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Erinnern und Vergessen sind grundlegende Prozesse menschlichen Lebens. Wie weit aber reicht die verformende Kraft des Gedächtnisses tatsächlich? Die moderne Geschichtswissenschaft hat sich der Frage bisher kaum gestellt, obschon die Mehrzahl der historischen Quellen auf Gedächtnisleistungen beruht. Die Unzuverlässigkeit des menschlichen episodischen Gedächtnisses erweist sich schon im Hinblick darauf, wie fehlerhaft es die Sachdaten eines Geschehens, den Ort, die Zeit, die daran Beteiligten erinnert und festhält. Diese Unzuverlässigkeit erfordert neue methodische Überlegungen und Zugänge für…mehr

Produktbeschreibung
Erinnern und Vergessen sind grundlegende Prozesse menschlichen Lebens. Wie weit aber reicht die verformende Kraft des Gedächtnisses tatsächlich? Die moderne Geschichtswissenschaft hat sich der Frage bisher kaum gestellt, obschon die Mehrzahl der historischen Quellen auf Gedächtnisleistungen beruht. Die Unzuverlässigkeit des menschlichen episodischen Gedächtnisses erweist sich schon im Hinblick darauf, wie fehlerhaft es die Sachdaten eines Geschehens, den Ort, die Zeit, die daran Beteiligten erinnert und festhält. Diese Unzuverlässigkeit erfordert neue methodische Überlegungen und Zugänge für die historische Quellenkritik. Johannes Fried erläutert in diesem Buch die Ergebnisse moderner Kognitionswissenschaften und konfrontiert sie mit ausgewählten Beispielen der modernen und mittelalterlichen Geschichte. Sein Ergebnis: Vergangenheit wird in der Gegenwart stets neu geschaffen; unbewußt konstruiert aus unterschiedlichen Elementen erinnerten Geschehens. Wesentlich geprägt durch die Erfordernisse der jeweiligen Gegenwart entstehen scheinbar stimmige Vergangenheitsbilder, die doch in ihren elementaren Aussagen erheblich vom tatsächlich Geschehenen abweichen können. Jede Erinnerung und damit jede Quelle ist deshalb auf ihre Gegenwart hin zu befragen, um sie beurteilen zu können. Am Ende stehen neue Regeln für den Umgang mit Geschichte.
Autorenporträt
Johannes Fried war bis zu seiner Emeritierung Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt. 1995 erhielt er für sein Werk «Der Weg in die Geschichte» den Preis des Historischen Kollegs. 2006 wurde er mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2012

Trügerische Erinnerung und
historische Wahrheit
Alles falsch: das Datum ebenso wie die Umstände. Als sich Karl Löwith 1940 in seiner Autobiographie „Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933“ an Max Webers Münchner Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ erinnerte, datierte er ihn in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. In Wirklichkeit fand der am 8. November 1917 statt. Kurt Eisner, schrieb Löwith, sei bereits ebenso ermordet gewesen wie Gustav Landauer, als ihn „Webers Wort wie eine Erlösung“ traf. Jahrzehnte später bekräftigte der Philosoph seine einstige Darstellung, ergänzte, dass er gerade aus dem Krieg heimgekehrt sei, als er, ganz unter dem Eindruck von Spenglers Buch „Der Untergang des Abendlandes“ stehend, Max Webers Vortrag hörte.
„Alles, was sich bloß der Erinnerung verdankt, hat prinzipiell als falsch zu gelten.“ Für Johannes Fried ist die Episode um Löwith eine von vielen, die uns aufhorchen lassen sollte. Zeigt sie doch besonders anschaulich die Verformungskräfte des Gedächtnisses, das „immer wieder ein in sich zwar stimmiges, gleichwohl sachlich verändertes Vergangenheitsbild konstruiert“. Acht Jahre ist es her, dass der mittlerweile emeritierte Professor für Mittelalterliche Geschichte der Universität Frankfurt mit seiner großen Studie „Der Schleier der Erinnerung“ einen „bahnbrechenden Beitrag zur kritischen Historie“ (Jan Assmann) lieferte. Frieds Plädoyer für eine historische Memorik machte vor dem Hintergrund moderner Hirnforschung und ihrer Einsicht von der Plastizität des Gehirns auf ein grundlegendes quellen- und erkenntniskritisches Problem aufmerksam, das nichts von seiner Brisanz eingebüßt hat. Immer wieder neu auf dem Prüfstand stehen die Fragen, wie wir uns erinnern und was wir von der Vergangenheit eigentlich wissen.
Einfacher, fast möchte man sagen, zu einfach, klingt das in Johannes Frieds Nachwort zur Taschenbuchausgabe. Dort heißt es, dass die Memorik durchweg auf die Sicherung schlichter Sachverhalte, auf das Wer?, Was?, Wann? oder Wie? des Geschehens ziele.
Florian Welle
Johannes Fried:
Der Schleier der Erinnerung. Verlag C. H. Beck,München 2012. 512 Seiten,19,95 Euro.
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