Keiner kennt ihn, und nicht wenige bezweifeln, dass es ihn überhaupt gegeben hat. Aber für dieses Dunkel hat er selbst gesorgt: François Genoud, Schweizer Bankier, überzeugter Nazi, Förderer des Linksterrorismus. Wer war dieser Mann, in dessen Person sich die Extreme des 20. Jahrhunderts in einzigartiger Weise berühren? Während des «Dritten Reichs» war Genoud für den deutschen Geheimdienst tätig und konnte sich später die lukrativen Rechte an den Schriften von Joseph Goebbels sichern. In den Fünfzigern engagierte er sich im algerischen Befreiungskampf, dann wandte er sich den palästinensischen Terrororganisationen zu, die für Entebbe, Mogadischu und das Massaker in München 1972 verantwortlich waren. Es fiel Genoud nicht schwer, Wadi Haddad und Carlos bei Flugzeugentführungen, Attentaten und Erpressungen zu unterstützen und zugleich Kriegsverbrechern wie Adolf Eichmann und Klaus Barbie, dem Schlächter von Lyon, beizustehen. Willi Winkler erzählt von einem Mann im Hintergrund, einem Strippenzieher, der mit den wichtigsten Geheimdiensten verbandelt war - und er zeichnet das Psychogramm dieses Schattenmanns, dessen Geschichte ein ganz neues Licht auf das Netzwerk alter und neuer Nazis und deren Verbindungen zum Linksterrorismus wirft.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2011Die im Dunkeln sieht man nicht
François Genoud verbreitete NS-Gedankengut und verdiente daran
"Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht", singt Mackie Messer, der Urvater aller Schattenmänner, dem man nichts beweisen kann. Einen seiner weithin unbekannten Nachfahren, den Schweizer François Genoud, rückt der Journalist Willi Winkler nunmehr in den Mittelpunkt seiner biographischen Skizze. Er spürt einem Mann nach, der bis ans Ende seiner Tage geschickt im Schattenreich zwischen politischer Ober- und Unterwelt operierte, dabei nie zu fassen war und von dem manche bis heute sogar bezweifeln, dass er überhaupt existierte: eine überaus bizarre Geschichte, in manchen Passagen notwendigerweise vage, leider bisweilen auch etwas umständlich-langatmig, besonders in der zweiten Hälfte des Buches.
In jedem Fall ist dieser François Genoud aus Lausanne ein Unikum - besonders für schweizerische Verhältnisse mit ihrer eigentlich elementaren Aversion gegen den großen Nachbarn im Norden. Am Anfang seiner "education politique" stehen zwei Schlüsselbegegnungen - 1932 im Rheinhotel Dreesen mit Adolf Hitler, vier Jahre später mit Hadj Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, der 1941, von den Briten gejagt, nach Berlin flüchtet, von hohen Nazis bis zum Untergang des "Dritten Reiches" protegiert wird. Die nationalsozialistische und fanatisch-antisemitische Aufladung wird sich bei Genoud weit über 1945 hinaus als überaus wirksam und nachhaltig erweisen. "Ich habe Hitler, meinen Chef, geliebt", wird er noch kurz vor seinem Tode im Jahr 1996 bekennen und sogar die eigenen Essgewohnheiten seinem "Vorbild" anpassen.
Er verbindet Liebe und Geschäft, wird zu einer Art "selbsternanntem Nachlassverwalter" führender Nationalsozialisten, macht vor allem mit dem Goebbels-Nachlass den Profit seines Lebens. Sein Einfallstor? Das Autoren- und Urheberrecht, das erst siebzig Jahre nach dem Tod erlischt - auch im Falle von NS-Tätern, im Falle von Goebbels mithin erst 2015. Über den Handel mit Nazi-Devotionalien und sein offenbar durchaus charmantes, überzeugendes Auftreten gegenüber den unterschiedlichsten Gesprächspartnern, mögen sie nun Lord George Weidenfeld, Hugh Trevor-Roper, David Irving, Martin Broszat, Hans Buchheim oder Vertreter der Familien Hitler, Bormann, Goebbels sein, gelangt er an Rechte, leitet Ansprüche ab, setzt diese juristisch durch.
