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Von wegen Kuschelkrimi: Janice Halletts "Der Twyford-Code" ist eine einzige falsche Fährte
Das Cover von "Der Twyford-Code" sieht verdächtig nach der britischen Originalversion der Romane von Richard Osman ("Der Donnerstagsmordclub") aus: Titel und Autorin in großen handgemalten Buchstaben setzen sich vom eierschalenfarbenen Hintergrund ab, mittendurch schlängelt sich ein stilisierter Fisch, alle Zeichen stehen auf Cozy Crime. Ein Selbstläufer für die geneigte Leserschaft.
Die Hardboiled-Fans dürften hingegen ziemlich sicher einen Bogen um den zweiten Roman der 1969 geborenen englischen Journalistin und Schriftstellerin Janice Hallett machen. Der erste Instinkt trügt nicht mal: Action, Gewalt und Sex gibt es in "Der Twyford-Code" allerhöchstens andeutungsweise, der Thrill besteht hingegen im Aufdröseln des im Text versteckten Rätsels, die ermittelnde Figur ist ein Amateur und das Lokalkolorit tüncht die Seiten im rauen Charme des Londoner East End.
Damit ist das Setting aber auch weit entfernt vom idyllischen Merry England der typischen Cozy-Crime-Titel, in denen die Welt fundamental gut ist und die Protagonisten meist von existenziellen Nöten unbelastete, in ihrer Nachbarschaft bestens vernetzte Bildungsbürger. Halletts Fünf Freunde sind stattdessen die Kinder des Lesenachhilfekurses in einem typischen Londoner Arbeiterbezirk: Eines Morgens findet Steven im Bus ein über und über mit merkwürdigen Symbolen bedecktes Buch.
Ein Werk der umstrittenen Kinderbuchautorin Edith Twyford (offensichtlich als Doppelgängerin von Enid Blyton angelegt), das seine Lehrerin Miss Trout unverzüglich konfisziert. Im Buch verberge sich ein geheimer Code aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, vertraut sie den Kindern noch an und verschwindet kurz darauf spurlos bei einem Schulausflug zu Twyfords altem Wohnsitz. Jahrzehnte später ist Steven - inzwischen mit ausgedehnter Knasterfahrung und damit beschäftigt, sich doch noch mühsam das Lesen beizubringen - besessen von den verschütteten Erinnerungen. Den Schlüssel zu Miss Trouts Verschwinden vermutet er in dem Code, der nach wie vor unentdeckt zwischen den Buchseiten schlummern muss.
Er führt ihn in die verborgene Welt der Kryptographie und der Spionage ein, bis zurück zur sogenannten Operation Fish, bei der im Jahr 1940 der gesamte britische Staatsschatz nach Kanada ausgeschifft wurde, um im Fall einer deutschen Invasion in Großbritannien den Krieg auch von den Kolonien aus weiterführen zu können. Janice Hallett erzählt diese sagenhafte Geschichte - und die innovative Form ist es, die ihr den British Book Award 2023 für den besten Kriminalroman eingebracht haben dürfte - in mehr als zweihundert Audiotranskripten. Aufzeichnungen der Sprachnachrichten, die Steven während seiner Nachforschungen zum Twyford-Code mit einem alten iPhone 4 aufnimmt.
Immer wieder verhört sich dabei die Software, missversteht Dialekt und zensiert Ausdrücke, die sie für anstößig befindet. Dass die Sprachspiele und Rätsel, die sich vor aller Augen im Text verstecken, auch im Deutschen funktionieren, ist der beeindruckenden Übersetzungsleistung von Stefanie Kremer zu verdanken, die Mut damit beweist, diese stellenweise rumpelnde, in unnatürliche Formen gezwungene Sprache zuzulassen.
In einer Geschichte, die, anstatt falsche Fährten zu legen, vielmehr eine einzige falsche Fährte ist und in der Stevens Ideen manchmal nur schwer von Verschwörungsmythen zu unterscheiden sind, passt das Widerständige der Sprache perfekt ins Konzept, erhöht das Misstrauen und bereitet den Boden für den großen Twist. "Der Twyford-Code" erinnert daran, wie limitiert unsere Vorstellungen von erfolgreicher Bildung oft sind, wie viel Schöpfungskraft in den verschiedenen Formen von Intelligenz liegt, über die wir verfügen. Und er beweist, dass ein realistischer Blick auf die Welt und ein gewisses Maß an Coziness sich nicht ausschließen. KATRIN DOERKSEN
Janice Hallett: "Der Twyford-Code". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Kremer.
Atrium Verlag, Zürich 2024.
430 S., geb.,
24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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