Skurril, kurios und tiefgründig
Andrej Kurkow hat seinen in Russland spielenden Roman in verschiedene Erzählstränge aufgeteilt, die nicht in direktem Zusammmenhang zueinander stehen.
Die "Hauptgeschichte" wird von Pawel Dobrynin bestimmt. Dieser einfache, gutmütige Kolchosbauer wird von seiner
kleinen Dorfgemeinde zum Volkskontolleur, genauer zum Arbeitskontrolleur auf Lebenszeit für die…mehrSkurril, kurios und tiefgründig
Andrej Kurkow hat seinen in Russland spielenden Roman in verschiedene Erzählstränge aufgeteilt, die nicht in direktem Zusammmenhang zueinander stehen.
Die "Hauptgeschichte" wird von Pawel Dobrynin bestimmt. Dieser einfache, gutmütige Kolchosbauer wird von seiner kleinen Dorfgemeinde zum Volkskontolleur, genauer zum Arbeitskontrolleur auf Lebenszeit für die ganze Sowjetunion, gewählt. Stolz, aber auch ein bißchen wehmütig, da er nun Heimat, Frau und Kinder, Hof und Hund verlassen muss, macht er sich auf den Weg. Zunächst muss er von einer Instanz zur nächst höheren reisen, um schließlich im Moskauer Kreml in seinem Amt bestätigt zu werden. Er bekommt dort auch eine Dienstwohnung und sogar eine "dienstliche Ehefrau" zugeteilt. Von dort aus wird er losgeschickt, um zu überprüfen. ob die Gesetze und Vorschriften im Land ordnungsgemäß befolgt werden. Sein erster Auftrag führt in zunächst in den Norden, wo Schnee, Eis und bittere Kälte herrschen. Unterwegs begegnen ihm einige skurrile Gestalten und viele Absonderlichkeiten. Aber pflichtbewusst und gewissenhaft versucht er, seine Aufgabe in gerechter Weise zu erfüllen.
Ein weiterer Erzählstrang berichtet von einem Engel, der aus dem Paradies "desertiert " ist. Seit sehr langer Zeit gibt es schon keinen Menschen aus Russland mehr, der in den Himmel gelangt ist. Der Engel möchte ergründen, warum das so ist und macht sich auf den Weg, einen Gerechten zu finden, den er letztendlich bis ins Paradies begleiten kann. Dazu schließt er sich einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Menschen an, die aufgebrochen ist, um das sogenannte " Neue gelobte Land " zu suchen und zu finden.
Dann gibt es noch einen Einblick in das Leben des Schuldirektors Banow. Er findet seine ebenfalls von Anordnungen und Vorschriften geprägte Tätigkeit häufig langweilig und ermüdend. Daher steigt er oft auf das Schuldach, um den Blick über Moskau zu genießen und um nachzudenken. Er lebt ein wenig auf, als er es sich zur Aufgabe macht, der desillusionierten Mutter eines Schülers wieder beizubringen, wie man träumt.
Und schließlich begleiten wir noch den Künstler Mark Iwanow und seinen Gedichte rezitierenden Papagei Kusma auf einigen Etappen seines Weges. Auch er hat sich den Anordnungen von oben zu beugen. Selbst sein wohl verdienter Urlaub unterliegt gewissen Regeln.
All diese verschiedenen Geschichten, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben, schildern den russischen Alltag in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen mit all seinen Schwierigkeiten und Absurditäten, aber auch mit kleinen Lichtblicken. Mit viel feinsinnigem ( manchmal schwarzem ) Humor werden die vielen Skurrilitäten und Kuriositäten der russischen Mentalität beleuchtet. Und nur ,wenn man wirklich ganz genau aufpasst , kann man winzig kleine Berührungspunkte zwischen den verschiedenen Erzählsträngen ( wie zum Beispiel die allgemein angeordnete Blutspende ) erkennen. Aber eins haben alle gemeinsam : egal wann und wo , ganz gleich in welcher noch so merkwürdigen Situation , immer und überall wird erst einmal Tee getrunken .
Die Protagonisten sind meist einfache Charaktere mit schlichtem Gemüt. Dazu passt auch der manchmal schon naive Erzählstil. Aber trotz des eigentlich eher einfachen Schreibstils liest sich der Roman nicht ganz leicht. Er verlangt ( u.a. auch durch die häufig wechselnde Erzählperspektive ) ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Man kann ihn nicht einfach so runterlesen, will man ihn voll und ganz verstehen, sondern man sollte auch zwischen den Zeilen lesen. Neben den durchaus humorvollen,satirischen Aspekten bietet er auch viel Potential zum Nachdenken.
Das Buch ist für mich außergewöhnlich und ein wenig speziell. Aber gerade diese so andere Art - eben typisch Andrej Kurkow - macht ihn so attraktiv und interessant.