"Norman Manea ist ein glänzender Schriftsteller, der das Poetische noch im Ungesagten spürbar zu machen vermag." Ina Hartwig, Laudatio zum Nelly-Sachs-Preis
Das beeindruckende Spätwerk des großen rumänischen Autors Norman Manea: Kurz vor dem Fall der Mauer wird „N.M.", der Wandernde, aus Rumänien ausgewiesen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat geht er nach Berlin zu einem alten Freund, der sich als noch immer überzeugter Kommunist offenbart. Hier möchte er nicht bleiben, und so zieht er weiter nach New York, wo seine Halbschwester wohnt. Sie beide haben als Kinder den Holocaust überlebt und ringen um ein Gleichgewicht zwischen der Vergangenheit und der Notwendigkeit, sich in einer zunehmend unsteten Gegenwart ein neues Leben aufzubauen. Kunstvoll legt Norman Manea seine eigene Geschichte mit Figuren der Weltliteratur zu einem literarischen Mosaik.
Das beeindruckende Spätwerk des großen rumänischen Autors Norman Manea: Kurz vor dem Fall der Mauer wird „N.M.", der Wandernde, aus Rumänien ausgewiesen. Auf der Suche nach einer neuen Heimat geht er nach Berlin zu einem alten Freund, der sich als noch immer überzeugter Kommunist offenbart. Hier möchte er nicht bleiben, und so zieht er weiter nach New York, wo seine Halbschwester wohnt. Sie beide haben als Kinder den Holocaust überlebt und ringen um ein Gleichgewicht zwischen der Vergangenheit und der Notwendigkeit, sich in einer zunehmend unsteten Gegenwart ein neues Leben aufzubauen. Kunstvoll legt Norman Manea seine eigene Geschichte mit Figuren der Weltliteratur zu einem literarischen Mosaik.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Fabian Wolff verehrt den rumänischen Schriftsteller Norman Manea als einen großen Vertreter der Literatur gegen die Angst und die Lügen. Er sieht in einer Reihe mit Grass, Roth, Semprun und Konrad, mit Duras, Calvino und Kis. Seinen Roman "Der Schatten im Exil" liest Wolff als Alterswerk, in dem der in der Bukowina geborene Manea fiktionalisiert auf ein Leben im Exil zurückblickt, erst in Transnistrien, dann in West-Berlin und schließlich in den USA. "Tiefer und ungreifbarer" erscheint ihm das Werk im Vergleich zu früheren Romanen, aber auch fragmentarischer und inkonsistenter in sich selbst und gegenüber anderen Texten. Ob Manea hier absichtlich von anderen Darstellungen abweicht oder ob ihm mit 87 Jahren der feste Zugriff entgleitet, kann Wolff nicht sagen. Oder er möchte es nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2023In Schlemihls Schatten
Norman Manea sucht die Heimatlosen
Das Exil beginnt beim Verlassen der Gebärmutter. Somit sind alle Menschen Exilanten qua Geburt. Der "Reisende" wundert sich bei seinem Flug aus Rumänien heraus, dass er nicht blutet. Er habe sich die Entwurzelung, die Entfesselung und die Trennung von seiner Heimat blutig vorgestellt. Wie eine Geburt. Er stellt jedoch klar, dass er an Wiedergeburt nicht glaube, auch nicht an Auferstehung. Er wolle nur weg aus dem "heiteren Fegefeuer", "weit weg, in die andere Welt, Himmel oder Hölle". Er landet im Berlin der Achtzigerjahre, im Exil, nach der Flucht vor dem Regime des Diktators Ceausescu. Ob das die richtige Entscheidung war, weiß er nicht.
