Mit dem Wirtschaftswachstum war über lange Zeit ein Heilsversprechen auf bessere Zukunft verbunden, das sich großenteils auch bewahrheitet hat. Doch aus diesem Heilsversprechen wird in neuester Zeit zunehmend eine Zwangshandlung. Für eine steigende Zahl von Menschen in reichen Ländern ist mehr materieller Wohlstand kein glaubhaftes Versprechen mehr auf ein noch besseres zukünftiges Leben. Deshalb wird Wachstum heute kaum noch mit diesem Argument begründet. Stattdessen hören wir, dass ein Land wie Deutschland bei geringem oder ausbleibendem Wachstum gegenüber anderen Ländern zurückbleibt, als Wirtschaftsstandort unattraktiv wird, an Innovationskraft einbüßt oder Arbeitsplätze verliert. Wir müssen wachsen, um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, auch wenn wir gar nicht noch mehr materiellen Wohlstand wollen! Das Buch von Mathias Binswanger zeigt auf, woher dieser Wachstumszwang genau kommt. Begründet ist er letztlich in der Tatsache, dass Unternehmen insgesamt über längere Zeit nur Gewinne machen können, wenn auch ein Wachstum des BIP stattfindet. Und Gewinne sind wiederum notwendig, damit Unternehmen längerfristig überleben. In neuester Zeit ist daraus zunehmend eine Zwangshandlung geworden: Wir müssen wachsen, um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, auch wenn wir gar nicht noch mehr materiellen Wohlstand wollen! Genau das ist der Wachstumszwang!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2019Mehr Segen als Fluch
Warum Wirtschaftswachstum notwendig ist
Der Comedian Dieter Nuhr war einmal Mitglied der Grünen. Dann ist er ausgetreten. In seinem Programm begründet er den Schritt so: "Ich habe die Realitätsverweigerung nicht mehr ausgehalten." In die Liste vermeintlich grüner Realitätsverweigerungen gehört wohl auch die Vorstellung, dass es Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum geben könne. Mit dieser falschen Wahrnehmung räumt nun Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre in der Schweiz, auf. In der dort erscheinenden "Sonntagszeitung" erklärte er jüngst: "Es gibt nur die Alternativen wachsen oder schrumpfen. Das hat man in Griechenland gesehen. Nach der Finanzkrise ist die griechische Wirtschaft sechs Jahre lang geschrumpft. Da schlägt die Stimmung sehr schnell um, und die Wachstumskritik verstummt."
Zur Debatte um den Klimaschutz sagt Binswanger: "Es gibt immer wieder Phasen, in denen ein Thema enorm Schub bekommt. Man neigt dann dazu, dies zu verabsolutieren und zum einzig wichtigen Thema zu machen. Seit es eine kapitalistische Wirtschaft gibt, gibt es auch Prognosen über deren baldiges Ende, den Untergang oder das Ende des Wachstums. Das hat sich immer als falsch herausgestellt. Das System hat eine große Fähigkeit, die Grenzen hinauszuschieben."
Nun hat Binswanger mit "Der Wachstumszwang" eine Streitschrift vorgelegt, die fernab der üblichen Denkmuster liegt und gerade deshalb so anregend zu lesen ist. Denn auch der Kapitalismus ist für Binswanger nicht sakrosankt. Wirtschaftswachstum habe, wie viele Entwicklungen, einen ambivalenten Charakter und sei sowohl Segen als auch Fluch. "So hat das Wachstum einen ungeheuren materiellen Wohlstand für die meisten Menschen in vielen Ländern ermöglicht, der auch zu einer drastischen Verbesserung der Lebensbedingungen und der Gesundheit geführt hat. Andererseits besitzt Wachstum ein enormes Zerstörungspotenzial für die natürliche Umwelt und trägt nicht mehr zu weiterem Glück der Menschen in hochentwickelten Ländern bei."
Der Segen des Wachstums sei aber um einiges größer als sein Fluch. Auch deshalb unterstütze die Politik den Wachstumszwang, und: "Dank Wachstum kann sie sich permanent verschulden, weil sie mit wachsenden Steuereinnahmen rechnen kann." Die Vorstellung, dass wir jederzeit mit dem Wachstum aufhören könnten, wenn wir nur wollten, sei naiv. "Schon eine Milderung des Wachstumszwangs wäre eine epochale Korrektur des Systems", betont der Verfasser.
