Nach „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ erzählt Ottessa Moshfegh in ihrem neuen Roman „Der Tod in Ihren Händen“ eine Kriminalgeschichte der anderen Art: spannend, beängstigend, bewegend.
Bei Sonnenaufgang läuft Vesta mit ihrem Hund eine Runde durch den Wald – die tägliche Routine einer einsamen alten Frau –, als sie einen Zettel findet: „Ihr Name war Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie getötet hat. Hier ist ihre Leiche.“
Obwohl von der jede Spur fehlt, lässt Vesta der Gedanke an einen Mord nicht mehr los. Wer war Magda? Und wer könnte ihr Mörder sein? Die Aufklärung dieser Fragen wird zu Vestas Mission. Doch je tiefer sie sich in den Fall verstrickt, desto deutlicher treten ihre eigenen Abgründe hervor.
Ottessa Moshfegh, eine der aufregendsten Autorinnen unsrer Zeit, schreibt in ihrem neuen Roman über Einsamkeit – und darüber, wie einfach es ist, nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst zu belügen.
Bei Sonnenaufgang läuft Vesta mit ihrem Hund eine Runde durch den Wald – die tägliche Routine einer einsamen alten Frau –, als sie einen Zettel findet: „Ihr Name war Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie getötet hat. Hier ist ihre Leiche.“
Obwohl von der jede Spur fehlt, lässt Vesta der Gedanke an einen Mord nicht mehr los. Wer war Magda? Und wer könnte ihr Mörder sein? Die Aufklärung dieser Fragen wird zu Vestas Mission. Doch je tiefer sie sich in den Fall verstrickt, desto deutlicher treten ihre eigenen Abgründe hervor.
Ottessa Moshfegh, eine der aufregendsten Autorinnen unsrer Zeit, schreibt in ihrem neuen Roman über Einsamkeit – und darüber, wie einfach es ist, nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst zu belügen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2021Talfahrt mit einem toten Tyrannen
Ottessa Moshfeghs "Der Tod in ihren Händen"
Ottessa Moshfeghs schriftstellerische Liebe gilt Figuren am ausgefransten Gesellschaftsrand, Taumelnden, manchmal auch Perversen auf abschüssigem Gelände, die den Exzess suchen, jederzeit gefährdet, total zu versacken: im eigenen Elend, im Drogenrausch, verschluckt von Langweile, Lethargie, Aussichtslosigkeit. Dennoch haben die Figuren der in Los Angeles lebenden Moshfegh ein erstaunliches Durchhaltevermögen. Sie sind ungemein zäh. Das trifft auf Eileen, die Protagonistin des gleichnamigen Romans, die mit ihrem alkoholkranken Vater in einem trostlosen Kaff zusammenlebt, in einer Haftanstalt für Jugendliche arbeitet und an ihren Fingern riecht, nachdem sie sich in den Schritt gefasst hat, genauso zu wie auf die schräge Ich-Erzählerin aus "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" - ein junges It-Girl, das sich mit Tabletten abschießt, um im Dauerschlaf Erlösung zu finden. Anders formuliert: Vom Schicksal niederdrücken lassen sich Ottessa Moshfeghs Figuren nicht. Sie kämpfen. Und werden dabei manchmal verrückt.
Vesta Gul, die Protagonistin in Moshfeghs neuem Roman, passt perfekt in diese Reihe abgründiger Gestalten. Sie ist 72 Jahre alt, Witwe, Hundebesitzerin und lebt abgeschieden in einer alten Hütte am Waldesrand. Nach dem Tod ihres Mannes, eines Epistemologen, der an der Universität lehrte und Studentinnen umgarnte, hat sich die unzuverlässige Ich-Erzählerin an diesen einsamen Ort zurückgezogen. Bei einem Morgenspaziergang mit ihrem Hund Charlie findet sie einen Zettel, auf dem steht: "Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche."
Doch von einer Leiche gibt es nicht die geringste Spur, keine Blutflecken, keine Haarbüschel, kein einzelner Turnschuh, nichts weist auf ein Verbrechen hin, es existiert nur dieser Zettel. Ist er ein Scherz? Ein Hilferuf? Gar eine Warnung? Lauert ein hungriger Zombie im Wald, der es auf sie abgesehen hat?
