Der Principale, wie man ihn allgemein in Anspielung auf seine italienischen Sitten und Unsitten nennt, erlebt den ersten Geburtstag seit langem ohne Öffentlichkeit: Er ist über eine Affäre gestolpert und wurde gestürzt. Ein Mann, der viel Einfluß hatte und nur aus Machenschaften bestand, entdeckt nach dem Karriereknick, daß er Frau und Tochter hat und einen achtzehnjährigen Enkel, den er jetzt kennenlernt. Gemeinsam mit dem Enkel fährt er im Boot auf den größten italienischen See hinaus - ein idyllisch beginnender Ausflug mit dramatischem Höhepunkt. Der Junge filmt den Mann, nach dem ganze Gesetze benannt sind, er braucht eine Talentprobe, denn er will später Filme machen. Der Prinzipal, kameragewohnt, läßt seiner Verbitterung freien Lauf, bis er mitten auf dem See schwimmen geht. Der allein gelassene Enkel beobachtet in der Ferne den Sturz einer Kitesurferin aufs Wasser; mit dem Boot eilt er dem Mädchen zu Hilfe. Er holt die Bewußtlose an Bord, eine verletzte Schönheit, bis etwas geschieht, das allen Selbstschutz aufbricht. Doch der vom Schwimmen zurückgekehrte Prinzipal bereinigt die Situation mit kaltblütiger Routine.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007Pack das alles in einen Roman
Er und ich: Bodo Kirchhoff versenkt eine Freundschaft im See / Von Andreas Kilb
Warum hat es Bodo Kirchhoff nie zur literarischen Respektsperson wie Botho Strauß oder zur Stimme seiner Generation gebracht? Die Antwort steht in seinen Büchern: Er interessiert sich zu sehr für sich selbst.
Zwei Bücher von Bodo Kirchhoff sind in diesem Jahr erschienen. Das eine nennt sich Roman und ist ein Tagebuch; das andere tritt als Novelle auf und ist eine Erzählung. Man kann dieses Reden über Gattungsnamen für pfennigfuchserisch halten. Aber es rührt an den Kern von Kirchhoffs Schriftstellerei. Denn dieser Autor, einer der begabtesten und ehrgeizigsten seiner Generation, setzt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Leser unter Druck. Wir sollen den Anspruch, mit dem er auftritt, nicht übersehen, wir sollen wissen, dass er in großen Formen denkt. Erzählungen schreibt jeder; der Könner verfasst Novellen. Und ist nicht jede Art von Lebensbericht auch ein Roman? Zum Klimmzug gehört, dass der, der ihn macht, in Gedanken schon den Kopf über der Stange hat, noch bevor er oben ist. So ist auch Kirchhoff seinem Schreiben immer ein Stück voraus.
Im August 2005 ist an einem See nahe Berlin der Neurologe und ehemalige Oberarzt Michael P. gestorben. Die Welt hat von diesem Tod nichts erfahren, denn P. war ein Mensch, "dem es letztlich nur ums Scheitern ging", ein Mann ohne Werk. Aber er war Kirchhoffs ältester Freund. "Eros und Asche", das Buch, das der Schriftsteller dem Toten gewidmet hat, beginnt mit der ersten Begegnung der beiden, in einem Internat am Bodensee: Ein Fünfzehn- und ein Vierzehnjähriger treffen einander am offenen Fenster des Schulheims, der Ältere bietet dem Jüngeren eine Zigarette an, holt sein Tonbandgerät heraus, spielt ein italienisches Lied ("Bella ciao"), und die Freundschaft ist geschlossen. Man möchte tief eintauchen in diese Welt der sechziger Jahre, der Schule, der Pubertät, aber da hält Kirchhoff das Erinnerungsband wieder an und erzählt von etwas anderem: davon, wie er, der Schriftsteller, nach einer Netzhautoperation aus dem Krankenhaus kommt, vom Licht gequält, unfähig zum Schreiben; und wie er sich dennoch hinsetzt, mit einer Sonnenbrille vor den schmerzenden Augen, um den letzten Wunsch seines Freundes zu erfüllen: "Pack unsere Dinge in einen Roman."