Im Roman "Der Schatten im Exil" des rumänischen Autors Norman Manea hat die männliche Hauptfigur keinen Namen. Sie begegnet uns als "Passagier", "Exilant" oder "Zuhörer". Vom Moment der Flucht in den Westen an tritt der Mann vor allem als "Nomade" auf. Einen Freund namens Günther hat er in Berlin, mit dem er bis tief in die Nacht über den Kommunismus streitet, und eine Englischlehrerin sowie Liebhaberin, die ihre guten Kontakte zu einem Elitecollege in Amerika nutzt, um dem "Studenten" und angehenden "Professor" eine berufliche Perspektive im "Yankee-Land" zu ermöglichen. Dort angekommen, trifft er auch seine Halbschwester Tamar. Die inzestuöse Beziehung zu ihr war sein einziger Halt nach der Zeit im Lager. Dort haben sie ihren gemeinsamen Vater und Tamars Mutter verloren. Sie sind jüdisch, aber nicht sonderlich religiös. Und trotzdem kommt der Leser dem Namenlosen selbst nicht näher. Er begegnet ihm äußerlich und auf Distanz - so wie der Exilant von anderen wahrgenommen wird.
Doch gibt Manea auf andere Art Einblick ins Innere seiner Hauptfigur: Schnell wird klar, dass sich der Namenlose mit Peter Schlemihl identifiziert, mit jener fiktiven Figur des Schriftstellers Adelbert von Chamisso, die einen Pakt mit dem Teufel eingeht und ihren Schatten für endlosen Reichtum verkauft, wodurch sie sich aber gesellschaftlich ausgrenzt und schließlich ihr Leben in Einsamkeit der Wissenschaft widmet. Das Reclamheft mit "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte" muss der Reisende bei einer Durchsuchung am Flughafen in Rumänien abgeben. Dort bezeichnet er es als seinen Reiseführer. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Maneas Roman. Zunehmend distanziert sich die Hauptfigur von denen, die ihm nahestehen, er will allein sein. Bis Tamar Selbstmord begeht und der "Professor" im Delirium ausruft, dass er nun bereit sei. Offen bleibt, was die dann eintretende "wahre Erlösung" bedeutet.
Die Antwort auf diese Fragen überlässt Manea dem Leser. Wie so oft bei diesem Schriftsteller wird die Handlung weder chronologisch strukturiert noch aus nur einer Erzählperspektive geschildert. Sie macht neben anderen literarischen Texten (etwa von Thomas Mann und Robert Musil), studentischen Essays aus dem College sowie Gedichten, Briefen und Erinnerungen lediglich einen Teil des Romans aus. Es ist die Aufgabe des Lesers, diese Fragmente zusammenzusetzen. "Der Schatten im Exil" liefert eine facettenreiche Darstellung literarischer Eindrücke während und nach der Flucht, in der das Fragmentarische sinnbildlich für die Ambivalenz und Zerrissenheit im Exil steht. Nachdem der "Reisende" von "Karl und Adolf" in Berlin verfolgt wird, begegnet er anderen Heimatlosen in Amerika, die ihn auch verfolgen. Über seine Vergangenheit will er nicht sprechen, denn "wir wollen die Rollen nicht annehmen, die andere für uns geschrieben hatten". Der Namenlose ist zu stolz, um von Holocaust und Kommunismus definiert zu werden. Doch Maneas wechselnde Zuschreibungen zeigen, dass der Exilant keine eigenständige Identität findet.
Über die namenlose Hauptfigur kommt man auch dem jüdischen Autor Norman Manea näher. Denn so, wie der "Nomade" Peter Schlemihl ähnelt, scheint er auch Manea selbst zu gleichen - auch der war in einem Konzentrationslager in Transnistrien interniert und ist aus dem kommunistischen Rumänien über Berlin nach Amerika geflohen. Im Roman heißt es: "Ein Schriftsteller kann aus einem Werk den Schatten seiner selbst machen, um sich selbst dabei zu entdecken." CARLOTA BRANDIS
Norman Manea: "Der Schatten im Exil". Roman.
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Hanser Verlag, München 2023. 319 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Norman Manea sucht die Heimatlosen
Das Exil beginnt beim Verlassen der Gebärmutter. Somit sind alle Menschen Exilanten qua Geburt. Der "Reisende" wundert sich bei seinem Flug aus Rumänien heraus, dass er nicht blutet. Er habe sich die Entwurzelung, die Entfesselung und die Trennung von seiner Heimat blutig vorgestellt. Wie eine Geburt. Er stellt jedoch klar, dass er an Wiedergeburt nicht glaube, auch nicht an Auferstehung. Er wolle nur weg aus dem "heiteren Fegefeuer", "weit weg, in die andere Welt, Himmel oder Hölle". Er landet im Berlin der Achtzigerjahre, im Exil, nach der Flucht vor dem Regime des Diktators Ceausescu. Ob das die richtige Entscheidung war, weiß er nicht.
