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Die Bundesrepublik entwickelte sich im Laufe ihres Bestehens zu einem liberalen Rechts- und Sozialstaat nach westlichem Muster. Historiker trugen dazu bei, indem sie Orientierungswissen lieferten und als public intellectuals diese Entwicklung kritisch begleiteten. Sie erinnerten, imaginierten und kritisierten spezifische Staatsvorstellungen beziehungsweise reflektierten die Krisen von Rechts- und Sozialstaatlichkeit seit den 1970er Jahren. Und auch heute sind Historiker an der Neukonzeption von Staatlichkeit im Kontext von Globalisierung und europäischer Integration beteiligt. Gabriele Metzler…mehr

Produktbeschreibung
Die Bundesrepublik entwickelte sich im Laufe ihres Bestehens zu einem liberalen Rechts- und Sozialstaat nach westlichem Muster. Historiker trugen dazu bei, indem sie Orientierungswissen lieferten und als public intellectuals diese Entwicklung kritisch begleiteten. Sie erinnerten, imaginierten und kritisierten spezifische Staatsvorstellungen beziehungsweise reflektierten die Krisen von Rechts- und Sozialstaatlichkeit seit den 1970er Jahren. Und auch heute sind Historiker an der Neukonzeption von Staatlichkeit im Kontext von Globalisierung und europäischer Integration beteiligt. Gabriele Metzler erzählt eine Geschichte der Bundesrepublik von ihren Anfängen bis heute durch das Prisma ihrer zeithistorischen Erforschung.


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Autorenporträt
Gabriele Metzler ist Professorin für die Geschichte Westeuropas und der transatlantischen Beziehungen an der Humboldt- Universität zu Berlin.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2019

Soll denn die Historiographie der Politik die Leviten lesen?
Abschiede von der großen Erzählung: Gabriele Metzler lässt die Staatsvorstellungen deutscher Historiker im zwanzigsten Jahrhundert Revue passieren

Es gab 1945 keine Stunde null. Gabriele Metzler ist überzeugt davon und lässt ihre Geschichte der Staatsvorstellungen deutscher Historiker mit einem Rückblick auf die Zeit ab dem späten neunzehnten Jahrhundert beginnen. Die Geschichtswissenschaft war zu Kaisers Zeiten eine "staatstragende Disziplin", verschrieb sich dem Gedanken einer historisch gewachsenen Ordnung, übte sich in Revolutionsabwehr und betrachtete den gesellschaftlich entkoppelten Staat als Verwirklichung einer unantastbaren sittlichen Idee. Unabhängig von der Staatsform, meist aber demokratieskeptisch eingestellt, hielt die Mehrheit der Fachvertreter während der Weimarer Republik an dieser Tradition fest. Außenpolitisch lebte die Idee des Machtstaats fort und stiftete in beträchtlicher Weise revisionistische Unruhe.

Der weit ausgreifenden, chronologisch angelegten Studie ist anzumerken, dass sie auf intensiver Forschungsarbeit beruht. Gut gegliedert, klar formuliert und unter Auswertung zahlreicher Quellen und Forschungsliteratur bietet sie eine kundige deutsche Historiographiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts rund um das Thema Staat. Dieses Leitthema ließ sich nicht immer leicht ausfindig machen, betont Metzler, würden Zeithistoriker doch nur selten "Staatsvorstellung" schreiben, wenn sie Staatsvorstellung meinen.

Mit großem Spürsinn spürt die an der Humboldt-Universität lehrende Autorin die Positionen ihrer Protagonisten auf, teils zwischen den Zeilen in deren Hauptwerken, teils in zeitdiagnostischen Traktaten, die sie offen äußern. Metzlers Band ist so auch ein lesenswerter Beitrag zum schwierigen Balanceakt zwischen politischer und wissenschaftlicher Logik, intellektueller Stellungnahme und historischer Kärrnerarbeit. Ohne die Grenzen immer scharf zu definieren, lässt Metzler diverse Lager, Schulen, Generationen und Meinungsführer erkennbar werden. Gelegentlich ließe sich über die Kategorien streiten: etwa für die siebziger und achtziger Jahre mit "Neokonservativen" hier und "sozialliberal Gestimmten" dort, mit einem unter Historikern wenig erfolgreichen Neomarxismus hier und einigen "gefühlsstarken Barfußhistorikern" dort, wie Hans-Ulrich Wehler einst die Vertreter einer unpolitisch erscheinenden Alltagsgeschichte spöttisch betitelte.

Neben dem "Mainstream" der Historiker, von dem Metzler regelmäßig spricht, ohne stets offenzulegen, wie dieser für die verschiedenen Phasen ihrer Betrachtung zu ermitteln ist, erwähnt sie auch immer wieder Außenseiter der Zunft, etwa für das frühe zwanzigste Jahrhunderts Eckart Kehr und Arthur Rosenberg. Diese begannen eher als die Mehrheit ihrer Kollegen, soziologische Überlegungen einzubeziehen und den Staat als "Kollektivindividualität" aus gesellschaftlicher Sicht in Frage zu stellen.

Mag ihre Staatsfixiertheit auch so manchen in habitueller wie politischer Hinsicht konservativ-bürgerlichen Historiker vor einer völkischen Imprägnierung während des "Dritten Reiches" bewahrt haben, blieben Überlegungen zu einem pluralistischen Staatsverständnis nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland doch zunächst Mangelware. Angesichts des hohen Maßes an personeller Kontinuität in antiliberalen Traditionsüberhängen und einer ausgeprägten Resistenz gegenüber westlichen Ideen trug die Geschichtswissenschaft nicht zu einer Renovierung überkommener Staatsvorstellungen bei. Antikommunistische Tendenzen und totalitarismustheoretische Zugänge im Zeichen des Kalten Krieges befreiten in anderer Weise von den Mühen einer moralischen wie methodischen Umorientierung.