"Eros und Asche" ist die Verweigerung dieses Wunsches. Der Roman, den der sterbenskranke Freund sich vorgestellt haben mag, hätte von zwei Jungen im Internat handeln können, vom gemeinsamen Durchschwimmen des Bodensees, von Reisen nach Rom, Ravello und Portugal, vom Besteigen eines Berggipfels auf Teneriffa, von zu zweit bestandenen Liebes- und Leseabenteuern, von Erfolg und Misserfolg und von den Schmerzen, die es kostet, von der Jugend und voneinander Abschied zu nehmen, erst nur vorläufig und dann, irgendwann, für immer. Das Buch aber, das Bodo Kirchhoff geschrieben hat, handelt, obwohl es alle diese Dinge zur Sprache bringt, vor allem von Bodo Kirchhoff.
Es schildert seine Reisen nach Warschau, wo er ein Schreibseminar gibt und eine Buchmesse besucht, nach Lissabon, wo er im Goethe-Institut liest, und nach Venedig, wo er mit seiner Frau an der Geburtstagsfeier eines Konzertveranstalters teilnimmt. Es breitet die Meinungen des Autors Bodo K. über seine Zeitgenossen aus, etwa über Peter Handke, der sich "dem allgemeinen Schwund des Geistigen" rechtzeitig entzogen habe, oder die Schauspielerin B. alias Senta Berger, die ihm als "eine schöne, aufmerksame Frau" erscheint. Und es erzählt von Abenden am See, der weder der Bodensee der Schülerzeit noch der brandenburgische Sterbesee des Freundes ist, sondern der Gardasee des Ferienhausbesitzers und Schreibkursleiters Kirchhoff. Man redet und speist. Ein "Freundschaftsroman", wie der Verlag behauptet, ist das nicht, eher die Romanze eines Hinterbliebenen mit sich selbst.
Dennoch kann man diesem Buch nicht böse sein. Dafür geht es zu offen mit seinen Fehlern, seinen eklatanten Schwächen um. Sein Autor will sich ganz in Trauer und Gedenken verausgaben, doch es gelingt ihm nicht, und in diesem Misslingen liegt das Gelungene seines Berichts. Der tote Freund lässt sich in keinen Roman verpacken, dazu ist die Erinnerung an ihn einerseits zu bruchstückhaft und andererseits zu nah; deshalb vermischt er sich mit allem anderen, was ein deutsches Schriftstellerleben ausmacht, mit der Freude über den Scheck der Verwertungsgesellschaft Wort, dem Gram über die abgesetzte Literatursendung, der Expertise zum WM-Endspiel, dass da "zweitausend Jahre Kulturgeschichte" in Gestalt italienischer Fußballspieler gegen die deutsche Mannschaft anstürmten. Fast verzweifelt müht sich Kirchhoff, die Momente seines Alltags mit den Momentaufnahmen seines Gedächtnisses kurzzuschließen: Beim Flug nach Polen etwa denkt er an die Fotos der masurischen Seen, die der Freund aufgenommen hatte, und bei der Erwähnung Senta Bergers an eine erste Jugendliebe, eine "hochbegabte spätere Journalistin". Aber sofort fällt dem Autor wieder etwas Eigenes ein. Selbst als er bei der früheren Lebensgefährtin des Freundes in Berlin übernachtet, prüft er zuerst seine erotischen Reflexe ("Will der Besucher etwas von der Besuchten?"), bevor er sich nach den Umständen von P.s Tod erkundigt.
Als Dokument der Unfähigkeit, über den eigenen Alltag hinweg- und in die Kindheit zurückzuspringen, ist "Eros und Asche" ein Triumph, als "Freundschaftsroman" ist es ein Häuflein Asche. Die Wahrheit über diesen Freundesbund lautet, dass man, als die Internatszeit vorbei war, allmählich auf Abstand ging, dass der Schriftsteller keine Zeit, der Neurologe wenig Neigung zu Besuchen hatte. Der Gesprächsfaden riss ab, und das Buch kann ihn nicht wieder knüpfen. Anders als der eine Generation ältere Ludwig Harig mit "Kalahari" (F.A.Z. vom 21. März) hat Bodo Kirchhoff kein Requiem einer Freundschaft geschrieben, sondern ein Tagebuch der Sehnsucht danach. Wo Harigs Buch ruhig leuchtet, flackert "Eros und Asche" wie eine Fackel im Wind. Erhellend ist es trotzdem.
