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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
sueddeutsche.de, Claus Leggewie
"Die Bilanz für die SPD ist keineswegs erfreulich. Die Partei sei nicht über Nacht eine andere geworden, sie bleibe weiterhin eine Partei der unerfüllten Sehnsüchte."
ZEIT online, Jana Hensel
"Dietmar Süß nimmt das Comeback der Sozialdemokraten zum Anlass, auf den Zustand der Partei, auf ihre Traditionen und Herausforderungen für ein Fortbestehen zu schauen."
Deutschlandfunk Andruck, Catrin Stövesand
Die SPD hat im vorigen Jahr die Bundestagswahl gewonnen. Die Fraktion ist jünger geworden. Gewählt wurden die Neuen aber vor allem von ihren Großeltern
Gerade weil der Sieg der SPD bei der Bundestagswahl vor einem Jahr lange Zeit so unwahrscheinlich schien, wirkte er, als er dann eintrat, so besonders und herausragend - um bei genauerer Betrachtung aber wieder ziemlich zusammenzuschrumpfen. Die SPD ist mit ihren 26,4 Prozent im Jahr 2021 wieder bei den Wahlergebnissen unter dem Niveau der Fünfzigerjahre angekommen. Damals reichte das natürlich nicht, um den Kanzler zu stellen oder die Union in eine große Koalition zu zwingen.
Heute ist das anders. Olaf Scholz dürfte es nur recht sein - zumal er ein Politiker ist, der vor allem auf das Ergebnis schaut. Der SPD sollte hingegen nicht egal sein, dass ihre strukturellen Probleme durch den Wahlsieg nicht behoben worden sind, sondern allenfalls übertüncht. In seinem Buch "Der seltsame Sieg - Das Comeback der SPD und was es für Deutschland bedeutet" zählt der Augsburger Historiker Dietmar Süß einige Probleme auf: Etwa, dass die SPD ihren Wahlsieg allen voran der Altersgruppe der über Sechzigjährigen verdankte. Im Unterschied zu früheren Wahlen war sie in dieser Gruppe nun sogar stärker als die Union. In den urbanen Hochburgen fiel die SPD hingegen weiter hinter die Grünen zurück. Auch wenn im Bundestag jetzt viele Jusos sitzen mögen - gewählt wurden sie zumeist von ihren Omas und Opas. "Die SPD ist eine Rentnerpartei geworden", fasst Süß zusammen.
Welche größeren Verschiebungen diese Wahl mit sich brachte, wird man erst mit einigem zeitlichen Abstand erkennen können. Süß bewertet die Trends in seinem Buch deswegen auch nur vorsichtig. Ohne Zweifel ist jetzt eine neue Politikergeneration in den Bundestag eingezogen. Was sie will und kann - darauf kann der Historiker eher keine Antwort geben. Das angebliche "Ende der Volksparteien" bewertet er hingegen nicht nur negativ, denn es könne ja auch bedeuten, dass das deutsche Parteiensystem beweglicher und anpassungsfähiger an die sich verändernden Zeiten und Umstände wird.
In zehn Kapiteln nähert sich Süß mit wohlwollendem Abstand der Sozialdemokratie. Mal bietet er eine Wahlkampfanalyse, oft einen Blick in die Parteigeschichte, mal einen Blick auf die Russlandpolitik der Partei. Entstanden ist so ein gut lesbares Buch, das einen aber etwas ratlos zurücklässt. Umfassend verstehen, warum der SPD der Sprung ins Kanzleramt dann doch noch geglückt ist, wird man das nach der Lektüre des Buchs nicht - jenseits der bekannten Puzzlestücke: zerzauste Unionsparteien, Fehler der gegnerischen Kandidaten, besser vorbereitete SPD-Kampagne.
Verdienstvoll an dem Buch ist allerdings, dass Süß zwar auch auf Personen und Zufälle schaut, die SPD als Programm- und Begriffspartei aber ernst nimmt. Außerdem fragt er, welche Bausteine darin für den späteren Wahlerfolg zu finden sind. Warum hat die Partei etwa den Begriff des "Respekts" so in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne gestellt? Es war eine Reaktion auf die Feststellung, dass niemand mehr so recht etwas mit dem sozialdemokratischen Dauerbrenner der "Gerechtigkeit" anfangen konnte. Viele Kanzlerkandidaten waren vor Olaf Scholz mit diesem Begriff in den Wahlkampf gezogen, viele waren gescheitert.
Der frühere Hartz-IV-Verteidiger Olaf Scholz ist in den vergangenen Jahren dann zu einem Kritiker der Leistungsgesellschaft geworden. Scholz erkannte, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele Bürger mithilfe sozialdemokratischer Politik sozial aufgestiegen waren, dass aber eben auch viele Menschen nicht aufsteigen wollten oder konnten. Für sie fehlte der SPD lange der Blick, weil die Partei ganz beseelt war von der Erfüllung ihrer eigenen Aufstiegsgeschichte. Nur machte sich die SPD auf diese Weise zunehmend selbst überflüssig. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt, aber eine tragfähige Lösung dafür haben auch mehrere Generationen von SPD-Politikern nicht gefunden.
Diese Scholz-Kritik an der Meritokratie, und das ist ein interessanter Gedanke von Süß, ist aber auch eine Kritik an den Grundachsen einer lange dominierenden sozialdemokratischen Fortschrittsgeschichte. Das Motto "Streng dich an, dann wird aus dir was" zählte nun so nicht mehr. Die Würdigung von beruflicher Ausbildung und Lebensleistungen übersetzte Scholz in konkrete Wahlversprechen: die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Allerdings taucht der Begriff "Respekt" jetzt, nach Bildung der neuen Bundesregierung, kaum noch in der Tagespolitik auf.
Bleibt die Frage: Ist das "Comeback der SPD", von dem der Autor im Buchtitel spricht, womöglich nur ein letztes Aufbäumen? Denn die Konfliktlinien, die der Partei in der Vergangenheit schon zu schaffen gemacht haben, sind ja nicht verschwunden. Ganz im Gegenteil. Soziale Konflikte verschärfen sich zunehmend, auch im Zuge weltpolitischer Konflikte, zuletzt des russischen Kriegs gegen die Ukraine.
Die SPD findet aktuell auf solche drängenden Fragen vor allem eine Antwort: mehr Geld für die Bürger. Umverteilen fiel der SPD geschichtlich ja nur dann leicht, wenn die Konjunktur brummte, wenn also genug Geld da war. Dass die Expansion des Sozialstaats, wie in den Siebzigerjahren geschehen, heute aber nicht mehr die einzig richtige Antwort sein kann, mögen nicht alle Verantwortlichen in der SPD so sehen. Der Autor verspricht im Buchtitel schließlich ja auch noch zu erklären, was das Comeback der SPD denn jetzt für Deutschland bedeute. Leider bleibt der Autor, der vor allem zurückschaut, auf diese Frage eine Antwort schuldig. MONA JAEGER
Dietmar Süß: Der seltsame Sieg. Das Comeback der SPD und was es für Deutschland bedeutet.
C. H. Beck Verlag, München 2022. 224 S., 18,- Euro.
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