Seinem doppelten Anliegen, "NS-Gedankengut zu verbreiten und damit auch noch Geld zu verdienen", nützt auch seine diskrete Einschaltung in den Eichmann- und den Barbie-Prozess. Beide Angeklagten unterstützt dieser dubiose Bankier finanziell, beide werden zur Produktion schriftlicher Zeugnisse angehalten, in der Absicht, diese gewinnbringend zu "vermarkten". Dass auch die SED versucht, aus dem Eichmann-Prozess politischen Profit zu ziehen, und an Mielkes Männer die - letztlich unerfüllte - Aufforderung ergeht, es werde "unbedingt ein Dokument benötigt, das in irgendeiner Form die direkte Zusammenarbeit Eichmanns mit Adenauers Staatssekretär Globke beweist", ist eine pikante Randnotiz, die Winkler einstreut.
Genoud hat andere Ziele. Er bewegt sich in einem seltsamen Netzwerk, zu dem auch Paul Dickopf gehört, jener Mann, der trotz seiner Verstrickungen und Verwicklungen in den SS-Maßnahmen- und Polizeiapparat nach dem Krieg zum BKA-Direktor (sein Nachfolger wird Horst Herold werden) und - als ferner Nachfolger von Heydrich und Kaltenbrunner - 1968 sogar zum Chef von Interpol aufsteigen konnte, wobei ihm Genoud hinter den Kulissen geholfen haben soll, die dafür erforderlichen Stimmen aus den arabischen Staaten zu gewinnen. Denn dorthin hat Genoud längst schon seine Fühler ausgestreckt, hat Kontakte zu Franz Rademacher, dem nach Syrien abgetauchten einstigen "Judenreferenten" des Auswärtigen Amts oder zu dem ebenfalls dort anzutreffenden Eichmann-Helfer Alois Brunner geknüpft. Genoud stellt sich außerdem der algerischen Befreiungsbewegung mit Ben Bella an der Spitze als Mittels- und Bankmann zur Verfügung. Obwohl er wegen angeblicher Abrechnungsfehler von den siegreichen Rebellen für einige Monate ins Gefängnis geworfen werden wird, bleibt er ein Freund der "arabischen Sache", unerschütterlicher Antisemit und Antizionist, bald schon im Umfeld des palästinensischen Terrorismus um den ehemaligen Kinderarzt Wadi Haddad und den international gesuchten Topterroristen "Carlos", den Briefpartner seiner letzten Lebensphase, anzutreffen.
Bei alledem, auch bei seinen unzähligen Auslandsreisen, wird Genoud von den unterschiedlichsten Diensten beobachtet, wird nicht zuletzt in seiner schweizerischen Heimat überwacht, auch wenn - so Winkler - gerade für die Zeit seiner Hauptaktivitäten in den diversen Grauzonen zwischen 1976 und 1982 eine seltsame Unterbrechung dieser Überwachung in den einsehbaren, ohnehin wenig aussagekräftigen Akten zu registrieren ist. In seiner Heimat, seinem "Basislager am Genfer See" verhaftet, verurteilt wird er nie. Wandelt er auf "parsivaleske Weise zwischen Ost und West, zwischen den Extremen von Links und Rechts", ist er dabei als "man for all seasons" für mehr als nur eine Seite tätig, wird er vielleicht sogar "als außerordentlich wichtige Informationsquelle für die präventive Terrorismusbekämpfung" von den involvierten Geheimdiensten regelrecht geschützt, um besser abgeschöpft werden zu können? Hatte er etwa in den siebziger Jahren bei den diversen Lösegeldzahlungen von Luftfahrtgesellschaften, die sich still und heimlich von der ausufernden terroristischen Bedrohung freizukaufen suchten, die Hand im Spiel? Und auch dabei, dass die Swissair, überhaupt die ganze Schweiz keine nennenswerten terroristischen Anschläge erlebte? Winkler vermutet derlei, Beweise aber fehlen. Letztlich gilt also: Die im Dunkeln sieht man nicht, die im Dunkelgrauen kaum.
