Der Historiker und Publizist Kellerhoff rückt die Täterfrage in den Fokus seines Buches. Um die Täterschaft wird seit nun schon bald neunzig Jahren gestritten. War der Brand Teil einer kommunistischen Verschwörung, das Fanal zu einem kommunistischen Aufstand? Oder eine gezielte Provokation der
Nationalsozialisten, um hart gegen die KPD losschlagen und die NS-Diktatur errichten zu können? Oder doch…mehrDer Historiker und Publizist Kellerhoff rückt die Täterfrage in den Fokus seines Buches. Um die Täterschaft wird seit nun schon bald neunzig Jahren gestritten. War der Brand Teil einer kommunistischen Verschwörung, das Fanal zu einem kommunistischen Aufstand? Oder eine gezielte Provokation der Nationalsozialisten, um hart gegen die KPD losschlagen und die NS-Diktatur errichten zu können? Oder doch die Tat eines Einzelnen - des Niederländers Marinus van der Lubbe? Der Autor gelangt aufgrund seiner Recherchen zu dem Ergebnis, dass an der Einzeltäterschaft van der Lubbes als Brandstifter nicht gezweifelt werden könne. (S. 139.) Auftraggeber, Mittäter oder Helfer hätte es nicht gegeben.
Der junge niederländische Rätekommunist und gelernte Maurer war in der Brandnacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 noch im Reichstagsgebäude als Tatverdächtiger festgenommen worden. Er gestand sogleich die Tat und beharrte von der ersten Vernehmung bis zu seiner Hinrichtung am 10. Januar 1934 darauf, den Reichstag allein in Brand gesetzt zu haben. Dabei hatte er das Ziel verfolgt, "die Arbeiter zum Kampf für die Freiheit aufzurütteln." (S. 41.) In seinem - in puncto Quellenwert umstrittenen - Geständnis vor dem Reichsgericht in Leipzig soll er ausgeführt haben, dass er die Tat begangen hätte, um die "deutsche Arbeiterschaft zum Widerstand gegen die kapitalistische Herrschaft und die Machtübergabe an die Faschisten aufzurufen."
Heute würden Strafrechtler und Kriminologen wohl vom Tätertyp eines "einsamen Wolfes" sprechen, dem es um eine Art Weckruf an die Adresse seiner deutschen Klassenbrüder gegangen war.
Die Alleintäterschaft van der Lubbes war bereits von vielen Zeitgenossen bezweifelt worden und wird bis heute kontrovers diskutiert. Als Kritiker der Alleintäterthese traten mehrere deutsche Geschichtswissenschaftler hervor; diese vermuteten eine unmittelbare Tatbeteiligung führender Nationalsozialisten. Mittlerweile geben sich allerdings nur noch wenige Forscher überzeugt, dass die NS-Führung hinter dem Brandanschlag steckte. Der amerikanische Historiker Benjamin Carter Hett hält die Täterschaft eines Berliner SA-Kommandos mit Goebbels als Hintermann für möglich.
Von der konträren Behauptung, der Niederländer hätte als willfähriges Werkzeug von KPD-Funktionären und -Aktivisten gehandelt, ist heute nirgendwo mehr die Rede. Zwar schürten die Nazis und die reaktionäre Kamarilla um Hindenburg Ende 1932/Anfang 1933 die Furcht vor einem kommunistischen Aufstand, aber man hatte auf der äußersten Rechten die damalige Strategie der KPD nicht begriffen - oder über sie zwecks wirksamer Agitation gegen die "Gefahr" geflissentlich hinweggesehen.
Diese Strategie bestand darin, abzuwarten bis die am 30. Januar 1933 neu eingesetzte Regierung mit Hitler als Reichskanzler infolge der tiefen Wirtschaftskrise, in der sich Deutschland und die übrige kapitalistische Welt damals befanden, "abgewirtschaftet" hatte und von selbst zusammenbrach. Dahinter stand die illusionäre und in der Rückschau verhängnisvolle Hoffnung, politisches Stillhalten würde letztlich zum Erfolg - zum schnellen Ende des Präsidialkabinetts Hitler - führen.
Die Karriere des Kriminalfalls "Reichstagsbrand" ist eigentlich zweigeteilt. Zum einen besteht sie aus dem Historikerstreit um die Frage der Urheberschaft der Reichstagsbrandstiftung bzw. der Alleintäterschaft van der Lubbes. Diese zeitweise sehr heftig geführte Kontroverse schwelt seit Ende der 1950er Jahre und scheint längst nicht beendet.
Zum anderen wurde das Recht brechende Todesurteil des Reichsgerichts in Leipzig vom 23. Dezember 1933 gegen Marinus van der Lubbe von bundesdeutschen Gerichten in der Zeit von 1967 bis 1983 mehrfach abgemildert, für ungültig erklärt und in veränderter Form wieder bestätigt und schließlich am 6. Dezember 2007 von der Bundesanwaltschaft endgültig aufgehoben. Dass das Leipziger Gerichtsurteil erst so spät kassiert wurde, wirft kein gutes Licht auf die deutsche Justiz.
Dr. Harald Me