Er ist ein Konformist, ein Obrigkeitstreuer, ein Feigling frei von Zivilcourage. Kein gutes Haar lässt Heinrich Mann am Protagonisten seines berühmtesten Romans. Doch Diederich Heßling macht im Deutschen Kaiserreich Karriere, seine Strategie verfängt: nach unten treten, nach oben buckeln. Was als bitterböse Satire auf das Erziehungssystem und den Nationalismus seiner Zeit angelegt ist, wird von dieser bald schon überboten. »Der Untertan« erscheint wenige Wochen vor Beginn des Ersten Weltkriegs - doch auch die noch kommende Barbarei der deutschen Geschichte scheint in diesem Roman schon auf.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2021Aufstieg und Fall des Unterdrückers
Heinrich Manns Satire "Der Untertan" zeigt uns die Deutschen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Dank einer neuen Edition verstehen wir endlich besser, worauf der Autor zielt.
Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war "Der Untertan" (1918) abgeschlossen. Vorabdrucke im angriffslustigen "Simplicissimus" 1911 und 1912 sowie auch in der Münchner Wochenschrift "Zeit im Bild" empfahlen ihn als satirischen Zeitroman - "ein in Deutschland bisher wenig gepflegtes Gebiet", wie es in der Vorankündigung heißt. Später erschienen Heinrich Mann der kommende Krieg und die Niederlage in seinem "Roman des bürgerlichen Deutschen" bereits greifbar nahe - und sogar der Faschismus, wie er sich mitten im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Pünktlich zum heutigen 150. Geburtstag des Schriftstellers liegt dieses Mentalitätsporträt der Deutschen endlich wieder vor, noch dazu in der legendären gelben Reihe von Reclam, die es in so viele Hände schafft. Aktueller als gerade jetzt, da Verächter unserer Demokratie die schwarzweißrote Nationalflagge des Kaiserreichs wieder hissen, könnte dieser Text gar nicht sein. Dass er zudem in einigen Bundesländern demnächst Abiturthema sein wird, kann als Beitrag zur politischen Bildung nur begrüßt werden.
Diese neue Edition, die textidentisch gleich zweifach daherkommt, ist ein Ereignis. Denn anders als bei Heinrich Manns Bruder Thomas mit der inzwischen kaum zu überbietenden Großen Frankfurter Ausgabe, wird hier erstmals umfassend kommentiert. Die mehr als einhundert Seiten Anmerkungen von Werner Bellmann heben den Roman auf ein völlig neues Niveau. Wer nicht Zeit und Lust hat, sich aus der (überschaubar differenzierten) Forschung all die wertvollen Details selbst zusammenzusuchen, erkennt jetzt auf einen Blick, dass der Untertan Diederich Heßling - und nicht allein er und nicht nur in den großen Reden am Stammtisch, bei Wahlveranstaltungen oder der Denkmalsenthüllung am Schluss - unaufhörlich in Anspielungen auf reale Ereignisse und in Zitaten spricht: vor allem solchen Kaiser Wilhelms II., aber auch Bismarcks, Bülows, Goethes, Hegels, Humboldts, Wagners und anderer.
Das ist keine philologische Petitesse, sondern dringt ins Zentrum dieses Werks. Denn es handelt sich um keine Satire über den Geist des deutschen Kaiserreichs, sondern sie entwickelt sich aus diesem Geist selbst. Wie der journalistische Scharfrichter Karl Kraus mit seiner "Fackel" das Zeitalter von 1899 bis 1936 via Zitat sich selbst vorführen und aufheben lässt, so gelingt Heinrich Mann ein einzigartiges Porträt des autoritären deutschen Charakters allein mit den Farben und Konturen der Zeit. Kaum einer hat das so deutlich erkannt wie der Satiriker Kurt Tucholsky, der den Roman 1919 in der "Weltbühne" ein "Herbarium des deutschen Mannes" und seinen Helden "die Inkarnation des deutschen Machtgedankens" nannte.
