Das faszinierende Porträt unseres Geistes - der Klassiker jetzt auf Deutsch! Wie kommt man direkt an das Denken heran? Über die Sprache. In ihr liegen unsere Vorstellungen von Raum und Zeit begründet, von Sex und Intimität, von Macht und Fairness. Bestsellerautor Steven Pinker sieht sich daher die alltägliche Sprachverwendung genau an - unsere Gespräche, Witze, Rechtsstreitigkeiten - und zeichnet ein lebendiges und überraschendes Porträt unseres Geistes und der menschlichen Natur. Mit viel Esprit, Sprachgefühl und Beispielen aus Alltag und Popkultur gelingt es ihm, schwierige Sachverhalte einfach und überzeugend zu erklären und uns zu einem neuen Blick auf uns selbst zu bewegen. »Klar, geistreich, gut geschrieben.« The New York Review of Books »Ein wichtiges Buch.« Science
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2014Grammatik ist der Kognition ihre Logik
Die Karre mit Sand beladen, aber nicht den Abstellplatz mit der Karre beschieben: Steven Pinker erklärt, wie wir uns mittels Verben, Ortsangaben und Metaphern die Welt erschließen.
Von Wolfgang Krischke
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner schaut es zurück", bemerkte einst Karl Kraus. Auch der amerikanische Psycholinguist Steven Pinker lässt den Leser durch eine verfremdende Lupe auf Wörter blicken. Sein Ziel ist es, hinter den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Sprechens die grundlegenden Muster und Mechanismen zu entdecken, durch die wir die Welt wahrnehmen und gedanklich verarbeiten. In seinem Buch spannt er einen weiten Bogen, der vom kindlichen Spracherwerb über Metaphern und Modenamen bis zu den Euphemismen der Höflichkeit und den Regeln zünftigen Fluchens reicht.
Der gemeinsame Fluchtpunkt all dieser Expeditionen, die kaum ein Gebiet der Sprache auslassen, ist die Frage nach dem Zusammenspiel von Logik, Grammatik, Semantik und Kognition. Wer hier mitreisen will, muss sich auf manche zunächst verschroben, mitunter auch makaber erscheinende Spitzfindigkeiten einlassen. Zum Beispiel auf diese: Stellt das terroristische Massaker vom 11. September 2001 eigentlich ein einziges Ereignis dar? Oder handelt es sich nicht eher um zwei oder noch mehr Ereignisse? Wer außer definitionsfixierten Sprachgelehrten oder analytischen Philosophen käme auf die Idee, eine solche Frage überhaupt zu stellen?
Richtig: Juristen. Tatsächlich stand nach der Zerstörung des World Trade Centers dieses scholastische Problem im Mittelpunkt eines Rechtsstreits, bei dem es um Versicherungsleistungen in Milliardenhöhe ging. Pinker sieht hier ein spektakuläres Beispiel für eines der grundlegenden Funktionsprinzipien des menschlichen Geistes, nämlich den Drang, den nicht abreißenden Fluss physischer Geschehnisse in einzelne "Ereignisse" zu portionieren, um sie mental wie separate materielle Gegenstände sortieren, handhaben, etikettieren und - abrechnen zu können.
Das Medium, in dem solche und andere geistige Operationen stattfinden, ist die "Sprache des Denkens", eine universale Maschinerie aus abstrakten Konzepten, logischen Mustern und Schlussfolgerungen, die lautlos im Hintergrund aller gesprochenen Sprachen der Welt, ob Deutsch, Japanisch oder Urdu, arbeitet. Um diesem kognitiven Mechanismus, der die Gestalten, Farben und Gesetzmäßigkeiten erzeugt, die wir als "die Wirklichkeit" begreifen, auf die Spur zu kommen, legt Pinker die Gelenkstellen frei, an denen die Bedeutungen der Wörter und die Mechanismen der Grammatik zusammenhängen. Pinkers bevorzugter Ansatzpunkt sind dabei seine "kleinen Freunde", die Verben. Diese Vorliebe hat einen guten Grund, denn in vielen Sprachen sind die Verben auf der Bühne des Satzes die Regisseure. Ihre Bedeutung legt die Szene fest und besetzt deren Rollen mit den passenden Satzgliedern.