Vesta jedenfalls steckt den Zettel ein und öffnet sämtliche Türen ihres Phantasiereiches, um dem Geschriebenen einen Sinn abzugewinnen. Sie malt sich Magda in allen Einzelheiten aus, versieht sie mit schwarzem seidigen Haar, dichtet ihr einen Job bei McDonald's an und lässt sie in einem Kellerloch hausen. Ein mysteriöses Wesen, das vom Alter her ihre Tochter sein könnte, eine Freundin, eine Vertraute.
Die vermeintliche Annäherung an die Wahrheit entpuppt sich rasch als ein Abdriften in den Wahnsinn, der Vesta, diese patente alte Frau, die ihr Leben nur scheinbar im Griff hat, der Wirklichkeit entreißt. "Da haben wir ganz schön was erlebt heute Morgen, stimmt's?", sagt sie zu ihrem Hund Charlie und fügt hinzu: "Eine kleine Schauergeschichte. Das bringt den Kreislauf in Schwung, was, mein Schatz?" Doch wenig später ist jede Vernunft vergessen, und Vesta sitzt elektrisiert in der Bibliothek von Bethsmane, bestellt einen Tarnanzug und googelt den Namen Magda. "Die letzte verstorbene Magda, die ich finden konnte, war Magda Goebbels."
Dramaturgisch ist das heikel. Der Leser weiß früh, dass das Opfer in dieser Geschichte nicht Magda heißt, sondern Vesta, die zur Marionette ihrer immer bizarreren Hirngespinste wird, eine verrückte Alte, die in jeder Kleinigkeit einen Hinweis zu entdecken glaubt. Dass dies der Spannung keinen großen Abbruch tut, liegt an der gekonnten Figurenzeichnung. Magdas psychische Talfahrt zu verfolgen ist ein bisschen so, als sähe man einem Auto auf eine Klippe zurasen. Obwohl man das Ende kennt, blickt man gebannt hin. Nach und nach verändert sich zudem Vestas Blick auf die Vergangenheit. Erscheint ihr verstorbener Mann Walter anfangs durchaus liebevoll, verwandelt er sich im Verlauf des Buchs in einen Widerling, nimmt immer stärker die Züge eines Tyrannen an, der Vesta kleinhielt. Die sich ins schier Unermessliche steigernde Wut auf Walter mündet schließlich in blanken Hass, und Vesta überlegt, die Asche des Gatten einfach im Dreck zu vergraben.
Ottessa Moshfegh hat in ihrem Schreiben schon öfter eine Lust am Ekelhaften gezeigt, in "Eileen" und besonders auch imKurzgeschichtenband "Heimweh nach einer anderen Welt", wo Küsse nach Kot schmecken, Eichhörnchen in Pools verwesen und ständig irgendjemand Pickel ausdrückt. Im Vergleich dazu weidet "Der Tod in ihren Händen" sich erstaunlich selten am Ekelhaften. Einmal darf Charlie furzen, ein anderes Mal stellt sich Vesta vor, wie Magda einen senilen Alten pflegt und ihn anschreit: "Jetzt hast du dich wieder vollgepinkelt. Du stinkst nach Kacke." Vestas blühende Phantasie dient ihr auch dazu, sich von den Erinnerungen an ihren herrischen Mann zu befreien und die Vergangenheit abzuschütteln. Den Preis, den diese Verwandlung kostet, ist sie bereit zu zahlen.