Im Roman "Der Schatten im Exil" des rumänischen Autors Norman Manea hat die männliche Hauptfigur keinen Namen. Sie begegnet uns als "Passagier", "Exilant" oder "Zuhörer". Vom Moment der Flucht in den Westen an tritt der Mann vor allem als "Nomade" auf. Einen Freund namens Günther hat er in Berlin, mit dem er bis tief in die Nacht über den Kommunismus streitet, und eine Englischlehrerin sowie Liebhaberin, die ihre guten Kontakte zu einem Elitecollege in Amerika nutzt, um dem "Studenten" und angehenden "Professor" eine berufliche Perspektive im "Yankee-Land" zu ermöglichen. Dort angekommen, trifft er auch seine Halbschwester Tamar. Die inzestuöse Beziehung zu ihr war sein einziger Halt nach der Zeit im Lager. Dort haben sie ihren gemeinsamen Vater und Tamars Mutter verloren. Sie sind jüdisch, aber nicht sonderlich religiös. Und trotzdem kommt der Leser dem Namenlosen selbst nicht näher. Er begegnet ihm äußerlich und auf Distanz - so wie der Exilant von anderen wahrgenommen wird.
Doch gibt Manea auf andere Art Einblick ins Innere seiner Hauptfigur: Schnell wird klar, dass sich der Namenlose mit Peter Schlemihl identifiziert, mit jener fiktiven Figur des Schriftstellers Adelbert von Chamisso, die einen Pakt mit dem Teufel eingeht und ihren Schatten für endlosen Reichtum verkauft, wodurch sie sich aber gesellschaftlich ausgrenzt und schließlich ihr Leben in Einsamkeit der Wissenschaft widmet. Das Reclamheft mit "Peter Schlemihls wundersamer Geschichte" muss der Reisende bei einer Durchsuchung am Flughafen in Rumänien abgeben. Dort bezeichnet er es als seinen Reiseführer. Es zieht sich wie ein roter Faden durch Maneas Roman. Zunehmend distanziert sich die Hauptfigur von denen, die ihm nahestehen, er will allein sein. Bis Tamar Selbstmord begeht und der "Professor" im Delirium ausruft, dass er nun bereit sei. Offen bleibt, was die dann eintretende "wahre Erlösung" bedeutet.
Die Antwort auf diese Fragen überlässt Manea dem Leser. Wie so oft bei diesem Schriftsteller wird die Handlung weder chronologisch strukturiert noch aus nur einer Erzählperspektive geschildert. Sie macht neben anderen literarischen Texten (etwa von Thomas Mann und Robert Musil), studentischen Essays aus dem College sowie Gedichten, Briefen und Erinnerungen lediglich einen Teil des Romans aus. Es ist die Aufgabe des Lesers, diese Fragmente zusammenzusetzen. "Der Schatten im Exil" liefert eine facettenreiche Darstellung literarischer Eindrücke während und nach der Flucht, in der das Fragmentarische sinnbildlich für die Ambivalenz und Zerrissenheit im Exil steht. Nachdem der "Reisende" von "Karl und Adolf" in Berlin verfolgt wird, begegnet er anderen Heimatlosen in Amerika, die ihn auch verfolgen. Über seine Vergangenheit will er nicht sprechen, denn "wir wollen die Rollen nicht annehmen, die andere für uns geschrieben hatten". Der Namenlose ist zu stolz, um von Holocaust und Kommunismus definiert zu werden. Doch Maneas wechselnde Zuschreibungen zeigen, dass der Exilant keine eigenständige Identität findet.