DANIEL KOERFER
Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos. Das gewissenlose Leben des François Genoud. Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 352 S., 19,95 [Euro].
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François Genoud verbreitete NS-Gedankengut und verdiente daran
"Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht", singt Mackie Messer, der Urvater aller Schattenmänner, dem man nichts beweisen kann. Einen seiner weithin unbekannten Nachfahren, den Schweizer François Genoud, rückt der Journalist Willi Winkler nunmehr in den Mittelpunkt seiner biographischen Skizze. Er spürt einem Mann nach, der bis ans Ende seiner Tage geschickt im Schattenreich zwischen politischer Ober- und Unterwelt operierte, dabei nie zu fassen war und von dem manche bis heute sogar bezweifeln, dass er überhaupt existierte: eine überaus bizarre Geschichte, in manchen Passagen notwendigerweise vage, leider bisweilen auch etwas umständlich-langatmig, besonders in der zweiten Hälfte des Buches.
In jedem Fall ist dieser François Genoud aus Lausanne ein Unikum - besonders für schweizerische Verhältnisse mit ihrer eigentlich elementaren Aversion gegen den großen Nachbarn im Norden. Am Anfang seiner "education politique" stehen zwei Schlüsselbegegnungen - 1932 im Rheinhotel Dreesen mit Adolf Hitler, vier Jahre später mit Hadj Amin al-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, der 1941, von den Briten gejagt, nach Berlin flüchtet, von hohen Nazis bis zum Untergang des "Dritten Reiches" protegiert wird. Die nationalsozialistische und fanatisch-antisemitische Aufladung wird sich bei Genoud weit über 1945 hinaus als überaus wirksam und nachhaltig erweisen. "Ich habe Hitler, meinen Chef, geliebt", wird er noch kurz vor seinem Tode im Jahr 1996 bekennen und sogar die eigenen Essgewohnheiten seinem "Vorbild" anpassen.
Er verbindet Liebe und Geschäft, wird zu einer Art "selbsternanntem Nachlassverwalter" führender Nationalsozialisten, macht vor allem mit dem Goebbels-Nachlass den Profit seines Lebens. Sein Einfallstor? Das Autoren- und Urheberrecht, das erst siebzig Jahre nach dem Tod erlischt - auch im Falle von NS-Tätern, im Falle von Goebbels mithin erst 2015. Über den Handel mit Nazi-Devotionalien und sein offenbar durchaus charmantes, überzeugendes Auftreten gegenüber den unterschiedlichsten Gesprächspartnern, mögen sie nun Lord George Weidenfeld, Hugh Trevor-Roper, David Irving, Martin Broszat, Hans Buchheim oder Vertreter der Familien Hitler, Bormann, Goebbels sein, gelangt er an Rechte, leitet Ansprüche ab, setzt diese juristisch durch.
Seinem doppelten Anliegen, "NS-Gedankengut zu verbreiten und damit auch noch Geld zu verdienen", nützt auch seine diskrete Einschaltung in den Eichmann- und den Barbie-Prozess. Beide Angeklagten unterstützt dieser dubiose Bankier finanziell, beide werden zur Produktion schriftlicher Zeugnisse angehalten, in der Absicht, diese gewinnbringend zu "vermarkten". Dass auch die SED versucht, aus dem Eichmann-Prozess politischen Profit zu ziehen, und an Mielkes Männer die - letztlich unerfüllte - Aufforderung ergeht, es werde "unbedingt ein Dokument benötigt, das in irgendeiner Form die direkte Zusammenarbeit Eichmanns mit Adenauers Staatssekretär Globke beweist", ist eine pikante Randnotiz, die Winkler einstreut.