Das Buch berichtet aber auch von der Entstehung eines anderen. Während er noch seine Gedanken über Michael P. sammelt, beginnt Kirchhoff schon mit der Novelle "Der Prinzipal", die im vergangenen Frühling, ein halbes Jahr vor "Eros und Asche", erschienen ist. Ein Zweipersonendrama: Großvater und Enkel auf einem Boot im Gardasee, an einem Septembernachmittag. Ein Spätsommerstück. Ein Impromptu. Es ist die Geschichte einer fehlgeschlagenen Umarmung zwischen den Generationen. Der Jubilar, ein Mann, der ersichtlich (wenn auch im Detail verfremdet) dem einstigen VW-Vorstand und Kanzlerberater Peter Hartz nachgebildet ist, versucht sich bei seinem Enkel beliebt zu machen, indem er ihm auf seiner Motorjacht die Bilanz seines Lebens vorführt: seine Erfolge, seine Affären, seine Weisheiten, seinen Geschmack. Er knabbert Pecorino, schwadroniert über Thyssen und Hölderlin und schwitzt Bonmots aus wie jenes über die Vernunft, die das einzige Weibliche sei, dem man trauen könne. Aber der Enkel hat gar kein Interesse daran, sich einwickeln zu lassen. Er will nur die Mini-Disc in seinem Camcorder füllen, er möchte die Bootstour in einen Film verwandeln, eine Fingerübung für sein Regiestudium oder ein Geburtstagsvideo fürs Familienarchiv. Mit seinen Augen, durch das Auge seiner Kamera sehen wir, was geschieht.
Als Vigo, der Enkel, eine verunglückte Drachenfliegerin ins Boot zieht, während der Großvater seine Schwimmrunden dreht, gebiert die Geschichte beinahe jene unerhörte Begebenheit, die der Wesenszug jeder Novelle ist. Aber das Unerhörte darf nicht stattfinden, es brächte Unordnung in die tote Welt des Prinzipals, und so wird die Verunglückte auf einem Felsen-Eiland ausgesetzt und das schlechte Gewissen in Champagner ertränkt. Der Prinzipal scheint zu triumphieren, doch am Ende steht er allein da, im Stich gelassen von der Familie, eine weinende Gestalt in einem Digitalvideo, dessen Regie ihm entglitten ist.
Wer wissen will, warum der ehrgeizige, erfolgreiche, manchmal brillante ("Parlando"), manchmal verwegene ("Schundroman") Kirchhoff es weder zur literarischen Respektsperson wie Botho Strauß noch zur Stimme seiner Generation wie in Amerika Richard Ford gebracht hat, muss diese perfekt gebaute Erzählung lesen. So sehr man ihre geschmeidige, gelegentlich zu Aphorismen erstarrende Sprache und ihr kühles Formbewusstsein bewundern muss, so deutlich spürt man, dass hier keine lebendigen Personen aufeinandertreffen, sondern Schreibideen, Kopfgeburten. Nicht zufällig gilt Kirchhoff als ebenso begabter Drehbuch- wie Prosaautor; manche halten das Skript zu Romuald Karmakars Film "Manila" für sein bedeutendstes Werk. Auch "Der Prinzipal" schreit förmlich nach Bebilderung; nicht, weil die Geschichte so reich an prallem Leben wäre, sondern, weil sie das Visuelle braucht, um ihre Blöße zu bedecken. Auf einer Leinwand fiele das Ferngesteuerte der Figuren weniger ins Auge. Und auch das Boot, eine Colombo mit 480-PS-Zwillingskompressor, hätte einen luxuriöseren Auftritt.
Übrigens kommt auch Kirchhoffs verstorbener Schulfreund im "Prinzipal" wieder vor. Hier heißt er Roedel und dient zur Beglaubigung alter Internatsanekdoten. Das ist schade, denn nach "Eros und Asche" hätten wir dem Toten die Ehre der Nichterwähnung gegönnt. Aber in der Literatur ist eben alles Material. Jedenfalls bei Bodo Kirchhoff, dem Prinzipal der eigenen Biographie.
Bodo Kirchhoff: "Eros und Asche". Ein Freundschaftsroman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 280 S., 19,90 [Euro].
Bodo Kirchhoff: "Der Prinzipal." Novelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 121 S., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Er und ich: Bodo Kirchhoff versenkt eine Freundschaft im See / Von Andreas Kilb
Warum hat es Bodo Kirchhoff nie zur literarischen Respektsperson wie Botho Strauß oder zur Stimme seiner Generation gebracht? Die Antwort steht in seinen Büchern: Er interessiert sich zu sehr für sich selbst.