Über die namenlose Hauptfigur kommt man auch dem jüdischen Autor Norman Manea näher. Denn so, wie der "Nomade" Peter Schlemihl ähnelt, scheint er auch Manea selbst zu gleichen - auch der war in einem Konzentrationslager in Transnistrien interniert und ist aus dem kommunistischen Rumänien über Berlin nach Amerika geflohen. Im Roman heißt es: "Ein Schriftsteller kann aus einem Werk den Schatten seiner selbst machen, um sich selbst dabei zu entdecken." CARLOTA BRANDIS
Norman Manea: "Der Schatten im Exil". Roman.
Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Hanser Verlag, München 2023. 319 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"In 'Der Schatten Im Exil' treffen reale Gestalten auf Traumgestalten und das alles fügt sich ganz organisch zusammen. Schatten sprechen, Freunde schweigen, Schriftsteller im Exil begegnen sich: Nabokov und Joyce, Brecht, Brodsky und Celan. Romanfiguren finden sich: Don Quixote, der Mann ohne Eigenschaften, Monsieur Montaigne, der Kartenspieler, der reisende Herr K.. Alle sind sie besessen vom Exil und vom Schatten. [...] Manea schafft eine dichte Atmosphäre, Reales, Fiktives, Vergangenes und Gegenwärtiges fließen ineinander. Es gelingt ihm, seine Leser gefangen zu nehmen. Irgendwann fragt man sich nicht mehr, was wirklich erlebt, was geträumt, was phantasiert ist." Simone Hamm, WDR1, 11.04.23
"Norman Manea ist ein bewegender Roman über das Ich und dessen Schatten in einem Zeitalter der Verwüstung gelungen." Oliver Jens Schmitt, Falter, 22.03.23
"Norman Manea ist ein bewegender Roman über das Ich und dessen Schatten in einem Zeitalter der Verwüstung gelungen." Oliver Jens Schmitt, Falter, 22.03.23
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2023Der ewige Nomade
„Das Exil beginnt beim Verlassen
der Gebärmutter“: Norman Maneas umwerfender
neuer Roman und sein großer literarischer Kampf
gegen die Lügen und die Angst
VON FABIAN WOLFF
Es hat sich eingebürgert, das Leben des Schriftstellers Norman Manea anhand Exil-Stationen zu erzählen: die erste mit fünf, als er von der Bukowina nach Transnistrien deportiert wurde, die zweite mit 50, als er aus dem kommunistischen Rumänien in den Westen ging, erst nach Berlin, dann in die USA, ans Bard College. In einem Profil im New Yorker wird ein Weglaufen mit vier Jahren als erster Versuch präsentiert, sich aus dem Staub zu machen, Manea selbst setzt in seinem neuen Roman noch früher an: „Das Exil beginnt beim Verlassen der Gebärmutter.“
Das ist, wie vieles bei Manea, ein Witz und doch keiner. Von seinem ersten Roman „Captivi“ an geistern Mütter durch seine Romane, Kurzgeschichten und Essays, oder besser: die Mutter, seine eigene, mit der er das Lager überlebt hat und die ihn der Tradition nach zum Juden gemacht hat. Exil wird bei Manea als Entfernung zum Grab seiner Mutter gemessen. Aber es ist auch ein Satz, der die logische und schelmenhafte Konsequenz einer literarischen Karriere ist, die seit Jahrzehnten immer wieder die Begriffe Exil, Sprache, Rückkehr und Erinnerung durchmisst und neu arrangiert.
Dass Manea, weit über 80, noch einmal einen ganzen dichten Roman zu diesen Koordinaten veröffentlicht, ist dann doch überraschend. „Der Schatten im Exil“ ist Autofiktion und ist es doch nicht. Er präsentiert sich als Summe, vielleicht sogar als Abrechnung, und unterläuft gleichzeitig viele Erwartungen an Spätwerke.
Das beginnt bei der Verflechtung von erzähltem Leben und Erzählerleben. Der Protagonist scheint Manea zu sein, aber fast wie Belohnungen sind kleine Differenzen zur realen Biografie versteckt, deren wichtigste Stationen in dem Buch noch einmal durchlaufen werden. Manea und dem namenlosen Protagonisten – oft einfach „der Nomade“, „der Exilant“, „der Heimatlose“ genannt – sind zum Beispiel die bukowinische Kindheit gemein, die erst durch die sowjetische Besatzung unterbrochen und schließlich durch die deutsch-rumänische Deportation nach Transnistrien ins „stacheldrahtbewerte Exil der Kindheit“ beendet wurde. Es ist jene Gegend, mit Czernowitz als Hauptstadt, aus der Rose Ausländer, Alfred Kittner und Paul Celan kommen.
