Stefan und Elisabeth treffen sich auf dem Flug nach Afrika kurz nach dem Abitur wieder. Gegen Ende der Schulzeit hatten sie eine flüchtige Beziehung. Während Stefan das Strandleben genießt, will Elisabeth das fremde Land in Afrika verstehen. Sie freundet sich mit einem Lehrer an, der ihr die historischen Hintergründe erklärt, und der einheimische Guide Ndou führt sie durch die ärmsten Viertel. Elisabeth lernt, die Welt und ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu sehen. Bereits in Mankells erstem Afrika-Roman sind seine späteren großen Themen versammelt: die Schönheit der Natur, die Überlebenskunst der Einheimischen, die Gedankenlosigkeit der weißen Touristen und die Nachwirkungen des Kolonialismus.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2017Kulturschock in Afrika
Henning Mankells früher Roman "Der Sandmaler"
"Der Respekt vor den Menschen in Afrika und ihrer Würde zieht sich wie ein roter Faden durch Mankells Werk", sagte Bundespräsident Horst Köhler 2009 in der Laudatio zur Verleihung des Erich Maria Remarque-Friedenspreises an Henning Mankell: "Er romantisiert nicht, und er dämonisiert nicht, sondern führt seine Leser in eine für Europäer geographisch nahe und emotional doch sehr fremde Welt." Gemeint ist Afrika, dem der durch Kriminalromane zu Weltruhm gelangte Autor einen Großteil seiner Lebens- und Arbeitszeit gewidmet hat. Köhlers Worte bezeichnen die Stärken und zugleich die Schwächen des vorliegenden Buchs, mit dem Henning Mankell die literarische Bühne in Schweden betrat, lange bevor er die Figur des Kommissars Wallander erfand.
"Der Sandmaler", Mankells zweiter Roman, spielt in Westafrika, in Gambia genauer gesagt, einer anglophonen Enklave in Senegal, die in den siebziger Jahren wegen ihrer Sandstrände und Billigpreise ein beliebtes Reiseziel skandinavischer Touristen war. Der Text ist durch und durch politisch korrekt, obwohl es diesen Begriff im Erscheinungsjahr 1974 noch gar nicht gab, und garantiert jugendfrei dazu. Zwar ist viel von Sex und Politik, Rassismus und Kolonialismus die Rede, doch die Abgründe von Gewalt und Perversion, die sich in den Wallander-Romanen auftun, bleiben hier außen vor. Schweden, ja Skandinavien insgesamt, erscheint als ein sozialdemokratisches Volksheim, das den bösen Kolonialisten und Imperialisten die Leviten liest, mit pädagogisch erhobenem Zeigefinger und didaktischer Intention. Dazu passt, dass die heimliche Hauptfigur des Romans ein linker Lehrer ist, der einer jungen, politisch noch unbedarften Schwedin das Elend Afrikas so erklärt: "Nachdem sich dieses Land glücklich von der Unterdrückung durch die Engländer befreit hatte, machte sich sofort etwas breit, das man Touristenimperialismus nennen könnte, und genau den betreiben die Reisebüros hier. Es ist teuflisch, aber so ist es. Die Einheimischen sollten natürlich selbst die Hotels besitzen, und das Geld, das wir Touristen ausgeben, müsste im Land bleiben und für den Aufbau benutzt werden, für Arbeitsplätze, Schulen und Krankenhäuser, um den Armen hier das Leben zu erleichtern."
Das klingt plausibler, als es ist, denn die allgegenwärtige Korruption, vor der Afrikaner nach Europa fliehen, kommt in dieser ideologisch geschönten Betrachtungsweise nicht vor. So wenig wie die Sklavenjagden der Araber, die dem europäischen Sklavenhandel vorausgingen und diesen sogar überdauert haben - bis heute existieren offene und verdeckte Formen der Sklaverei in Mauretanien und Sudan, Saudi-Arabien und Qatar. Vor der Kolonialisierung war Afrika nicht im Stande der Unschuld, und die Komplizenschaft mit einheimischen Despoten hat die Kolonialherrschaft überhaupt erst möglich gemacht. Insofern hat der Publizist Andreas Breitenstein recht, wenn er Mankell selbstgefälligen linken Moralismus auf der Basis historischen Halbwissens vorwirft: Nach einem Besuch der besetzten Gebiete hatte Mankell das Existenzrecht Israels in Frage gestellt und Verständnis für palästinensische Bombenattentäter bekundet.