Zwei Bücher von Bodo Kirchhoff sind in diesem Jahr erschienen. Das eine nennt sich Roman und ist ein Tagebuch; das andere tritt als Novelle auf und ist eine Erzählung. Man kann dieses Reden über Gattungsnamen für pfennigfuchserisch halten. Aber es rührt an den Kern von Kirchhoffs Schriftstellerei. Denn dieser Autor, einer der begabtesten und ehrgeizigsten seiner Generation, setzt nicht nur sich selbst, sondern auch seine Leser unter Druck. Wir sollen den Anspruch, mit dem er auftritt, nicht übersehen, wir sollen wissen, dass er in großen Formen denkt. Erzählungen schreibt jeder; der Könner verfasst Novellen. Und ist nicht jede Art von Lebensbericht auch ein Roman? Zum Klimmzug gehört, dass der, der ihn macht, in Gedanken schon den Kopf über der Stange hat, noch bevor er oben ist. So ist auch Kirchhoff seinem Schreiben immer ein Stück voraus.
Im August 2005 ist an einem See nahe Berlin der Neurologe und ehemalige Oberarzt Michael P. gestorben. Die Welt hat von diesem Tod nichts erfahren, denn P. war ein Mensch, "dem es letztlich nur ums Scheitern ging", ein Mann ohne Werk. Aber er war Kirchhoffs ältester Freund. "Eros und Asche", das Buch, das der Schriftsteller dem Toten gewidmet hat, beginnt mit der ersten Begegnung der beiden, in einem Internat am Bodensee: Ein Fünfzehn- und ein Vierzehnjähriger treffen einander am offenen Fenster des Schulheims, der Ältere bietet dem Jüngeren eine Zigarette an, holt sein Tonbandgerät heraus, spielt ein italienisches Lied ("Bella ciao"), und die Freundschaft ist geschlossen. Man möchte tief eintauchen in diese Welt der sechziger Jahre, der Schule, der Pubertät, aber da hält Kirchhoff das Erinnerungsband wieder an und erzählt von etwas anderem: davon, wie er, der Schriftsteller, nach einer Netzhautoperation aus dem Krankenhaus kommt, vom Licht gequält, unfähig zum Schreiben; und wie er sich dennoch hinsetzt, mit einer Sonnenbrille vor den schmerzenden Augen, um den letzten Wunsch seines Freundes zu erfüllen: "Pack unsere Dinge in einen Roman."
"Eros und Asche" ist die Verweigerung dieses Wunsches. Der Roman, den der sterbenskranke Freund sich vorgestellt haben mag, hätte von zwei Jungen im Internat handeln können, vom gemeinsamen Durchschwimmen des Bodensees, von Reisen nach Rom, Ravello und Portugal, vom Besteigen eines Berggipfels auf Teneriffa, von zu zweit bestandenen Liebes- und Leseabenteuern, von Erfolg und Misserfolg und von den Schmerzen, die es kostet, von der Jugend und voneinander Abschied zu nehmen, erst nur vorläufig und dann, irgendwann, für immer. Das Buch aber, das Bodo Kirchhoff geschrieben hat, handelt, obwohl es alle diese Dinge zur Sprache bringt, vor allem von Bodo Kirchhoff.
Es schildert seine Reisen nach Warschau, wo er ein Schreibseminar gibt und eine Buchmesse besucht, nach Lissabon, wo er im Goethe-Institut liest, und nach Venedig, wo er mit seiner Frau an der Geburtstagsfeier eines Konzertveranstalters teilnimmt. Es breitet die Meinungen des Autors Bodo K. über seine Zeitgenossen aus, etwa über Peter Handke, der sich "dem allgemeinen Schwund des Geistigen" rechtzeitig entzogen habe, oder die Schauspielerin B. alias Senta Berger, die ihm als "eine schöne, aufmerksame Frau" erscheint. Und es erzählt von Abenden am See, der weder der Bodensee der Schülerzeit noch der brandenburgische Sterbesee des Freundes ist, sondern der Gardasee des Ferienhausbesitzers und Schreibkursleiters Kirchhoff. Man redet und speist. Ein "Freundschaftsroman", wie der Verlag behauptet, ist das nicht, eher die Romanze eines Hinterbliebenen mit sich selbst.