MELANIE MÜHL
Ottessa Moshfegh: "Der Tod in ihren Händen". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ottessa Moshfeghs "Der Tod in ihren Händen"
Ottessa Moshfeghs schriftstellerische Liebe gilt Figuren am ausgefransten Gesellschaftsrand, Taumelnden, manchmal auch Perversen auf abschüssigem Gelände, die den Exzess suchen, jederzeit gefährdet, total zu versacken: im eigenen Elend, im Drogenrausch, verschluckt von Langweile, Lethargie, Aussichtslosigkeit. Dennoch haben die Figuren der in Los Angeles lebenden Moshfegh ein erstaunliches Durchhaltevermögen. Sie sind ungemein zäh. Das trifft auf Eileen, die Protagonistin des gleichnamigen Romans, die mit ihrem alkoholkranken Vater in einem trostlosen Kaff zusammenlebt, in einer Haftanstalt für Jugendliche arbeitet und an ihren Fingern riecht, nachdem sie sich in den Schritt gefasst hat, genauso zu wie auf die schräge Ich-Erzählerin aus "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" - ein junges It-Girl, das sich mit Tabletten abschießt, um im Dauerschlaf Erlösung zu finden. Anders formuliert: Vom Schicksal niederdrücken lassen sich Ottessa Moshfeghs Figuren nicht. Sie kämpfen. Und werden dabei manchmal verrückt.
Vesta Gul, die Protagonistin in Moshfeghs neuem Roman, passt perfekt in diese Reihe abgründiger Gestalten. Sie ist 72 Jahre alt, Witwe, Hundebesitzerin und lebt abgeschieden in einer alten Hütte am Waldesrand. Nach dem Tod ihres Mannes, eines Epistemologen, der an der Universität lehrte und Studentinnen umgarnte, hat sich die unzuverlässige Ich-Erzählerin an diesen einsamen Ort zurückgezogen. Bei einem Morgenspaziergang mit ihrem Hund Charlie findet sie einen Zettel, auf dem steht: "Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche."
Doch von einer Leiche gibt es nicht die geringste Spur, keine Blutflecken, keine Haarbüschel, kein einzelner Turnschuh, nichts weist auf ein Verbrechen hin, es existiert nur dieser Zettel. Ist er ein Scherz? Ein Hilferuf? Gar eine Warnung? Lauert ein hungriger Zombie im Wald, der es auf sie abgesehen hat?
Vesta jedenfalls steckt den Zettel ein und öffnet sämtliche Türen ihres Phantasiereiches, um dem Geschriebenen einen Sinn abzugewinnen. Sie malt sich Magda in allen Einzelheiten aus, versieht sie mit schwarzem seidigen Haar, dichtet ihr einen Job bei McDonald's an und lässt sie in einem Kellerloch hausen. Ein mysteriöses Wesen, das vom Alter her ihre Tochter sein könnte, eine Freundin, eine Vertraute.
Die vermeintliche Annäherung an die Wahrheit entpuppt sich rasch als ein Abdriften in den Wahnsinn, der Vesta, diese patente alte Frau, die ihr Leben nur scheinbar im Griff hat, der Wirklichkeit entreißt. "Da haben wir ganz schön was erlebt heute Morgen, stimmt's?", sagt sie zu ihrem Hund Charlie und fügt hinzu: "Eine kleine Schauergeschichte. Das bringt den Kreislauf in Schwung, was, mein Schatz?" Doch wenig später ist jede Vernunft vergessen, und Vesta sitzt elektrisiert in der Bibliothek von Bethsmane, bestellt einen Tarnanzug und googelt den Namen Magda. "Die letzte verstorbene Magda, die ich finden konnte, war Magda Goebbels."
Dramaturgisch ist das heikel. Der Leser weiß früh, dass das Opfer in dieser Geschichte nicht Magda heißt, sondern Vesta, die zur Marionette ihrer immer bizarreren Hirngespinste wird, eine verrückte Alte, die in jeder Kleinigkeit einen Hinweis zu entdecken glaubt. Dass dies der Spannung keinen großen Abbruch tut, liegt an der gekonnten Figurenzeichnung. Magdas psychische Talfahrt zu verfolgen ist ein bisschen so, als sähe man einem Auto auf eine Klippe zurasen. Obwohl man das Ende kennt, blickt man gebannt hin. Nach und nach verändert sich zudem Vestas Blick auf die Vergangenheit. Erscheint ihr verstorbener Mann Walter anfangs durchaus liebevoll, verwandelt er sich im Verlauf des Buchs in einen Widerling, nimmt immer stärker die Züge eines Tyrannen an, der Vesta kleinhielt. Die sich ins schier Unermessliche steigernde Wut auf Walter mündet schließlich in blanken Hass, und Vesta überlegt, die Asche des Gatten einfach im Dreck zu vergraben.
