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© BÜCHERmagazin, Lore Kleinert
Bernhard Jaumann jagt Franz Marcs "Turm der blauen Pferde" nach
Wie schreibt man einen Kriminalroman, in dem es um eines der berühmtesten Gemälde vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geht, das bis heute als verschollen gilt? Bernhard Jaumann hat sich das zugetraut; um es gleich zu sagen, mit einer verblüffenden Volte am Ende. Er setzt dafür gekonnt den Kunstmarkt, dessen Klischees, Reflexe und Personal ein, die so viel allgemeines Interesse auf sich ziehen.
Wer kennt den "Turm der blauen Pferde" nicht von seinen unendlichen Reproduktionen? Die Spur des zwei Meter hohen Gemäldes, das Franz Marc 1913 im oberbayerischen Sindelsdorf malte, verliert sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Jahr 1919 hatte es die Nationalgalerie Berlin angekauft. Von dort entfernten es die Nationalsozialisten 1937 und zeigten es in der Ausstellung "Entartete Kunst" in München. Bekannt ist, dass Hermann Göring dann den "Turm der blauen Pferde" für seine eigene Sammlung an sich brachte. Was weiter mit dem Bild geschah, liegt im Dunkeln. Käme es auf den Kunstmarkt, wäre sein Preis kaum kalkulierbar, es könnte womöglich eine dreistellige Millionensumme sein. Die Chance, dass es wieder in der Öffentlichkeit auftaucht, ist freilich gering: Ein gegenwärtiger Besitzer käme unter den jedenfalls moralischen Druck, das legendäre Kunstwerk dem Museum zurückzugeben.
Das allein ist schon ein Kunstkrimi, den Jaumann den Lesern gewissermaßen nebenbei auf den gut dreihundert Seiten seines Romans erzählt. Während er eine verschlungene Geschichte aufbaut um die in München ansässige, auf Kunst-Recherche spezialisierte Detektei, deren Chef den fiktiv altadligen Namen Rupert von Schleewitz trägt. Zu seinem Team gehören die Kunsthistorikerin Klara Ivanovic, die einen unberechenbaren Ex-Fluxus-Künstler zum Vater hat, und der Aktenwühler Max Müller, den außerdem seine bürgerliche Kleinfamilie auf Trab hält. Alles beginnt, weil der "Schraubenkönig vom Starnberger See", ein schwerreicher Kunstsammler, Schleewitz und Ivanovic in seiner Villa seine jüngste Erwerbung vorführt, angeblich für echt befunden vom führenden Franz-Marc-Spezialisten. Er will eine lückenlose Provenienz für seinen "Turm der blauen Pferde"; dann werde er das Gemälde an die Nationalgalerie als "nationales Kulturgut" zurückgeben. Schleewitz nimmt den Auftrag an.
Es kommt, wie es kommen muss, sein Bild wird dem potentiellen Gutmenschen in einer kuriosen Aktion von Unbekannten gestohlen. Der Auftrag lautet jetzt, es wiederzufinden. Die abenteuerliche Jagd beginnt, bei der Jaumann, an der Oberfläche, auf das Gewese um den Fälscher Wolfgang Beltracchi anspielt, wobei er seine Verachtung für diesen Imitator offen mit der Kunstwissenschaft teilt. Stattdessen entwickelt er eine andere, gewitzte Story, nicht frei von Mord und Totschlag, von manchen unglaublichen Zufällen und Ereignissen. Dafür bedient er sich der bewährten Methode, immer wieder Rückblenden in die Gegenwart einzuschieben. Deshalb beginnt der Roman denn auch, "Berchtesgadener Land. 5. Mai 1945": Zwei Jungen entdecken einen Waggon unbekannten Inhalts in einem Tunnel. Einer der beiden trifft dort auf das Kunstwerk, das sein weiteres Leben bestimmt; der "Turm der blauen Pferde" wird Ludwig Raithmaiers Schicksal.
Es wäre unfair, den Gang der Dinge, die sich immer enger miteinander verschränken, hier zu enthüllen. Dass der Autor auf dieser Strecke eine Menge human touch aufwendet, ist verständlich. Denn seine Detektei von Schleewitz soll in Serie gehen, weshalb der Chef und seine Mitarbeiter erkennbare Konturen gewinnen müssen. So viel immerhin: Es geht beim ersten Fall durchaus um die ernsthafte Frage nach der auratischen Wirkung des einzigartigen Kunstwerks; der Traum vom "Turm der blauen Pferde" ist nicht enden wollend.
ROSE-MARIA GROPP
Bernhard Jaumann: "Der Turm der blauen Pferde".
Kriminalroman.
Galiani Verlag, Berlin 2019. 336 S., br., 15,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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