Dennoch kann man diesem Buch nicht böse sein. Dafür geht es zu offen mit seinen Fehlern, seinen eklatanten Schwächen um. Sein Autor will sich ganz in Trauer und Gedenken verausgaben, doch es gelingt ihm nicht, und in diesem Misslingen liegt das Gelungene seines Berichts. Der tote Freund lässt sich in keinen Roman verpacken, dazu ist die Erinnerung an ihn einerseits zu bruchstückhaft und andererseits zu nah; deshalb vermischt er sich mit allem anderen, was ein deutsches Schriftstellerleben ausmacht, mit der Freude über den Scheck der Verwertungsgesellschaft Wort, dem Gram über die abgesetzte Literatursendung, der Expertise zum WM-Endspiel, dass da "zweitausend Jahre Kulturgeschichte" in Gestalt italienischer Fußballspieler gegen die deutsche Mannschaft anstürmten. Fast verzweifelt müht sich Kirchhoff, die Momente seines Alltags mit den Momentaufnahmen seines Gedächtnisses kurzzuschließen: Beim Flug nach Polen etwa denkt er an die Fotos der masurischen Seen, die der Freund aufgenommen hatte, und bei der Erwähnung Senta Bergers an eine erste Jugendliebe, eine "hochbegabte spätere Journalistin". Aber sofort fällt dem Autor wieder etwas Eigenes ein. Selbst als er bei der früheren Lebensgefährtin des Freundes in Berlin übernachtet, prüft er zuerst seine erotischen Reflexe ("Will der Besucher etwas von der Besuchten?"), bevor er sich nach den Umständen von P.s Tod erkundigt.
Als Dokument der Unfähigkeit, über den eigenen Alltag hinweg- und in die Kindheit zurückzuspringen, ist "Eros und Asche" ein Triumph, als "Freundschaftsroman" ist es ein Häuflein Asche. Die Wahrheit über diesen Freundesbund lautet, dass man, als die Internatszeit vorbei war, allmählich auf Abstand ging, dass der Schriftsteller keine Zeit, der Neurologe wenig Neigung zu Besuchen hatte. Der Gesprächsfaden riss ab, und das Buch kann ihn nicht wieder knüpfen. Anders als der eine Generation ältere Ludwig Harig mit "Kalahari" (F.A.Z. vom 21. März) hat Bodo Kirchhoff kein Requiem einer Freundschaft geschrieben, sondern ein Tagebuch der Sehnsucht danach. Wo Harigs Buch ruhig leuchtet, flackert "Eros und Asche" wie eine Fackel im Wind. Erhellend ist es trotzdem.
Das Buch berichtet aber auch von der Entstehung eines anderen. Während er noch seine Gedanken über Michael P. sammelt, beginnt Kirchhoff schon mit der Novelle "Der Prinzipal", die im vergangenen Frühling, ein halbes Jahr vor "Eros und Asche", erschienen ist. Ein Zweipersonendrama: Großvater und Enkel auf einem Boot im Gardasee, an einem Septembernachmittag. Ein Spätsommerstück. Ein Impromptu. Es ist die Geschichte einer fehlgeschlagenen Umarmung zwischen den Generationen. Der Jubilar, ein Mann, der ersichtlich (wenn auch im Detail verfremdet) dem einstigen VW-Vorstand und Kanzlerberater Peter Hartz nachgebildet ist, versucht sich bei seinem Enkel beliebt zu machen, indem er ihm auf seiner Motorjacht die Bilanz seines Lebens vorführt: seine Erfolge, seine Affären, seine Weisheiten, seinen Geschmack. Er knabbert Pecorino, schwadroniert über Thyssen und Hölderlin und schwitzt Bonmots aus wie jenes über die Vernunft, die das einzige Weibliche sei, dem man trauen könne. Aber der Enkel hat gar kein Interesse daran, sich einwickeln zu lassen. Er will nur die Mini-Disc in seinem Camcorder füllen, er möchte die Bootstour in einen Film verwandeln, eine Fingerübung für sein Regiestudium oder ein Geburtstagsvideo fürs Familienarchiv. Mit seinen Augen, durch das Auge seiner Kamera sehen wir, was geschieht.