Ottessa Moshfegh hat in ihrem Schreiben schon öfter eine Lust am Ekelhaften gezeigt, in "Eileen" und besonders auch imKurzgeschichtenband "Heimweh nach einer anderen Welt", wo Küsse nach Kot schmecken, Eichhörnchen in Pools verwesen und ständig irgendjemand Pickel ausdrückt. Im Vergleich dazu weidet "Der Tod in ihren Händen" sich erstaunlich selten am Ekelhaften. Einmal darf Charlie furzen, ein anderes Mal stellt sich Vesta vor, wie Magda einen senilen Alten pflegt und ihn anschreit: "Jetzt hast du dich wieder vollgepinkelt. Du stinkst nach Kacke." Vestas blühende Phantasie dient ihr auch dazu, sich von den Erinnerungen an ihren herrischen Mann zu befreien und die Vergangenheit abzuschütteln. Den Preis, den diese Verwandlung kostet, ist sie bereit zu zahlen.
MELANIE MÜHL
Ottessa Moshfegh: "Der Tod in ihren Händen". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021. 256 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Für die Rezensentin Angela Schader ist Ottessa Moshfegh eine"Expertin" für Figuren, die mit psychischen Problemen kämpfen - und mit diesem Roman ganz auf der Höhe ihrer Kunst. Erzählt wird die Geschichte von Vesta, die, inzwischen Witwe, beim Waldspaziergang einen Zettel mit einem Hinweis auf eine Leiche namens Magda findet und davon ausgehend in einen Strudel der Verdächtigungen, Projektionen und Hinterfragungen des eigenen Lebens gerät. Die Kritikerin liest hier von Affären und Demütigungen, die nach und nach ans Licht kommen, von Einsamkeit und Verunsicherung. Der Roman ist kein "Whodunnit", dafür eine brillante "Studie" über Wahn und ein verpasstes Leben, schließt die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2021Wo das
Böse wohnt
Raffinierte Parabel: Ottessa Moshfeghs neuer
Roman „Der Tod in ihren Händen“
VON HILMAR KLUTE
Wer ihre Bücher kennt, schätzt Ottessa Moshfegh als Expertin für isolierte, die Grenze zum Irrewerden riskant abschreitende Frauenfiguren. Weil die 1981 geborene amerikanische Schriftstellerin zugleich als sehr belesene Schriftstellerin mit einer stattlichen literarischen Referenzliste gilt, schreibt man ihr zu, eine Art weibliches Gegenpersonal zu den großen, an der gesellschaftlichen Konvention ihrer Zeit zugrunde gehenden Frauengestalten des Realismus bei Flaubert, Dostojewski und Hamsun aufgestellt zu haben.
Wie auch immer. Ottessa Moshfegh hat jedenfalls ein Faible für die frei drehende Fantasie von Frauen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht gut geht. Eileen aus dem gleichnamigen Roman von 2016 ist eine magersüchtige Trinkerin, die sich viel darauf einbildet, alles und jeden zu hassen. Und die Ich-Erzählerin aus „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ geht in einem von ihrer Ärztin medikamentös ermöglichten „Winterschlaf“ auf eine albtraumhafte Reise durch ihr Inneres.
Die verstörende Verschiebung von Wirklichkeit und verlässlicher Wahrnehmung in ein düsteres Geflecht aus Erinnerung und Wahn nimmt Moshfegh auch in ihrem neuen, jetzt auf Deutsch erschienenen Roman „Der Tod in ihren Händen“ vor. Nur ist die Heldin dieses Buchs keine neurotische New Yorker Jungintellektuelle, sondern die 72 Jahre alte Professorenwitwe Vesta Guhl, die nach dem Tod ihres Mannes Walter in eine alte Hütte in irgendeinem gottverlassenen Ostküsten-Kaff namens Levant zieht, das in der Nähe von Monlith liegt, wohingegen sie ihr bisheriges Leben in Bethsemane verbracht hat.