Manch ein Leser wird sich bei diesen Thesen und der Kombination von "Wachstum" und "Binswanger" fragen: Da war doch schon mal etwas! In der Tat ist die Erforschung des Wachstumszwangs ein Projekt über Generationen. Bereits der Vater des Autors, der 2018 verstorbene ehemalige Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen Hans Christoph Binswanger, beschäftigte sich mit diesem Thema. Ursprünglich standen in seinen Arbeiten die Auswirkungen des Wachstums auf die Umwelt im Vordergrund, er galt als wachstumskritischer Ökonom. Doch dann keimte bei ihm der Verdacht auf, dass Wachstum als systemimmanenter Bestandteil gesehen werden muss. In diesem Fall könne man nicht einfach mit dem Wirtschaftswachstum aufhören, wie dies seit dem Club-of-Rome-Bericht "Grenzen des Wachstums" immer wieder gefordert wird: "Vermutlich gibt es unter den Bedingungen der Geldwirtschaft einen Zwang zum Wachstum, wenn man nicht wirtschaftliche Krisen in Kauf nehmen will."
Das Diktum von Binswanger senior lautete: "Die Alternative zum Wachstum ist nicht Stabilisierung auf dem heute erreichten Niveau, sondern Krise und Schrumpfung." Binswanger junior wurde derweil 2006 mit seinem Bestseller "Die Tretmühlen des Glücks" berühmt. Dort finden sich Daten und Erklärungen dafür, weshalb Menschen in hochentwickelten Ländern zwar weiterhin mehr Einkommen wollen, sie dieses Einkommen aber nicht mehr glücklicher macht. In den vergangenen Jahren hat Binswanger diese These und das von seinem Vater begründete Modell in zwei Aufsätzen im "Journal of Post Keynesian Economics" verbunden.
Nun legt er eine allgemeinverständliche und zugleich ambivalente Lektüre vor. "Allerdings erfreut sich Ambivalenz keiner großen Beliebtheit", gibt er zu: "Menschen sind lieber für oder gegen etwas, und das gilt auch für das Wachstum. Befürworter des Wachstums werden argumentieren, dass dieses Buch eine pauschale Wachstumskritik sei (was nicht stimmt!) und eine viel zu pessimistische Sichtweise der kapitalistischen Wirtschaft vermittle. Wachstumskritiker werden hingegen monieren, dass dieses Buch die Gefahren des Wachstums verharmlose (was auch nicht stimmt!) und dass es umgekehrt vielversprechende Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaft gäbe, die nur aus fehlendem politischem Willen nicht umgesetzt werden." Binswangers Buch wird aber vor allem den Grünen und der sogenannten "Degrowth"-Bewegung missfallen. Denn diese Gruppen nehmen oft an, Wirtschaft würde auch ohne Wachstum funktionieren. Die zentrale Botschaft von Binswanger lautet dagegen, dass es auf makroökonomischer Ebene ein Wirtschaftswachstum brauche. Auf Unternehmensebene ginge es dagegen vor allem darum, hohe Gewinne zu erzielen.
Wie das Buch aber aufzeigt, kann der Unternehmenssektor nur dann Gewinne auf Dauer erzielen, wenn gleichzeitig ein reales Wirtschaftswachstum stattfindet. Nennt Binswanger damit Fakten, die die Grünen nicht mehr ignorieren können? Der Comedian Nuhr sagte jüngst, er könne in seinem Programm keinen wissenschaftlichen Vortrag abliefern, da fehle ihm die Pointe. Binswanger dagegen liefert Wissenschaft ab, und das sehr verständlich. Die Pointe wäre, wenn die Grünen das Werk nun nicht zur Kenntnis und daraus lernen würden.
JOCHEN ZENTHÖFER
Mathias Binswanger: Der Wachstumszwang - Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben. Verlag Wiley-VCH, Weinheim 2019. 310 Seiten. 24,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum Wirtschaftswachstum notwendig ist
Der Comedian Dieter Nuhr war einmal Mitglied der Grünen. Dann ist er ausgetreten. In seinem Programm begründet er den Schritt so: "Ich habe die Realitätsverweigerung nicht mehr ausgehalten." In die Liste vermeintlich grüner Realitätsverweigerungen gehört wohl auch die Vorstellung, dass es Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum geben könne. Mit dieser falschen Wahrnehmung räumt nun Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre in der Schweiz, auf. In der dort erscheinenden "Sonntagszeitung" erklärte er jüngst: "Es gibt nur die Alternativen wachsen oder schrumpfen. Das hat man in Griechenland gesehen. Nach der Finanzkrise ist die griechische Wirtschaft sechs Jahre lang geschrumpft. Da schlägt die Stimmung sehr schnell um, und die Wachstumskritik verstummt."