Als Vigo, der Enkel, eine verunglückte Drachenfliegerin ins Boot zieht, während der Großvater seine Schwimmrunden dreht, gebiert die Geschichte beinahe jene unerhörte Begebenheit, die der Wesenszug jeder Novelle ist. Aber das Unerhörte darf nicht stattfinden, es brächte Unordnung in die tote Welt des Prinzipals, und so wird die Verunglückte auf einem Felsen-Eiland ausgesetzt und das schlechte Gewissen in Champagner ertränkt. Der Prinzipal scheint zu triumphieren, doch am Ende steht er allein da, im Stich gelassen von der Familie, eine weinende Gestalt in einem Digitalvideo, dessen Regie ihm entglitten ist.
Wer wissen will, warum der ehrgeizige, erfolgreiche, manchmal brillante ("Parlando"), manchmal verwegene ("Schundroman") Kirchhoff es weder zur literarischen Respektsperson wie Botho Strauß noch zur Stimme seiner Generation wie in Amerika Richard Ford gebracht hat, muss diese perfekt gebaute Erzählung lesen. So sehr man ihre geschmeidige, gelegentlich zu Aphorismen erstarrende Sprache und ihr kühles Formbewusstsein bewundern muss, so deutlich spürt man, dass hier keine lebendigen Personen aufeinandertreffen, sondern Schreibideen, Kopfgeburten. Nicht zufällig gilt Kirchhoff als ebenso begabter Drehbuch- wie Prosaautor; manche halten das Skript zu Romuald Karmakars Film "Manila" für sein bedeutendstes Werk. Auch "Der Prinzipal" schreit förmlich nach Bebilderung; nicht, weil die Geschichte so reich an prallem Leben wäre, sondern, weil sie das Visuelle braucht, um ihre Blöße zu bedecken. Auf einer Leinwand fiele das Ferngesteuerte der Figuren weniger ins Auge. Und auch das Boot, eine Colombo mit 480-PS-Zwillingskompressor, hätte einen luxuriöseren Auftritt.
Übrigens kommt auch Kirchhoffs verstorbener Schulfreund im "Prinzipal" wieder vor. Hier heißt er Roedel und dient zur Beglaubigung alter Internatsanekdoten. Das ist schade, denn nach "Eros und Asche" hätten wir dem Toten die Ehre der Nichterwähnung gegönnt. Aber in der Literatur ist eben alles Material. Jedenfalls bei Bodo Kirchhoff, dem Prinzipal der eigenen Biographie.
Bodo Kirchhoff: "Eros und Asche". Ein Freundschaftsroman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 280 S., 19,90 [Euro].
Bodo Kirchhoff: "Der Prinzipal." Novelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 121 S., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2007Zwischen Macht und Marinade
Bodo Kirchhoff schreibt eine Hartz-V-Novelle: „Der Prinzipal”
Jemand wie der Prinzipal fällt nicht, er stolpert nur, und selbst das nicht aus eigener Ungeschicklichkeit, sondern weil man ihm übel mitspielen wollte. Der Prinzipal, der namenlose Protagonist in Bodo Kirchhoffs Novelle, ist eine eindeutig an den VW-Manager Peter Hartz angelehnte Figur. Ein Mann, der seinen Spitznamen aufgrund seines Instinkts für Applaus erhalten hat. Einer, dem der Erwerb von Einfluss und Macht als selbstverständliche Fingerübung stets gelungen ist. Ein Entscheidungsträger, der zu verantworten hat, dass Menschen „infolge seiner Ideen durch geringe Arbeit ein noch geringeres Geld verdienen”, der die Verantwortung jedoch anderen überlassen hat. Ein hochmütiger Autokrat, dem die sogenannte Salsa-Affäre zum Verhängnis wurde, ein Prozess um Reisen und Begünstigungen für Betriebsräte, die, aus Sicht des Prinzipals, nur der Förderung von Kommunikation dienten.
Jetzt sitzt er in seiner Villa an einem italienischen See, die Ehe ist durch diverse Seitensprünge gestört, es ist sein 64. Geburtstag, seine Tochter und sein Enkelsohn, um die er sich nie weiter gekümmert hat, sind zu Besuch. Und während die Frauen in die Stadt gefahren sind, macht der Prinzipal mit dem 18-jährigen Viktor, genannt Vigo, eine Bootstour. Der Junge, der als Berufsziel Filmemacher angibt, hat seine Videokamera dabei und filmt den Großvater, ununterbrochen. Auf diese Weise entsteht auf den ersten zwei Dritteln des schmalen Buches eine durch die Distanz des Mediums gebrochene Studie der Physiognomie und Psychologie von Macht, deren Quintessenz wie so oft darin besteht, dass die Ausübung von Macht zwar Folgen hat, die durchaus nicht banal sind, dass der Ausübende selbst jedoch keineswegs von Banalität frei ist.
