Statt 28,00 €**
21,99 €
**Preis der gedruckten Ausgabe (Gebundenes Buch)

inkl. MwSt. und vom Verlag festgesetzt.
Sofort per Download lieferbar
  • Format: PDF

Ein deutsch-jüdischer Spitzensportler und Intellektueller im Zeitalter der Extreme. Alex Natan (1906-1971) – jüdisch-deutscher Spitzenleichtathlet und Journalist – ist eine noch kaum beleuchtete, doch faszinierende Persönlichkeit: Der homosexuelle Spitzensportler war 100-Meter-Sprint-Staffelweltrekordler, gehörte zum Berliner Kreis um Alfred Flechtheims Zeitschrift Querschnitt, studierte bei Alfred Weber in Heidelberg, setzte sein Leben im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufs Spiel, war in einen mysteriösen Kriminalfall im Londoner Exilmilieu verwickelt, durchlitt vier…mehr

Produktbeschreibung
Ein deutsch-jüdischer Spitzensportler und Intellektueller im Zeitalter der Extreme. Alex Natan (1906-1971) – jüdisch-deutscher Spitzenleichtathlet und Journalist – ist eine noch kaum beleuchtete, doch faszinierende Persönlichkeit: Der homosexuelle Spitzensportler war 100-Meter-Sprint-Staffelweltrekordler, gehörte zum Berliner Kreis um Alfred Flechtheims Zeitschrift Querschnitt, studierte bei Alfred Weber in Heidelberg, setzte sein Leben im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufs Spiel, war in einen mysteriösen Kriminalfall im Londoner Exilmilieu verwickelt, durchlitt vier entbehrungsreiche Jahre in der Internierung und wurde nach dem Krieg ein bekannter deutscher Publizist. Kay Schillers Biografie fängt ein großes Geschichtspanorama ein, indem sie ganz unterschiedliche Themenbereiche miteinander verbindet: Sport und Kultur in der Weimarer Republik, Antisemitismus, Homosexualität und Verfolgung, die Kriegszeit in Deutschland und Großbritannien sowie die ersten Jahrzehnte der Bonner Republik. "Alex Natan ist ein perfekter Reiseführer durch das turbulente 20. Jahrhundert, dessen Leben alles das reflektiert, was das 20. Jahrhundert in positiver wie negativer Hinsicht auszeichnet: Aufstieg des Sports zu einem omnipräsenten Kulturphänomen; selbstbestimmte Sexualität; Erfahrung des Exils und Antisemitismus." Wolfram Pyta "Kay Schiller hat es geschafft, die Biografie einer Person 'aus der zweiten Reihe' zum Spiegel einer Epoche aufzuwerten." Moshe Zimmermann
Autorenporträt
Kay Schiller, geb. 1962, ist Professor of Modern European History an der Universität Durham in Nordengland und Herausgeber der Zeitschrift "Sport in History". Zahlreiche Veröffentlichungen zur Kultur- und Sportgeschichte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2023

