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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zu spät erkannte Bedrohung von rechts: Martin Sabrows brillante Studie über den Mord an Walther Rathenau in einer neuen Ausgabe.
Seine Mörder waren geduldig. Später als gewöhnlich verließ Walther Rathenau am Morgen des 24. Juni 1922 seine Grunewalder Villa. Nach einer langen Nachtsitzung begann er so verzögert den Tag, dass sich das Auswärtige Amt bereits telefonisch nach seinem Verbleib erkundigte. Am Dienstsitz in der Wilhelmstraße sollte er nie mehr eintreffen. Ein Mordkommando hatte alles genau geplant. In einer langsam zu fahrenden Kurve unweit von Rathenaus Haus feuerten die Attentäter mehrere Maschinengewehrsalven auf ihn und warfen dann noch eine Handgranate. Schon einer der ersten Schüsse traf Rathenau tödlich am Rücken. Auf seinen Spazierstock gestützt und Zigarre rauchend wurde er auf dem nicht überdachten Rücksitz seines Wagens von dem Anschlag überrascht.
Zu einer Gegenwehr kam es nicht, weil der Außenminister keinen Geleitschutz hatte. Er bevorzugte es, auf Sicherheitspersonal möglichst zu verzichten. Vor dem Hintergrund, dass Rathenau zu den zentralen Hassfiguren einer nationalistischen Rechten zählte, musste dies leichtsinnig erscheinen. Wenn er nicht stärker zu Schutzmaßnahmen gedrängt wurde, so lag dies auch an einer eklatanten Unterschätzung des organisierten Rechtsterrorismus in jener Zeit.
Der 1867 geborene Rathenau war eine vielfältig begabte Persönlichkeit. Seit dem Ersten Weltkrieg war er als politischer Gestalter aktiv, reüssierte darüber hinaus aber auch als Geschäftsmann und Physiker, als Schriftsteller und Zeitdiagnostiker. Stets hatte er mit antisemitischen Anfeindungen zu kämpfen. Schon 1912 klagte er einmal über das Schicksal "eines jeden deutschen Juden", nämlich ein "Bürger zweiter Klasse" zu bleiben, dem es durch "keine Tüchtigkeit und kein Verdienst" vergönnt war, sich aus dieser Grundsituation zu lösen.
Als Jude, Republikaner und "Erfüllungspolitiker" geschmäht, war Rathenau regelmäßig propagandistischen Angriffen ausgesetzt. Besonders tat sich dabei der deutschnationale Politiker Karl Helfferich hervor, dem eine Schlüsselrolle bei der demagogischen Vergiftung des politischen Klimas zukam. Schon als heimlicher Urheber der Dolchstoßthese nährte er nach dem Weltkriegsende Verschwörungsgeschichten und heizte eine radikal antirepublikanische Stimmung an. Eine Woche nach dem Attentat auf Rathenau sprach Otto Flake in der "Weltbühne" treffend vom "Helferich des Mordes".
Bei Martin Sabrow ist einiges über diese breitere Szenerie und das politisch-kulturelle Hintergrundrauschen zu erfahren - ebenso wie über die schillernde Figur Rathenau selbst, dem Stefan Zweig einmal anerkennend ein "amphibisches Wesen" zuschrieb. Doch das macht nicht den Schwerpunkt und den Charakter dieser Studie aus. Sie ist ein mustergültiges Beispiel für knallharte Geschichtskriminalistik, die belastbare Beweisketten dafür liefert, dass es sich beim Rathenaumord nicht um eine ganz auf ihr Opfer zugeschnittene Einzeltat handelte, sondern vielmehr um einen Akt innerhalb eines weitreichenden Komplotts gegen die Weimarer Republik.
In einer früheren Fassung erschien diese brillante Darstellung vor fast drei Jahrzehnten. Die Lektüre der um ein Nachwort ergänzten Neuauflage lohnt schon deshalb, weil die Argumentation so dicht wie quellennah entfaltet wird und der Wissensstand im Kern unverändert blieb. Im ersten Teil rekonstruiert Sabrow nicht nur den Rathenaumord, sondern situiert diesen innerhalb einer ganzen Attentatsserie, die von Matthias Erzberger über Philipp Scheidemann bis zu Maximilian Harden reichte. Während im Falle Hardens völkische Trittbrettfahrer am Werk waren, gingen die drei weiteren Anschläge auf das Konto der Organisation Consul (O.C.). Dieser militärisch straff strukturierte Geheimbund ging aus einer Marinebrigade im hohen Norden - unter Kapitän Hermann Ehrhardt - hervor, agierte aber bald von München aus. Nicht zuletzt gedeckt durch den dortigen Polizeipräsidenten, entwickelte sich die bayerische Hauptstadt zu einem "Eldorado rechtsterroristischer Umtriebe". Von dort aus steuerte die Organisation einer staatlichen Militärbehörde gleich ein über ganz Deutschland ausgedehntes Netzwerk von mindestens fünftausend Mann.
