„Der Sportreporter“, ein Klassiker der modernen Literatur der USA, bildet zusammen mit „Unabhängigkeitstag“ und „Die Lage des Landes“ Richard Fords große Romantrilogie um Frank Bascombe, einen netten, vernünftigen Amerikaner. Frank hat sich vor einigen Jahren von seiner Frau getrennt, arbeitet als Sportreporter und ist das, was man für gewöhnlich einen „Durchschnittstypen“ nennt. Doch eine Kette von dramatischen Ereignissen stört ihn jäh in der Ruhe der Mittelmäßigkeit: Er reist nach Detroit, um ein Interview mit einem an den Rollstuhl gefesselten Ex-Footballstar zu führen, anschließend erfährt er vom Selbstmord seines Freundes Walter, und es kommt zum Bruch zwischen ihm und seiner Freundin Vicky ...
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in D, A, L ausgeliefert werden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015Könnte alles schlimmer sein
In vier Erzählungen lässt Richard Ford seinen amerikanischen Jedermann, den ehemaligen Sportreporter
und Immobilienmakler Frank Bascombe, noch einmal auftreten – aber ein Durchschnittsamerikaner ist er längst nicht mehr
VON CHRISTOPH BARTMANN
Let me be Frank with you“: Den schön albernen Originaltitel dieses Buches kann die ansonsten tapfere Übersetzung von Frank Heibert dann doch nicht ins Deutsche bringen. Hier heißt Richard Fords vorerst letzte Lieferung aus dem mittelständischen Heldenleben von Frank Bascombe schlicht „Frank“; Frank wie Frank und wie „frank und frei“. „Let me be Frank with you“, das ist wahrscheinlich eine von Frank Bascombes Standardfloskeln gewesen. Ein Immobilienmakler darf um solche Formeln nicht verlegen sein.
Jetzt, mit 68 und im Ruhestand in New Jersey, will Frank es auch rhetorisch ein bisschen ruhiger angehen lassen. „Rückbau“ von allem ist sein Ziel, weshalb er sich den Verzicht auf besonders abgegriffene Formulierungen wie „etwas zurückgeben“, „das versendet sich“ oder „da bin ich ganz bei Ihnen“ verordnet hat. Das ist lobenswert, aber ein paar Seiten später geht es schon wieder los mit dem Gefloskel: „Kein Thema“. Immerhin fällt ihm der Lapsus selber auf. In der zweiten der vier kurzen Erzählungen resümiert Frank Bascombe sein wenig spektakuläres Leben wie folgt: „Ich hätte ihr erzählen können, dass ich zwanzig Jahre lang hier und an der Küste als Makler tätig war, ein Buch geschrieben habe, in nicht bemerkenswerter Weise in der Marine gedient habe, in Mississippi geboren wurde – blabba-blabba-blabba-dabba-dubs“. Was ist denn das? Im amerikanischen Original steht hier „bangety, bangety, bangety, boop“. Das bedeutet zwar auch nichts, aber dem findigen Rezensenten der New York Times fiel dazu ein, dass die drei langen Romane der „Frank Bascombe-Trilogie“, also „The Sportswriter“, „Independence Day“ und „The Lay of the Land“, das dreifache „Bangety“ sein könnten, auf das nun mit „Frank“ das finale „Boop“ folgt. „Boop“ im Sinne von „das war’s dann auch“, eine knappe Coda zu den drei Romanen, mit vier Erzählungen, die zusammen halb so viel Platz brauchen wie jeder der Vorgänger für sich allein.
Richard Ford hat Frank Bascombe als einen amerikanischen literarischen „Everyman“ etabliert, vergleichbar nur den wiederkehrenden Hauptfiguren von John Updike. Das soziale Milieu ist freilich ein anderes, hier ist es New Jersey und nicht Neuengland, eine leicht heruntergekommene Gegend, in der sich die meisten Sorgen und Befindlichkeiten umstandslos aufs große Ganze Amerikas umlegen lassen. So war es schon in den drei Bascombe-Romanen: Der Sportschreiber und nachmalige Immobilienmakler diente als repräsentative Stimme des mittleren Amerika, wie alle anderen Jedermänner und -frauen zwar mit den eigenen kleinen Sorgen und Freuden beschäftigt, aber anders als sie jederzeit fähig zu einem klugen Rückschluss auf das ganze Land.
