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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Iben Akerlies ernst grundierter Sommerroman
Die norwegische Schauspielerin und Autorin Iben Akerlie, deren Durchbruch mit dem Inklusionsroman "Lars, mein Freund" über ein Kind mit Downsyndrom gelang, erörtert auch in ihrem neuen Buch, diesmal am Beispiel einer Familie mit afghanischem Migrationshintergrund, Stereotypisierung und Ausgrenzung.
Das Stadtkind Nora reist in den Sommerferien lustlos zu der ihr kaum bekannten Oma Wendy, einer einstigen Journalistin, aufs Land. Doch allmählich findet Nora Gefallen an der Welt der Wälder, Fichten und Seen - und nicht zuletzt an Abbas, dem in Norwegen aufgewachsenen Jungen afghanischer Herkunft aus der Nachbarschaft. Es ist ein Sommer der Entschleunigung und des in der Einöde neu erlernten Staunens, aber auch eine Initiationsgeschichte in dunklere Weltzusammenhänge.
Nach und nach werden allerdings Brüche in der ruralen Idylle gewahr. Gegenspielerin und rassistische Bösewichtin ist die Cafébesitzerin Dorrit. Bei einem Süßigkeitenkauf von Nora und Abbas verdächtigt sie nur Letzteren, nicht bezahlen zu wollen: Alltagsrassismus, Misstrauen, Generalverdacht und Ungleichbehandlung der Ethnien sind Themenfelder des Romans, und das dunkle, staubige Café und seine Chefin mit ihren "aus der Zeit gefallenen Witzen und Ansichten" sind eine gedanklich antiquierte Gegenwelt zur äußerlich dominierenden Sonnenlandschaft.
Zwischen Traum, Wachen und Erwachsenwerden, zwischen Knisterbrause und Liebeswehen fängt Akerlie einen Moment der Jugend ein. Dem als "einzigen langen, heißen Sommertag" empfundenen Urlaub und dem Unsterblichkeitsgefühl der jungen Protagonisten stehen abrupte Gewitterwolken und im Wandel der Natur Ahnungen von Vergänglichkeit und Tod gegenüber. Sie manifestieren sich im Problem des Sprechens über Krieg und Terror, in der Frage nach Aufarbeitung, Verdrängung und Schuld: Abbas' Vater Sayed flüchtete 2003 mit seiner Frau Soraya aus Afghanistan nach Norwegen, wo sie Abbas und einen zweiten Sohn bekamen. Die tragische Verbindung von Wendy mit Abbas' Familie führt als Erzählstrang in die unbekannte Heimat des Norwegerjungen Abbas: Laut der für ihn von Sayed und Wendy erdachten Version starb die Mutter in Afghanistan an Herzstillstand. Jedoch machte sich die Journalistin, die Soraya für eine Auslandsreportage über die Taliban als Dolmetscherin einspannte, wobei sie bei einem Bombenangriff auf einem Markt starb, am Tod mitschuldig.
Ein Merkmal Akerlies ist ihr beinahe körperliches Schreiben ("Das schlechte Gewissen flutet in kleinen Wellen meinen Brustkorb") als Stilmittel beim Evozieren der Wirren der Adoleszenz: "tausend Fragen, die durch mein Gehirn schwirren wie Zitteraale". Unter der hellen Oberfläche des Romans kreisen existenzielle Fragen wie Herkunft, Identität, Notlügen, Aufklärung und Kollateralschäden der Wahrheit, die nach einem Zerwürfnis der jungen Verliebten zur Katharsis führen.
Als die Ferienfreunde Nora und Abbas eine romantische, leer stehende Hütte Dorrits im Wald zum Quartier nehmen, begehen sie mit der Einnahme der "Burg des Feindes" einen folgenreichen Fauxpas. Raffiniert überblendet das Buch die Eroberung der Hütte mit dem Märchen "Goldlöckchen und die drei Bären". Für Nora ist die neue Umgebung ein Sommerabenteuer, aber für Abbas ist die Sache ernst. "Goldlöckchen ist ungestraft davongekommen", sagte Nora in Hinblick auf Abbas' Bedenken, die Hütte zu benutzen, woraufhin dieser repliziert: "Ich denke, dass es für Goldlöckchen einfacher ist als für mich."
Zuletzt werden Nora und Abbas doch noch erwischt: Als Dorrit die aufrichtige Entschuldigung von Abbas nicht annimmt, hält ihr zunächst Sayed eine ruhige Moralpredigt und dann Nora, die sich als "Mittäterin" ignoriert fühlt, eine antirassistische Wutrede.
Iben Akerlies mit leichter Hand schwere Themen angehender Roman ist eine Selbstermächtigung zum Aufbegehren gegen Alltagsrassismus in einer roher werdenden, intrigenreichen und kriegsversehrten Welt: Die Frage, ob Noras Verhalten mutig oder überfällig war, ist sekundär. STEFFEN GNAM
Iben Akerlie: "Der Sommer, in dem einfach alles passiert ist."
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Oetinger Verlag, Hamburg 2024. 176 S., geb., 16,- Euro. Ab 10 J.
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