Aber die Familie, in die Manea 1936 geboren wurde, war schon zu rumänisiert, als dass Manea das gleiche Verhältnis zur deutschen Sprache wie die diese Dichter hätte haben können. Gleichzeitig drang in seine Geburtsstadt Suceava nicht viel von der rumänischen Avantgarde der Dreißiger, von Mihail Sebastian, Max Blecher und Benjamin Fondane, die wiederum vor allem nach Frankreich schauten. Bei Manea sind die Einflüsse beider Gruppen, und die Spannungen zwischen ihnen, trotzdem immer mitzulesen.
Das verortet den hungrigen Leser dann doch in seiner Landschaft. Celan beschrieb die Atmosphäre der Bukowina als „eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten“, im eindeutigen Präteritum. Doch auch, wenn die Genannten allesamt jüdisch waren, waren es die Bücher nicht unbedingt. Zelebriert und gepflegt wurde der westliche Kanon, die große europäische Literatur, für die auch Manea glüht, mit gelegentlicher Prononcierung von großen Juden wie „dem Prager“.
So findet Manea sein Vor- oder Spiegelbild dann auch bei einem französischen Schriftsteller mit Fluchtgeschichte und denkbar deutschen Namen, Adelbert von Chamisso, und dessen Peter Schlemihl. Dieser Name steht für jene „burleske Annäherung von Christentum und Judentum“, die Manea selbst, auch hier ganz post-Habsburg, völlig fremd ist. Trotzdem findet er sich wieder in der Geschichte vom Reisenden, der gegen unendlichen Reichtum seinen Schatten verkauft und zur Einsamkeit verdammt ist.
Schlemihls Schatten wird sein Schatten – er studiert ihn in Rumänien und noch intensiver in Westberlin, seiner zweiten Exilstation Mitte der Achtziger. Und er studiert ihn in den USA, vor einem Treffen mit einem Universitätspräsidenten, der ihn einstellen soll, und schließlich lehrt er ihn in einem ganzen Seminar. Die Krumen dieser Studien sind in den Text eingebaut, mit Zusammenfassungen und Exzerpten authentischer literaturwissenschaftlicher Aufsätze, die sich freilich inmitten der autofiktionalen Seiltänze und satirischen Überzeichnungen selbst wieder ausgedacht oder wenigstens verfremdet lesen.
Der Protagonist findet seinen Platz im Buster-Keaton-Kolleg, also einem veritablen Clownskolleg. Die Universität verschluckt ihn wie der Zauberberg, und er muss sich im überspannten amerikanischen Campusgetue zurechtfinden, mit etwas ahistorischen Spitzen gegen Gender Studies. Manea selbst hat den amerikanischen Campus als Ort ganz realer Bedrohung erlebt. Er hatte 1990 in einem Essay für das neoliberale Stammblatt The New Republic einen Text über den Religionsphilosophen Mircea Eliade und seine Verbindungen zur Eisernen Garde geschrieben. Manea warnte in diesem und anderen Texten vor einem Rückfall in den Faschismus, in der rumänischen Presse begann eine Hetzkampagne gegen den „Jerusalemer Zwerg“. In Chicago wurde der ebenfalls Eliade-kritische Historiker Ioan P. Culianu im Mai 1991 nach einer Vorlesung erschossen, der Mord wurde nie aufgeklärt. Manea selbst soll Drohbriefe erhalten haben, die an seine Universitätsaddresse addressiert waren. Das FBI überwachte ihn ein Jahr lang.