Die Wahl der sprechenden Namen weist schon recht hübsch auf die stets gegenwärtige Bedeutungsschwangerschaft von Zeichen, Zufällen und Namen in dieser Erzählung hin. Bei einem Waldspaziergang findet Vesta einen Zettel, dessen knapper Wortlaut den Motivkern der Geschichte bildet: „Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“ Eine Leiche gibt es nicht, aber in diese Leerstelle hinein fantasiert Vesta eine Mordgeschichte mit Figuren, an deren Existenz sie mehr und mehr zu glauben scheint.
Und der Leser steht vor der Herausforderung, der rührenden alten einsamen Dame Glauben schenken zu sollen, zumal da Vesta zunächst als rüstige Frau auftritt, die sich nach dem Tod ihres, so scheint es zunächst, sehr geliebten Mannes einen Hund namens Charlie und anschließend für einen Spottpreis die alte Hütte im Wald gekauft hat, um dort ein selbstbestimmtes und originelles zweites Leben zu beginnen.
Aber schon sehr schnell, für die Dramaturgie vielleicht ein bisschen zu schnell, raut der Firnis auf, und aus der Aneignung des Briefes resultiert die obsessive Aneignung einer Geschichte, die ihre Figuren aus der unmittelbaren Umgebung des Dorfes bezieht. Im Internet, wo sie sich nebenbei einen Tarnanzug bestellt, gibt Vesta den Namen Magda ein, „aber die letzte verstorbene Magda, die ich finden konnte war Magda Goebbels“. Da hätte jetzt noch was kommen können, es bleibt aber bei der folgenlosen Pointe.
Stattdessen findet Vesta eine Anleitung zum Krimischreiben, damit schiebt Moshfegh ihrem Roman einen zweiten Boden ein, und die Rätselei geht jetzt richtig los: Was ist nun die Fantasie der einsamen Frau, wo beginnt die legitime, nach praktischer Anleitung stattfindende Fiktionalisierung des eh schon vagen Realitätskerns? Und gibt es in dieser, dem wenig zuverlässigen Erzählerinnen-Ich überantworteten Geschichte, überhaupt eine verlässliche Grundwahrheit? Den Autor des unheimlichen Briefes nennt sie Blake, später fallen ihr die Gedichte des Spätromantikers William Blake in die Hände. Eine Zeile aus einem Gedicht von Yeats kommt ihr in den Sinn („Die blutgetrübte Flut“), sie wird aber in nichts Weiterführendes verwandelt. Ein Buch über den Tod kommt hinzu, und über allem nicht benennbar Bedrohlichen wacht eine Instanz namens Ghod, die wie der Gott der Pantheisten überall sein Wesen treiben kann.
Vesta fürchtet den Übergriff Ghods auf ihre Seele so sehr, dass sie vor Angst das „h“ in ihrem Namen um einen Buchstaben nach vorne schiebt und sich Vesta Ghul nennt. Die philosophischen Anleihen kommen aus der im Lauf der Geschichte immer trüber werdenden Erinnerung an Walter, der Epistemologe war, also ein Erkenntnistheoretiker, dessen Wissenschaft als lächerlich abzuqualifizieren Vesta sich als späten Protest gegen den Verstorbenen herausnimmt. Die Urne ihres toten Mannes will Vesta im See nahe dem Haus beisetzen, aber je wilder ihr Zorn auf Walter wird, desto bizarrer geraten ihre Wünsche, die Überreste des letzten Endes doch verhassten Mannes im tiefsten Dreck zu verscharren. Die allmähliche, geschickt kalkulierte Drehung in Wahn und Hass hat Moshfegh von Patricia Highsmith gelernt, die allerdings ökonomischer und subtiler mit ihren Mitteln verfährt. Was nicht heißen soll, dass Otessa Moshfeghs Geschichte ohne Spannung ist. Die immer wieder neu aufgeklappten Luken ins Innere der Hauptfigur, ihre Verwandlung von der unternehmungslustigen alten Dame in eine durch Wut und Enttäuschung über Versäumnisse und Entsagungen wunderlich gewordene Alte, machen den Roman zu einer gut geölten Maschine. Aber das Ernüchternde an dieser mit den Tricks und Täuschungen des Psychokrimis in Gang gehaltenen Geschichte ist, dass alles, was man sich über den Fortgang der Ereignisse denkt, inklusive der Eintrübung der anfänglich als freundlich eingeführten Charaktere, so oder so ähnlich eintrifft. Natürlich entpuppt sich etwa Walter, der selbstgefällige Wissenschaftler aus Deutschland, als gefühlskalter Egomane, der lieber seinen Studentinnen hinterhergestiegen ist, als seiner Frau Respekt zu zollen.