Der Text aber ist vielschichtiger als die holzschnittartigen Ansichten seines Autors, und ideologisches Schwarzweißdenken wird dem Roman nicht gerecht. Henning Mankell erzählt die Geschichte aus der Perspektive einer Zwanzigjährigen auf der Suche nach persönlicher und politischer Orientierung zwischen dem revolutionären Umbruch von 1968 und den traditionellen Werten der schwedischen Gesellschaft, hinter deren vermeintlicher Offenheit sich ein konservatives Weltbild verbirgt. Genau genommen ist "Der Sandmaler" ein Jugendbuch: Erst aus dieser Sicht tritt zutage, was Elisabeth, die Heldin des Romans, mit dem kauzigen Kommissar Wallander verbindet.
Ich habe selten ein sensibleres und subtileres Porträt einer Heranwachsenden gelesen, die in der Reizüberflutung der siebziger Jahre sich selbst zu finden und angesichts von Armut und Elend nach Halt und Orientierung sucht: ein Kulturschock, den jeder Dritte-Welt-Tourist auf seine Weise verarbeitet. Elisabeths Exfreund Stefan, Sohn eines reichen Vaters, betäubt seine Zweifel mit Alkohol und käuflichem Sex, während sie sich zu Sven hingezogen fühlt, dem linken Lehrer, mit dem sie nur deshalb nicht schläft, weil sie auf dem Hinflug Zeugin seines epileptischen Anfalls wurde: "Sie hatte auch mit dem Gedanken gespielt, mit ihm zu schlafen. Nicht weil er direkt ihr Typ war, aber er gab ihr ein wunderbares Gefühl von Geborgenheit und verströmte große Warmherzigkeit. Es wäre zu scheußlich, wenn er gerade dann einen Anfall bekäme." Anziehung und Abstoßung zugleich - ein Double Bind, das zu Henning Mankells Markenzeichen gehört und in den Wallander-Romanen in anderer Form wiederkehrt.
HANS CHRISTOPH BUCH
Henning Mankell: "Der Sandmaler". Roman. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017. 156 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Henning Mankells früher Roman "Der Sandmaler"
"Der Respekt vor den Menschen in Afrika und ihrer Würde zieht sich wie ein roter Faden durch Mankells Werk", sagte Bundespräsident Horst Köhler 2009 in der Laudatio zur Verleihung des Erich Maria Remarque-Friedenspreises an Henning Mankell: "Er romantisiert nicht, und er dämonisiert nicht, sondern führt seine Leser in eine für Europäer geographisch nahe und emotional doch sehr fremde Welt." Gemeint ist Afrika, dem der durch Kriminalromane zu Weltruhm gelangte Autor einen Großteil seiner Lebens- und Arbeitszeit gewidmet hat. Köhlers Worte bezeichnen die Stärken und zugleich die Schwächen des vorliegenden Buchs, mit dem Henning Mankell die literarische Bühne in Schweden betrat, lange bevor er die Figur des Kommissars Wallander erfand.
"Der Sandmaler", Mankells zweiter Roman, spielt in Westafrika, in Gambia genauer gesagt, einer anglophonen Enklave in Senegal, die in den siebziger Jahren wegen ihrer Sandstrände und Billigpreise ein beliebtes Reiseziel skandinavischer Touristen war. Der Text ist durch und durch politisch korrekt, obwohl es diesen Begriff im Erscheinungsjahr 1974 noch gar nicht gab, und garantiert jugendfrei dazu. Zwar ist viel von Sex und Politik, Rassismus und Kolonialismus die Rede, doch die Abgründe von Gewalt und Perversion, die sich in den Wallander-Romanen auftun, bleiben hier außen vor. Schweden, ja Skandinavien insgesamt, erscheint als ein sozialdemokratisches Volksheim, das den bösen Kolonialisten und Imperialisten die Leviten liest, mit pädagogisch erhobenem Zeigefinger und didaktischer Intention. Dazu passt, dass die heimliche Hauptfigur des Romans ein linker Lehrer ist, der einer jungen, politisch noch unbedarften Schwedin das Elend Afrikas so erklärt: "Nachdem sich dieses Land glücklich von der Unterdrückung durch die Engländer befreit hatte, machte sich sofort etwas breit, das man Touristenimperialismus nennen könnte, und genau den betreiben die Reisebüros hier. Es ist teuflisch, aber so ist es. Die Einheimischen sollten natürlich selbst die Hotels besitzen, und das Geld, das wir Touristen ausgeben, müsste im Land bleiben und für den Aufbau benutzt werden, für Arbeitsplätze, Schulen und Krankenhäuser, um den Armen hier das Leben zu erleichtern."