Das größte Innovationspotential entfalteten dann gegen einigen Widerstand Vertreter einer jüngeren Generation zeithistorisch arbeitender Politikwissenschaftler wie Kurt Sontheimer und Karl Dietrich Bracher. Mit ihnen begann, auch unter dem Einfluss Ernst Fraenkels, die "Hinwendung zu einer pluralistischen Staatstheorie", strukturanalytisch und in nüchterner Sprache dargeboten. Dem Staat als Entität setzten sie selbstbewusst ein Ensemble aus vielfältigen Institutionen und Interessen des politischen Systems entgegen, von dem nun bevorzugt die Rede war.

Einigen Anteil an diesen Wandlungsprozessen hatte der Soziologe Ralf Dahrendorf, dessen konflikttheoretisches Werk "Gesellschaft und Demokratie in Deutschland" von 1965 die Idee eines soziale und politische Interessen überwölbenden Staates, der für Harmonie und Gemeinwohl sorge, weiter zerstören half. In demselben Zeitraum trug der Hamburger Historiker Fritz Fischer zur Erosion des nationalen Machtstaatsgedankens bei und sortierte den Nationalsozialismus umstandslos in die Kontinuität der deutschen Geschichte ein.

Die Fischer-Kontroverse markierte nach 1945 die erste große und heftig ausgetragene Grundsatzdebatte unter deutschen Historikern. Sie leuchtete voraus in die siebziger Jahre, die von polemischen und politisierten Debatten geprägt sein sollten. Ungeachtet dieses Zeitklimas und der Hochphase eines neuen Krisenempfindens stützten die meisten Zeithistoriker doch das Verständnis der Bundesrepublik als eines demokratisch-pluralistisch organisierten Sozial- und Rechtsstaats.

Die affirmative Selbsthistorisierung des westdeutschen Staates war bis dahin bereits weit vorangeschritten. Sie kam ab 1981 in der fünfbändigen "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" zum Ausdruck, in der Gabriele Metzler ein staatstragendes "historiographisches Flaggschiff" auf liberal-konservativem Kurs erkennt. Sosehr der "Historikerstreit" Mitte der achtziger Jahre die Historikerzunft vor eine Zerreißprobe stellte, hatte sich die Westorientierung mit unterschiedlicher Akzentsetzung doch links wie rechts durchgesetzt. 1989/90 läutete insofern keine Zeitgeschichtswende ein: Die von Heinrich August Winkler monumental verdichtete Erzählung vom langen Weg nach Westen wurde im Grunde nur für den wieder komplettierten, nunmehr postklassischen und europäisierten deutschen Nationalstaat fortgeschrieben.

Mittlerweile steht eine solche große Gewissheit ausstrahlende große Erzählung allerdings in Frage, ohne dass an ihre Stelle eine Alternative getreten wäre. Neuere transnationale Betrachtungen konzentrieren sich auf nichtstaatliche Akteure, während eine Kulturgeschichte der Politik den Staat kommunikativ zu konstruieren und ihn so seiner diskursiven Auflösung näher zu bringen scheint. Dies wie auch ein gewachsenes Gespür für neue Akteure im Zeitalter der Globalisierung haben bewirkt, dass an den Wandel des Staates gebundene politische Zäsuren wie 1918/19, 1933, 1945/49 und 1989/90 hinterfragt werden.

Bei alldem präsentiert sich eine durch aktuelle Konstellationen und Problemlagen inspirierte Zeitgeschichte, die bisweilen selbst Zeitdiagnosen liefert, um bei der Interpretation der Gegenwart und des öffentlichen Meinungsbildes mitzumischen. Metzler arbeitet das Rollenverständnis der Zeitgeschichte zwischen Fachwissenschaft und politisch-kultureller Deutungsinstanz gut heraus. Dabei begrüßt sie es, dass in jüngster Zeit Tendenzen einer normativen Revitalisierung und vermehrt "engagierte Parteinahmen für den Erhalt des demokratischen Rechtsstaats" vernehmbar seien.

Das ist sympathisch, und doch stellt sich die Frage, ob dies im Kern zum Beruf des Historikers zählt. Der große Oxforder Historiker A.J.P. Taylor war da ganz anderer Meinung: Er wollte seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch dann kundtun, wenn er damit, wie er spitz formulierte, den Feinden der Queen oder gar der Menschheit dienen mochte. Über die öffentliche Rolle der Zeitgeschichte lässt sich vortrefflich streiten. Hierzulande haben die Historiker, wie die Auseinandersetzung um eine Resolution auf dem Münsteraner Historikertag im Herbst 2018 zeigt, damit erst neuerdings wieder begonnen.

ALEXANDER GALLUS.

Gabriele Metzler: "Der Staat der Historiker". Staatsvorstellungen deutscher Historiker seit 1945.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 371 S., br., 22,- [Euro].

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»Bei alldem präsentiert sich eine durch aktuelle Konstellationen und Problemlagen inspirierte Zeitgeschichte, die bisweilen selbst Zeitdiagnosen liefert, um bei der Interpretation der Gegenwart und des öffentlichen Meinungsbildes mitzumischen. Metzler arbeitet das Rollenverständnis der Zeitgeschichte zwischen Fachwissenschaft und politisch-kultureller Deutungsinstanz gut heraus.« Alexander Gallus Frankfurter Allgemeine Zeitung 20190301