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Macht und Ohnmacht: Erinnerungen des iranischen Autors Amir Hassan Cheheltan an die Islamische Revolution 1979 und ihre Folgen für die Menschen.
Von Verena Lueken
Wann genau begann die Iranische Revolution? War es am 7. Januar 1978, als in einer Tageszeitung ein verunglimpfender Artikel über Ajatollah Chomeini erschien, der im Exil im Irak saß, und am Tag darauf Männer, die gegen diesen Artikel protestierten, in Ghom mit Militärgewalt aufgehalten wurden und es zu einem Blutbad kam? Oder war es am 8. September 1978, dem Tag eines enormen Protestmarschs in Teheran, bei dem zahlreiche Menschen getötet wurden, niedergeschossen von den Soldaten des Schahs? Oder vielleicht am 6. November desselben Jahres, als der Schah im Fernsehen zugab, Fehler gemacht zu haben? Oder doch am Tag zuvor, jenem 5. November, an dem Homajun Firuz als Teilnehmer einer Demonstration gegen den Schah die Scheibe zum Spirituosengeschäft seines Vaters einwarf und zur Plünderung des Ladens aufrief? Es gibt gute Gründe, jedes dieser Ereignisse für den Beginn der Revolution in Iran zu halten. Amir Hassan Cheheltan zählt sie auf und wägt. Schließlich spricht das beste Argument seiner Ansicht nach für den 1. Januar 1979.
An diesem Tag wurde Homajun in seinem Kampf gegen den Schah auf der Straße angeschossen und erlag kurz darauf seinen Verletzungen, und der Spirituosenhändler Firuz wurde wieder ein anerkannter Bürger. Nach der Plünderung seines Geschäfts durch seinen Sohn und dessen revolutionär Gleichgesinnte war der Spirituosenhändler im Viertel nicht mehr hoch angesehen und monatelang isoliert gewesen. Am 1. Januar 1979 aber, dem Todestag seines Sohnes, stattete ihm der Moscheevorsteher Hadsch Agha Tarabi mit einigen regelmäßigen Moscheegehern einen Kondolenzbesuch ab. Der Spirituosenhändler war nun der Vater eines Märtyrers. Und er erwies sich der neuen Rolle ohne Zögern als würdig - ein untrügliches Zeichen für den Beginn der neuen Zeit und einer der ersten Erfolge der Revolution, bevor der Schah sechs Wochen später tatsächlich gestürzt wurde.
Im ersten Kapitel seines neuen Buchs, in dem er die Frage nach dem Beginn der Revolution stellt, erweist sich Amir Hassan Cheheltan aufs Neue als der vielschichtige, ironieversierte Beobachter und Erzähler, als den wir ihn in seinen früheren Büchern über seine Heimatstadt Teheran und sein Land Iran kennengelernt haben. Hier berichtet er aus der Erinnerung, was während der Islamischen Revolution geschah - und zwar anhand der Erlebnisse vor allem in dem Viertel, in dem er wohnte, einem mittelständischen Stadtteil mit Händlern und Handwerkern, einige gläubig, andere weniger, die meisten geschmeidig, wenn es um ihre politischen Sympathien ging. Cheheltan selbst war damals zweiundzwanzig und steht ein wenig abseits vom Geschehen, aber mit scharfer Beobachtungsgabe und möglicherweise einem Notizbuch, so farbig sind die Details, so genau die Beschreibungen der Geschehnisse, des Protests immer neuer Gruppen von Unzufriedenen, Ausgegrenzten, Arbeitslosen, Wohnungslosen, und auch der Armenbewegung, die ideologisch ungebunden am Rand von Teheran Siedlungen gründete.
Was aus den Kinos wurde, aus den Prostituierten und Bordellen, aus den Büchern, der Universität, den Zeitungen und Radiostationen, aus den Fernsehanstalten und aus dem Alkohol, der nicht nur in Firuz' Spirituosenladen ausgeschenkt wurde - all das erzählt Cheheltan einerseits nüchtern, andererseits fällt er manchmal in seinen typischen fast märchenverhafteten Erzählton, etwa wenn es um die rasante Inflation oder auch den titelgebenden Vogel geht, der "Lang lebe der Schah" kräht, als das niemand mehr unterschreiben würde und die Fatwa gegen den Schah längst verhängt ist.
Erstmals am 2. Dezember 1978 hörte Cheheltan in seinem Viertel die Rufe "Allahu Akbar". Vermutlich war es die Frau des Schneiders, die damit anfing, und dann schallte es plötzlich von allen Dächern. "Wie wandlungsfähig Menschen sein können, sobald der Wind sich dreht", so dachte er damals schon und hielt sich am Rande, selbst als eines Tages im Mond das Gesicht des Ajatollah Chomeini erschien. Auch der Spirituosenhändler Firuz konnte es sehen. Er und viele andere kletterten auf die Dächer, und Firuz "konnte den Bart des Ajatollahs ausmachen, den Mund, die Augen, die Brauen, auch die Nase und sogar die dauerhafte Sorgenfalte auf der Stirn, ein Zeichen für seine überirdischen Kräfte". Auch solcher Mumpitz gehörte zur Mechanik dieser Revolution.
Cheheltan lässt die großen politischen Ereignisse, vor allem den Kampf der Kurden, nicht unerwähnt. Aber vor allem interessiert ihn, wie die Menschen reagieren, wie sich die Stimmung dreht, die Gewalt hochschaukelt, wie Macht durch Bewaffnung plötzlich verführerisch wird in Kreisen, die vorher vor allem Tee tranken und manchmal einen Schluck beim Spirituosenhändler nahmen, und wie langsam, aber sicher der Klerus durch Nachbarschaftsvereine, Nothilfen und schließlich brutale Herrschaft aus jedem religiösen Anlass ein politisches Ereignis und die neuerliche Islamisierung der Iraner zu ihrer vordringlichen Aufgabe machte.
Die Frauen ergaben sich teilweise nicht ohne Widerstand, doch der Entzug ihrer Rechte geschah in den ersten Tagen nach der Rückkehr Chomeinis. Und je rechtloser die Menschen wurden, desto selbstverständlicher wurde ihnen offenbar die Gewalt, die öffentlichen Auspeitschungen, die öffentlichen Hinrichtungen, die blutige Rache als Prinzip und Zerstörung als politische Agenda. Eine wahre Geschichte des Horrors, auf eine Weise erzählt, in der aufscheint, dass es auch anders hätte kommen können.
Amir Hassan Cheheltan: "Der standhafte Papagei". Erinnerungen an Teheran 1979.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2018. 197 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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