Trotz solcher allzu gefälliger dramaturgischer Mittel gelingen Ottessa Moshfegh in diesem von Anke Caroline Burger mit sicherem Gespür für die feinen Wechselfälle des Erzähltons übersetzten Roman aber auch zwei fabelhafte Kunststücke: zum einen eine Figur, die sich in der Rückschau auf ihr eigenes Leben hin zu einem anderen, vermutlich ihrem wahren, von Demütigungen vergifteten Charakter entwickelt. Das Böse, das in den Wäldern rund um Levant zu lauern scheint oder in einer abstrusen, vermutlich gar nicht existenten Mordgeschichte liegen soll, dieses Böse hat seine Heimstatt allein in Vesta Guhl selbst. In ihr selbst wohnt die Gewalt, die sie woanders vermutet, und am Ende wird sie sogar selbst zur Täterin, wenn auch in überschaubarer Größenordnung.
Zum anderen ist „Der Tod in ihren Händen“ eine raffinierte, kluge Parabel auf die ohnehin absurde Klügelei, was in einem Roman wirklich sei und was nicht. Die Antwort lautet natürlich: Nichts ist wirklich, denn die Literatur handelt ausschließlich mit Fiktionen, also mit Modellen der Wirklichkeit. Das wissenschaftliche Hauptwerk, das ihr der miese – oder vielleicht zu Unrecht disqualifizierte? – Walter hinterlassen hatte, hieß „Der Trost des Phänomenalismus“. Wenn Vesta etwas daraus gezogen hat, dann die Erkenntnis, dass ihr Geist „die ganze Realität um mich herum erst einmal schaffen musste“. Damit ist die Arbeit der Schriftstellerin beschrieben, und spätestens wenn Vesta zu ihrem Hund Charlie den Satz sagt „Ich bin eine Dichterin“, dann ahnt man, dass dieser Satz eine der wenigen Beobachtungen Vestas Guhls spiegelt, denen man getrost Glauben schenken darf.
„Niemand wird je erfahren,
wer sie ermordet hat. Ich war
es nicht. Hier ist ihre Leiche.“
Diese allmähliche,
geschickt kalkulierte Drehung
in Wahn und Hass
Ottessa Moshfegh:
Der Tod in ihren Händen. Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin, 2021. 256 Seiten, 22 Euro.
Expertin für isolierte, die Grenze zum Irrewerden abschreitende Frauengestalten: Ottessa Moshfegh.
Foto: Jake Belcher
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Böse wohnt
Raffinierte Parabel: Ottessa Moshfeghs neuer
Roman „Der Tod in ihren Händen“
VON HILMAR KLUTE
Wer ihre Bücher kennt, schätzt Ottessa Moshfegh als Expertin für isolierte, die Grenze zum Irrewerden riskant abschreitende Frauenfiguren. Weil die 1981 geborene amerikanische Schriftstellerin zugleich als sehr belesene Schriftstellerin mit einer stattlichen literarischen Referenzliste gilt, schreibt man ihr zu, eine Art weibliches Gegenpersonal zu den großen, an der gesellschaftlichen Konvention ihrer Zeit zugrunde gehenden Frauengestalten des Realismus bei Flaubert, Dostojewski und Hamsun aufgestellt zu haben.
Wie auch immer. Ottessa Moshfegh hat jedenfalls ein Faible für die frei drehende Fantasie von Frauen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht gut geht. Eileen aus dem gleichnamigen Roman von 2016 ist eine magersüchtige Trinkerin, die sich viel darauf einbildet, alles und jeden zu hassen. Und die Ich-Erzählerin aus „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ geht in einem von ihrer Ärztin medikamentös ermöglichten „Winterschlaf“ auf eine albtraumhafte Reise durch ihr Inneres.