Diese beiden Kapazitäten muss man erst einmal glaubhaft in derselben Figur unterbringen: den phrasendreschenden Mittelständler mit dem Prostataleiden und den nationalen Beobachter, der, wenn er von seiner Prostata spricht, auch von „uns“ spricht, von unseren „Angstverwirbelungen“, die möglicherweise „Ausdruck unserer landesweiten Stimmung“ sind. Meistens gelingt es Ford, die Figurenrede mit seiner eigenen Kulturkritik zur Deckung zu bringen, manchmal geht aber auch die innere Konkordanz verloren: „Ohne das ohrenbetäubende Fernsehgetöse wurde es in meinem Haus plötzlich so still wie im Weltraum“, so redet wahrscheinlich niemand, der im nächsten Moment schon wieder von „Seelenklempnern“ spricht.
Sagen wir es so: Die Wahrscheinlichkeit, dass Frank Bascombe auch mit 68 und, wie er sagt, immer fahriger werdenden Gedanken, ein amerikanischer Jedermann ist, schwindet nicht so schnell wie die, dass Frank Bascombe noch in diesem Zustand zu weiterführenden Einsichten über die Situation Amerikas gelangen könnte. Vielleicht liegt das daran, dass der bewährte Typ „Everyman“ (weiß, Mann, 68 usw.) einfach nicht mehr aus dem Herzen der amerikanischen Demografie spricht.
Die Situation Amerikas, jedenfalls die von New Jersey, ist im Herbst 2012, in dem die Erzählungen spielen, geprägt von den Folgen des Hurrikans Sandy. „Seltsame Düfte schweben heute Morgen, zwei Wochen vor Weihnachten, in der unruhigen Winterluft vor der Küste“, so fängt die erste Erzählung an. Es riecht nach Dichtmasse, Teerpappe und, vom Meer her, nach Schwefel, oder insgesamt „nach Desaster“. Dem geübten Blick des Immobilienmaklers entgeht nichts, was der Hurrikan an der Küste von New Jersey angerichtet hat. Es passiert hier und in den anderen Erzählungen nicht viel mehr, als dass die Leute belauscht und begleitet werden bei dem, was sie so tun und reden, und zwar von jemandem, der selbst einer von diesen Leuten ist, der sie mag und sie versteht, der sich nicht über sie erhebt, sondern sie allenfalls still belächelt.
Frank Bascombe, die melancholische Frohnatur, der Menschenfreund mit Händlerseele, hat viel zu beobachten in diesen Tagen. „Dieser Streifen jetzt versalzener Erde hat mir einst ein ansehnliches Einkommen beschert“, sinniert er beim Blick auf die vom Sturm verwüstete Uferfront. Umso besser, dass er im Ruhestand ist. Richard Ford hat gesagt, seine Leser hätten ihn gedrängt, Frank Bascombe noch einmal zu reaktivieren, und man kann es verstehen. Wenn Frank einen über den „Jersey Shore“ führt, fühlt sich das einfach richtig und stimmig an. Wenn er nebenbei nicht auch noch als Statthalter einer Gesellschaftsdiagnose auftritt, macht das nichts. Frank Bascombe, das alte Schlitzohr mit dem Riesenverkaufstalent, hat uns auch so am Wickel.
Die vier kurzen Erzählungen geben schon in ihren Titeln: „Ich bin da“, „Könnte alles schlimmer sein“, „Das neue Normal“ und „Die Tode anderer“ die Stimmungslage des Protagonisten zu erkennen. Zwar hat sich Frank weniger dummer Sprüche verordnet, aber Munterkeit bleibt oberstes Gebot, gerade wenn ringsum die Welt von Flutwellen und Alterskrankheiten bedroht wird. „Könnte alles schlimmer sein“, in der vielleicht gelungensten der vier Erzählungen steht ein paar Tage vor Weihnachten eine Frau in rotem Mantel vor Franks Tür, eine „Negerin“, wie er sagt, die er erst mal einer kritischen Musterung unterzieht.
Ms. Pines, so stellt sich die Frau vor, würde gerne einmal einen kurzen Blick in das Haus werfen, in dem sie selbst vor langer Zeit einmal mit ihrer Familie gewohnt habe. Seine Frau ist gerade aus dem Haus (sie ist in diesen Erzählungen merkwürdigerweise fast immer aus dem Haus), und Frank gewinnt Zutrauen zu seinem unerwarteten Gast. Er erzählt von sich und hört noch mehr zu, er kann gut zuhören – „was mir einen guten Lebensunterhalt in meiner Maklerzeit eingebracht hat“ – und Ms. Pines fängt zu erzählen an, eine furchtbare Familiengeschichte, die sich in Franks Haus lang vor seiner Zeit zugetragen hat und die 1969, zwischen Thanksgiving und Weihnachten, eskalierte. Die Jahreszeit sei halt „neuropsychisch eine spirituelle Todeszone“, sagt Frank zu sich oder zu uns, jedenfalls nicht zu Ms. Pines.