Als der "Untertan" vor genau vierzig Jahren im deutschen Südwesten schon einmal im Abitur stand, konnte man die inzwischen detailliert aufgedeckten Bezüge nur ahnen. Der Leseeindruck war dennoch prägend, steigert sich durch die kommentierte Wiederlektüre nun aber immens. Zum Glück hat der Reclam-Verlag diese gründliche Erschließung ungekürzt aus der wohlfeilen Universalbibliothek ins augenfreundliche Großformat der gebundenen Version übernommen.
Die konkurrierende Neuausgabe von Ariane Martin im S. Fischer Verlag enthält demgegenüber zwar 221 vorzüglich gesicherte Dokumente, auf einen fortlaufenden Stellenkommentar als entscheidendes Lesegeländer muss man hier aber verzichten.
Reclam bietet im Hardcover zudem die kantigen Illustrationen des Comic-Zeichners Arne Jysch, der die prägnantesten Szenen dieser Entwicklung ausdrucksvoll ins Bild fasst. Es ist der Aufstieg vom "siegestrunkenen Unterdrücker" Diederich, der den einzigen jüdischen Mitschüler hänselt, bis zum machtbewussten Festredner bei der Enthüllung des Kaiserdenkmals Wilhelms I. An weiteren Stationen seines Wegs sieht man den skrupellosen Verführer von Agnes Göppel, der er als so Befleckter die Ehe verweigert; das Mitglied der schlagenden Verbindung Neuteutonia, in der man mit der Barttracht des Kaisers zum "Gesicht der Macht" gelangt; den braven Untertan, der dem Kaiser in Berlin und Rom zujubelt; den Herausforderer aller Gesinnungsgegner, die er wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht bringt; den politischen Taktiker, der vor keiner schmutzigen Machenschaft zurückschreckt; den ausbeutenden Industriellen, der Arbeitsunfälle vertuscht und die feindliche Übernahme der Konkurrenz vorbereitet; den amourösen Abenteurer, der freizügig mit einer später auch käuflichen Pfarrerstochter scherzt; oder den heimlichen Masochisten, der sich von seiner Guste treten und befehlen lässt: "Auf die Knie, elender Schklafe!"
An den tieferen Gehalt des Romans reicht Jyschs episodische Bildstrecke indes nicht heran. Denn die eigentlichen Pointen und damit auch die Aktualität liegen nicht in der äußerlichen Handlung, die man sonst auch mit Joseph Roths zeitnaher Novelle "Der Vorzugsschüler" (1916) weitaus knapper fassen könnte. Der "durchschnittliche Neudeutsche, der den Berliner Geist in die Provinz trägt", ist einer Notiz Heinrich Manns von 1907 zufolge der Wesenskern. Im Detail möchte er studieren, wie dieser Typus allmählich deformiert wird, etwa durch den "unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus" des Gymnasiums. Er interessiert sich für die Macht, "gegen die wir nichts können, weil wir sie lieben". Es ist das Erlebnis in einer marschierenden Masse oder vor einer folgsamen Belegschaft, die man vor der "roten Gefahr", vor "Umsturz" und "Aufruhr" warnt, vor allem aber vor der "Schlammflut der Demokratie".
Gemeint sind die Sozialdemokraten, damals noch eine starke Bewegung. Ihr gilt die kaiserliche Lieblingsformel: "den Feind zerschmettern". Im Roman ist das der schwarzbärtige Arbeiterführer Napoleon Fischer, mit dem der nationale Heßling zwar insgeheim taktisch gegen die Freisinnigen paktiert, in dem er aber auch den unheimlichen Vertreter von "jüdischen Machenschaften der dunkelhaarigen Rasse" wittert, "die er gern für niedriger gehalten hätte". Im Roman wimmelt es von antijüdischen Stereotypen, die - vom Kommentar unterschätzt - von der jüngsten Forschung aufgedeckt wurden. Das gilt auch für den zweiten wichtigen Antipoden Wolfgang Buck, Sohn einer jüdischen Mutter und eines Achtundvierziger-Revolutionärs, der sich im Gerichtstheater als geschickter Anwalt erweist und später wirklich zur Bühne geht. Für ihn ist der "repräsentative Typus von heute der Schauspieler". Das gilt auch für den Kaiser oder Richard Wagner, den Nietzsche als größten Histrionen seiner Zeit entlarvt. Kaum zufällig überlagert im Roman eine Lohengrin-Aufführung ebenso wie ein trivialer Verschnitt von Goethes "Natürlicher Tochter" das Geschehen: Inszenierungen, die Romanrealität und Bühnengeschehen ineinander verschwimmen lassen.