Das klingt plausibler, als es ist, denn die allgegenwärtige Korruption, vor der Afrikaner nach Europa fliehen, kommt in dieser ideologisch geschönten Betrachtungsweise nicht vor. So wenig wie die Sklavenjagden der Araber, die dem europäischen Sklavenhandel vorausgingen und diesen sogar überdauert haben - bis heute existieren offene und verdeckte Formen der Sklaverei in Mauretanien und Sudan, Saudi-Arabien und Qatar. Vor der Kolonialisierung war Afrika nicht im Stande der Unschuld, und die Komplizenschaft mit einheimischen Despoten hat die Kolonialherrschaft überhaupt erst möglich gemacht. Insofern hat der Publizist Andreas Breitenstein recht, wenn er Mankell selbstgefälligen linken Moralismus auf der Basis historischen Halbwissens vorwirft: Nach einem Besuch der besetzten Gebiete hatte Mankell das Existenzrecht Israels in Frage gestellt und Verständnis für palästinensische Bombenattentäter bekundet.
Der Text aber ist vielschichtiger als die holzschnittartigen Ansichten seines Autors, und ideologisches Schwarzweißdenken wird dem Roman nicht gerecht. Henning Mankell erzählt die Geschichte aus der Perspektive einer Zwanzigjährigen auf der Suche nach persönlicher und politischer Orientierung zwischen dem revolutionären Umbruch von 1968 und den traditionellen Werten der schwedischen Gesellschaft, hinter deren vermeintlicher Offenheit sich ein konservatives Weltbild verbirgt. Genau genommen ist "Der Sandmaler" ein Jugendbuch: Erst aus dieser Sicht tritt zutage, was Elisabeth, die Heldin des Romans, mit dem kauzigen Kommissar Wallander verbindet.
Ich habe selten ein sensibleres und subtileres Porträt einer Heranwachsenden gelesen, die in der Reizüberflutung der siebziger Jahre sich selbst zu finden und angesichts von Armut und Elend nach Halt und Orientierung sucht: ein Kulturschock, den jeder Dritte-Welt-Tourist auf seine Weise verarbeitet. Elisabeths Exfreund Stefan, Sohn eines reichen Vaters, betäubt seine Zweifel mit Alkohol und käuflichem Sex, während sie sich zu Sven hingezogen fühlt, dem linken Lehrer, mit dem sie nur deshalb nicht schläft, weil sie auf dem Hinflug Zeugin seines epileptischen Anfalls wurde: "Sie hatte auch mit dem Gedanken gespielt, mit ihm zu schlafen. Nicht weil er direkt ihr Typ war, aber er gab ihr ein wunderbares Gefühl von Geborgenheit und verströmte große Warmherzigkeit. Es wäre zu scheußlich, wenn er gerade dann einen Anfall bekäme." Anziehung und Abstoßung zugleich - ein Double Bind, das zu Henning Mankells Markenzeichen gehört und in den Wallander-Romanen in anderer Form wiederkehrt.
HANS CHRISTOPH BUCH
Henning Mankell: "Der Sandmaler". Roman. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017. 156 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ich habe selten ein sensibleres und subtileres Porträt einer Heranwachsenden gelesen, die in der Reizüberflutung der siebziger Jahre sich selbst zu finden und angesichts von Armut und Elend nach Halt und Orientierung sucht." Hans Christoph Buch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.10.17
"Hier zeigt sich bereits Henning Mankells Gespür für das Innenleben seiner Figuren. Und ein Gefühl für Afrika. Seine Beschreibungen ... bestechen immer wieder durch überraschende kleine Beobachtungen." Anja Ruf, Frankfurter Rundschau, 21.08.17
"Hier zeigt sich bereits Henning Mankells Gespür für das Innenleben seiner Figuren. Und ein Gefühl für Afrika. Seine Beschreibungen ... bestechen immer wieder durch überraschende kleine Beobachtungen." Anja Ruf, Frankfurter Rundschau, 21.08.17