Anders als etwa bei Raymond Carver kann die stille Tragik des Alltagslebens hier stets durch einen kleinen Scherz unterbrochen, gemildert, ja vielleicht geheilt werden. Irgendwie tut Frank Bascombe allen gut, mit denen er Umgang pflegt, ein kalauernder Alltagsphilosoph, der uns behutsam nahelegt, dass alles viel schlimmer sein könnte und dass keine Spuren im Leben zu hinterlassen das „neue Normal“ ist. Und was sagt uns das alles über Amerika? Vielleicht nur, dass auch der mittelständische Gesellschaftsroman irgendwann in Rente gehen muss. Und dass danach noch lange nicht Schluss ist.
Frank Bascombe ist inzwischen im
Ruhestand, aber den Blick des
Immobilienmaklers hat er noch
Dem geschulten Auge des Immobilienmaklers Frank Bascombe entgeht nicht, wie der Hurrikan Sandy an der Küste von New Jersey gewütet hat.
Foto: peter van agtmael / Magnum Photo
Richard Ford: Frank.
Aus dem Englischen
von Frank Heibert.
Hanser Berlin Verlag, Berlin/München 2015. 224 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In vier Erzählungen lässt Richard Ford seinen amerikanischen Jedermann, den ehemaligen Sportreporter
und Immobilienmakler Frank Bascombe, noch einmal auftreten – aber ein Durchschnittsamerikaner ist er längst nicht mehr
VON CHRISTOPH BARTMANN
Let me be Frank with you“: Den schön albernen Originaltitel dieses Buches kann die ansonsten tapfere Übersetzung von Frank Heibert dann doch nicht ins Deutsche bringen. Hier heißt Richard Fords vorerst letzte Lieferung aus dem mittelständischen Heldenleben von Frank Bascombe schlicht „Frank“; Frank wie Frank und wie „frank und frei“. „Let me be Frank with you“, das ist wahrscheinlich eine von Frank Bascombes Standardfloskeln gewesen. Ein Immobilienmakler darf um solche Formeln nicht verlegen sein.
Jetzt, mit 68 und im Ruhestand in New Jersey, will Frank es auch rhetorisch ein bisschen ruhiger angehen lassen. „Rückbau“ von allem ist sein Ziel, weshalb er sich den Verzicht auf besonders abgegriffene Formulierungen wie „etwas zurückgeben“, „das versendet sich“ oder „da bin ich ganz bei Ihnen“ verordnet hat. Das ist lobenswert, aber ein paar Seiten später geht es schon wieder los mit dem Gefloskel: „Kein Thema“. Immerhin fällt ihm der Lapsus selber auf. In der zweiten der vier kurzen Erzählungen resümiert Frank Bascombe sein wenig spektakuläres Leben wie folgt: „Ich hätte ihr erzählen können, dass ich zwanzig Jahre lang hier und an der Küste als Makler tätig war, ein Buch geschrieben habe, in nicht bemerkenswerter Weise in der Marine gedient habe, in Mississippi geboren wurde – blabba-blabba-blabba-dabba-dubs“. Was ist denn das? Im amerikanischen Original steht hier „bangety, bangety, bangety, boop“. Das bedeutet zwar auch nichts, aber dem findigen Rezensenten der New York Times fiel dazu ein, dass die drei langen Romane der „Frank Bascombe-Trilogie“, also „The Sportswriter“, „Independence Day“ und „The Lay of the Land“, das dreifache „Bangety“ sein könnten, auf das nun mit „Frank“ das finale „Boop“ folgt. „Boop“ im Sinne von „das war’s dann auch“, eine knappe Coda zu den drei Romanen, mit vier Erzählungen, die zusammen halb so viel Platz brauchen wie jeder der Vorgänger für sich allein.