All das beansprucht größere Texträume. Die Verflechtungen zwischen Politik, Ökonomie und Erotik sind komplex und feinsinnig - ebenso wie die vielen scharf gezeichneten flankierenden und spiegelnden Figuren. Wenn Tucholsky der Satire 1919 die starke Übertreibung der Wahrheit zum Zweck der Verdeutlichung erlaubt, dann hat er ebenso recht wie der Historiker Thomas Nipperdey mit dem Einwand, im Kaiserreich seien neben dem Untertanengeist auch Wurzeln von Recht, Liberalität und Demokratie zu finden.
Bemerkenswerter als die karikierende Überzeichnung von "Unterwürfigkeit, Grobsinnlichkeit und Härte" als Gesetze des Lebens, wie es in einem Essay von 1919 heißt, ist Heinrich Manns ahnungsvoller Vorausblick auf das Kommende. In den Memoiren "Ein Zeitalter wird besichtigt" (1943/44) erkannte er im Rückblick, dass ihm "von dem ungeborenen Faschismus der Begriff" zur Entstehungszeit zwar noch fehlte, nicht aber dessen Anschauung.
ALEXANDER KOSENINA
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Illustriert von Arne Jysch. Hrsg. von Werner Bellmann. Mit einem Nachwort von Andrea Bartl. Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 494 S., 32 Abb., geb., 36,- [Euro]. Als textidentische Taschenbuchausgabe ohne die Illustrationen: 684 S., br., 10,80 [Euro].
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Mit einem Nachwort und Materialienanhang von Ariane Martin. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
638 S., geb., 48,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Heinrich Manns Satire "Der Untertan" zeigt uns die Deutschen am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Dank einer neuen Edition verstehen wir endlich besser, worauf der Autor zielt.
Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs war "Der Untertan" (1918) abgeschlossen. Vorabdrucke im angriffslustigen "Simplicissimus" 1911 und 1912 sowie auch in der Münchner Wochenschrift "Zeit im Bild" empfahlen ihn als satirischen Zeitroman - "ein in Deutschland bisher wenig gepflegtes Gebiet", wie es in der Vorankündigung heißt. Später erschienen Heinrich Mann der kommende Krieg und die Niederlage in seinem "Roman des bürgerlichen Deutschen" bereits greifbar nahe - und sogar der Faschismus, wie er sich mitten im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Pünktlich zum heutigen 150. Geburtstag des Schriftstellers liegt dieses Mentalitätsporträt der Deutschen endlich wieder vor, noch dazu in der legendären gelben Reihe von Reclam, die es in so viele Hände schafft. Aktueller als gerade jetzt, da Verächter unserer Demokratie die schwarzweißrote Nationalflagge des Kaiserreichs wieder hissen, könnte dieser Text gar nicht sein. Dass er zudem in einigen Bundesländern demnächst Abiturthema sein wird, kann als Beitrag zur politischen Bildung nur begrüßt werden.