Zur Debatte um den Klimaschutz sagt Binswanger: "Es gibt immer wieder Phasen, in denen ein Thema enorm Schub bekommt. Man neigt dann dazu, dies zu verabsolutieren und zum einzig wichtigen Thema zu machen. Seit es eine kapitalistische Wirtschaft gibt, gibt es auch Prognosen über deren baldiges Ende, den Untergang oder das Ende des Wachstums. Das hat sich immer als falsch herausgestellt. Das System hat eine große Fähigkeit, die Grenzen hinauszuschieben."
Nun hat Binswanger mit "Der Wachstumszwang" eine Streitschrift vorgelegt, die fernab der üblichen Denkmuster liegt und gerade deshalb so anregend zu lesen ist. Denn auch der Kapitalismus ist für Binswanger nicht sakrosankt. Wirtschaftswachstum habe, wie viele Entwicklungen, einen ambivalenten Charakter und sei sowohl Segen als auch Fluch. "So hat das Wachstum einen ungeheuren materiellen Wohlstand für die meisten Menschen in vielen Ländern ermöglicht, der auch zu einer drastischen Verbesserung der Lebensbedingungen und der Gesundheit geführt hat. Andererseits besitzt Wachstum ein enormes Zerstörungspotenzial für die natürliche Umwelt und trägt nicht mehr zu weiterem Glück der Menschen in hochentwickelten Ländern bei."
Der Segen des Wachstums sei aber um einiges größer als sein Fluch. Auch deshalb unterstütze die Politik den Wachstumszwang, und: "Dank Wachstum kann sie sich permanent verschulden, weil sie mit wachsenden Steuereinnahmen rechnen kann." Die Vorstellung, dass wir jederzeit mit dem Wachstum aufhören könnten, wenn wir nur wollten, sei naiv. "Schon eine Milderung des Wachstumszwangs wäre eine epochale Korrektur des Systems", betont der Verfasser.
Manch ein Leser wird sich bei diesen Thesen und der Kombination von "Wachstum" und "Binswanger" fragen: Da war doch schon mal etwas! In der Tat ist die Erforschung des Wachstumszwangs ein Projekt über Generationen. Bereits der Vater des Autors, der 2018 verstorbene ehemalige Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen Hans Christoph Binswanger, beschäftigte sich mit diesem Thema. Ursprünglich standen in seinen Arbeiten die Auswirkungen des Wachstums auf die Umwelt im Vordergrund, er galt als wachstumskritischer Ökonom. Doch dann keimte bei ihm der Verdacht auf, dass Wachstum als systemimmanenter Bestandteil gesehen werden muss. In diesem Fall könne man nicht einfach mit dem Wirtschaftswachstum aufhören, wie dies seit dem Club-of-Rome-Bericht "Grenzen des Wachstums" immer wieder gefordert wird: "Vermutlich gibt es unter den Bedingungen der Geldwirtschaft einen Zwang zum Wachstum, wenn man nicht wirtschaftliche Krisen in Kauf nehmen will."
Das Diktum von Binswanger senior lautete: "Die Alternative zum Wachstum ist nicht Stabilisierung auf dem heute erreichten Niveau, sondern Krise und Schrumpfung." Binswanger junior wurde derweil 2006 mit seinem Bestseller "Die Tretmühlen des Glücks" berühmt. Dort finden sich Daten und Erklärungen dafür, weshalb Menschen in hochentwickelten Ländern zwar weiterhin mehr Einkommen wollen, sie dieses Einkommen aber nicht mehr glücklicher macht. In den vergangenen Jahren hat Binswanger diese These und das von seinem Vater begründete Modell in zwei Aufsätzen im "Journal of Post Keynesian Economics" verbunden.
