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Was das Scheitern der Bundeswehr am Hindukusch mit dem Ukrainekrieg zu tun hat
Der russische Feldzug gegen die Ukraine geht ins dritte Jahr. Die Verteidiger ziehen sich unter massivem Beschuss und immer neuen Angriffswellen langsam zurück. Es fehlt an Menschen, an Material und an Munition. Die Europäer versuchen zu verhindern, dass die Ukrainer verlieren. Doch ihre Ziele verfehlen sie zuverlässig. Das zeigt sich exemplarisch bei der Lieferung von Artilleriegranaten, die weit hinter den Versprechen zurückbleibt. Eine Strategie, um Russland aufzuhalten, ist ebenso wenig zu erkennen wie der Wille, sie konsequent und gegen alle Widerstände durchzusetzen. Nun erscheint ein Buch über den vor zwei Jahren hastig beendeten Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Warum sollte man es lesen? Vielleicht genau deshalb. Denn "der vergebliche Krieg" zeigt die chronischen Schwächen deutscher Sicherheitspolitik auf, die mitverantwortlich sind für die desolate Lage in der Ukraine.
Das wird gleich zu Beginn des Buches deutlich. Der Autor, André Uzulis, erinnert an die markigen Worte der SPD-geführten Bundesregierung nach den Terroranschlägen von New York und Washington. Die Welt sei nicht mehr dieselbe wie zuvor, hieß es damals. Von einer Zeitenwende sprach Bundeskanzler Gerhard Schröder dabei nicht, aber er sah sie offenkundig und versicherte die Amerikaner der "uneingeschränkten Solidarität" Deutschlands. Dabei, schreibt Uzulis, habe Berlin Washington die militärische Hilfe anfangs geradezu aufgedrängt. Die Regierung Bush hätte mit politischer Unterstützung allein gut, vielleicht sogar besser leben können. Das führte unter anderem dazu, dass Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte ohne klaren Auftrag entsandt und dann nur mit Hilfsaufgaben betraut wurden.
Auch wenn Schröder es anders sah: Deutschland agierte damals nicht wie ein souveräner außen- und sicherheitspolitischer Akteur. Vielmehr verhielt sich Berlin wie ein Teenager, der mal Reife zeigte und dann wieder in infantile Reflexe zurückfiel. So erklärte sich die Bundesregierung zwar bereit, deutsche Truppen nach Afghanistan zu schicken. Dann aber schreckte sie zurück, als es für die Soldatinnen und Soldaten zu gefährlich zu werden drohte. Statt im umkämpften Süden Verantwortung zu übernehmen, führte der Weg der Bundeswehr im Zuge des ISAF-Einsatzes in den (zunächst) ruhigeren Norden Afghanistans. Dort wurde das Bild des deutschen Soldaten als Brunnen bohrender Entwicklungshelfer in Uniform gepflegt.
Das Beispiel zeigt, wie auf Drängen der EU, insbesondere Deutschlands, aus dem Einsatz am Hindukusch ein Projekt zum Aufbau einer Demokratie nach westlichem Vorbild wurde. Weit weg von der Heimat, in einer völlig fremden Kultur und mit mächtigen Akteuren um und im Land selbst, die gegensätzliche Interessen verfolgten. Dass es weder eine kohärente Strategie gab, um diese umfassenden Ziele zu erreichen, noch auch nur ansatzweise die dafür notwendigen Mittel bereitgestellt wurden, zeichnet Uzulis anhand des Verlaufs des Einsatzes nach.
Zugleich sei Deutschland lange Zeit blind gegenüber dem Wiedererstarken der Taliban gewesen. Die chronische Neigung im politischen Berlin, sich mehr mit dem Kampf um Worte als mit den Nöten der Truppe zu beschäftigen, ist bis heute zu beobachten. Als die Bundeswehr immer häufiger unter Beschuss geriet, wurde heftig darum gerungen, ob man von "Krieg" und "Toten" sprechen dürfe oder nicht. Gleichzeitig versäumten es die verantwortlichen Politiker, die Truppe angemessen auszustatten. "Man hat sich in Berlin in die Tasche gelogen", schreibt Uzulis. Spätestens 2010, also nach dem Ende der zwischenzeitlichen Aufstandsbekämpfungswelle, hätten Durchhalteparolen und das Vorgaukeln von Erfolgen dominiert.
Auch wenn die Geschwindigkeit, mit der die Taliban das Land schließlich unter ihre Kontrolle brachten, überraschend war - angesichts des stetig abnehmenden westlichen Engagements, fehlender Verbündeter in der afghanischen Stammesgesellschaft sowie völlig unzureichender und korrupter staatlicher Strukturen war das Scheitern des Westens nur eine Frage der Zeit. Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, anzunehmen, dass Wladimir Putins Entscheidung zum Einmarsch in die Ukraine durch die Schwäche des Westens am Hindukusch zumindest begünstigt wurde. Dass sich die Bundeswehrsoldaten trotz widriger Umstände bis hin zur spektakulären Rettungsaktion am Kabuler Flughafen bewährt haben, gehört zu den Lichtblicken des Einsatzes. Dass "loyal"-Chefredakteur Uzulis sie hervorhebt, ist erwartbar, aber deshalb nicht weniger richtig. Schon bei der ersten Offensivoperation Harekate Yolo im Jahr 2007 hatten die Deutschen gezeigt, dass sie nicht nur Brunnen bohren, sondern auch kämpfen können. Zahlreiche größere und kleinere Gefechte sollten in den folgenden Jahren folgen. Dass die militärischen Erfolge die Aufständischen nicht dauerhaft zurückdrängen konnten, lag nicht an ihnen. Aus heutiger Sicht erscheint es wie eine Ironie der Geschichte, dass gerade die Kämpfe und Gefechte gegen die Aufständischen, die im politischen Berlin notorisch auf Distanz gehalten wurden, zu den wertvollsten Erfahrungen zählen, die eine ganze Generation von Bundeswehrsoldaten am Hindukusch gesammelt hat.
Mit "Der vergebliche Krieg" liegt eine gut lesbare Chronik des Bundeswehreinsatzes vor. Uzulis benennt klar, was viele bis heute nur andeuten. Nur wer neue Erkenntnisse über die Perspektiven der maßgeblichen Akteure sucht, wird vergebens suchen. Das mag insofern überraschen, als Uzulis als Chefredakteur der größten sicherheitspolitischen Zeitschrift Deutschlands über entsprechende Zugänge verfügen sollte. Sie spielen aber in dem Buch keine erkennbare Rolle. Am Gesamtbefund hätten aber auch sie nichts geändert. Der Westen hat am Hindukusch verloren. LORENZ HEMICKER
André Uzulis: Der vergebliche Krieg - 20 Jahre Bundeswehr in Afghanistan. Geschichte und Bilanz.
Carola Hartmann Miles Verlag, Berlin 2024. 180 S., 24,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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