Ein Beispiel für die subtilen Sondierungen, die Pinker vornimmt, sind die verschiedenartigen "Lokativ-Konstruktionen": Wenn jemand "Sand in eine Schubkarre lädt", dann bildet das Material, das bewegt wird, das Akkusativ-Objekt, während der Zielort mit einer Präposition verbunden wird. Wenn hingegen jemand "eine Schubkarre mit Sand belädt", rückt ebendieser Ort - die Schubkarre - in die Position des Akkusativ-Objekts. Was hier stattfindet, ist ein im System der Sprache verankerter Wechsel der Perspektive auf denselben Sachverhalt, eine Gestaltverschiebung, ähnlich jenen Kippbildern, die je nach Fokussierung zwei Vasen oder ein Gesicht zeigen.
Was auf den ersten Blick wortklauberisch erscheinen mag, legt eines der vielen Rädchen frei, die unseren kognitiven Mechanismus antreiben. Denn hinter dem grammatischen Blickwechsel steckt, dass die Sprache ein Objekt, dessen Zustand sich merklich verändert (einen Wagen, der beladen wird oder eine Wand, die besprüht wird), strukturell so behandelt wie einen Gegenstand, der von einem Ort zu einem anderen bewegt wird (der geschaufelte Sand, die gesprühte Farbe). Und das bedeutet, dass die Veränderung eines Zustands (im Fall der Schubkarre von leer nach voll) durch die grammatische Form des Akkusativ-Objekts sprachlich-geistig so gefasst wird wie die reale räumliche Bewegung eines Gegenstands von A nach B (zum Beispiel des Sands in die Schubkarre). Ein ähnliche metaphorische Übertragung liegt Sätzen wie "Jens versank in Depressionen" zugrunde, wo Bewegungsverben das Eintreten psychischer Zustände bezeichnen und damit einen abstrakten Vorgang räumlich begreifen.
Allerdings behandelt die Sprache nicht alle Bewegungsverben gleich: Einerseits können wir Sand in eine Schubkarre laden, und ebenso können wir auch eine Schubkarre in einen Raum schieben. Andererseits jedoch können wir zwar die Schubkarre mit Sand beladen, aber wir können den Raum nicht mit der Schubkarre "beschieben". Folgt man Pinker, beruht diese wie viele andere grammatische Feinheiten nicht auf einer willkürlichen Regel, sondern sie ist kognitiv verwurzelt: In unserer Wahrnehmung verändert die Sandladung zwar den Zustand der Karre, aber die Karre verändert nicht der Zustand des Raumes. Kommt auf den Raum an, möchte man sagen.
Aus solchen Durchleuchtungen der Wörter und ihrer Baupläne gewinnt Pinker Einsichten in unsere alltäglichen Grundbegriffe von Ursache und Wirkung, von Mengen und Objekten, von Kraft und Dynamik. Was sich herausschält, ist ein Erkenntnisapparat, der dem Menschen das Überleben in einer Umwelt ermöglicht hat, in der es auf praktische Problemlösungen ankommt: erfolgreich mit Werkzeugen hantieren, Situationen schnell beurteilen, mit seinen Mitmenschen klarkommen. Er ist aber nicht darauf ausgelegt, objektive Wahrheiten - die "Dinge an sich" - zu erfassen. Wer hier die Stimme Kants vernimmt, hört richtig. Pinker liest den Philosophen - einen der wenigen Autoren außerhalb der englischen Sprachwelt, dem er Beachtung schenkt - als Kognitionspsychologen, dessen erkenntnistheoretische Kategorien sich in der Sprache des Denkens wiederfinden.
Manch ähnlich anmutende Ansätze finden sich allerdings bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts bei dem österreichischen Sprachkritiker Fritz Mauthner. Mauthner, der stark von Ernst Mach beeinflusst war, entwickelte eine tiefe Skepsis gegenüber der Sprache, die er als einen die Wahrheit verhüllenden Schleier beschrieb. Eine solche Fundamentalkritik liegt Pinker freilich fern. An eine determinierende Kraft der Sprache, die den Geist im Dunkel höhlenmenschlicher Ignoranz festhält, glaubt er nicht. Mag der sprachlich-mentale Apparat auch ein steinzeitliches Grund-Design tragen, so hält er doch zugleich auch die Mittel zur eigenen Veränderung bereit.
Zu diesen Mitteln gehört vor allem die Metapher, die erdgebundene Begriffe aus ihrer Bodenhaftung lösen kann, um mit ihnen die Räume höchster Abstraktion zu erschließen und Theorien zu entwickeln, die jede Intuition übersteigen - die Rolle, die Begriffe wie "Teilchen", "Kraft" oder "Bahn" in der modernen Physik spielen, sind ein Beispiel dafür.