Genoud hat andere Ziele. Er bewegt sich in einem seltsamen Netzwerk, zu dem auch Paul Dickopf gehört, jener Mann, der trotz seiner Verstrickungen und Verwicklungen in den SS-Maßnahmen- und Polizeiapparat nach dem Krieg zum BKA-Direktor (sein Nachfolger wird Horst Herold werden) und - als ferner Nachfolger von Heydrich und Kaltenbrunner - 1968 sogar zum Chef von Interpol aufsteigen konnte, wobei ihm Genoud hinter den Kulissen geholfen haben soll, die dafür erforderlichen Stimmen aus den arabischen Staaten zu gewinnen. Denn dorthin hat Genoud längst schon seine Fühler ausgestreckt, hat Kontakte zu Franz Rademacher, dem nach Syrien abgetauchten einstigen "Judenreferenten" des Auswärtigen Amts oder zu dem ebenfalls dort anzutreffenden Eichmann-Helfer Alois Brunner geknüpft. Genoud stellt sich außerdem der algerischen Befreiungsbewegung mit Ben Bella an der Spitze als Mittels- und Bankmann zur Verfügung. Obwohl er wegen angeblicher Abrechnungsfehler von den siegreichen Rebellen für einige Monate ins Gefängnis geworfen werden wird, bleibt er ein Freund der "arabischen Sache", unerschütterlicher Antisemit und Antizionist, bald schon im Umfeld des palästinensischen Terrorismus um den ehemaligen Kinderarzt Wadi Haddad und den international gesuchten Topterroristen "Carlos", den Briefpartner seiner letzten Lebensphase, anzutreffen.
Bei alledem, auch bei seinen unzähligen Auslandsreisen, wird Genoud von den unterschiedlichsten Diensten beobachtet, wird nicht zuletzt in seiner schweizerischen Heimat überwacht, auch wenn - so Winkler - gerade für die Zeit seiner Hauptaktivitäten in den diversen Grauzonen zwischen 1976 und 1982 eine seltsame Unterbrechung dieser Überwachung in den einsehbaren, ohnehin wenig aussagekräftigen Akten zu registrieren ist. In seiner Heimat, seinem "Basislager am Genfer See" verhaftet, verurteilt wird er nie. Wandelt er auf "parsivaleske Weise zwischen Ost und West, zwischen den Extremen von Links und Rechts", ist er dabei als "man for all seasons" für mehr als nur eine Seite tätig, wird er vielleicht sogar "als außerordentlich wichtige Informationsquelle für die präventive Terrorismusbekämpfung" von den involvierten Geheimdiensten regelrecht geschützt, um besser abgeschöpft werden zu können? Hatte er etwa in den siebziger Jahren bei den diversen Lösegeldzahlungen von Luftfahrtgesellschaften, die sich still und heimlich von der ausufernden terroristischen Bedrohung freizukaufen suchten, die Hand im Spiel? Und auch dabei, dass die Swissair, überhaupt die ganze Schweiz keine nennenswerten terroristischen Anschläge erlebte? Winkler vermutet derlei, Beweise aber fehlen. Letztlich gilt also: Die im Dunkeln sieht man nicht, die im Dunkelgrauen kaum.
DANIEL KOERFER
Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos. Das gewissenlose Leben des François Genoud. Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 352 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auch Willi Winklers biografische Skizze kann den Schattenmann Francois Genoud nicht fassen. Wer im richtigen Leben derart zwischen Ober- und Unterwelt operiert, von den Geheimdiensten gejagt und zugleich protegiert wird, gibt zwar Stoff für eine bizarre Geschichte ab, meint Rezensent Daniel Koerfer. Gut möglich aber auch, dass er im Dunkelgrau all der dubiosen Kontakte und Seilschaften, von den Nationalsozialisten bis zur algerischen Befreiungsbewegung, verschwindet und seine Rolle bei Terror und Terrorvermeidung (gegen Bares, versteht sich) unklar bleibt. Der Leser, erkennen wir mit Koerfer, steht jedenfalls mit ziemlich leeren Händen da, ohne Beweise und etwas ratlos.
© Perlentaucher Medien GmbH
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