Sportbücher Enthüllungen, Einsichten, Entdeckungen
– und ein Leben im Mahlstrom der Geschichte
Entwurzelt in den Stürmen der Zeit
Alex Natan war Weltrekordler, Journalist, Sozialdemokrat, Bohemien – und im Exil ein Mittelsmann des Widerstands.
Der Historiker Kay Schiller hat das faszinierende Leben des jüdischen Sprinters der Vergessenheit entrissen
VON ROMAN DEININGER
Es ist der 22. Juli 1929, als Alex Natan sich seinen kleinen Platz in den Annalen der Leichtathletik erläuft. Deutsche Meisterschaften in Breslau, Finale über 4×100 Meter. Die Staffel von Eintracht Frankfurt gilt als Favorit, doch die Männer des Sport-Clubs Charlottenburg halten dagegen. Natan, ein eleganter, geradezu zarter Athlet mit halblangem Haar, geht als dritter Charlottenburger auf die Aschenbahn, er holt einen „klaren Vorsprung“ heraus, wie die B.Z. am Mittag notiert. Schlussläufer Hermann Schlöske führt die Staffel mit dem „C“ auf der Trikotbrust dann zum Titel – und zum Weltrekord: 40,8 Sekunden, schneller als die Amerikaner vom Newark Athletic Club. Die deutsche Presse überschlägt sich vor Begeisterung und Stolz. Die Vossische Zeitung feiert einen „herrlichen, kampf-durchbebten Abschluss der Athletik-Meisterschaften“.
Nur wenige Jahre später wird Natan sein Platz in den Geschichtsbüchern schon wieder genommen – die Nationalsozialisten sind jetzt an der Macht, sie tilgen Jüdinnen und Juden sogar aus alten Statistiken. „In den Rekordlisten des Dritten Reiches konnte man lesen, dass der Weltrekord der 4×100-Meter-Staffel von drei Läufern und einer Lücke des Sport-Clubs Charlottenburg gehalten wurde“, schreibt Natan später. „Diese Lücke war ich.“
Alex Natan war ein hervorragender Sprinter, bei den Deutschen Meisterschaften 1925 Fünfter über 100 Meter, vier Mal deutscher Staffelmeister, „der schnellste Jude Deutschlands“, wie ihn sein Großonkel, der bekannte Kunsthändler Alfred Flechtheim, etwas euphorisch betitelte. Sein Name ist heute auch zurück in den Annalen. Aber Natan war zu Lebzeiten kein Star, und selbst im Rückblick ist er keine prägende Figur der deutschen Leichtathletik. Er war ein Mann der „zweiten Reihe“, stellt der deutsch-britische Historiker Kay Schiller, der an der Universität Durham in Nordengland lehrt, nüchtern fest. Trotzdem hat Schiller ihm eine stattliche Biografie gewidmet, 398 Seiten. Und schon nach den ersten Seiten versteht man, warum.
Natan war Sportler und Journalist, Sozialdemokrat und Bohemien, jedenfalls ein Exzentriker und „existenzieller Außenseiter“, wie Schiller das nennt: jüdisch, intellektuell und schwul. Schillers Buch erzählt ein deutsches Leben, erfasst vom „Mahlstrom der Geschichte“, in dem sich in aller Pracht und in aller Grausamkeit das 20. Jahrhundert spiegelt – von den Berliner Salons der Weimarer Republik über den Aufstieg der Nationalsozialisten und das schwierige Schicksal im Exil bis zu den jungen Jahren der Bonner Republik. Manchmal sieht man die Dinge aus der zweiten Reihe schärfer als aus der ersten.
Ein Grundmotiv des Buches ist Natans unerschütterliches Bemühen, als Einzelner im rohen Spiel der Kräfte einigermaßen selbstbestimmt zu bleiben, politisch, sexuell, in allen Fragen. Natan folgte stets seinen Leidenschaften, und seiner Sprinterkarriere bekam das nicht gerade gut. Seine wertvolle Zeit wollte er nicht mit allzu viel Training vergeuden: „Schließlich studierte ich in Paris oder erlebte den Fasching in München oder strolchte im Mittelmeer herum.“ Solcher Müßiggang trug wahrscheinlich mehr als Diskriminierung dazu bei, dass er es nie zu den Olympischen Spielen schaffte.
Gleichwohl war es ihm sehr ernst mit dem Sport, er blieb ihm als Reporter lebenslang und innig verbunden. Bereits in seiner aktiven Zeit schrieb er für Vorwärts und Welt am Montag, er begriff sich, so Schiller, als „politischer Sportjournalist“, der sich ständig mit Verbandsfunktionären anlegte, die in seinen Augen den Sport militarisierten, dessen unschuldige Ästhetik zerstörten und die Mündigkeit der Athleten mit sklavischen Regelwerken beschnitten. Bei den Nazis machte er sich nicht beliebt, als er die wahre Natur ihrer „Volkssport“-Lager offenbarte. Der Sport-Club Charlottenburg warf ihn wegen angeblich „unpatriotischem Verhalten und schmutziger Charakterlosigkeit“ hinaus.
1933 floh Natan nach England – und wurde dort zu einem Mittelsmann des deutschen Widerstands. Er hielt Kontakt zu einem Kreis hochrangiger Beamter, die Hitler durch den Reichsvizekanzler Franz von Papen ersetzen wollten, den sie als kleineres Übel betrachteten. Mit einer Reise nach Deutschland riskierte Natan im Sommer 1934 sein Leben, und als die Verschwörer aufflogen, entkam er nur mit Glück den Nazi-Häschern. Kay Schiller, der sich mit grundlegenden Werken zu Olympia 1972 (mit Christopher Young) und der Fußball-WM 1974 einen Namen als Deuter deutscher Sportgeschichte erworben hat, erzählt das alles frei von Effekthascherei. Er hat mit Alex Natan eine Entdeckung gemacht und kann darauf vertrauen, dass in diesem kleinen Leben das Große immer wieder durchscheint.
Die Stürme des Jahrhunderts hinterließen Natan entwurzelt und beinahe heimatlos. Fast vier Jahre lang wurde er in England als möglicher Gestapo-Agent interniert, dem Inlandsgeheimdienst MI5 war dabei wohl nicht zuletzt seine Homosexualität verdächtig. Nach dem Krieg wollte er dennoch nicht dauerhaft zurück nach Deutschland, seine Verwandten waren ja entweder ermordet worden oder ausgewandert wie er. Auf der Insel baute Natan sich ein neues Leben als Lehrer und Korrespondent auf, er schrieb unter anderem für Tagesspiegel, Zeit und FAZ. Es war ein gutes Leben, doch seine Einbürgerungsanträge wurden allesamt abgelehnt – der Mann war kein Nazi, das wussten die britischen Behörden jetzt zwar, aber vielleicht ja ein Kommunist.
Im Januar 1971 starb Natan mit 64 Jahren an Herzversagen, man fand ihn an seinem Londoner Schreibtisch, über Arbeitspapiere gebeugt. Familie, die um ihn hätte trauern können, hatte er nicht mehr. Nur eine Handvoll deutscher Zeitungen vermeldete knapp den Tod eines früheren Weltrekordhalters. Nun, ein halbes Jahrhundert später, hat Kay Schiller das faszinierende Leben des Alex Natan der Vergessenheit entrissen.
Kay Schiller: „Der schnellste Jude Deutschlands“. Alex Natan (1906–1971). Eine Biografie. Wallstein Verlag. 28 Euro.
Grundmotiv des Buchs ist Natans
Bemühen, im rohen Spiel der
Kräfte selbstbestimmt zu bleiben
Der Staffel-Weltrekordler: Alex Natan (mit Brille) und sein Charlottenburger Kollege Hermann Schlöske (rechts). Wenige Jahre später wird Natan sein Platz in den Geschichtsbüchern wieder genommen.
Foto: Illustrierte Sportzeitung / Wallstein Verlag
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
»Kay Schiller hat das faszinierende Leben des jüdischen Sprinters der Vergessenheit entrissen« (Roman Deininger, Süddeutsche Zeitung, 09.01.2023) »(E)in Buch, dem eine große Leserschaft zu wünschen ist.« (Andreas Höfer, German Journal of Exercise, 20.09.2022) »interessant und spannend geschrieben« (Volker Kluge, Stadion, 1/2023)