Richard Ford hat Frank Bascombe als einen amerikanischen literarischen „Everyman“ etabliert, vergleichbar nur den wiederkehrenden Hauptfiguren von John Updike. Das soziale Milieu ist freilich ein anderes, hier ist es New Jersey und nicht Neuengland, eine leicht heruntergekommene Gegend, in der sich die meisten Sorgen und Befindlichkeiten umstandslos aufs große Ganze Amerikas umlegen lassen. So war es schon in den drei Bascombe-Romanen: Der Sportschreiber und nachmalige Immobilienmakler diente als repräsentative Stimme des mittleren Amerika, wie alle anderen Jedermänner und -frauen zwar mit den eigenen kleinen Sorgen und Freuden beschäftigt, aber anders als sie jederzeit fähig zu einem klugen Rückschluss auf das ganze Land.
Diese beiden Kapazitäten muss man erst einmal glaubhaft in derselben Figur unterbringen: den phrasendreschenden Mittelständler mit dem Prostataleiden und den nationalen Beobachter, der, wenn er von seiner Prostata spricht, auch von „uns“ spricht, von unseren „Angstverwirbelungen“, die möglicherweise „Ausdruck unserer landesweiten Stimmung“ sind. Meistens gelingt es Ford, die Figurenrede mit seiner eigenen Kulturkritik zur Deckung zu bringen, manchmal geht aber auch die innere Konkordanz verloren: „Ohne das ohrenbetäubende Fernsehgetöse wurde es in meinem Haus plötzlich so still wie im Weltraum“, so redet wahrscheinlich niemand, der im nächsten Moment schon wieder von „Seelenklempnern“ spricht.
Sagen wir es so: Die Wahrscheinlichkeit, dass Frank Bascombe auch mit 68 und, wie er sagt, immer fahriger werdenden Gedanken, ein amerikanischer Jedermann ist, schwindet nicht so schnell wie die, dass Frank Bascombe noch in diesem Zustand zu weiterführenden Einsichten über die Situation Amerikas gelangen könnte. Vielleicht liegt das daran, dass der bewährte Typ „Everyman“ (weiß, Mann, 68 usw.) einfach nicht mehr aus dem Herzen der amerikanischen Demografie spricht.
Die Situation Amerikas, jedenfalls die von New Jersey, ist im Herbst 2012, in dem die Erzählungen spielen, geprägt von den Folgen des Hurrikans Sandy. „Seltsame Düfte schweben heute Morgen, zwei Wochen vor Weihnachten, in der unruhigen Winterluft vor der Küste“, so fängt die erste Erzählung an. Es riecht nach Dichtmasse, Teerpappe und, vom Meer her, nach Schwefel, oder insgesamt „nach Desaster“. Dem geübten Blick des Immobilienmaklers entgeht nichts, was der Hurrikan an der Küste von New Jersey angerichtet hat. Es passiert hier und in den anderen Erzählungen nicht viel mehr, als dass die Leute belauscht und begleitet werden bei dem, was sie so tun und reden, und zwar von jemandem, der selbst einer von diesen Leuten ist, der sie mag und sie versteht, der sich nicht über sie erhebt, sondern sie allenfalls still belächelt.
Frank Bascombe, die melancholische Frohnatur, der Menschenfreund mit Händlerseele, hat viel zu beobachten in diesen Tagen. „Dieser Streifen jetzt versalzener Erde hat mir einst ein ansehnliches Einkommen beschert“, sinniert er beim Blick auf die vom Sturm verwüstete Uferfront. Umso besser, dass er im Ruhestand ist. Richard Ford hat gesagt, seine Leser hätten ihn gedrängt, Frank Bascombe noch einmal zu reaktivieren, und man kann es verstehen. Wenn Frank einen über den „Jersey Shore“ führt, fühlt sich das einfach richtig und stimmig an. Wenn er nebenbei nicht auch noch als Statthalter einer Gesellschaftsdiagnose auftritt, macht das nichts. Frank Bascombe, das alte Schlitzohr mit dem Riesenverkaufstalent, hat uns auch so am Wickel.
Die vier kurzen Erzählungen geben schon in ihren Titeln: „Ich bin da“, „Könnte alles schlimmer sein“, „Das neue Normal“ und „Die Tode anderer“ die Stimmungslage des Protagonisten zu erkennen. Zwar hat sich Frank weniger dummer Sprüche verordnet, aber Munterkeit bleibt oberstes Gebot, gerade wenn ringsum die Welt von Flutwellen und Alterskrankheiten bedroht wird. „Könnte alles schlimmer sein“, in der vielleicht gelungensten der vier Erzählungen steht ein paar Tage vor Weihnachten eine Frau in rotem Mantel vor Franks Tür, eine „Negerin“, wie er sagt, die er erst mal einer kritischen Musterung unterzieht.