In seinem neuen Buch gibt es keine grausame Hand, die aus der Heimat nach ihm greift, nur Erinnerungen an einen Securitate-Arzt und die Briefe des Freundes Günther, dessen unbeantwortete Epistel durch den Brief gestreut sind – ein siebenbürgischer Bekannter aus Pioniertagen, den der Protagonist in Westberlin trifft, und der vielleicht an Dieter Schlesak angelehnt ist. Von dem ist inzwischen bekannt, dass er in den Securitate-Akten sowohl als Spitzel als auch als Bespitzelter auftaucht.
Ein engererer Freund, Philip Roth, der sich immerhin neben Maneas künftigem Grab hat beisetzen lassen, um in seiner Nähe zu sein, hingegen taucht nicht auf. Diese Aussparungen und Überbetonungen sind mehr als nur Nasedrehen an ein allzu autofiktional lesendes Publikum. „Der Schatten im Exil“ wird gleichzeitig tiefer und ungreifbarer, je mehr andere Bücher von Manea man kennt, es sammeln sich Inkonsistenzen innerhalb des Textes, zwischen anderen Werken und zum Leben von Manea, bei denen nie klar wird, ob sie Absicht sind oder den Roman eben doch als Alterswerk kennzeichnen, vergleichbar mit „Middle C“ von William H. Gass: wortreiche Fragmentierer, denen am Ende vielleicht der Hammer entgleitet, oder vielleicht nicht.
Grass, Roth, Semprun, Konrad: tot, alle tot. Duras, Perec, Calvino, Kiš, Sarraute: auch tot, schon lange tot. Cixous und DeLillo leben noch, ebenso die Manea-Verehrerin Cynthia Ozick, die „Der Schatten im Exil“ als „in der Literaturgeschichte einzigartig“ lobt. Mit ihnen schwindet eine Literatur, die oft gegen Lügen und noch öfter gegen die Angst gekämpft hat, und die heute in einer Welt weiterbesteht, wenn sie es denn tut, in der beides, die Lüge und die Angst, zu den wenigen sicheren Wahrheiten gehören.
Das ist die Welt, aus der sich der Protagonist und auch sein Erzähler verabschieden. Er fürchtet sich, so sein Securitate-Arzt, vor der Wirklichkeit – wir müssen uns vor der Wirklichkeit ohne ihn fürchten.
Sein Freund Philip Roth hat
sich neben Maneas künftigem
Grab beisetzen lassen
Norman Manea wurde 1936 als Kind jüdischer Eltern im rumänischen Suceava geboren. 1986 verließ er Rumänien aus politischen Gründen und studierte ein Jahr in West-Berlin. Seit 1987 lebt er in den USA.
Foto: Skolimowska/dpa
Jüdische Rumänen, die einige Tage vor dem Pogrom von Jassy im Juni 1941 zum Ausheben von Gruben gerufen werden. Im selben Jahr wird Norman Manea ins KZ deportiert, das er mit seiner gesamten Familie überlebt.
Foto: Securitate Archives
Norman Manea:
Der Schatten im Exil.
Roman. Aus dem
Rumänischen von
Ernest Wichner.
Hanser Verlag,
München 2023.
320 Seiten. 28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Das Exil beginnt beim Verlassen
der Gebärmutter“: Norman Maneas umwerfender
neuer Roman und sein großer literarischer Kampf
gegen die Lügen und die Angst
VON FABIAN WOLFF
Es hat sich eingebürgert, das Leben des Schriftstellers Norman Manea anhand Exil-Stationen zu erzählen: die erste mit fünf, als er von der Bukowina nach Transnistrien deportiert wurde, die zweite mit 50, als er aus dem kommunistischen Rumänien in den Westen ging, erst nach Berlin, dann in die USA, ans Bard College. In einem Profil im New Yorker wird ein Weglaufen mit vier Jahren als erster Versuch präsentiert, sich aus dem Staub zu machen, Manea selbst setzt in seinem neuen Roman noch früher an: „Das Exil beginnt beim Verlassen der Gebärmutter.“
Das ist, wie vieles bei Manea, ein Witz und doch keiner. Von seinem ersten Roman „Captivi“ an geistern Mütter durch seine Romane, Kurzgeschichten und Essays, oder besser: die Mutter, seine eigene, mit der er das Lager überlebt hat und die ihn der Tradition nach zum Juden gemacht hat. Exil wird bei Manea als Entfernung zum Grab seiner Mutter gemessen. Aber es ist auch ein Satz, der die logische und schelmenhafte Konsequenz einer literarischen Karriere ist, die seit Jahrzehnten immer wieder die Begriffe Exil, Sprache, Rückkehr und Erinnerung durchmisst und neu arrangiert.
