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Gestrichen wie ein Cello: "Der Stein" von Franz Hohler
Es spricht für den Humor eines Autors, gut gelaunt die gemeinsten Äußerungen über das eigene Werk auf der persönlichen Homepage zu plazieren: "Etwas ausgeleiert", "ernsthaft verstaubt", "im Großen und Ganzen ist Hohlers Prosa tot". Mit Ironie führt Franz Hohler sein Leben und Schaffen vor und erhebt sich damit lächelnd über die Selbstdarstellung vieler Kollegen. Aber Hohler ist ja auch nicht nur ein bekannter Erzähler, Theater- und Kinderbuchautor, sondern Kabarettist - und in der Schweiz weltberühmt.
Seit Jahrzehnten steht er mit Cello und einem Soloprogramm auf der Bühne, lässt sich im Radio und Fernsehen hören. Franz Hohler hat viele Preise, darunter den Kulturpreis der Stadt Zürich, bekommen und wird nicht nur für sein politisches Engagement gelobt, sondern auch für seine literarischen Fähigkeiten gepriesen. Gut ist er dort, wo es schlicht und konzentriert zugeht, sein realistischer Blick auf die denkwürdigen, wunderbaren oder bedrohlichen Erscheinungen des Lebens trifft. So begegnet in seinem neuen Erzählungsband der Regierungschef eines kleinen europäischen Landes eines Morgens auf dem Weg zur Arbeit einer jungen Katze, die ihm fortan folgt. Nach einigem Zögern nimmt der nüchterne Mann die Begleitung an und erlebt überrascht die Rückkehr des Kreatürlichen in seinen Alltag. Das Kätzchen räkelt sich während einer Sitzung zur Senkung der Gesundheitskosten und verwüstet wenig später die Ordnung des Präsidialbüros. Die Stärke der Geschichte liegt weniger in der sanft schnurrenden Kulturkritik als in der Schilderung der durch einen kleinen Umstand veränderten Lebenswelt.
Die meisten Erzählungen dieses Bandes sind klar strukturiert und laufen gerade auf eine merkwürdige Begebenheit oder ein unerwartetes Ende zu. In einigen Fällen streifen sie dabei das Phantastische - wie in der Geschichte von den alten Eheleuten, die in ihrer Hütte hoch oben am Berg Wetter und Schnee trotzen. In ihre Überlegungen, sich mit dem Helikopter ausfliegen zu lassen, mischen sich plötzlich Stimmen ihrer verstorbenen Verwandtschaft. Die literarische Gattung und das naturgewaltige Leitmotiv verbinden die Geschichte mit der bekanntesten Novelle des Autors, der vor dreizehn Jahren erstmals erschienenen "Steinflut", einer tief beeindruckenden Literarisierung des Bergsturzes von Elm am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Mit diesem Werk stieg Hohler auf die Höhen der Schweizer Literatur: In seiner zurückhaltenden Sprache schilderte er aus der Perspektive eines kleinen Mädchens die Welt des Bergdorfs, bevor diese durch einen abbrechenden Berg zerschlagen wird.
Den Gipfel des eigenen Werks erreichen die neuen Erzählungen nicht. Sie liefern aber Auskünfte über das Selbstverständnis des Autors. In der Erzählung "Ein Nachmittag bei Monsieur Rousseau" spiegelt es sich im fiktionalen Monolog des französischen Malers. Dessen Urwälder mit ihren riesigen Blüten und Pflanzenblättern, den naiven Figuren und den scharf konturierten, zähnebleckenden Tieren stehen für eine Mischung aus Realismus und freigesetzter Einbildungskraft, die auch Hohler bewegt. Wir wollen nicht Zöllner sein, sagt Rousseau, sondern Schmuggler - Schmuggler der Schönheit, Schmuggler einer Wirklichkeit, die sich zum Unerklärlichen hin öffnet. An die Stelle eines vermittelbaren Sinns tritt bei Hohler allerdings die Beobachtung des Zufalls und seiner Wirkung im Guten wie im Schlechten.
In der titelgebenden Erzählung wird ein Stein in rhythmischer Prosa durch die geologischen und evolutionären Stadien der Erde begleitet, bis er in der Hand eines Jugendlichen liegt, der ihn mit großer Kraft hinter sich schleudert und trifft. Viele der neuen Erzählungen Franz Hohlers lesen sich recht ernst. Munter und witzig war er zuletzt mit einem im Frühjahr erschienenen Gedichtband für Kinder. Im "Großen und Ganzen" ist aber auch Hohlers Prosa immer noch lebendig.
SANDRA KERSCHBAUMER
Franz Hohler: "Der Stein". Erzählungen.
Luchterhand Literaturverlag, München 2011. 144 S., geb., 18,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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