Ebenso wichtig ist die unendliche Kombinierbarkeit der Wörter und Satzteile, die immer neuen und unvorhergesehenen Ideen Ausdruck geben kann. Konsequenterweise hält Pinker nichts vom sprachlichen Relativismus à la Benjamin Whorf, dem zufolge die einzelnen Sprachen unterschiedliche und unvereinbare Weltbilder prägen. Das würde auch schlecht zu einer "Sprache des Denkens" passen, die ja universal sein soll.
Aber ist sie es wirklich? Der Leser der deutschen Übersetzung wird immer wieder auf diese Frage gestoßen, denn etliche Beispiele, die Pinker liefert, lassen sich nicht ohne weiteres ins Deutsche übertragen, eben weil es streckenweise nicht derselben Logik wie das Englische folgt. Ein Beispiel für diese Unterschiede ist das englische Verb "to fill". Zwar kann man sagen "He filled the glass with water", nicht aber "He filled water into the glass". Für Pinker zeigt sich darin die Logik des abstrakten Konzepts, das dieses Verb steuert: Seine Bedeutung - "bewirken , dass etwas voll ist" - richtet den Fokus ausschließlich auf den Zustand eines Behälters. Ausgeblendet wird hingegen, wie dieser Zustand - zum Beispiel durch Gießen, Schöpfen oder Fließen - erreicht wird. Deshalb passt "fill" nicht in Satzkonstruktionen, die solche Aspekte hervorheben.
Doch schon für das nahverwandte Deutsche gilt dieser Mechanismus offenbar nicht, denn es ist völlig korrekt zu sagen: "Er füllte Wasser in das Glas." Es ist der Übersetzerin Martina Wiese zu danken, dass sie das Buch nicht nur in ein stilistisch elegantes Deutsch übertragen, sondern solche Unterschiede an vielen Stellen herausgearbeitet, kommentiert und durch analoge Ersatzbeispiele zu überbrücken versucht hat.
Pinker ist sich solch zwischensprachlicher Bruchstellen zwar durchaus bewusst, beharrt aber trotzdem auf einer abgemilderten Form des Universalismus: Danach kommen zwar nicht alle logisch-grammatischen Muster in allen Sprachen, aber doch in ähnlicher Form in vielen, auch nichtverwandten Sprachen vor. Es handele sich mithin um "universale Fingerabdrücke" des menschlichen Geistes auf den Idiomen der Welt. Das ist allerdings nur eine poetische Umschiffung der logisch heiklen Frage, wie man sich diese Doch-nicht-so-ganz-universale-Universalität eigentlich vorstellen soll. Es braucht detaillierte sprachvergleichende Untersuchungen, um hier mehr Klarheit zu erlangen.
Zur Auflockerung flicht Pinker immer wieder unterhaltsame Plaudereien und anschauliche Anekdoten ein, erzählt von der Schimpf-Rhetorik amerikanischer Präsidenten, bizarren Gerichtsurteilen oder schrägen Campus-Sitten. Das ist meistens amüsant, leichtgängig ist die Lektüre aber trotzdem nicht. Und das ist auch gut so: Offenbar folgt der Autor Albert Einsteins beherzigenswertem Motto, man solle die Dinge so einfach wie möglich darstellen - aber nicht einfacher. Wer den komplexen Gedankengängen wirklich folgen will, muss sich auf die Details grammatischer und semantischer Strukturen einlassen, deren subtile Variationen Pinker anhand ganzer Batterien von Belegen durchspielt. Allerdings hätte es dem Buch gutgetan, wenn der Autor auf manche seiner vielen Umwege und Schlenker verzichtet, seine Beweisführungen und Argumentationen gestrafft und stärker auf einen roten Faden geachtet hätte. Ein wirklich großer Wurf - wie Pinkers vor zwanzig Jahren erschienener "Sprachinstinkt" - ist dieses Buch deshalb nicht geworden. Trotzdem - wer bereit ist, der Sprache wirklich nahezutreten, dem füllt es den Kopf mit vielen Gedanken.
Steven Pinker: "Der Stoff, aus dem das Denken ist". Was die Sprache über unsere Natur verrät.
Aus dem Englischen von Martina Wiese. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2014. 608 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Karre mit Sand beladen, aber nicht den Abstellplatz mit der Karre beschieben: Steven Pinker erklärt, wie wir uns mittels Verben, Ortsangaben und Metaphern die Welt erschließen.