Dass Manea, weit über 80, noch einmal einen ganzen dichten Roman zu diesen Koordinaten veröffentlicht, ist dann doch überraschend. „Der Schatten im Exil“ ist Autofiktion und ist es doch nicht. Er präsentiert sich als Summe, vielleicht sogar als Abrechnung, und unterläuft gleichzeitig viele Erwartungen an Spätwerke.
Das beginnt bei der Verflechtung von erzähltem Leben und Erzählerleben. Der Protagonist scheint Manea zu sein, aber fast wie Belohnungen sind kleine Differenzen zur realen Biografie versteckt, deren wichtigste Stationen in dem Buch noch einmal durchlaufen werden. Manea und dem namenlosen Protagonisten – oft einfach „der Nomade“, „der Exilant“, „der Heimatlose“ genannt – sind zum Beispiel die bukowinische Kindheit gemein, die erst durch die sowjetische Besatzung unterbrochen und schließlich durch die deutsch-rumänische Deportation nach Transnistrien ins „stacheldrahtbewerte Exil der Kindheit“ beendet wurde. Es ist jene Gegend, mit Czernowitz als Hauptstadt, aus der Rose Ausländer, Alfred Kittner und Paul Celan kommen.
Aber die Familie, in die Manea 1936 geboren wurde, war schon zu rumänisiert, als dass Manea das gleiche Verhältnis zur deutschen Sprache wie die diese Dichter hätte haben können. Gleichzeitig drang in seine Geburtsstadt Suceava nicht viel von der rumänischen Avantgarde der Dreißiger, von Mihail Sebastian, Max Blecher und Benjamin Fondane, die wiederum vor allem nach Frankreich schauten. Bei Manea sind die Einflüsse beider Gruppen, und die Spannungen zwischen ihnen, trotzdem immer mitzulesen.
Das verortet den hungrigen Leser dann doch in seiner Landschaft. Celan beschrieb die Atmosphäre der Bukowina als „eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten“, im eindeutigen Präteritum. Doch auch, wenn die Genannten allesamt jüdisch waren, waren es die Bücher nicht unbedingt. Zelebriert und gepflegt wurde der westliche Kanon, die große europäische Literatur, für die auch Manea glüht, mit gelegentlicher Prononcierung von großen Juden wie „dem Prager“.
So findet Manea sein Vor- oder Spiegelbild dann auch bei einem französischen Schriftsteller mit Fluchtgeschichte und denkbar deutschen Namen, Adelbert von Chamisso, und dessen Peter Schlemihl. Dieser Name steht für jene „burleske Annäherung von Christentum und Judentum“, die Manea selbst, auch hier ganz post-Habsburg, völlig fremd ist. Trotzdem findet er sich wieder in der Geschichte vom Reisenden, der gegen unendlichen Reichtum seinen Schatten verkauft und zur Einsamkeit verdammt ist.
Schlemihls Schatten wird sein Schatten – er studiert ihn in Rumänien und noch intensiver in Westberlin, seiner zweiten Exilstation Mitte der Achtziger. Und er studiert ihn in den USA, vor einem Treffen mit einem Universitätspräsidenten, der ihn einstellen soll, und schließlich lehrt er ihn in einem ganzen Seminar. Die Krumen dieser Studien sind in den Text eingebaut, mit Zusammenfassungen und Exzerpten authentischer literaturwissenschaftlicher Aufsätze, die sich freilich inmitten der autofiktionalen Seiltänze und satirischen Überzeichnungen selbst wieder ausgedacht oder wenigstens verfremdet lesen.
