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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Es ist das Land, das eine selbstgerechte Gewalt nährt: Joe Wilkins kennt sich aus im ländlichen Montana - und im Seelenleben seiner Bewohner. Sein Roman "Der Stein fällt, wenn ich sterbe" führt tief in die geistigen Reviere der USA.
Wenn ich dich nicht kennen würde und du nur in irgendeiner Kluft Starbucks betreten würdest, wüsste ich trotzdem, du bist von hier und nirgendwo sonst. Es liegt daran, wie du gehst, als würdest du dich gegen den Wind lehnen oder so ähnlich." - Wendell kann seine Herkunft nicht verleugnen, das Land hat ihn ebenso geprägt wie die Männer vor ihm, Väter, Onkel, Großväter, Farmer seit Generationen, deren Geschichten und Überzeugungen ihm in Fleisch und Blut übergegangen sind.
Der Autor Joe Wilkins kennt diese Gegend, er stammt aus dem ländlichen Osten Montanas, ist auf einer Schafranch aufgewachsen. Er schreibt in Gedichtbänden und preisgekrönten Memoiren darüber, wie es sich anfühlt, töten zu müssen, um zu leben. Über die Jungs und Männer in seinem Umfeld, die Armut und die wildromantische Kargheit der Bull Mountains, die nun auch die Kulisse zu "Der Stein fällt, wenn ich sterbe" bildet, seinem Romandebüt: "Dieses Land, wo das Versagen der Nation, das Versagen der Mythen, auf das Versagen der Menschen traf. Wo die Geschichte sich ins Grab legte . . . Das Land selbst rief Kummer und Zorn ins Leben, gebar, hätschelte und nährte Angst und Versagen, eine rohe und selbstgerechte Gewalt."
In den Bull Mountains steht Männlichkeit in direkt proportionalem Verhältnis zu Landbesitz und Waffengebrauch. Es gilt, dem Land seine Existenz und seinen Reichtum abzutrotzen; Zäune, Jagdgesetze und Vorschriften zur Bewirtschaftung kommen dieser Ideologie zufolge einer Kastration gleich. Wilkins muss also nur ein aus dem Yellowstone eingewandertes Wolfsrudel erfinden, um die im Jahr 2009 durch die frisch angetretene Präsidentschaft Barack Obamas ohnehin schon auf die Palme gebrachten, in ihrem Hass auf alle föderalen Strukturen fanatischen Stiernacken eine illegale Treibjagd planen zu lassen. Sie verehren einen Mann namens Verl Newman als Märtyrer, weil dieser vor Jahren einen Parkranger erschoss.
Inzwischen ist Newman eine längst auf der Flucht in den Bergen verschollene Legende, und sein erwachsener Sohn Wendell schlägt sich als Farmhelfer durch. Die Schulden drücken, seine Mutter ist tot und die drogenabhängige Schwester seit Kurzem wieder im Gefängnis. Und so steht eines Tages die Frau von der Jugendhilfe vor dem Trailer und liefert seinen siebenjährigen, entwicklungsgestörten Neffen bei ihm ab. Wendell muss sich entscheiden, ob er den Jungen weiter im Sinne seiner Vorväter erziehen will, ob er sich der geplanten Treibjagd anschließt und den Erwartungen an einen echten Newman gerecht wird - oder ob er einfach improvisiert.
"Der Stein fällt, wenn ich sterbe" setzt sich aus drei verschiedenen Perspektiven zusammen, und Wendells ist dabei jene, die einem emotional am nächsten kommt. Je mehr er seinem Neffen erzählt, schreibt Wilkins an einer Stelle, desto deutlicher merkt er, was es noch alles zu erzählen gibt. Seine Persönlichkeit festigt sich, und neben Heimatliebe lässt sein Blick zunehmend ein Bewusstsein für das Elend zu, für die starren sozialen Regeln, die ihn seit jeher irritieren, ohne dass er den Grund dafür so klar artikulieren könnte.
Die zweite Perspektive gehört einer Frau namens Gillian, Witwe des vor Jahren erschossenen Rangers und Mutter einer Tochter im Teenageralter. Trotz ihres tief sitzenden Grolls gegen Land und Leute hängt sie als Lehrerin in den Bull Mountains fest, verzweifelt, wie sich die Perspektivlosigkeit von einem Jahrgang auf den nächsten vererbt. Aber Gillian verkörpert nicht einfach die intellektuelle Antithese zum von ihr deklarierten "ländlichen Stumpfsinn", das wäre zu einfach. Wilkins legt sie als streitbare, in ihrem Schmerz zwar nachvollziehbare, aber dennoch ungerechte Figur an, deren vorschnelle Urteile dazu beitragen, dass der zunächst kontemplative, gemächlich betrachtende Tonfall in "Der Stein fällt, wenn ich sterbe" alsbald umschlägt, sich steigert und aufbäumt, beizeiten atmosphärisch summend wie ein Noir, schließlich wie eine herzzerreißende Westerntragödie klingt.
Eine weitere Perspektive vervollkommnet den Dreiklang, der endgültige Beweis Wilkins' umfassender Ortskenntnis, im Hinblick auf seine topographische ebenso wie auf die seelische Beschaffenheit seiner Bewohner. In elliptischen, von Rechtschreibfehlern und mangelnder Interpunktion durchsetzten Kapiteln öffnet er eine Zeitkapsel, nimmt uns mit auf die Flucht des Mörders Verl Newman in die Berge. Nicht, dass er ein Tagebuch verfasst hätte, derart sentimentales Gewäsch erlaubt sich ein Mann nicht, aber als Hinterlassenschaft für seinen Sohn kann Verl die Aufzeichnungen vor sich rechtfertigen, die er in dessen Notizbuch hinwirft.
Sie beginnen als wütendes Manifest: "Ihr gottverdammten verdammten Feiglinge ich sag euch diese Bull Mountains hier sind mein auf gottverdammt immer und ewig." Dann lassen die körperlichen Kapazitäten nach und mit ihnen der ideologisch verbissene Überschwang, der Autor entlockt dieser harten, verbohrten Figur nachdenkliche Töne, Selbstkritik, Poesie. Wie er die verschiedenen Stimmen in seinem Roman kunstvoll zusammenführt, damit leistet Joe Wilkins eine kulturelle Übersetzungsarbeit, die selbst widerstrebende Positionen verständlich macht, ohne sie dabei zu verwässern, die geistige Reviere absteckt, aber die Zäune durchlässig hält. KATRIN DOERKSEN
Joe Wilkins: "Der Stein fällt, wenn ich sterbe".
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Irma Wehrli.
Lenos Verlag, Basel 2023.
373 S., geb.,
26,- Euro.
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