Ms. Pines, so stellt sich die Frau vor, würde gerne einmal einen kurzen Blick in das Haus werfen, in dem sie selbst vor langer Zeit einmal mit ihrer Familie gewohnt habe. Seine Frau ist gerade aus dem Haus (sie ist in diesen Erzählungen merkwürdigerweise fast immer aus dem Haus), und Frank gewinnt Zutrauen zu seinem unerwarteten Gast. Er erzählt von sich und hört noch mehr zu, er kann gut zuhören – „was mir einen guten Lebensunterhalt in meiner Maklerzeit eingebracht hat“ – und Ms. Pines fängt zu erzählen an, eine furchtbare Familiengeschichte, die sich in Franks Haus lang vor seiner Zeit zugetragen hat und die 1969, zwischen Thanksgiving und Weihnachten, eskalierte. Die Jahreszeit sei halt „neuropsychisch eine spirituelle Todeszone“, sagt Frank zu sich oder zu uns, jedenfalls nicht zu Ms. Pines.
Anders als etwa bei Raymond Carver kann die stille Tragik des Alltagslebens hier stets durch einen kleinen Scherz unterbrochen, gemildert, ja vielleicht geheilt werden. Irgendwie tut Frank Bascombe allen gut, mit denen er Umgang pflegt, ein kalauernder Alltagsphilosoph, der uns behutsam nahelegt, dass alles viel schlimmer sein könnte und dass keine Spuren im Leben zu hinterlassen das „neue Normal“ ist. Und was sagt uns das alles über Amerika? Vielleicht nur, dass auch der mittelständische Gesellschaftsroman irgendwann in Rente gehen muss. Und dass danach noch lange nicht Schluss ist.
Frank Bascombe ist inzwischen im
Ruhestand, aber den Blick des
Immobilienmaklers hat er noch
Dem geschulten Auge des Immobilienmaklers Frank Bascombe entgeht nicht, wie der Hurrikan Sandy an der Küste von New Jersey gewütet hat.
Foto: peter van agtmael / Magnum Photo
Richard Ford: Frank.
Aus dem Englischen
von Frank Heibert.
Hanser Berlin Verlag, Berlin/München 2015. 224 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015Die Lage des Landes nach dem Sturm
Keiner hat Amerikas Eigentümer-Welt vermessen wie er: Richard Ford legt mit "Frank" den Schlussstein seiner meisterlichen Frank-Bascombe-Tetralogie.
Von Sandra Kegel
Er ist wieder da, der Wohnexperte, Transzendenzleugner und Wahrnehmungsvirtuose Frank Bascombe. Beobachtend, erinnernd und reflektierend, hat er die Leser von Richard Fords 1986 begonnener Tetralogie, deren vierter Teil "Frank" jetzt auf Deutsch vorliegt, durch mehr als drei Jahrzehnte amerikanischer Gegenwart navigiert. 1800 Seiten umfasst diese Langzeitvermessung der Hauseigentümer-Gesellschaft Amerika, die uns den Ex-Sportjournalisten, Ex-Schriftsteller, und inzwischen Ex-Immobilienmakler so nah gebracht hat wie kaum eine andere literarische Figur. Denn Richard Ford ließ diesen Frank Bascombe von Anfang an selbst erzählen, im vorwärtsdrängenden Präsens. Und da er jeden Moment, jedes Detail, jede noch so beiläufige Beobachtung zum Anlass für Überlegungen aller Art nimmt, die eigene Vergangenheit dabei immer im Schlepptau, meinte man irgendwann, beinah jeden Winkel dieser Seele kennengelernt zu haben.
Das natürliche Habitat dieses Alltagsphänomenologen, der wie sein Erfinder aus dem Süden stammt, die meiste Zeit seines Lebens jedoch in New Jersey verbracht hat, ist das Auto. Es ist nicht nur Sinnbild für die Flüchtigkeit von Identität, um die dieses Buch gedanklich unentwegt kreist. Es ermöglicht Frank vor allem Beobachtung und Bewegung zugleich. Im neuen Buch wird dem inzwischen achtundsechzigjährigen Prostatakrebs-Überlebenden der Hyundai Sonata regelrecht zur Sicherheitszone, die er nur ungern verlässt. Was er sieht, ob die Verwüstungen des Hurrikans Sandy in New Jersey oder den ehemaligen Kunden, dem er einst ein Haus verkaufte, hält sich Bascombe am liebsten durch die Windschutzscheibe auf Distanz, nicht zuletzt weil Flucht im Auto jederzeit möglich ist.