Denn was der Prinzipal, dieser furchteinflößend gesunde und robuste Mann mit den gebräunten Händen, seinem Enkel („mein lieber Vigo”) in die Kamera hineinsalbadert, über die Liebe und die Frauen (was für ihn dasselbe ist), über Disziplin und das Töten, über die Literatur und eine Existenz ohne Ansprüche, ist stellenweise schweres Gerät. Denn der Prinzipal hat einen Hang zu Lebensweisheiten. Die klingen dann so: „Leben, ruft er, spielt sich heute zwischen Autonomie und Verpflichtung ab, zwischen dem Caprese, das du dir selbst zubereitest, aus einer frischen Buffala und gepflücktem Basilikum, nebst Tomaten in der Marinade aus Öl und Balsamico, und einem Geradestehen für Maßnahmen, die dem Gemeinwohl dienen.”
Oder so: „Frauen steht das Schreiben ja näher, weil sie viel öfter auf die Tatsache, dass sie ein unbeschriebenes Blatt sind, reagieren müssen, während Männer schon ihr erstes Fußballtor als Geschichte verbuchen.” Der Prinzipal wird vorgeführt als ein selbstgerechter Schwätzer mit schwitziger erotischer Phantasie. Jedenfalls hofft man sehr für den Autor, dass es sich hier um eine Vorführung handelt, exklusiv für Vigos Kamera.
Es spricht einiges dafür, denn als der Großvater schwimmen geht, tritt sie dann doch noch ein, die unerhörte novellistische Begebenheit, vielmehr: sie fällt vom Himmel in Form einer jungen Drachenfliegerin, der Vigo, alleine auf dem Boot zurückgeblieben, das Leben rettet. Es entsteht ein kurzer, flirrender Moment von Verwirrung und Intimität, von Ambivalenz und jugendlichem Erwachen – bis der Alte zurück an Bord erscheint und die ganze Sache in seinem Sinne regelt, also plattwalzt.
Dass ganz am Ende, während des abendlichen Geburtstagsessens, der bis dahin so schwer gebeutelte Vigo das Geschehen an sich zieht und der Text eine nicht ganz unerwartete, aber doch psychologisch richtungweisende Wendung nimmt, kann man als Leser nur befriedigt zur Kenntnis nehmen – nach rund 70 Seiten Prinzipal-Monolog, unterbrochen nur durch die Stichworte des Enkels, erwartet man geradezu eine gerechte Bestrafung dieses reichen, armen, einsamen Mannes, der sich angemaßt hat, „Schnitte in eine Gesellschaft” zu machen, ohne selbst die Schere zu sein. CHRISTOPH SCHRÖDER
BODO KIRCHHOFF: Der Prinzipal. Novelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 123 S., 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Bodo Kirchhoff schreibt eine Hartz-V-Novelle: „Der Prinzipal”
Jemand wie der Prinzipal fällt nicht, er stolpert nur, und selbst das nicht aus eigener Ungeschicklichkeit, sondern weil man ihm übel mitspielen wollte. Der Prinzipal, der namenlose Protagonist in Bodo Kirchhoffs Novelle, ist eine eindeutig an den VW-Manager Peter Hartz angelehnte Figur. Ein Mann, der seinen Spitznamen aufgrund seines Instinkts für Applaus erhalten hat. Einer, dem der Erwerb von Einfluss und Macht als selbstverständliche Fingerübung stets gelungen ist. Ein Entscheidungsträger, der zu verantworten hat, dass Menschen „infolge seiner Ideen durch geringe Arbeit ein noch geringeres Geld verdienen”, der die Verantwortung jedoch anderen überlassen hat. Ein hochmütiger Autokrat, dem die sogenannte Salsa-Affäre zum Verhängnis wurde, ein Prozess um Reisen und Begünstigungen für Betriebsräte, die, aus Sicht des Prinzipals, nur der Förderung von Kommunikation dienten.
