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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Neue sprachliche und gedankliche Schärfe: In der Originalversion seines Spartacus-Romans seziert Arthur Koestler das Scheitern von Revolutionen.
Das "Gesetz des Umweges" erhebt Arthur Koestler, bis 1938 selbst Mitglied der Kommunistischen Partei, aber später scharfer Kritiker des totalitären Stalinismus, zum Dilemma jeglicher Revolution. Denn soll sie mehr sein als ein hedonistischer Beutezug der aufbegehrenden Ausgebeuteten, sind ihre Anführer gezwungen, selbst Mechanismen zur Unterdrückung zu erschaffen. Nur auf dem Umweg der Disziplinierung und des vorübergehenden Arrangements mit der nicht revolutionären Umwelt vermag ein funktionsfähiges Gemeinwesen zu entstehen. Doch wenn es auch den Gedanken der Revolution tatsächlich fortzuführen versucht, ist es, einmal auf dem Umweg angekommen, tagtäglich gezwungen, seine Ideale zu verraten - so weit das in seiner Präzision bestechende Fazit Koestlers.
Den Aufstand unter der Führung des Gladiators Spartacus, der die römische Republik in den Jahren 73 bis 71 vor Christus beschäftigte, gliedert er in seinem Roman "Sklavenkrieg" in vier Etappen: den Ausbruch der Aufständischen aus der römischen Unterdrückung unter dem hehren Ideal einer gerechteren Ordnung und gemeinschaftlichen Regierung, den zunehmend brutalen Beutezug der Revolutionäre durch Süditalien, die Konsolidierung einer Sonnenstadt als diszipliniertes revolutionäres Gemeinwesen unter strikter Alleinherrschaft des "Imperators" Spartacus und zuletzt deren Auflösung infolge von immer größerem Missmut und dem Wunsch der Aufständischen, in die verklärte alte Heimat zurückzukehren. "Hinter ihnen lag . . . die Sonnenstadt mit ihrem schalen Gesetz, die unreife und misslungene Zukunft. Vor ihnen lag das Vergangene, das man Heimat nannte." Doch anstelle der Rückkehr in eine nicht mehr existente Heimat folgt ein blutiges Massaker der unverdienten Sieger: Der kühl kalkulierende römische Feldherr, Politiker und Monopolist Crassus lässt seine siegreichen Truppen den Weg von Capua bis Rom mit den Kreuzen der auf ihren Umwegen zugrunde gegangenen Aufständischen schmücken.
Ebenfalls dem Umweg unterworfen war das Mitte der Dreißigerjahre entstandene deutschsprachige Originalmanuskript von Koestlers Erzählung über den Spartacus-Aufstand. Da er als damaliges Mitglied der Kommunistischen Partei mit einer Veröffentlichung im nationalsozialistischen Deutschland nicht hatte rechnen können, erschien der Roman erstmals 1939 in englischer Übersetzung von Edith Simon. Der Titel des Werkes lautete von da an politisch eher unverfänglich "Die Gladiatoren". Koestler hatte sich ursprünglich "Der Sklavenkrieg" oder gar "Spartacus" gewünscht. Das deutsche Originalmanuskript musste er bei seiner Flucht aus dem eroberten Frankreich 1940 in Paris zurücklassen. Der Text gelangte schließlich in die Archive des sowjetischen Geheimdienstes in Moskau, wo er erst 2016 durch den Germanisten Matthias Weßel als Originalvorlage zur englischen Übersetzung identifiziert wurde. Nun gelangt er mit mehr als achtzig Jahren Verspätung zur Erstveröffentlichung.
Welchen Gewinn diese Publikation darstellt, wird schon durch die wenigen Vergleiche mit der deutschen Rückübersetzung von 1948 klar, die Henry MacAdam im Nachwort der vorliegenden Ausgabe anstellt. Koestler pflegte einen äußerst präzisen und scharfen Schreibstil, der auf dem Umweg von zwei Übersetzungen zwangsweise abstumpfen musste. So heißt es in der Rückübersetzung zur politischen Lage Roms: "Allen denkenden Köpfen ist seit fast einem Jahrhundert klar, dass eine grundlegende Änderung notwendig ist. Aber wer auch immer diese Einsicht ausspricht, wird mundtot gemacht." Koestler fasste diese Analyse ursprünglich drastischer, ja körperlicher: "Eine neue Ordnung musste kommen, das war seit fast einem Jahrhundert allen denkenden Köpfen klar. Aber wo solche Weisheit sich zeigte, da wurde sie abgehackt, mitsamt dem Kopfe, der sie barg."
Zu ganz neuer Geltung gelangt in der nun vorliegenden Textversion auch die Fähigkeit Koestlers, ganze Passagen in antikisierendem Stil zu rhythmisieren und melodisieren: "Die Luft der Mansarde war schwer vom fauligen Dunst der Fische." Die intensive Beschäftigung des Autors mit altsprachlichen Texten wie der Bibel und antiken Historikern gelangt so erst zu ihrer vollen Geltung. Wie wichtig Koestler selbst die sprachliche Farbe und Atmosphäre gewesen ist, wird deutlich aus dem intensiven Briefwechsel, den er mit der englischen Übersetzerin Edith Simon geführt hatte. In einem Brief heißt es: "Du wirst gewisse Eigenarten des Stiles und des Sprachrythmus (sic) merken. Das muss im englischen Text beibehalten werden. Erste Grundregel: nicht sich an die Worte klammern, der Rhythmus ist wichtiger als der Buchstabe."
Zahlreiche weitere Beispiele der nun wiedergewonnenen sprachlichen Brillanz des Werks könnten ergänzt werden. Die bereits in den bisher bekannten Textversionen durchscheinende gedankliche Schärfe Koestlers gewinnt hier daher nochmals an Präzision, das prächtige antike Panorama leuchtet in weit kräftigeren Farben. Der textliche Umweg des Spartacus-Romans legt derart eindrücklich Zeugnis darüber ab, wie wertvoll die Lektüre von Literatur in ihrer jeweiligen sprachlichen Urfassung ist und welche Verfremdung bei jedweder Übersetzung zwangsläufig eintreten muss. Dass das Originalmanuskript des "Sklavenkriegs" nach so langer Zeit nun doch noch identifiziert und veröffentlicht werden konnte, kann somit nur als Glücksfall gesehen werden. PHILIP SCHAEFER
Arthur Koestler: "Der Sklavenkrieg". Roman.
Nachwort von Henry MacAdam. Elsinor Verlag, Coesfeld 2021. 392 S., geb., 29,- Euro.
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