Von Wolfgang Krischke
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner schaut es zurück", bemerkte einst Karl Kraus. Auch der amerikanische Psycholinguist Steven Pinker lässt den Leser durch eine verfremdende Lupe auf Wörter blicken. Sein Ziel ist es, hinter den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des alltäglichen Sprechens die grundlegenden Muster und Mechanismen zu entdecken, durch die wir die Welt wahrnehmen und gedanklich verarbeiten. In seinem Buch spannt er einen weiten Bogen, der vom kindlichen Spracherwerb über Metaphern und Modenamen bis zu den Euphemismen der Höflichkeit und den Regeln zünftigen Fluchens reicht.
Der gemeinsame Fluchtpunkt all dieser Expeditionen, die kaum ein Gebiet der Sprache auslassen, ist die Frage nach dem Zusammenspiel von Logik, Grammatik, Semantik und Kognition. Wer hier mitreisen will, muss sich auf manche zunächst verschroben, mitunter auch makaber erscheinende Spitzfindigkeiten einlassen. Zum Beispiel auf diese: Stellt das terroristische Massaker vom 11. September 2001 eigentlich ein einziges Ereignis dar? Oder handelt es sich nicht eher um zwei oder noch mehr Ereignisse? Wer außer definitionsfixierten Sprachgelehrten oder analytischen Philosophen käme auf die Idee, eine solche Frage überhaupt zu stellen?
Richtig: Juristen. Tatsächlich stand nach der Zerstörung des World Trade Centers dieses scholastische Problem im Mittelpunkt eines Rechtsstreits, bei dem es um Versicherungsleistungen in Milliardenhöhe ging. Pinker sieht hier ein spektakuläres Beispiel für eines der grundlegenden Funktionsprinzipien des menschlichen Geistes, nämlich den Drang, den nicht abreißenden Fluss physischer Geschehnisse in einzelne "Ereignisse" zu portionieren, um sie mental wie separate materielle Gegenstände sortieren, handhaben, etikettieren und - abrechnen zu können.
Das Medium, in dem solche und andere geistige Operationen stattfinden, ist die "Sprache des Denkens", eine universale Maschinerie aus abstrakten Konzepten, logischen Mustern und Schlussfolgerungen, die lautlos im Hintergrund aller gesprochenen Sprachen der Welt, ob Deutsch, Japanisch oder Urdu, arbeitet. Um diesem kognitiven Mechanismus, der die Gestalten, Farben und Gesetzmäßigkeiten erzeugt, die wir als "die Wirklichkeit" begreifen, auf die Spur zu kommen, legt Pinker die Gelenkstellen frei, an denen die Bedeutungen der Wörter und die Mechanismen der Grammatik zusammenhängen. Pinkers bevorzugter Ansatzpunkt sind dabei seine "kleinen Freunde", die Verben. Diese Vorliebe hat einen guten Grund, denn in vielen Sprachen sind die Verben auf der Bühne des Satzes die Regisseure. Ihre Bedeutung legt die Szene fest und besetzt deren Rollen mit den passenden Satzgliedern.
Ein Beispiel für die subtilen Sondierungen, die Pinker vornimmt, sind die verschiedenartigen "Lokativ-Konstruktionen": Wenn jemand "Sand in eine Schubkarre lädt", dann bildet das Material, das bewegt wird, das Akkusativ-Objekt, während der Zielort mit einer Präposition verbunden wird. Wenn hingegen jemand "eine Schubkarre mit Sand belädt", rückt ebendieser Ort - die Schubkarre - in die Position des Akkusativ-Objekts. Was hier stattfindet, ist ein im System der Sprache verankerter Wechsel der Perspektive auf denselben Sachverhalt, eine Gestaltverschiebung, ähnlich jenen Kippbildern, die je nach Fokussierung zwei Vasen oder ein Gesicht zeigen.
Was auf den ersten Blick wortklauberisch erscheinen mag, legt eines der vielen Rädchen frei, die unseren kognitiven Mechanismus antreiben. Denn hinter dem grammatischen Blickwechsel steckt, dass die Sprache ein Objekt, dessen Zustand sich merklich verändert (einen Wagen, der beladen wird oder eine Wand, die besprüht wird), strukturell so behandelt wie einen Gegenstand, der von einem Ort zu einem anderen bewegt wird (der geschaufelte Sand, die gesprühte Farbe). Und das bedeutet, dass die Veränderung eines Zustands (im Fall der Schubkarre von leer nach voll) durch die grammatische Form des Akkusativ-Objekts sprachlich-geistig so gefasst wird wie die reale räumliche Bewegung eines Gegenstands von A nach B (zum Beispiel des Sands in die Schubkarre). Ein ähnliche metaphorische Übertragung liegt Sätzen wie "Jens versank in Depressionen" zugrunde, wo Bewegungsverben das Eintreten psychischer Zustände bezeichnen und damit einen abstrakten Vorgang räumlich begreifen.