Die verstörende Verschiebung von Wirklichkeit und verlässlicher Wahrnehmung in ein düsteres Geflecht aus Erinnerung und Wahn nimmt Moshfegh auch in ihrem neuen, jetzt auf Deutsch erschienenen Roman „Der Tod in ihren Händen“ vor. Nur ist die Heldin dieses Buchs keine neurotische New Yorker Jungintellektuelle, sondern die 72 Jahre alte Professorenwitwe Vesta Guhl, die nach dem Tod ihres Mannes Walter in eine alte Hütte in irgendeinem gottverlassenen Ostküsten-Kaff namens Levant zieht, das in der Nähe von Monlith liegt, wohingegen sie ihr bisheriges Leben in Bethsemane verbracht hat.
Die Wahl der sprechenden Namen weist schon recht hübsch auf die stets gegenwärtige Bedeutungsschwangerschaft von Zeichen, Zufällen und Namen in dieser Erzählung hin. Bei einem Waldspaziergang findet Vesta einen Zettel, dessen knapper Wortlaut den Motivkern der Geschichte bildet: „Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“ Eine Leiche gibt es nicht, aber in diese Leerstelle hinein fantasiert Vesta eine Mordgeschichte mit Figuren, an deren Existenz sie mehr und mehr zu glauben scheint.
Und der Leser steht vor der Herausforderung, der rührenden alten einsamen Dame Glauben schenken zu sollen, zumal da Vesta zunächst als rüstige Frau auftritt, die sich nach dem Tod ihres, so scheint es zunächst, sehr geliebten Mannes einen Hund namens Charlie und anschließend für einen Spottpreis die alte Hütte im Wald gekauft hat, um dort ein selbstbestimmtes und originelles zweites Leben zu beginnen.
Aber schon sehr schnell, für die Dramaturgie vielleicht ein bisschen zu schnell, raut der Firnis auf, und aus der Aneignung des Briefes resultiert die obsessive Aneignung einer Geschichte, die ihre Figuren aus der unmittelbaren Umgebung des Dorfes bezieht. Im Internet, wo sie sich nebenbei einen Tarnanzug bestellt, gibt Vesta den Namen Magda ein, „aber die letzte verstorbene Magda, die ich finden konnte war Magda Goebbels“. Da hätte jetzt noch was kommen können, es bleibt aber bei der folgenlosen Pointe.
Stattdessen findet Vesta eine Anleitung zum Krimischreiben, damit schiebt Moshfegh ihrem Roman einen zweiten Boden ein, und die Rätselei geht jetzt richtig los: Was ist nun die Fantasie der einsamen Frau, wo beginnt die legitime, nach praktischer Anleitung stattfindende Fiktionalisierung des eh schon vagen Realitätskerns? Und gibt es in dieser, dem wenig zuverlässigen Erzählerinnen-Ich überantworteten Geschichte, überhaupt eine verlässliche Grundwahrheit? Den Autor des unheimlichen Briefes nennt sie Blake, später fallen ihr die Gedichte des Spätromantikers William Blake in die Hände. Eine Zeile aus einem Gedicht von Yeats kommt ihr in den Sinn („Die blutgetrübte Flut“), sie wird aber in nichts Weiterführendes verwandelt. Ein Buch über den Tod kommt hinzu, und über allem nicht benennbar Bedrohlichen wacht eine Instanz namens Ghod, die wie der Gott der Pantheisten überall sein Wesen treiben kann.