Zwar hat Richard Ford auch sein viertes Bascombe-Buch abermals um einen Feiertag herumgebaut - nach Ostern, dem Independence Day und Thanksgiving steuert "Frank" auf Weihnachten zu. Doch anders als bei "Der Sportjournalist", "Unabhängigkeitstag" und "Die Lage des Landes" handelt es sich bei dem vergleichsweise schmalen Band nicht um einen Roman, sondern um vier novellenartige Erzählungen, die durch den Ich-Erzähler miteinander verbunden sind. Richard Ford kann hier seine ganze Meisterschaft auf der kurzen Strecke zeigen. Wurden die bisherigen Bascombe-Bände zusehends länger und ausgreifender, hat der Autor hier nun jedes überflüssige Gepäck über Bord geworfen. Ja, Bascombe selbst ist Geschwätzigkeit inzwischen solch ein Greuel, dass er eine Liste mit Wörtern angelegt hat, die er für überflüssig hält. "Bonding" steht dabei an oberster Stelle. Denn dass uns allen "eine unendliche Ferne" innewohnt, davon ist er wie sein Hausphilosoph Emerson überzeugt.
Jede der etwa gleichlangen Erzählungen, die wenige Wochen nach dem Wirbelsturm im Dezember 2012 spielen, hat mit dem Tod zu tun. Und in allen bieten die Behausungen keinen Schutz vor den Zudringlichkeiten des Lebens mehr, sondern offenbaren sich stattdessen als Orte wüster Verheerungen. Mal offensichtlicher, wenn sie vom Sturm weggefegt wurden, mal verborgener, wenn ihre Keller schreckliche Geheimnisse bergen oder sie sich als Überwachungseinrichtungen und Totenhäuser entpuppen. Immer ist Frank Bascombe irgendwann zugegen, weniger allerdings als Handelnder, sondern als Zeuge, der in seinem Sonata fast gemächlich an die Katastrophen heranrollt. Wohl nicht zufällig heißt das Auto, das er fährt, wie ein Medikament gegen Einschlafstörungen.
In der Auftaktgeschichte ruft der Fischhändler Arnie Urquhart seinen ehemaligen Immobilienhändler ins Zentrum der Orkanverwüstungen. Bascombe hatte ihm einst sein Haus in Sea Clift verkauft, das vom Sturm in seine Einzelteile zerlegt wurde. Irgendeine Verantwortung trage man schon für den Menschen, dem man ein Haus verkauft habe, sinniert Bascombe angesichts der entwurzelten Anwesen, keine finanzielle oder moralische, "eher eine priesterliche, eine aus Berufung". Doch Arnie muss den Häuserflüsterer erst anschreien, damit der sein Gefährt verlässt.
"Ich bin da" ist die Geschichte überschrieben. "Ich bin da" riefen die Indianer, die 1862 nach einem Aufstand in Minnesota hingerichtet wurden. Dass auch er einfach nur da sein sollte, selbst wenn er nichts tun kann, außer Arnies Katastrophe zu bezeugen, erkennt Frank schließlich. Obwohl sein Grundsatz in Wahrheit lautet: lieber nicht zu viel wissen. Denn wer die Geschichte nicht kennt, hat "eine höhere Chance, sich in vielerlei Hinsicht besser zu fühlen". Dennoch bittet er auch die farbige Besucherin, die eines Tages überraschend bei ihm in Haddam aufkreuzt, ihre Geschichte zu erzählen. Und erfährt auf diese Weise von der Familientragödie, die sich vor Jahren in seinem Haus zugetragen hat. Als Frank Tage später einen Freund von früher an dessen Sterbebett besucht, macht auch dieser ein so ungefragtes wie unerwartetes Geständnis. Er hatte einst eine Affäre mit Franks erster Frau Ann.