Allerdings behandelt die Sprache nicht alle Bewegungsverben gleich: Einerseits können wir Sand in eine Schubkarre laden, und ebenso können wir auch eine Schubkarre in einen Raum schieben. Andererseits jedoch können wir zwar die Schubkarre mit Sand beladen, aber wir können den Raum nicht mit der Schubkarre "beschieben". Folgt man Pinker, beruht diese wie viele andere grammatische Feinheiten nicht auf einer willkürlichen Regel, sondern sie ist kognitiv verwurzelt: In unserer Wahrnehmung verändert die Sandladung zwar den Zustand der Karre, aber die Karre verändert nicht der Zustand des Raumes. Kommt auf den Raum an, möchte man sagen.
Aus solchen Durchleuchtungen der Wörter und ihrer Baupläne gewinnt Pinker Einsichten in unsere alltäglichen Grundbegriffe von Ursache und Wirkung, von Mengen und Objekten, von Kraft und Dynamik. Was sich herausschält, ist ein Erkenntnisapparat, der dem Menschen das Überleben in einer Umwelt ermöglicht hat, in der es auf praktische Problemlösungen ankommt: erfolgreich mit Werkzeugen hantieren, Situationen schnell beurteilen, mit seinen Mitmenschen klarkommen. Er ist aber nicht darauf ausgelegt, objektive Wahrheiten - die "Dinge an sich" - zu erfassen. Wer hier die Stimme Kants vernimmt, hört richtig. Pinker liest den Philosophen - einen der wenigen Autoren außerhalb der englischen Sprachwelt, dem er Beachtung schenkt - als Kognitionspsychologen, dessen erkenntnistheoretische Kategorien sich in der Sprache des Denkens wiederfinden.
Manch ähnlich anmutende Ansätze finden sich allerdings bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts bei dem österreichischen Sprachkritiker Fritz Mauthner. Mauthner, der stark von Ernst Mach beeinflusst war, entwickelte eine tiefe Skepsis gegenüber der Sprache, die er als einen die Wahrheit verhüllenden Schleier beschrieb. Eine solche Fundamentalkritik liegt Pinker freilich fern. An eine determinierende Kraft der Sprache, die den Geist im Dunkel höhlenmenschlicher Ignoranz festhält, glaubt er nicht. Mag der sprachlich-mentale Apparat auch ein steinzeitliches Grund-Design tragen, so hält er doch zugleich auch die Mittel zur eigenen Veränderung bereit.
Zu diesen Mitteln gehört vor allem die Metapher, die erdgebundene Begriffe aus ihrer Bodenhaftung lösen kann, um mit ihnen die Räume höchster Abstraktion zu erschließen und Theorien zu entwickeln, die jede Intuition übersteigen - die Rolle, die Begriffe wie "Teilchen", "Kraft" oder "Bahn" in der modernen Physik spielen, sind ein Beispiel dafür.
Ebenso wichtig ist die unendliche Kombinierbarkeit der Wörter und Satzteile, die immer neuen und unvorhergesehenen Ideen Ausdruck geben kann. Konsequenterweise hält Pinker nichts vom sprachlichen Relativismus à la Benjamin Whorf, dem zufolge die einzelnen Sprachen unterschiedliche und unvereinbare Weltbilder prägen. Das würde auch schlecht zu einer "Sprache des Denkens" passen, die ja universal sein soll.
Aber ist sie es wirklich? Der Leser der deutschen Übersetzung wird immer wieder auf diese Frage gestoßen, denn etliche Beispiele, die Pinker liefert, lassen sich nicht ohne weiteres ins Deutsche übertragen, eben weil es streckenweise nicht derselben Logik wie das Englische folgt. Ein Beispiel für diese Unterschiede ist das englische Verb "to fill". Zwar kann man sagen "He filled the glass with water", nicht aber "He filled water into the glass". Für Pinker zeigt sich darin die Logik des abstrakten Konzepts, das dieses Verb steuert: Seine Bedeutung - "bewirken , dass etwas voll ist" - richtet den Fokus ausschließlich auf den Zustand eines Behälters. Ausgeblendet wird hingegen, wie dieser Zustand - zum Beispiel durch Gießen, Schöpfen oder Fließen - erreicht wird. Deshalb passt "fill" nicht in Satzkonstruktionen, die solche Aspekte hervorheben.