Vesta fürchtet den Übergriff Ghods auf ihre Seele so sehr, dass sie vor Angst das „h“ in ihrem Namen um einen Buchstaben nach vorne schiebt und sich Vesta Ghul nennt. Die philosophischen Anleihen kommen aus der im Lauf der Geschichte immer trüber werdenden Erinnerung an Walter, der Epistemologe war, also ein Erkenntnistheoretiker, dessen Wissenschaft als lächerlich abzuqualifizieren Vesta sich als späten Protest gegen den Verstorbenen herausnimmt. Die Urne ihres toten Mannes will Vesta im See nahe dem Haus beisetzen, aber je wilder ihr Zorn auf Walter wird, desto bizarrer geraten ihre Wünsche, die Überreste des letzten Endes doch verhassten Mannes im tiefsten Dreck zu verscharren. Die allmähliche, geschickt kalkulierte Drehung in Wahn und Hass hat Moshfegh von Patricia Highsmith gelernt, die allerdings ökonomischer und subtiler mit ihren Mitteln verfährt. Was nicht heißen soll, dass Otessa Moshfeghs Geschichte ohne Spannung ist. Die immer wieder neu aufgeklappten Luken ins Innere der Hauptfigur, ihre Verwandlung von der unternehmungslustigen alten Dame in eine durch Wut und Enttäuschung über Versäumnisse und Entsagungen wunderlich gewordene Alte, machen den Roman zu einer gut geölten Maschine. Aber das Ernüchternde an dieser mit den Tricks und Täuschungen des Psychokrimis in Gang gehaltenen Geschichte ist, dass alles, was man sich über den Fortgang der Ereignisse denkt, inklusive der Eintrübung der anfänglich als freundlich eingeführten Charaktere, so oder so ähnlich eintrifft. Natürlich entpuppt sich etwa Walter, der selbstgefällige Wissenschaftler aus Deutschland, als gefühlskalter Egomane, der lieber seinen Studentinnen hinterhergestiegen ist, als seiner Frau Respekt zu zollen.
Trotz solcher allzu gefälliger dramaturgischer Mittel gelingen Ottessa Moshfegh in diesem von Anke Caroline Burger mit sicherem Gespür für die feinen Wechselfälle des Erzähltons übersetzten Roman aber auch zwei fabelhafte Kunststücke: zum einen eine Figur, die sich in der Rückschau auf ihr eigenes Leben hin zu einem anderen, vermutlich ihrem wahren, von Demütigungen vergifteten Charakter entwickelt. Das Böse, das in den Wäldern rund um Levant zu lauern scheint oder in einer abstrusen, vermutlich gar nicht existenten Mordgeschichte liegen soll, dieses Böse hat seine Heimstatt allein in Vesta Guhl selbst. In ihr selbst wohnt die Gewalt, die sie woanders vermutet, und am Ende wird sie sogar selbst zur Täterin, wenn auch in überschaubarer Größenordnung.
Zum anderen ist „Der Tod in ihren Händen“ eine raffinierte, kluge Parabel auf die ohnehin absurde Klügelei, was in einem Roman wirklich sei und was nicht. Die Antwort lautet natürlich: Nichts ist wirklich, denn die Literatur handelt ausschließlich mit Fiktionen, also mit Modellen der Wirklichkeit. Das wissenschaftliche Hauptwerk, das ihr der miese – oder vielleicht zu Unrecht disqualifizierte? – Walter hinterlassen hatte, hieß „Der Trost des Phänomenalismus“. Wenn Vesta etwas daraus gezogen hat, dann die Erkenntnis, dass ihr Geist „die ganze Realität um mich herum erst einmal schaffen musste“. Damit ist die Arbeit der Schriftstellerin beschrieben, und spätestens wenn Vesta zu ihrem Hund Charlie den Satz sagt „Ich bin eine Dichterin“, dann ahnt man, dass dieser Satz eine der wenigen Beobachtungen Vestas Guhls spiegelt, denen man getrost Glauben schenken darf.
„Niemand wird je erfahren,
wer sie ermordet hat. Ich war
es nicht. Hier ist ihre Leiche.“
Diese allmähliche,
geschickt kalkulierte Drehung
in Wahn und Hass
Ottessa Moshfegh:
Der Tod in ihren Händen. Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin, 2021. 256 Seiten, 22 Euro.
Expertin für isolierte, die Grenze zum Irrewerden abschreitende Frauengestalten: Ottessa Moshfegh.
Foto: Jake Belcher
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»Ottessa Moshfegh ist verdammt noch mal genial.« Florentin Schumacher, F.A.S.