Wie Frank, der mit seiner zweiten Frau Sally wieder in Haddam lebt, ist auch Ann vor kurzem dorthin zurückgekehrt, wo sie einst mit Frank lebte und ihr gemeinsamer Sohn Ralph beerdigt ist. Nach einer Parkinson-Diagnose hat sie sich in ein Edel-Altenheim einquartiert, über dessen Bewohner unsichtbare Kameras und geräuschlose Sensoren Buch führen. "Das neue Normal" ist die vielleicht gespenstischste Geschichte in diesem Band. Als Frank seine Exfrau besucht, um ihr ein orthopädisches Sitzkissen zu bringen, lässt er während der Fahrt nicht nur ihre Ehe noch einmal Revue passieren, sondern auch die Grundverschiedenheit ihrer Auffassungen. Denn anders als Ann glaubt Frank nicht an einen unverrückbaren Charakter, der uns ausmacht und festlegt. "In meinen Augen haben wir nur das, was wir gestern getan haben, heute tun und vielleicht künftig tun werden. Plus das, was immer wir davon halten. Aber nichts sonst." Wir hinterlassen keine Spuren, und jeder Riss, davon erzählt dieser mit Gedankenfetzen, literarischen Anspielungen und Zeitungszitaten gespickte Erzählstrom, kann sich jederzeit zum Abgrund weiten, jede Brise zum Orkan werden. Trotz allem lautet das pragmatisch optimistische Motto der obdachlos gewordenen Hurrikanopfer: "Wir kommen zurück".
Wer etwas über amerikanische Gegenwart erfahren will, der lese "Frank". Und am besten alle früheren Bascombe-Romane dazu. Sie gehören zum Besten, was über Amerika geschrieben wurde.
Richard Ford. "Frank".
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2015. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Keiner hat Amerikas Eigentümer-Welt vermessen wie er: Richard Ford legt mit "Frank" den Schlussstein seiner meisterlichen Frank-Bascombe-Tetralogie.
Von Sandra Kegel
Er ist wieder da, der Wohnexperte, Transzendenzleugner und Wahrnehmungsvirtuose Frank Bascombe. Beobachtend, erinnernd und reflektierend, hat er die Leser von Richard Fords 1986 begonnener Tetralogie, deren vierter Teil "Frank" jetzt auf Deutsch vorliegt, durch mehr als drei Jahrzehnte amerikanischer Gegenwart navigiert. 1800 Seiten umfasst diese Langzeitvermessung der Hauseigentümer-Gesellschaft Amerika, die uns den Ex-Sportjournalisten, Ex-Schriftsteller, und inzwischen Ex-Immobilienmakler so nah gebracht hat wie kaum eine andere literarische Figur. Denn Richard Ford ließ diesen Frank Bascombe von Anfang an selbst erzählen, im vorwärtsdrängenden Präsens. Und da er jeden Moment, jedes Detail, jede noch so beiläufige Beobachtung zum Anlass für Überlegungen aller Art nimmt, die eigene Vergangenheit dabei immer im Schlepptau, meinte man irgendwann, beinah jeden Winkel dieser Seele kennengelernt zu haben.
Das natürliche Habitat dieses Alltagsphänomenologen, der wie sein Erfinder aus dem Süden stammt, die meiste Zeit seines Lebens jedoch in New Jersey verbracht hat, ist das Auto. Es ist nicht nur Sinnbild für die Flüchtigkeit von Identität, um die dieses Buch gedanklich unentwegt kreist. Es ermöglicht Frank vor allem Beobachtung und Bewegung zugleich. Im neuen Buch wird dem inzwischen achtundsechzigjährigen Prostatakrebs-Überlebenden der Hyundai Sonata regelrecht zur Sicherheitszone, die er nur ungern verlässt. Was er sieht, ob die Verwüstungen des Hurrikans Sandy in New Jersey oder den ehemaligen Kunden, dem er einst ein Haus verkaufte, hält sich Bascombe am liebsten durch die Windschutzscheibe auf Distanz, nicht zuletzt weil Flucht im Auto jederzeit möglich ist.
Zwar hat Richard Ford auch sein viertes Bascombe-Buch abermals um einen Feiertag herumgebaut - nach Ostern, dem Independence Day und Thanksgiving steuert "Frank" auf Weihnachten zu. Doch anders als bei "Der Sportjournalist", "Unabhängigkeitstag" und "Die Lage des Landes" handelt es sich bei dem vergleichsweise schmalen Band nicht um einen Roman, sondern um vier novellenartige Erzählungen, die durch den Ich-Erzähler miteinander verbunden sind. Richard Ford kann hier seine ganze Meisterschaft auf der kurzen Strecke zeigen. Wurden die bisherigen Bascombe-Bände zusehends länger und ausgreifender, hat der Autor hier nun jedes überflüssige Gepäck über Bord geworfen. Ja, Bascombe selbst ist Geschwätzigkeit inzwischen solch ein Greuel, dass er eine Liste mit Wörtern angelegt hat, die er für überflüssig hält. "Bonding" steht dabei an oberster Stelle. Denn dass uns allen "eine unendliche Ferne" innewohnt, davon ist er wie sein Hausphilosoph Emerson überzeugt.