Diese neue Edition, die textidentisch gleich zweifach daherkommt, ist ein Ereignis. Denn anders als bei Heinrich Manns Bruder Thomas mit der inzwischen kaum zu überbietenden Großen Frankfurter Ausgabe, wird hier erstmals umfassend kommentiert. Die mehr als einhundert Seiten Anmerkungen von Werner Bellmann heben den Roman auf ein völlig neues Niveau. Wer nicht Zeit und Lust hat, sich aus der (überschaubar differenzierten) Forschung all die wertvollen Details selbst zusammenzusuchen, erkennt jetzt auf einen Blick, dass der Untertan Diederich Heßling - und nicht allein er und nicht nur in den großen Reden am Stammtisch, bei Wahlveranstaltungen oder der Denkmalsenthüllung am Schluss - unaufhörlich in Anspielungen auf reale Ereignisse und in Zitaten spricht: vor allem solchen Kaiser Wilhelms II., aber auch Bismarcks, Bülows, Goethes, Hegels, Humboldts, Wagners und anderer.
Das ist keine philologische Petitesse, sondern dringt ins Zentrum dieses Werks. Denn es handelt sich um keine Satire über den Geist des deutschen Kaiserreichs, sondern sie entwickelt sich aus diesem Geist selbst. Wie der journalistische Scharfrichter Karl Kraus mit seiner "Fackel" das Zeitalter von 1899 bis 1936 via Zitat sich selbst vorführen und aufheben lässt, so gelingt Heinrich Mann ein einzigartiges Porträt des autoritären deutschen Charakters allein mit den Farben und Konturen der Zeit. Kaum einer hat das so deutlich erkannt wie der Satiriker Kurt Tucholsky, der den Roman 1919 in der "Weltbühne" ein "Herbarium des deutschen Mannes" und seinen Helden "die Inkarnation des deutschen Machtgedankens" nannte.
Als der "Untertan" vor genau vierzig Jahren im deutschen Südwesten schon einmal im Abitur stand, konnte man die inzwischen detailliert aufgedeckten Bezüge nur ahnen. Der Leseeindruck war dennoch prägend, steigert sich durch die kommentierte Wiederlektüre nun aber immens. Zum Glück hat der Reclam-Verlag diese gründliche Erschließung ungekürzt aus der wohlfeilen Universalbibliothek ins augenfreundliche Großformat der gebundenen Version übernommen.
Die konkurrierende Neuausgabe von Ariane Martin im S. Fischer Verlag enthält demgegenüber zwar 221 vorzüglich gesicherte Dokumente, auf einen fortlaufenden Stellenkommentar als entscheidendes Lesegeländer muss man hier aber verzichten.
Reclam bietet im Hardcover zudem die kantigen Illustrationen des Comic-Zeichners Arne Jysch, der die prägnantesten Szenen dieser Entwicklung ausdrucksvoll ins Bild fasst. Es ist der Aufstieg vom "siegestrunkenen Unterdrücker" Diederich, der den einzigen jüdischen Mitschüler hänselt, bis zum machtbewussten Festredner bei der Enthüllung des Kaiserdenkmals Wilhelms I. An weiteren Stationen seines Wegs sieht man den skrupellosen Verführer von Agnes Göppel, der er als so Befleckter die Ehe verweigert; das Mitglied der schlagenden Verbindung Neuteutonia, in der man mit der Barttracht des Kaisers zum "Gesicht der Macht" gelangt; den braven Untertan, der dem Kaiser in Berlin und Rom zujubelt; den Herausforderer aller Gesinnungsgegner, die er wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht bringt; den politischen Taktiker, der vor keiner schmutzigen Machenschaft zurückschreckt; den ausbeutenden Industriellen, der Arbeitsunfälle vertuscht und die feindliche Übernahme der Konkurrenz vorbereitet; den amourösen Abenteurer, der freizügig mit einer später auch käuflichen Pfarrerstochter scherzt; oder den heimlichen Masochisten, der sich von seiner Guste treten und befehlen lässt: "Auf die Knie, elender Schklafe!"