Jetzt sitzt er in seiner Villa an einem italienischen See, die Ehe ist durch diverse Seitensprünge gestört, es ist sein 64. Geburtstag, seine Tochter und sein Enkelsohn, um die er sich nie weiter gekümmert hat, sind zu Besuch. Und während die Frauen in die Stadt gefahren sind, macht der Prinzipal mit dem 18-jährigen Viktor, genannt Vigo, eine Bootstour. Der Junge, der als Berufsziel Filmemacher angibt, hat seine Videokamera dabei und filmt den Großvater, ununterbrochen. Auf diese Weise entsteht auf den ersten zwei Dritteln des schmalen Buches eine durch die Distanz des Mediums gebrochene Studie der Physiognomie und Psychologie von Macht, deren Quintessenz wie so oft darin besteht, dass die Ausübung von Macht zwar Folgen hat, die durchaus nicht banal sind, dass der Ausübende selbst jedoch keineswegs von Banalität frei ist.
Denn was der Prinzipal, dieser furchteinflößend gesunde und robuste Mann mit den gebräunten Händen, seinem Enkel („mein lieber Vigo”) in die Kamera hineinsalbadert, über die Liebe und die Frauen (was für ihn dasselbe ist), über Disziplin und das Töten, über die Literatur und eine Existenz ohne Ansprüche, ist stellenweise schweres Gerät. Denn der Prinzipal hat einen Hang zu Lebensweisheiten. Die klingen dann so: „Leben, ruft er, spielt sich heute zwischen Autonomie und Verpflichtung ab, zwischen dem Caprese, das du dir selbst zubereitest, aus einer frischen Buffala und gepflücktem Basilikum, nebst Tomaten in der Marinade aus Öl und Balsamico, und einem Geradestehen für Maßnahmen, die dem Gemeinwohl dienen.”
Oder so: „Frauen steht das Schreiben ja näher, weil sie viel öfter auf die Tatsache, dass sie ein unbeschriebenes Blatt sind, reagieren müssen, während Männer schon ihr erstes Fußballtor als Geschichte verbuchen.” Der Prinzipal wird vorgeführt als ein selbstgerechter Schwätzer mit schwitziger erotischer Phantasie. Jedenfalls hofft man sehr für den Autor, dass es sich hier um eine Vorführung handelt, exklusiv für Vigos Kamera.
Es spricht einiges dafür, denn als der Großvater schwimmen geht, tritt sie dann doch noch ein, die unerhörte novellistische Begebenheit, vielmehr: sie fällt vom Himmel in Form einer jungen Drachenfliegerin, der Vigo, alleine auf dem Boot zurückgeblieben, das Leben rettet. Es entsteht ein kurzer, flirrender Moment von Verwirrung und Intimität, von Ambivalenz und jugendlichem Erwachen – bis der Alte zurück an Bord erscheint und die ganze Sache in seinem Sinne regelt, also plattwalzt.
Dass ganz am Ende, während des abendlichen Geburtstagsessens, der bis dahin so schwer gebeutelte Vigo das Geschehen an sich zieht und der Text eine nicht ganz unerwartete, aber doch psychologisch richtungweisende Wendung nimmt, kann man als Leser nur befriedigt zur Kenntnis nehmen – nach rund 70 Seiten Prinzipal-Monolog, unterbrochen nur durch die Stichworte des Enkels, erwartet man geradezu eine gerechte Bestrafung dieses reichen, armen, einsamen Mannes, der sich angemaßt hat, „Schnitte in eine Gesellschaft” zu machen, ohne selbst die Schere zu sein. CHRISTOPH SCHRÖDER
BODO KIRCHHOFF: Der Prinzipal. Novelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 123 S., 15,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christoph Schröder schildert seine Eindrücke zu Bodo Kirchhoffs Buch von der "an Peter Hartz angelehnten" Figur her. Das Bild des Autokraten, das Kirchhoff entwickelt, erscheint ihm dabei wenig überraschend, die "Banalitäten" aus dessen Mund wirken auf ihn derart "selbstgerecht" und "schwitzig", dass er inständig hofft, es handele sich um eine "Vorführung". So weit, so unspektakulär. Wenn Kirchhoff schließlich "doch noch" der Novellenform gerecht wird, indem er eine Frau buchstäblich vom Himmel ins Geschehen fallen und dieses sich wenden lässt, ist der Rezensent sehr erleichtert.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH