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Wer hätte gedacht, dass bereits in der Bibel neben allen Varianten von Mord und Totschlag auch das Thema Kriegsdienstverweigerung behandelt wird? Dass schon hier von Vetternwirtschaft, Mafiamethoden, Kraftprotzerei und Profilneurosen die Rede ist? Und dass es andererseits auch wunderschöne, tragische Liebesgeschichten zu entdecken gibt?

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Produktbeschreibung
Wer hätte gedacht, dass bereits in der Bibel neben allen Varianten von Mord und Totschlag auch das Thema Kriegsdienstverweigerung behandelt wird? Dass schon hier von Vetternwirtschaft, Mafiamethoden, Kraftprotzerei und Profilneurosen die Rede ist? Und dass es andererseits auch wunderschöne, tragische Liebesgeschichten zu entdecken gibt?

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Autorenporträt
Meir Shalev (1948-2023) wuchs im Moschaw Nahalal in der Jesreel-Ebene auf, studierte Psychologie und arbeitete viele Jahre als Journalist, Radio- und Fernsehmoderator, ehe er mit vierzig Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Er wurde mit Büchern wie >Judiths Liebe< oder >Der Junge und die Taube< zu einem der bekanntesten und beliebtesten israelischen Romanciers und erhielt 2006 den Brenner Prize, die höchste literarische Auszeichnung in Israel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.1997

Die Liebe, von der alle träumen
Kein Paradies, nirgends: Meir Shalev sieht die Bibel psychologisch

Im Vorwort zu seiner Sammlung provokanter und oft überraschender Auslegungen biblischer Geschichten erzählt der israelische Schriftsteller Meir Shalev, warum er sie verfaßt hat. "Vor einiger Zeit las ich einen Artikel über Ruth und Boas. Ganz im Sinne der jahrhundertealten exegetischen Tradition triefte er förmlich vor Anstand und Moralinsäure. Der Autor wollte mich unbedingt davon überzeugen, daß Ruth und Boas in jener Nacht auf dem Dreschboden in Bethlehem nicht der süßen Sünde frönten. Ich muß sagen, es ist ihm nicht gelungen." So kam es, daß er Anfang der achtziger Jahre in der Tageszeitung "Ha'aretz" eine Kolumne schrieb, in der es anders zu lesen stand. Im Original hieß sie "Bibel jetzt", und der Gegenwartsbezug seiner Deutungen hatte im Judenstaat, für den die Bibel eine Legitimationsbasis ist, immer auch einen politischen Nebensinn. Es war die Zeit des Libanon-Krieges, in der sich erstmals eine starke intellektuelle Opposition gegen die Regierung bildete. "Manche dieser Propheten leben noch heute unter uns", heißt es über die Lügenpropheten der Bibel. "Sie erzählen uns von einem ,Land, das vierzig Jahre ruhen wird' und wollen uns weismachen, der nächste Krieg sei doch ,in vierundzwanzig Stunden spätestens' beendet." Das war gegen Menachem Begin gerichtet.

Aber Shalev deutet die biblischen Geschichten nicht als politischer Kommentator im linksliberalen Lager, sondern als hebräischer Erzähler, der sich die lange als "heilig" interpretierten Texte noch einmal neu aneignen will. Um die alten Bewohner seines Landes in den Blick zu bekommen, macht er sie zu Menschen aus Fleisch und Blut. Einer seiner sehr populären Romane, "Esaus Kuß", nimmt die biblischen Motive schon im Titel auf, und Shalevs Lektüre der Vorlage gibt einen Einblick in die Poetik der modernen hebräischen Literatur.

"Von allen biblischen Helden", schreibt er über Esaus berühmteren Bruder, "gibt es nur einen, den ich beneide: Jakob. Nicht etwa, weil er so viele Schafe sein eigen nannte oder weil er der Vater der zwölf Stämme Israels war. Nein, ich beneide ihn um die erste Begegnung mit seiner Herzallerliebsten Rahel am Brunnen im Land der Söhne des Ostens." Shalev erzählt von der Liebe dieses Mannes zu seiner Frau, um die er sieben Jahre dient, und dann noch einmal sieben Jahre, weil der Schwiegervater ihm in der Hochzeitsnacht die Schwester Lea untergeschoben hat; vom Glück und Unglück dieser Liebe, weil Rahel lange unfruchtbar bleibt; vom frühen Tod der geliebten Frau, die auf dem Rückweg in Jakobs Heimat stirbt. Es ist ein Fall von Schuld und Sühne: Der Stammvater der Kinder Israels hat sein Erbrecht vom älteren Zwillingsbruder Esau erschlichen und muß am Ende auf sein Glück verzichten. Er zieht die Urfamilie ohne die Frau auf, die ihm seinen Lieblingssohn Joseph geschenkt hat.

Nur einmal noch, während er Josephs Söhne segnet, erinnert sich der sterbende Mann an die Liebe seiner Jugend. "Tatterig und schwach" - so erzählt es Meir Shalev - "setzte sich der alte Jakob in seinem Bett auf und machte sich daran, seinen Enkeln den Segen zu erteilen. Da wurde er - urplötzlich und ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem feierlichen Ereignis und dessen Inhalt - von seinen Gefühlen und der Sehnsucht nach Rahel, deren Sohn und Enkelsöhne da vor ihm standen, übermannt. Ein Schrei entfuhr seinem Mund: ,Und ich, als ich aus dem Gefilde Syriens kam, starb mir Rahel im Lande Kanaan.' Die Enkelkinder müssen ordentlich gestutzt haben, denn Jakob kriegte sich sofort wieder ein." Und Meir Shalev deutet, was den Enkelkindern unverständlich geblieben ist: "Jetzt, an seinem Lebensabend, bei seinen hartherzigen Söhnen, Lea und den beiden Dienstmägden, fehlt ihm das Objekt seiner tiefsten Sehnsucht - die einzige, die große Liebe, von der alle träumen und die kaum einer das Glück hat zu finden."

Die Geschichte der Bibel ist vor allem eine Geschichte ihrer Rezeption. Von den Rabbinern wurde sie kanonisiert und zum heiligen Fundus ihrer talmudischen Auslegungen gemacht; die Kirchenväter deuteten sie als Präfiguration, als Altes Testament, dessen Sinn sich erst im Neuen Testament erschließe; die Bibelkritik holte den Text aus der Ewigkeit in seinen historischen Kontext zurück; Skeptiker lasen sie als Fassade, die eine andere Wahrheit verschleiert; zur Zeit des Nationalsozialismus stellte sie ein Schriftsteller wie Thomas Mann als Gegenmythos zur Barbarei dar.

Meir Shalev psychologisiert die Bibel. Für ihn ist Jakob nicht der Stammvater eines heiligen Volkes, sondern ein Individuum, dessen persönliches Schicksal sich in seiner Liebe spiegelt. Er unterläuft damit die zionistische Utopie, die die Geburtsstunde der Nation nicht als individuelles, sondern als kollektives Ereignis zu feiern wünscht. Und er gestaltet auch ein Dilemma der modernen Literatur, die sich den kollektiven Heilsplänen zwar verweigert, aber zugleich ein Urbild von "Glück" und "Verlust" braucht.

Niemand weiß das besser als Meir Shalev selbst. In der Titelgeschichte des Bandes zeigt er uns den Grund für dieses Dilemma. Die ersten drei Kapitel der Genesis enthalten zwei getrennte Schöpfungsberichte, in denen völlig verschiedene Menschentypen erschaffen werden. Der Adam in Genesis 1 kommt schon als Mann und Weib zur Welt, ein stolzes Paar, das Gott zur Krone der Schöpfung ernennt: "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan." Die andere Version, geläufiger und unangenehmer - der Garten Eden, Evas Rippengeburt, der Sündenfall -, steht erst in Genesis 2 und 3.

"Doch die härteste Strafe", schreibt Shalev über diesen zweiten Adam, "ist die Vertreibung aus dem Garten Eden. Hier liegt der größte Unterschied zwischen den beiden Menschentypen. Der Mensch aus Genesis 1 kannte den Garten Eden nicht. Voller Energie und bar jeder Hemmung marschierte er in die Welt hinaus und machte sich, frei von moralischen Bedenken, an die Erfüllung seiner Aufgaben - Vermehrung und Herrschaft. Als hingegen der Mensch aus Genesis 2 entstand und ein Kapitel später in die Welt hinausgejagt wurde, trug er die Last der Erinnerung an den süßen Garten Eden auf den Schultern und - mehr noch als alles andere - an sein Versagen. Jenes Versagen, das bis zum heutigen Tag auf dem Bewußtsein der Menschen lastet." Der Garten Eden steht nur deshalb am Anfang aller Geschichten, um die Menschen aus Fleisch und Blut, denen Meir Shalev in seiner Bibel nachspürt, die Sehnsucht zu lehren. Als Jakob nach vielen Jahren aus der Fremde zurückkehrt, verliert er unterwegs sein Glück. Und auch Jakobs Nachfahren, die heute wieder in Israel leben, erwartet keine Erlösung. JAKOB HESSING

Meir Shalev: "Der Sündenfall - ein Glücksfall? Alte Geschichten aus der Bibel neu erzählt." Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Melcer. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 347 S., geb., 39,- DM.

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»Es steht ganz außer Zweifel, dass Shalev der größte lebende israelische Romancier ist. Er hätte längst den Nobelpreis verdient.« Hannes Stein / Die Welt Die Welt