Doch schon für das nahverwandte Deutsche gilt dieser Mechanismus offenbar nicht, denn es ist völlig korrekt zu sagen: "Er füllte Wasser in das Glas." Es ist der Übersetzerin Martina Wiese zu danken, dass sie das Buch nicht nur in ein stilistisch elegantes Deutsch übertragen, sondern solche Unterschiede an vielen Stellen herausgearbeitet, kommentiert und durch analoge Ersatzbeispiele zu überbrücken versucht hat.
Pinker ist sich solch zwischensprachlicher Bruchstellen zwar durchaus bewusst, beharrt aber trotzdem auf einer abgemilderten Form des Universalismus: Danach kommen zwar nicht alle logisch-grammatischen Muster in allen Sprachen, aber doch in ähnlicher Form in vielen, auch nichtverwandten Sprachen vor. Es handele sich mithin um "universale Fingerabdrücke" des menschlichen Geistes auf den Idiomen der Welt. Das ist allerdings nur eine poetische Umschiffung der logisch heiklen Frage, wie man sich diese Doch-nicht-so-ganz-universale-Universalität eigentlich vorstellen soll. Es braucht detaillierte sprachvergleichende Untersuchungen, um hier mehr Klarheit zu erlangen.
Zur Auflockerung flicht Pinker immer wieder unterhaltsame Plaudereien und anschauliche Anekdoten ein, erzählt von der Schimpf-Rhetorik amerikanischer Präsidenten, bizarren Gerichtsurteilen oder schrägen Campus-Sitten. Das ist meistens amüsant, leichtgängig ist die Lektüre aber trotzdem nicht. Und das ist auch gut so: Offenbar folgt der Autor Albert Einsteins beherzigenswertem Motto, man solle die Dinge so einfach wie möglich darstellen - aber nicht einfacher. Wer den komplexen Gedankengängen wirklich folgen will, muss sich auf die Details grammatischer und semantischer Strukturen einlassen, deren subtile Variationen Pinker anhand ganzer Batterien von Belegen durchspielt. Allerdings hätte es dem Buch gutgetan, wenn der Autor auf manche seiner vielen Umwege und Schlenker verzichtet, seine Beweisführungen und Argumentationen gestrafft und stärker auf einen roten Faden geachtet hätte. Ein wirklich großer Wurf - wie Pinkers vor zwanzig Jahren erschienener "Sprachinstinkt" - ist dieses Buch deshalb nicht geworden. Trotzdem - wer bereit ist, der Sprache wirklich nahezutreten, dem füllt es den Kopf mit vielen Gedanken.
Steven Pinker: "Der Stoff, aus dem das Denken ist". Was die Sprache über unsere Natur verrät.
Aus dem Englischen von Martina Wiese. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2014. 608 S., geb., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kein ganz großer Wurf, aber ein Gedankenverursacher ist das Buch von Steven Pinker für Wolfgang Krischke. Das ist positiv gemeint, denn Krischke erhält vom Autor eine Menge interessanter Fakten, Beispiele und Anekdoten zum Thema Sprechen und Kognition. Der Rezensent folgt Pinkers weitem Bogen vom kindlichen Spracherwerb über Metaphern bis zu den Regeln des Fluchens, um dem Zusammenspiel von Logik, Grammatik, Semantik und Kognition auf die Schliche zu kommen. Mal subtil, mal wortklauberisch erscheinen Krischke die Ausführungen Pinkers, aber stets erfährt er Erstaunliches, so über die schöpferische Kraft von Metaphern oder auch über die Grenzen der Universalität. Auf letztere stößt der Rezensent durch die Übersetzung des Buches ins Deutsche, dadurch, dass sich die Übersetzerin alle Mühe geben muss, deutsche Entsprechungen für Pinkers Beispiele zu finden (was ihr laut Krischke hervorragend gelingt). Das Buch, warnt Krischke, sei keine ganz leichte Lektüre, zumal Pinkers Argumentationen mitunter Straffung vertragen hätten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Mit bestechend einfachen Beispielen beschreibt Pinker, wie die Sprache uns die abstrakte Orientierung im Raum erlaubt. Sieglinde Geisel NZZ am Sonntag 20140330