An den tieferen Gehalt des Romans reicht Jyschs episodische Bildstrecke indes nicht heran. Denn die eigentlichen Pointen und damit auch die Aktualität liegen nicht in der äußerlichen Handlung, die man sonst auch mit Joseph Roths zeitnaher Novelle "Der Vorzugsschüler" (1916) weitaus knapper fassen könnte. Der "durchschnittliche Neudeutsche, der den Berliner Geist in die Provinz trägt", ist einer Notiz Heinrich Manns von 1907 zufolge der Wesenskern. Im Detail möchte er studieren, wie dieser Typus allmählich deformiert wird, etwa durch den "unerbittlichen, menschenverachtenden, maschinellen Organismus" des Gymnasiums. Er interessiert sich für die Macht, "gegen die wir nichts können, weil wir sie lieben". Es ist das Erlebnis in einer marschierenden Masse oder vor einer folgsamen Belegschaft, die man vor der "roten Gefahr", vor "Umsturz" und "Aufruhr" warnt, vor allem aber vor der "Schlammflut der Demokratie".
Gemeint sind die Sozialdemokraten, damals noch eine starke Bewegung. Ihr gilt die kaiserliche Lieblingsformel: "den Feind zerschmettern". Im Roman ist das der schwarzbärtige Arbeiterführer Napoleon Fischer, mit dem der nationale Heßling zwar insgeheim taktisch gegen die Freisinnigen paktiert, in dem er aber auch den unheimlichen Vertreter von "jüdischen Machenschaften der dunkelhaarigen Rasse" wittert, "die er gern für niedriger gehalten hätte". Im Roman wimmelt es von antijüdischen Stereotypen, die - vom Kommentar unterschätzt - von der jüngsten Forschung aufgedeckt wurden. Das gilt auch für den zweiten wichtigen Antipoden Wolfgang Buck, Sohn einer jüdischen Mutter und eines Achtundvierziger-Revolutionärs, der sich im Gerichtstheater als geschickter Anwalt erweist und später wirklich zur Bühne geht. Für ihn ist der "repräsentative Typus von heute der Schauspieler". Das gilt auch für den Kaiser oder Richard Wagner, den Nietzsche als größten Histrionen seiner Zeit entlarvt. Kaum zufällig überlagert im Roman eine Lohengrin-Aufführung ebenso wie ein trivialer Verschnitt von Goethes "Natürlicher Tochter" das Geschehen: Inszenierungen, die Romanrealität und Bühnengeschehen ineinander verschwimmen lassen.
All das beansprucht größere Texträume. Die Verflechtungen zwischen Politik, Ökonomie und Erotik sind komplex und feinsinnig - ebenso wie die vielen scharf gezeichneten flankierenden und spiegelnden Figuren. Wenn Tucholsky der Satire 1919 die starke Übertreibung der Wahrheit zum Zweck der Verdeutlichung erlaubt, dann hat er ebenso recht wie der Historiker Thomas Nipperdey mit dem Einwand, im Kaiserreich seien neben dem Untertanengeist auch Wurzeln von Recht, Liberalität und Demokratie zu finden.
Bemerkenswerter als die karikierende Überzeichnung von "Unterwürfigkeit, Grobsinnlichkeit und Härte" als Gesetze des Lebens, wie es in einem Essay von 1919 heißt, ist Heinrich Manns ahnungsvoller Vorausblick auf das Kommende. In den Memoiren "Ein Zeitalter wird besichtigt" (1943/44) erkannte er im Rückblick, dass ihm "von dem ungeborenen Faschismus der Begriff" zur Entstehungszeit zwar noch fehlte, nicht aber dessen Anschauung.
ALEXANDER KOSENINA
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Illustriert von Arne Jysch. Hrsg. von Werner Bellmann. Mit einem Nachwort von Andrea Bartl. Reclam Verlag, Ditzingen 2021. 494 S., 32 Abb., geb., 36,- [Euro]. Als textidentische Taschenbuchausgabe ohne die Illustrationen: 684 S., br., 10,80 [Euro].
Heinrich Mann: "Der Untertan". Roman.
Mit einem Nachwort und Materialienanhang von Ariane Martin. S. Fischer, Frankfurt am Main 2021.
638 S., geb., 48,- [Euro].
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