Der Protagonist findet seinen Platz im Buster-Keaton-Kolleg, also einem veritablen Clownskolleg. Die Universität verschluckt ihn wie der Zauberberg, und er muss sich im überspannten amerikanischen Campusgetue zurechtfinden, mit etwas ahistorischen Spitzen gegen Gender Studies. Manea selbst hat den amerikanischen Campus als Ort ganz realer Bedrohung erlebt. Er hatte 1990 in einem Essay für das neoliberale Stammblatt The New Republic einen Text über den Religionsphilosophen Mircea Eliade und seine Verbindungen zur Eisernen Garde geschrieben. Manea warnte in diesem und anderen Texten vor einem Rückfall in den Faschismus, in der rumänischen Presse begann eine Hetzkampagne gegen den „Jerusalemer Zwerg“. In Chicago wurde der ebenfalls Eliade-kritische Historiker Ioan P. Culianu im Mai 1991 nach einer Vorlesung erschossen, der Mord wurde nie aufgeklärt. Manea selbst soll Drohbriefe erhalten haben, die an seine Universitätsaddresse addressiert waren. Das FBI überwachte ihn ein Jahr lang.
In seinem neuen Buch gibt es keine grausame Hand, die aus der Heimat nach ihm greift, nur Erinnerungen an einen Securitate-Arzt und die Briefe des Freundes Günther, dessen unbeantwortete Epistel durch den Brief gestreut sind – ein siebenbürgischer Bekannter aus Pioniertagen, den der Protagonist in Westberlin trifft, und der vielleicht an Dieter Schlesak angelehnt ist. Von dem ist inzwischen bekannt, dass er in den Securitate-Akten sowohl als Spitzel als auch als Bespitzelter auftaucht.
Ein engererer Freund, Philip Roth, der sich immerhin neben Maneas künftigem Grab hat beisetzen lassen, um in seiner Nähe zu sein, hingegen taucht nicht auf. Diese Aussparungen und Überbetonungen sind mehr als nur Nasedrehen an ein allzu autofiktional lesendes Publikum. „Der Schatten im Exil“ wird gleichzeitig tiefer und ungreifbarer, je mehr andere Bücher von Manea man kennt, es sammeln sich Inkonsistenzen innerhalb des Textes, zwischen anderen Werken und zum Leben von Manea, bei denen nie klar wird, ob sie Absicht sind oder den Roman eben doch als Alterswerk kennzeichnen, vergleichbar mit „Middle C“ von William H. Gass: wortreiche Fragmentierer, denen am Ende vielleicht der Hammer entgleitet, oder vielleicht nicht.
Grass, Roth, Semprun, Konrad: tot, alle tot. Duras, Perec, Calvino, Kiš, Sarraute: auch tot, schon lange tot. Cixous und DeLillo leben noch, ebenso die Manea-Verehrerin Cynthia Ozick, die „Der Schatten im Exil“ als „in der Literaturgeschichte einzigartig“ lobt. Mit ihnen schwindet eine Literatur, die oft gegen Lügen und noch öfter gegen die Angst gekämpft hat, und die heute in einer Welt weiterbesteht, wenn sie es denn tut, in der beides, die Lüge und die Angst, zu den wenigen sicheren Wahrheiten gehören.
Das ist die Welt, aus der sich der Protagonist und auch sein Erzähler verabschieden. Er fürchtet sich, so sein Securitate-Arzt, vor der Wirklichkeit – wir müssen uns vor der Wirklichkeit ohne ihn fürchten.
Sein Freund Philip Roth hat
sich neben Maneas künftigem
Grab beisetzen lassen
Norman Manea wurde 1936 als Kind jüdischer Eltern im rumänischen Suceava geboren. 1986 verließ er Rumänien aus politischen Gründen und studierte ein Jahr in West-Berlin. Seit 1987 lebt er in den USA.
Foto: Skolimowska/dpa
Jüdische Rumänen, die einige Tage vor dem Pogrom von Jassy im Juni 1941 zum Ausheben von Gruben gerufen werden. Im selben Jahr wird Norman Manea ins KZ deportiert, das er mit seiner gesamten Familie überlebt.
Foto: Securitate Archives
Norman Manea:
Der Schatten im Exil.
Roman. Aus dem
Rumänischen von
Ernest Wichner.
Hanser Verlag,
München 2023.
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