter anderem mit dem Brentano- und dem Dresdner Lyrikpreis ausgezeichnet worden ist, vor allem das Alltägliche, das ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, wenn das einstmals Vorläufige auf Dauer gestellt wird, wenn das frei Flottierende in feste Bahnen einläuft: "Statt eines Rücktrittsgesuchs / schrieb ich eine Liebeserklärung, / und plötzlich war das Leben, / das wir geteilt hatten, unser Leben, / das wir miteinander führen werden." Das klingt weniger nach Glück des Ankommens als nach Fügen ins Unumgängliche.
"Wir besichtigen Wohnungen / für unser Leben, gemeinsam. / Das Gehalt reicht für drei / Zimmer, Bett, Tisch, geteilt." Eine Lethargie, der keine Verzweiflung, eher etwas Verkniffenes anhaftet, durchzieht viele dieser Gedichte. Wenig überraschend, dass es ausgerechnet die gemeine Stubenfliege ist, die als wiederkehrendes Motiv (welch Euphemismus!) auftaucht. Das Alltägliche, das vermeintlich Nebensächliche entfaltet hier nicht seine verborgenen Reize, sondern verkommt zur Nickligkeit, mit der in biederer Selbstgerechtigkeit gehadert wird.
Symptomatisch für die allgegenwärtige Scheu vor all jenem, was über Biedermanns Gefühlshaushalt hinausgehen könnte, ist etwa das Gedicht "Paarweise". Eine Kuh steht kurz davor zu kalben, der Beobachter entfernt sich, um bei seiner Rückkehr wenig später das frisch geborene Kälbchen anzutreffen. "Inzwischen / musste Schmerz gewesen und / vergangen sein." Das Wesentliche, das, was die Routine und emotionale Mediokrität stören könnte, bleibt ausgespart. Warum es das bleibt, könnte man für das große Geheimnis dieser Gedichte halten, wäre man nicht allzu bald der Überzeugung, dass es Rost schlicht nicht interessiert.
Bloß, was um alles in der Welt könnte es dann sein? Die Form der Gedichte bleibt genauso flau und unwesentlich wie ihr Inhalt. Nichts öffnet sich, nichts bleibt in einer Schwebe, die sie irgendwo hintreiben könnte. Nirgendwo entsteht eine sprachliche Spannkraft, die etwas aufbrechen, aus der etwas hervorbrechen könnte. Stattdessen brechen die Gedichte, wie erschlafft, mit dem letzten Wort ab. Fast schon erstaunlich, mit welcher Akribie Rost darüber hinaus darauf geachtet zu haben scheint, dass kein Zeilenumbruch Überraschung oder gar Witz generiert, womöglich eine semantische oder grammatikalische Irritation stiftet, die eine zweite Sinnebene aufblitzen lassen könnte. Von Musikalität ganz zu schweigen.
"Wie über Träume nachdenken, die ich nie hatte?", heißt es an einer Stelle. Vermutlich gibt es einfach keine Antwort auf diese Frage. Bis auf wenige Ausnahmen - den Ansatz von Humor in "Naturgesetze", einem Gedicht über die Dynamik, die der eigene Körper auf Fotos annimmt, oder einen Hauch von Sinnlichkeit in "Kinderszene", einem Winterbild von der Kieler Förde - sind diese Gedichte der deprimierende Beweis nicht nur für die Profanität des Lebens, sondern mehr noch dafür, dass bessere Buchhaltung sein kann, was sich Lyrik nennt.
WIEBKE POROMBKA
Hendrik Rost: "Der Pilot in der Libelle". Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 111 S., geb., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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