Nun legt er eine allgemeinverständliche und zugleich ambivalente Lektüre vor. "Allerdings erfreut sich Ambivalenz keiner großen Beliebtheit", gibt er zu: "Menschen sind lieber für oder gegen etwas, und das gilt auch für das Wachstum. Befürworter des Wachstums werden argumentieren, dass dieses Buch eine pauschale Wachstumskritik sei (was nicht stimmt!) und eine viel zu pessimistische Sichtweise der kapitalistischen Wirtschaft vermittle. Wachstumskritiker werden hingegen monieren, dass dieses Buch die Gefahren des Wachstums verharmlose (was auch nicht stimmt!) und dass es umgekehrt vielversprechende Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaft gäbe, die nur aus fehlendem politischem Willen nicht umgesetzt werden." Binswangers Buch wird aber vor allem den Grünen und der sogenannten "Degrowth"-Bewegung missfallen. Denn diese Gruppen nehmen oft an, Wirtschaft würde auch ohne Wachstum funktionieren. Die zentrale Botschaft von Binswanger lautet dagegen, dass es auf makroökonomischer Ebene ein Wirtschaftswachstum brauche. Auf Unternehmensebene ginge es dagegen vor allem darum, hohe Gewinne zu erzielen.
Wie das Buch aber aufzeigt, kann der Unternehmenssektor nur dann Gewinne auf Dauer erzielen, wenn gleichzeitig ein reales Wirtschaftswachstum stattfindet. Nennt Binswanger damit Fakten, die die Grünen nicht mehr ignorieren können? Der Comedian Nuhr sagte jüngst, er könne in seinem Programm keinen wissenschaftlichen Vortrag abliefern, da fehle ihm die Pointe. Binswanger dagegen liefert Wissenschaft ab, und das sehr verständlich. Die Pointe wäre, wenn die Grünen das Werk nun nicht zur Kenntnis und daraus lernen würden.
JOCHEN ZENTHÖFER
Mathias Binswanger: Der Wachstumszwang - Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben. Verlag Wiley-VCH, Weinheim 2019. 310 Seiten. 24,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... Binswanger hat mit 'Der Wachstumszwang' eine Streitschrift vorgelegt, die fernab der üblichen Denkmuster liegt und gerade deshalb so anregend zu lesen ist. ..."
(FAZ am 19.August 2019)
"... Eine lesenswerte, differenzierte Auseinandersetzung mit den Fundamenten der kapitalistischen Wirtschaft."
(Die Presse, im August 2019)
"... Wer Spaß daran hat, über wirtschaftliche Fragestellungen nachzudenken, wird an den rund 300 Seiten dieses Buches seine Freude haben. ... Selbst wenn wir persönlich genug haben, muss unsere Wirtschaft weiter wachsen. Warum wir diesem Zwang nicht einfach entfliehen können, verrät dieses faszinierende theoretische Werk."
(ManagementJournal Juli 2019)
"... Er stellt solcherart verständlich geschrieben einen Knackpunkt der Volkswirtschaftslehre dar und ist insofern wichtig für die Debatte von Wirtschaftsreformen und der Thematik einer nachhaltigen Geldwirtschaft."
(EKZ im Juli 2019)
"... Binswanger besticht auchin diesem Buch durch seine messerscharfen Analysen und macht abschließend deutlich: "Wachstum ist in einer kapitalistischen Wirtschaft zwar eine Notwendigkeit, aber es muss nicht zwingend ein maximales Wachstum sein.".."
(Rezensionen . ch 20. Juni 2019)
(FAZ am 19.August 2019)
"... Eine lesenswerte, differenzierte Auseinandersetzung mit den Fundamenten der kapitalistischen Wirtschaft."
(Die Presse, im August 2019)
"... Wer Spaß daran hat, über wirtschaftliche Fragestellungen nachzudenken, wird an den rund 300 Seiten dieses Buches seine Freude haben. ... Selbst wenn wir persönlich genug haben, muss unsere Wirtschaft weiter wachsen. Warum wir diesem Zwang nicht einfach entfliehen können, verrät dieses faszinierende theoretische Werk."
(ManagementJournal Juli 2019)
"... Er stellt solcherart verständlich geschrieben einen Knackpunkt der Volkswirtschaftslehre dar und ist insofern wichtig für die Debatte von Wirtschaftsreformen und der Thematik einer nachhaltigen Geldwirtschaft."
(EKZ im Juli 2019)
"... Binswanger besticht auchin diesem Buch durch seine messerscharfen Analysen und macht abschließend deutlich: "Wachstum ist in einer kapitalistischen Wirtschaft zwar eine Notwendigkeit, aber es muss nicht zwingend ein maximales Wachstum sein.".."
(Rezensionen . ch 20. Juni 2019)