Jede der etwa gleichlangen Erzählungen, die wenige Wochen nach dem Wirbelsturm im Dezember 2012 spielen, hat mit dem Tod zu tun. Und in allen bieten die Behausungen keinen Schutz vor den Zudringlichkeiten des Lebens mehr, sondern offenbaren sich stattdessen als Orte wüster Verheerungen. Mal offensichtlicher, wenn sie vom Sturm weggefegt wurden, mal verborgener, wenn ihre Keller schreckliche Geheimnisse bergen oder sie sich als Überwachungseinrichtungen und Totenhäuser entpuppen. Immer ist Frank Bascombe irgendwann zugegen, weniger allerdings als Handelnder, sondern als Zeuge, der in seinem Sonata fast gemächlich an die Katastrophen heranrollt. Wohl nicht zufällig heißt das Auto, das er fährt, wie ein Medikament gegen Einschlafstörungen.
In der Auftaktgeschichte ruft der Fischhändler Arnie Urquhart seinen ehemaligen Immobilienhändler ins Zentrum der Orkanverwüstungen. Bascombe hatte ihm einst sein Haus in Sea Clift verkauft, das vom Sturm in seine Einzelteile zerlegt wurde. Irgendeine Verantwortung trage man schon für den Menschen, dem man ein Haus verkauft habe, sinniert Bascombe angesichts der entwurzelten Anwesen, keine finanzielle oder moralische, "eher eine priesterliche, eine aus Berufung". Doch Arnie muss den Häuserflüsterer erst anschreien, damit der sein Gefährt verlässt.
"Ich bin da" ist die Geschichte überschrieben. "Ich bin da" riefen die Indianer, die 1862 nach einem Aufstand in Minnesota hingerichtet wurden. Dass auch er einfach nur da sein sollte, selbst wenn er nichts tun kann, außer Arnies Katastrophe zu bezeugen, erkennt Frank schließlich. Obwohl sein Grundsatz in Wahrheit lautet: lieber nicht zu viel wissen. Denn wer die Geschichte nicht kennt, hat "eine höhere Chance, sich in vielerlei Hinsicht besser zu fühlen". Dennoch bittet er auch die farbige Besucherin, die eines Tages überraschend bei ihm in Haddam aufkreuzt, ihre Geschichte zu erzählen. Und erfährt auf diese Weise von der Familientragödie, die sich vor Jahren in seinem Haus zugetragen hat. Als Frank Tage später einen Freund von früher an dessen Sterbebett besucht, macht auch dieser ein so ungefragtes wie unerwartetes Geständnis. Er hatte einst eine Affäre mit Franks erster Frau Ann.
Wie Frank, der mit seiner zweiten Frau Sally wieder in Haddam lebt, ist auch Ann vor kurzem dorthin zurückgekehrt, wo sie einst mit Frank lebte und ihr gemeinsamer Sohn Ralph beerdigt ist. Nach einer Parkinson-Diagnose hat sie sich in ein Edel-Altenheim einquartiert, über dessen Bewohner unsichtbare Kameras und geräuschlose Sensoren Buch führen. "Das neue Normal" ist die vielleicht gespenstischste Geschichte in diesem Band. Als Frank seine Exfrau besucht, um ihr ein orthopädisches Sitzkissen zu bringen, lässt er während der Fahrt nicht nur ihre Ehe noch einmal Revue passieren, sondern auch die Grundverschiedenheit ihrer Auffassungen. Denn anders als Ann glaubt Frank nicht an einen unverrückbaren Charakter, der uns ausmacht und festlegt. "In meinen Augen haben wir nur das, was wir gestern getan haben, heute tun und vielleicht künftig tun werden. Plus das, was immer wir davon halten. Aber nichts sonst." Wir hinterlassen keine Spuren, und jeder Riss, davon erzählt dieser mit Gedankenfetzen, literarischen Anspielungen und Zeitungszitaten gespickte Erzählstrom, kann sich jederzeit zum Abgrund weiten, jede Brise zum Orkan werden. Trotz allem lautet das pragmatisch optimistische Motto der obdachlos gewordenen Hurrikanopfer: "Wir kommen zurück".
Wer etwas über amerikanische Gegenwart erfahren will, der lese "Frank". Und am besten alle früheren Bascombe-Romane dazu. Sie gehören zum Besten, was über Amerika geschrieben wurde.
Richard Ford. "Frank".
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2015. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main