Nach der Ermordung Erzbergers Ende August 1921 gelang ein harter Schlag gegen die Vereinigung, die aber insgeheim fortbestehen konnte und bald akribisch die nächsten Taten vorbereitete. Sie verfolgte nach den Erfahrungen des gescheiterten Kapp-Putsches vom März 1920 eine "Provokationsstrategie", wie Sabrow schreibt. Attentate sollten einen Aufruhr der politischen Linken und einen bürgerkriegsartigen Zustand bewirken. Kräfte wie Ehrhardts Gewalttruppe würden dann im Verbund mit der Reichswehr wieder für Ordnung sorgen und die ob ihrer Schwäche entblößte republikanische Regierung durch ein autoritäres Regime ersetzen. Doch es kam anders. Die Bluttat vom 24. Juni rief großes öffentliches Entsetzen hervor. Allein in Berlin nahmen rund eine Million Menschen an der Trauerfeier für den ermordeten Außenminister teil. Die Politik reagierte ebenfalls entschlossen und verabschiedete Republikschutzregelungen, die Weimars Willen zur Wehrhaftigkeit anzeigten.
Eine konkrete Konsequenz bestand in der Schaffung des Staatsgerichtshofs in Leipzig, vor dem mehrere Prozesse zum Rathenaumord und zur Organisation Consul stattfinden sollten. Ihnen ist der zweite große Abschnitt in Sabrows Werk gewidmet. Es lässt nichts Gutes über die justizielle Aufklärungsleistung vermuten, wenn dort von einer "verdrängten Verschwörung" und einem "nationalen Schweigekonsens" die Rede ist. Dem Gericht gelang es nicht zureichend, die Hintergründe samt Strippenziehern und ausgetüftelten Strategien aufzudecken. Es wäre dazu wohl in der Lage gewesen, allein der Wille fehlte, weil diese Institution von einer "konservativen, vordemokratischen Staatsidee" geleitet wurde. Hinzu kamen außenpolitische Rücksichtnahmen, denn die Organisation Consul mischte bei geheimen Rüstungsbestrebungen der "Schwarzen Reichswehr" mit, die gegen Regelungen des Versailler Vertrags verstießen. Die Sorge vor alliierten Sanktionen war groß. In diesen Passagen deutet sich an, wie vertrackt und politisch-gesellschaftlich eingewachsen der Terrorkomplex der Organisation Consul war.
Mit dem Spürsinn und der Akribie eines Kriminalisten hat Martin Sabrow den Rathenaumord und die weitere Attentatsserie der frühen Weimarer Republik rekonstruiert, mit dem Weitblick und der Urteilskraft des Historikers zudem eine kritische Einordnung in Weimars Politik- und Justizgeschichte vorgenommen. Im Nachwort verfolgt er die weitere Biographie Hermann Ehrhardts, der von "kalter Gleichgültigkeit gegenüber dem menschlichen Leben" gekennzeichnet war und bis ins Epochenjahr 1923 hinein eine gewaltgestützte Gegenrevolution gegen die Demokratie organisierte.
Solche Typen trugen mit dazu bei, die Weimarer Republik zu unterminieren und Hitler zu ermöglichen, mochte sich Ehrhardt bald auch noch so abfällig über diesen "widerlichen Volkstribunen" und dessen pöbelhafte Bewegung, die gegen sein "Herrengefühl" verstieß, äußern. In differenzierter Weise wirft Martin Sabrow abschließend Fragen nach der Kontinuität des frühen Weimarer Rechtsterrorismus auf, die über die Zeitenwende von 1933 und 1945 hinaus bis zu den Taten des NSU und dem Mord an Walter Lübcke reichen. Ein Menetekel für die Gegenwart kann er im Rathenaumord aber glücklicherweise nicht ausmachen. ALEXANDER GALLUS
Martin Sabrow: "Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution".
Wallstein Verlag, Göttingen 2022. 334 S., geb., 30,- Euro.
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